Railway

Cover:

Wörter: 1111

Tagebucheintrag von Chan, 

17.09

Mit meinem Koffer stand ich am Gleis und wartete auf den Zug. Es war das erste Mal, dass ich in einem Nachtzug fahren, und auch übernachten würde. 

Aufgeregt war ich eigentlich nicht. Warum auch? Ich fuhr nur zu einem Produzenten-Meeting welches eben in einer entfernteren Stadt stattfinden sollte. 

Die Anzeigetafel für die Züge leuchtete und die Uhrzeit blinkte im Sekundentakt. Noch fünf Minuten... Noch vier... Auf dem gegenüberliegenden Gleis fuhr gerade ein Zug aus dem Tunnel auf die Plattform. Warum müssen die Bremsen eigentlich immer so furchtbar quitschen? Die Türen schwebten zur Seite und Menschen drängten und schoben sich aus den Wagons. Alle sahen gestresst, oder müde aus. Bis auf einen jungen Mann, Anfang Zwanzig. 

Er ließ jedem den Vortritt, der meinte er müsse unbedingt und sofort vorbei und half sogar einer älteren Dame mit ihrem Gepäck. Langsam wurde es auch etwas freier auf dem Bahnsteig und der (ausgesprochen gutaussehende) Junge setzte sich in Bewegung. Elegant und doch locker lief er zu der nächstgelegenen Ankunftstafel und begutachtete sie aufmerksam. Plötzlich sah er genau in meine Richtung, oder zumindest zu meinem Gleis. Jedenfalls beschloss mein Herz doppelt so schnell wie gewöhnlich zu arbeiten und meine Ohren wurden warm. 

Genau in dem Moment, in dem ich wieder aufsah, war der Junge in den Tiefen der Menschenmenge untergegangen und auch mein Zug fuhr ein. 

Es war eine alte Lokomotive mit dunkel roten Wagons und großen, viereckigen Fenstern zum hochschieben. Von innen konnte man sie anscheinend mit dunkel-grünen Samtvorhängen zuziehen. Angenehm, wenn man bei der Fahrt nicht von Kühen oder Schafen dumm angesehen werden wollte.

Ich stieg ein und sah mich gleich nach meinem Abteil um. Ich hatte ein Bett in einer Doppelkabine, was heißen könnte, dass noch jemand in diesem Abteil schlafen würde. Soll mir recht sein, solange ich ungestört an meinem Laptop und meinen Songs arbeiten konnte. Oder an den hübschen Jungspund denken... Er hatte irgendwie leichte Ähnlichkeiten mit einem Fuchs gehabt...

Ich schob die Abteiltür auf und wurde noch von keinem erwartet. Wer weiß, vielleicht hatte ich diese Kabine doch für mich allein? 

Mit einem zufriedenen Seufzen ließ ich mich auf mein Bett fallen. Es war nicht groß, aber groß genug für eine Nacht. 

Kurz schloss ich meine Augen, lehnte mich zurück und atmete tief durch. Dann ertönte der schrille Pfiff als Zeichen zur Abfahrt. Langsam setzte sich das Gefährt in Bewegung, die Umgebung begann hinter dem Fenster zu verschwimmen. 

Warum nicht schonmal die Fahrkarte raussuchen, damit man sich nicht vor dem Schaffner blamierte? Es war doch eigentlich auch nur ein einfacher Papaierschnipsel, den irgendwer mal zu einem 'Ticket' benannt hatte. 

Bevor ich jedoch in sinnlosen Gedanken versinken konnte, riss mich das Geräusch der Schiebetür zurück in die Gegenwart. Jemand streckte seinen Kopf ins Abteil und wir starten uns erst gefühlte fünf Minuten stumm wie Goldfische an. Schließlich blickte der hübsche Junge von vorhin beschämt zu Boden. 

»Tut mir leid, dass ich nicht angeklopft habe. Ich habe Sie nicht gesehen... Aber es tut mir wirklich-« Ich unterbrach ihn. »Erstens kannst Du mich duzen und zweitens brauchst Du Dich nicht zu entschuldigen! Jetzt mach doch bitte die Tür wieder zu und setz' Dich.«

Hastig nickte der Junge. Von seinen vorherigen, scheinbar lockeren Bewegungen war nichts mehr zu sehen. Er wirkte schon fast Gezwungen, ganz als ob er darauf getrimmt wurde, jede Aufgabe zu erfüllen, die ihm aufgetragen wurde.

»Wenn Du noch nicht sitzen möchtest, kannst Du Dich natürlich auch umsehen gehen« bot ich ihm an. Nur für den Fall, dass er dachte, ich wollte ihn gerne als Unterhaltung da behalten. Insgeheim musste ich mir auch eingestehen, dass es mich freuen würde, wenn er hierbleiben würde. Er sah schon süß aus...

Wie ein aufgeschreckter Fuchs sah er mich an, schüttelte dann jedoch schnell den Kopf. 

»Ich würde lieber hier bleiben...« sagte er leise und so, als würde er um Erlaubnis bitten. Was muss dem armen denn schreckliches widerfahren sein?
»Dann mach's Dir bequem und setz Dich.«

Die Lokomotive dampfte und schnaufte pausenlos weiter und holperte über die Gleise. Draußen begann es allmählich zu dämmern. 

Mit Kopfhörern und meinem heiligen Laptop in die Decke eingewickelt saß ich im Schneidersitz auf dem Feldbett. Mein Mitbewohner war vor einigen Minuten ins Bad gegangen, 'um sich bettfertig zu machen'. Moment, einige Minuten? Es waren schon mindestens zwanzig! So lange saß ich nämlich an meinem neuen Soundtrack. 

Am Anfang, als ich den jungen Mann das erste Mal gesehen hatte, hätte ich mir vorstellen können, ihn nach einem Date zu fragen. Doch mittlerweile machte ich mir eher Sorgen und empfand Mitleid für ihn. 

Leise wurde die Kabinentür geöffnet, bedacht darauf keinen überflüssigen Lärm zu veranstalten. 

»Hey, da bist Du ja wieder. Ich hab schon angefangen-«, ich unterbrach mich selbst, denn das was da vor mir stand war elender, als das elendigste Elend aller Elenden. »Hast Du geweint?« 

Seine glasigen Augen huschten von rechts nach links, kreuz und quer über den ganzen Boden. Ich klappte meinen Computer zu und sah den Jüngern aufmerksam an.

Ganz langsam begann seine mühsam erhaltene Fassade an Selbstbeherrschung zu bröckeln und seine Schultern begannen verdächtig zu zucken. Fast zeitgleich wie die erste Träne floss, stand ich neben ihm und nahm ihn in den Arm. Immer heftiger weinte er, durchnässte meinen Pullover. Doch es störte mich nicht im Geringsten. Das einzige was ich gerade wollte war, dem schluchzendem Kind Schutz und Sicherheit zu geben. 

Ich konnte sein kleines, leidenes Herzchen bebend gegen meine Brust klopfen spüren, als ich mich mit ihm gesetzt hatte. Jedesmal, wenn ein leichter Ruck durch den Zug ging, klammerte sich der Junge mehr an meinen Arm. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken und sprach leise, mit sanfter Stimme zu ihm. 

Ohne an Geschwindigkeit zu verlieren, fuhr die Lokomotive weiter ihre Strecke über die Schienen. Draußen hatte sich das Wetter verändert: es regnete riesige Wassertropfen, welche gegen das Fenster klatschten und der Wind heulte, wie ein alter Schlosshund. 

Doch auch hier im Inneren des Abteils begann sich etwas zu verändern: Es waren nur noch in Abständen Schluchzer, oder ein Schniefen zu hören und auch der Atem des Jungen beruhigte sich allmählich. Trotzdem ließ ich ihn nicht los, oder hörte auf ihm den Rücken zu schtreicheln. Wir waren jeder in einer eigenen Welt mit dem jeweils anderen. Nur wir zwei. und dass hatte etwas sicheres.

Ich drehte mich leicht, sodass ich ihn ganz umarmen konnte und er vergrub seinen Haarschopf in meiner Halsbeuge. Unsere beiden Herzen schlugen im Takt weiter, verbanden sich heimlich.

Und der Nachtzug fuhr weiter, bis er in der Dunkelheit verschwand. 


Ich danke Dir von ganzem Herzen, 

dass Du für mich da warst, 

obwohl wir uns nicht kennen.

Ich hoffe, wir sehen uns Irgendwann wieder

Jeongin


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top