Prolog
„Jülf! Warum? Warum haben die Götter dich mir genommen?"
Leya strich ihrem Gatten über das kalte Gesicht! Leise schluchzte sie, während sie seinen toten Körper wusch und für die letzte Fahrt vorbereitete.
„Was mache ich jetzt ohne dich?"
Jülf hatte ihr damals zur Flucht verholfen. Er war sehr viel älter als sie gewesen. Dennoch hatte er nicht ertragen, dass sie einem Jarl, der ihr verhasst war, zur letzten Reise begleiten sollte. Mitten in der Nacht hatte er sie aus der Hütte gestohlen und war mit ihr geflohen. Ihre Flucht ging von den nordischen Ländern, über die Inseln über den Hebriden bis zum Eisland. Erst dort, unter dem jungen Jarl Stijnsson, wurden sie wirklich glücklich. Sie hatte Jülf zum Mann genommen und er hatte sie immer in Ehren gehalten, obwohl sie ihm keine Kinder schenken konnte. Es war ihm egal gewesen. Andere Männer hätten sich mehr Frauen genommen, aber Jülf war nicht so ein Mann. Er hatte sie geliebt und Leya war glücklich gewesen, wenn sie die Kinder des Gutes betreuen konnte. Jülf pflegte immer zu sagen, dass alle Kinder ihre wären.
Manchmal machte sie sich dennoch Vorwürfe. Sie hätte ihm gerne Kinder geschenkt, doch niemand konnte ihr sagen, warum die Götter ihr diese verwehrten.
Nun war er tot.
Er war in einer Schlacht gestorben, mit seinem Schwert in der Hand.
Sie hatte auf den Steg mit den anderen Frauen auf die Boote gewartet, immer in der Hoffnung, dass sie ihren Mann wiedersehen würde.
Doch er war nicht aus dem Boot gesprungen. Er hatte sie nicht durch die Luft gewirbelt, bis sie laut lachte. Dieses Mal hatte sie vergebens auf ihn gewartet.
Alle Männer waren ausgestiegen und man merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Jarl Stijnsson hatte seine Frau umarmt und dann Leya traurig angesehen.
Sie hatte sofort gewusst, dass Jülf sie nie wieder in seine Arme nehmen würde.
Die Männer hatten seinen Leichnam vom Boot gehoben und ihn in ihre kleine Hütte gebracht.
Naya, die Frau des Jarl, wollte ihr helfen, doch Leya wollte niemanden sehen.
Sie wusch ihn, dann zog sie ihm die beste Tunika und die beste Lederhose an. Sie band ihm die Stiefel und legte ihm das Armband um den Oberarm. Den Bart kämmte sie sorgfältig, genau wie das Haar. Dann betrachtete sie ihren toten Gatten. Er sah so aus, als ob er nur schlafen würde.
Leya stockte der Atem.
Bestimmt legte er sie nur herein. Er würde aufspringen und sie lachend küssen. Dann würde er wieder lachen, weil sie ihm mit ihren kleinen Fäusten auf die breite Brust schlug und ihn beschimpfte. Er würde es nicht einmal spüren und sie einfach in seine Arme nehmen und wieder und wieder küssen.
Vorsichtig stieß sie ihn an.
Sie wusste genau, dass er tot war. Sie hatte die Wunde am Bauch gesehen, die man nur notdürftig geflickt hatte, damit er sich bei seinen Ahnen nicht schämen musste.
Doch sie wollte sich an die Hoffnung klammern.
Wieder stieß sie ihn an.
„Es reicht, Jülf. Du hast mich lange genug zum Narren gehalten! Steh auf, du Faulpelz!", flüsterte sie.
Doch er tat es nicht.
Sie kniete sich vor die Schlafstätte und legte ihren Kopf auf seine Brust.
„Was soll ich nur ohne dich tun? Du hast mir versprochen, mich nie alleine zu lassen!", flüsterte sie.
Wieder stiegen Tränen in ihre Augen und sie weinte leise.
Draußen vor der Hütte ging das Leben weiter. Sie hörte die Kinder, die nach ihr suchten, von ihren Müttern aber zurückgerufen wurden.
Langsam stand sie auf und nahm sein Messer, das er immer getragen hatte. Sie packte ihr schweres Haar und schnitt es ab.
Er hatte es geliebt. Immer wieder hatte er es mit seinen Fingern berührt und in der Nacht hatte er den schweren Zopf genommen und ihn an seine Nase gehalten.
„Ich kann dir nicht viel in die andere Welt mitgeben, Gatte. Ich hoffe, es erfreut dich dennoch!"
Sie legte den Zopf an seine Seite. Dann löste sie das Fußkettchen, das er ihr geschenkt hatte und band es um sein Handgelenk.
Zuletzt drückte sie ihm das Schwert in seine kalten Hände.
Es klopfte leise an der Tür.
Thorge trat ein.
„Bist du soweit, Mädchen?"
Sie stand auf und nickte.
Thorge legte ihr mitfühlend eine Hand auf die Schulter.
„Er war ein guter Mann, Leya! Wir werden ihn alle sehr vermissen."
Sie nickte, um nicht antworten zu müssen.
Weitere Männer traten ein und legten Jülf vorsichtig in einen Sack. Sie nahm Nadel und Faden und nähte den Sack zu.
Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen.
Jülf hatte es geahnt.
Sie wusste es nun. Schon vor dem Beginn der Reise hatte er Yorrick beauftragt, ihm ein Boot zu bauen. Yorrick war der Zimmermann auf dem Gut und obwohl er noch sehr jung war, schätzten die Männer seine Arbeit. Tagelang waren er und Jülf zusammengesessen und hatten über den Plänen gegrübelt. Sie hatte die Stirn gerunzelt und ihren Mann gefragt, warum er ein Boot wollte. Vor allem so ein kleines. Er hatte nur mit den Schultern gezuckt, sich aber nicht weiter erklärt.
Nun wusste sie, warum er es bauen ließ.
Jülf hatte gewusst, dass er nicht mehr lebend zu ihr kommen würde und hatte Vorbereitungen getroffen.
Die Männer hoben den Sack vorsichtig an und trugen Jülf nach draußen. Leya folgte ihnen. Sie fror erbärmlich, denn sie hatte ihr Schultertuch in der Hütte gelassen.
Zitternd stand sie am Steg und beobachtete, wie die Männer Jülf auf das Boot betteten. Thorge hatte schon mehrere Truhen mit Gold und Silber beigelegt. Jülfs beste Waffen hatte man neben ihm aufgestellt.
Die Männer und Frauen sprachen ihre Gebete zu den Göttern, um Jülf eine sichere Reise zu gewähren. Doch Leya bewegte ihre Lippen nicht. Sie hatte ihre Arme um ihren Körper geschlungen und zog zitternd die kalte Luft ein.
Das Boot wurde in Brand gesteckt und man stieß es vom Steg ab.
Sie beobachtete, wie die Strömungen es ins offene Meer hinaus trugen. Lange blieb sie auf dem Steg und betrachtete das Feuer, das sich immer weiter entfernte.
Die anderen waren schon ins Langhaus gegangen, um Jülfs ehrenhaften Tod zu feiern. Doch Leya wollte nicht dazu kommen. Sie wollte nicht feiern, dass sie nun alleine war.
Sie konnte es nicht.
Jülf war immer an ihrer Seite gewesen. Sie wusste nicht, was sie nun ohne ihn tun sollte.
Stell dich nicht so an! Du bist stark!
Leise lachte sie, als sie Jülfs Stimme in ihrem Kopf hörte.
Erst auf dem Gut hier war er fröhlich geworden und hatte die derben Sprüche gesprochen. Vorher war er immer ernst gewesen, immer in Sorge um sie. Er hätte sogar seine Stellung hier aufgegeben, als er sie zur Frau nahm. Schließlich war sie eine Sklavin gewesen und andere Nordmänner hätten ihn verspottet. Nur Jarl Stijnsson nicht. Er hatte davon nichts hören wollen. Niemand hatte mehr ihre zweifelhafte Herkunft erwähnt und sie wurden endlich glücklich.
Ihr wurde ein Umhang über die Schulter gelegt.
Sie schluchzte leise, als sie jemand umarmte.
„Du solltest in die Hütte gehen, Leya. Du holst dir den Tod!"
Naya legte ihr Kinn auf ihre Schulter.
Leya schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht. Alles erinnert mich dort an ihn."
Naya küsste sanft ihre Wange. Sie waren gute Freundinnen geworden. Jede Frau hier war eine Freundin und Leya wusste, dass sie mit ihr mitfühlten. Keine von ihnen wandte sich mit einem angeekelten Blick ab, weil Leya dunklere Haut hatte.
„Ich weiß es. Es wird schwierig für dich. Du hattest immer Jülf an deiner Seite. Aber du bist nicht allein. Wir sind für dich da!"
Sie seufzte leise.
„Lasse und Jule nehmen dich für heute Nacht auf. Ab morgen kannst du im Langhaus schlafen. Aber wir dachten, dass du heute Nacht nicht bei der Feier sein willst."
Leya wischte sich über die Nase.
„Das ist...sehr umsichtig von euch!"
Naya küsste erneut ihre Wange und führte sie vorsichtig vom Steg weg. Sie kamen an ihrer Hütte vorbei. Leya blieb stehen und dann brach alles in ihr zusammen.
Nie wieder würde Jülf hier herauskommen und ihr zuwinken. Nie wieder würde er ihr zuzwinkern und über die Mätzchen der Kinder lachen.
Langsam sank sie auf die Knie. Aus dem Schluchzen wurde ein leiser Schrei, der in verzweifeltem Weinen endete. Naya hielt sie die ganze Zeit in ihren Armen und wiegte sie wie ein kleines Kind.
Immer wieder schrie sie ihre Trauer heraus und konnte nicht aufhören zu weinen, bis starke Arme sie aufhoben und davontrugen.
Sie schaute hoch.
Lasse Gunnarsson hatte sie offensichtlich gehört.
„Es tut mir leid!", wisperte sie.
Er schüttelte nur den Kopf und starrte gerade aus.
Sie schluchzte wieder.
„Warum haben mir die Götter meinen Gatten genommen? Warum kann er nicht wie du sein? Warum ist er kein Gunnarsson und wird von ihnen geliebt?"
Lasse trat in seine Hütte ein und stieg die Treppen hoch. Dort oben legte er sie auf eine Schlafstätte. Dann betrachtete er sie.
„Jülf wurde von den Göttern geliebt, Leya. Er hatte dich! Wir Gunnarssons leben auch nicht ewig. Und manchmal fragen auch wir uns, warum die Götter uns strafen!"
Er seufzte.
„Jule kommt gleich zu dir und hilft dir. Versuche zu schlafen."
Sie nickte, wusste aber genau, dass sie nicht schlafen würde.
Noch einmal sah er zu ihr herunter und nickte ihr zu. Dann drehte er sich um und ging.
Leya zog den Umhang enger um ihre Schulter. Ihr war kalt.
Irgendwann hörte sie, wie jemand nach oben kam. Sie sah nicht hoch und es wurde auch nicht von ihr verlangt. Jule zog ihr das Oberkleid aus und nahm den Umhang weg. Dann setzte sie sich zu ihr und reichte ihr einen Becher.
„Trinke das, Leya!"
Leya nahm einen Schluck und verzog dann das Gesicht. Es war Met mit irgendwelchen Kräutern.
„Was ist das?"
Jule antwortete nicht, sondern hob ihr den Becher an die Lippen, bis sie alles getrunken hatte.
Leya wurde schläfrig.
„Was war das?"
Jule lächelte sie traurig an.
„Hind hat dir ein Trank zubereitet, damit du schlafen kannst!"
Leya schüttelte den Kopf, aber es fiel ihr schwer.
„Ich will nicht schlafen. Ich will..."
Jule deckte sie zu und stopfte die Pelzdecke um sie herum fest. An den Füßen lagen warme Steine und auf einmal wurde es Leya warm. Jule strich ihr sanft über die Augen.
„Schlafe, Leya. Träume von besseren Tagen!"
Leya konnte ihre Augen nicht mehr öffnen. Ihre Lider wurden auf einmal sehr schwer.
Sie hörte, wie Jule wieder nach unten ging und langsam kam der Schlummer.
Armes Kind!
Trauriges Kind!
Sie hörte eine Frauenstimme in ihrem Kopf.
So viele Prüfungen.
Und trotzdem so stark!
Leya versuchte sich gegen die Stimme zu wehren, doch es wollte nicht aufhören.
So stark und gut im Herzen!
Du bist bestimmt, mein kleines Mädchen. Du bist bestimmt für einen Krieger!
Leya lachte spöttisch.
„Ich war die Frau eines Kriegers!"
Die Stimme in ihrem Kopf lachte leise.
Doch er war nicht der Krieger, den die Götter für dich wählten!
Sie sah blaue Augen, die sie anstarrten.
Blaue Augen, die leicht grün schimmerten und ein Drachen, der sich um einen Arm schlang. Der Drache war lebendig und zischte sie leise an. Dann hob sich der Arm und der Drache wickelte sich um ihr Handgelenk und verband sie so mit dem Unbekannten.
Leya wusste, dass es ein Traum war. Doch es erschien ihr auch so real.
Und sie hatte Angst davor!
Denn sie erkannte den Drachen und wusste was er bedeutete!
Gunnarsson!
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