5. Kapitel

Raik saß schon am Ruder, als die letzten Männer in das Boot stiegen. Er mochte keine langen Verabschiedungen, deswegen hatte er sich von seinen Vettern und seinem Onkel Lasse und deren Familien schon am Morgen verabschiedet und war danach gleich zum Boot gegangen. Er hatte die Stille genossen, die noch bis vor wenigen Augenblicken geherrscht hatte. Doch nun wurde das Gelächter immer lauter und Raik schloss einen Moment die Augen.

Die Ruhe hier hatte ihm wirklich gut getan. Doch bald würde er wieder bei seiner Familie sein und musste sich um die Kinder kümmern. Seine Eltern hatten sie schon zu lange beaufsichtigen müssen. 

Er seufzte leise, als sich wieder das schlechte Gewissen bei ihm meldete.

Münzen brachte er nicht mit nach Hause und er musste wahrscheinlich ein zweites Mal in See stechen, um Vorräte für sich und die Kinder kaufen zu können. Wieder würde er sie alleine lassen müssen.

Er sah auf den Steg und runzelte die Stirn.

Leya wurde verabschiedet, als ob sie mit ihnen mit segeln würde. Er sah Jule und Naya, die Tränen in den Augen hatten, als sie ihre Freundin umarmten und auf sie einsprachen.

Was war hier los?

Er beobachtete, wie Leya die Schultern straffte und dann tatsächlich das Boot betrat und sich schnell unter das kleine Zelt verkroch, dass man am Heck aufgebaut hatte.

Wo war Sjard? Er würde Raik bestimmt erklären können, was hier vor sich ging.

Die Taue wurden losgemacht und Finnjard brüllte die ersten Befehle. Raik bewegte das Ruder und sie verließen langsam den Steg.

Noch einmal drehte er sich um und winkte seinen Vettern zu, dann erhöhten sie das Tempo. Es dauerte nicht lange, bis sie das Segel setzen konnten und der Wind sie schnell ins offene Meer trieb.

Erst als die Hütten und Menschen nur noch kleine Punkte waren, setzte sich Sjard neben ihn.

„Wo warst du?", blaffte Raik ihn an.

Sjard grinste.

Das war nicht gut. Wenn Sjard so schelmisch grinste, ging etwas vor, dass Raik bestimmt nicht gefiel.

„Ich habe Leya geholfen, sich ein Lager am Heck zu errichten. Dazu kamen wir gestern nicht mehr."

Raik hob eine Augenbraue.

„Das bringt mich zu der nächsten Frage. Warum ist sie mit uns an Bord?"

Sjard verzog etwas das Gesicht.

„Sie kommt mit uns, denn sie hat eine Aufgabe von Thorge und mir bekommen. Eigentlich nicht nur von uns, sondern von der gesamten Familie."

Raik schnaubte.

„Von mir hat sie diesen Auftrag nicht bekommen."

Sjard nickte.

„Richtig! Denn es betrifft dich...in gewisser Weise."

Raik holte tief Luft.

„Es betrifft mich? Inwiefern?"

Sjard seufzte.

„Nun...verflucht, das wird jetzt schwierig. Du weißt, ich sehe dich eher als meinen Bruder an, als meinen Vetter. Und deswegen machte ich mir schon lange Sorgen um dich."

Raik nickte vorsichtig. Das war nicht gut.

„Ja?"

Sjard lachte.

„Du bist stur. Und du hättest nie zugestimmt, wenn wir dir das vorgeschlagen hätten."

Er hob beide Hände, als Raik seine Fäuste ballte.

„Was soll Leya tun? Welchen Auftrag hat sie bekommen? Warum, bei allen Göttern, kommt sie mit?"

Sjard rückte ein Stück weiter weg von Raik.

„Sie wird dir mit den Kindern helfen."

„WAS?"

Raik sprang so heftig auf, dass das Boot bedenklich schwankte. Die übrigen Männer murrten nur ein wenig. Also wussten sie, um was es ging. Jeder wusste es, nur er war ahnungslos!

„Es ist besser so, wenn sie dir hilft.", versuchte Sjard ihn zu beruhigen.

Raik schnaubte heftig.

„Ich kann meine Kinder alleine erziehen!"

Finnjard kam nun zu ihnen und legte Raik beruhigend eine Hand auf die Schulter.

„Das wissen wir doch, Raik. Aber wir haben dich auch gesehen. Du reibst dich auf und irgendwann wirst du umfallen. Leya ist mit der Kinderbetreuung betraut. Und du hast dich doch gut mit ihr verstanden."

Raik schnaubte wütend.

„Da wusste ich ja nicht, dass sie mit uns kommt."

Sjard hob wieder beruhigend die Hand.

„Es geht ja nicht alleine nur um dich. Sie hat es schwer seit Jülf gestorben ist. Sie kommt aus ihrer Trauer nicht heraus und Thorge meinte, es wäre gut, wenn sie irgendwo leben würde, wo sie nicht andauernd an Jülf erinnert werden würde. Du willst ihr das doch nicht nehmen, oder?"

Raik schnaubte.

Er würde als verdammter Hundsfott dastehen, wenn er sich dagegen wehrte.

„Weiß sie denn auch, was sie erwartet?"

Sjard nickte und hob dann einen Finger.

„Du wirst sie respektvoll behandeln. Sie hat sich heftig dagegen gewehrt, doch dann hat sie eingesehen, dass es die beste Lösung für deine und ihre Probleme ist."

Raik hob eine Augenbraue.

„Sie wollte gar nicht mit?"

Finnjard nickte.

„Ich weiß es nicht genau, doch offenbar hatte sie so einen Traum von einem Gunnarsson-Drachen und einem Krieger. Sie fürchtet jeden Mann, der Gunnarsson heißt oder von einem abstammt."

Raik setzte sich wieder verwundert hin.

„Aber warum ist sie dann mitgekommen? Mein Vater ist ein Gunnarsson."

Sjard nickte.

„Ja, aber sie sieht in dir offenbar keine Gefahr. Hast du ihr nicht erklärt, dass du keine Frau mehr haben willst?"

Vorsichtig nickte Raik.

„Richtig."

Sjard zuckte mit den Schultern.

„Also bist du in ihren Augen harmlos."

Raik wischte sich über sein Gesicht.

„Harmlos, mh?  Ich bin also harmlos? Ihr seid wirr im Kopf! Ich bin ein Krieger!"

Er wischte sich über das Gesicht.

"Wie soll das aussehen? Soll sie bei mir in der Hütte leben? Ich will das nicht!"

Wieder zuckte Sjard mit den Schultern.

„Das musst du mit ihr ausmachen."

Raik schluckte hart. Er wollte keine Frau mehr und er hatte es Leya auch unmissverständlich erklärt. Warum war sie trotzdem hier auf dem Boot? Das konnte er sich einfach nicht erklären.

Langsam drehte er seinen Kopf in die Richtung des Zeltes.

Sie war eine seltsame Frau. Beinahe wünschte sich Raik, dass er mehr mit ihr geredet hätte.

Was war das mit den Träumen?

Warum war sie ihm gefolgt, obwohl sie die Gunnarssons hasste?

Er konnte es nicht sagen.

Sjard und Finnjard sahen ihn immer noch fragend an.

Er holte tief Luft.

„Ich werde mit ihr reden. Wenn sie mir wirklich helfen will, dann soll sie bei meinen Eltern wohnen. Das muss genügen!"

Sjard grinste.

„Mehr wollten wir nicht! Du wirst sehen, dass es dir hilft."

Raik nickte. Er war vernünftig genug, um das zu wissen. Bei Thorge hatte er bemerkt, wie erschöpft er war. Dabei waren sie wirklich wochenlang auf See gewesen und er hatte sich um niemanden kümmern müssen. Aber erst bei Thorge ist die Anspannung von ihm gefallen und er war auf einmal müde geworden.

Wenn Leya ihn wirklich unterstützen konnte, dann würde er einige Probleme weniger haben. Und auch an die Kinder dachte er. Das musste er. Um sie ging es schließlich!

„Dann sei es so. Ich werde mich nicht dagegen wehren."



Der Markt von Björgvin war sehr groß und Leya mochte es an den Ständen vorbei zu schlendern und sich die Ware anzuschauen. Sie hatte ihr Haar notdürftig zusammengebunden und unter ein Tuch versteckt, wie auch ihr Gesicht. Sie hatte am Anfang Angst, dass man sie behelligen würde, doch niemand kümmerte sich um sie.

Bei einem Kräuterhändler blieb sie schließlich stehen und betrachtete die getrockneten Pflanzen. Der Händler sah wohl ihr Interesse, denn er kam nach vorne und verneigte sich leicht vor ihr.

„Sucht die Herrin etwas Bestimmtes?"

Sie lächelte ihn unter dem Schleier an, den sie immer noch nicht zu lüften wagte.

„Ja. Ich möchte einige Kräuter erwerben. Allerdings weiß ich nicht, ob sie in meiner neuen Heimat schon gibt."

Der Händler lächelte freundlich.

„Darf ich erfahren, wo diese neue Heimat ist? Vielleicht kann ich der Herrin helfen."

Sie griff zu einer Notlüge, denn sie wollte nicht zu viel von ihr preisgeben.

„Ich werde im Norden ansiedeln. Meine Familie ist dort bekannt."

Sie erzählte ihm alles, was Thorge und Naya je erzählt hatten. Der Name des Fjords und der Name des Jarl, der über den Gunnarssons stand.

Der Händler lachte leise.

„Ihr seid mit den Gunnarssons verwandt? Da kann ich euch gewiss helfen. Ich kenne die Heilerin und weiß, auf welche Kräuter sie schwört."

Er erklärte ihr einige Kräuter und wies auch auf einige hin, die man schwer bekam und auf welche die Heilerin oft verzweifelt wartete.

Leya kaufte sich die Grundkräuter und auch einige, die Sjards Mutter bestimmt gefallen würden.

Der Händler bedankte sich überschwänglich und ließ sie weiterziehen.

Leya fand nach einer Weile ein hübsches Schultertuch. Auch das kaufte sie, allerdings nicht für sich selbst, sondern für Raiks Mutter. Außerdem fand sie Haarschmuck, dass sie Sjards Frau schenken wollte. Sie wollte sich mit den Frauen gut stellen. Wenn sie wieder alleine war, würde sie verzweifeln. Schon jetzt vermisste sie Naya, Jule und die anderen. Sie hoffte nur, dass Sjard Recht behielt und sie gut aufgenommen werden würde.

Langsam ging sie weiter, bis sie auf Raik traf. Er war bei einem Händler, der seltsame braune Bohnen anpries. Leya kannte diese Bohnen. Sie wurden gemahlen und ergaben, wenn man sie mit heißem Wasser überbrühte, ein belebendes Getränk, das ihre Mutter auch gerne getrunken hatte, als sie noch in ihrer alten Heimat lebten.

Sie schnalzte leise mit der Zunge, als sie hörte, was der Händler dafür verlangte.

Raik schien etwas verzweifelt zu sein. Er kramte in seinem kleinen Beutel und zählte wohl die Münzen.

Leya straffte sich und ging einige Schritte auf sie zu.

„Du sagtest, nur den kleinen Beutel?", hörte sie Raik fragen.

Der Händler lächelte, doch Leya sah die Gier in seinen Augen.

Sie hob ihr Kinn und ging noch einen Schritt nach vorne.

„Wie viel verlangst du dafür?"

Raik hob erschrocken den Kopf, sagte aber nichts.

Der Händler nannte den Preis und Leya schnaubte.

„Das ist Wucher und das weißt du auch!"

Der Händler machte eine scheuchende Bewegung.

„Verschwinde von hier, Frau. Du hast dich nicht in die Geschäfte von Männern einzumischen."

Raik hob den Kopf und der Blick, den er dem Händler zuwarf, war nicht gerade freundlich.

Leya trat noch einen Schritt vor.

„Weißt du überhaupt, wen du hier vor dir hast? Erkennst du den Drachen? Ich glaube nicht, dass die Gunnarssons jemals wieder mit dir Geschäfte machen werden, wenn sie erfahren, dass du einen der ihren hinters Licht geführt hast!"

Der Händler wurde blass und starrte abwechselnd zwischen Raik und Leya hin und her. Doch dann hob er sein Kinn.

„Was geht es dich an? Du bist keine vom Stamm der Gunnarsson. Das erkenne ich sofort. Du wirst eine Sklavin sein!"

Raik, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, packte den Händler am Hals und drückte ihn gegen die Holzwand des Standes.

„Vorsicht, Mann! Sie ist keine Sklavin! Sie gehört zu meiner Familie! Und nun machst du mir einen anständigen Preis, mit dem auch sie einverstanden ist. Ich kenne jeden Mann aus dem Rat von Björgvin. Was denkst du, was passiert, wenn ich ihnen sage, dass du versuchst Männer hereinzulegen?"

Seine Stimme war leise, hatte beinahe einen sanften Klang. Doch genau das lehrte einen das Fürchten. Selbst Leya lief es eiskalt den Rücken herunter.

Der Händler nickte hektisch und nannte einen Preis.

Raik sah zu Leya, die den Kopf schüttelte. Wieder sah er zu dem Händler und schnaubte.

„Sie ist damit nicht einverstanden. Versuche es nochmal."

Wieder nannte er einen Preis. Dieses Mal nickte Leya.

Raik ließ den Händler los und bezahlte den Sack.

„Ich werde meinen Vater davon berichten. Ich weiß, dass wir Gunnarssons die Einzigen sind, die dir den Kaffee abkaufen. Glaube mir, so schnell wirst du deine Ware nicht mehr los! Wir bekommen die Bohnen auch von anderen Händlern."

Der Händler schluckte hart und verneigte sich dann.

„Ich entschuldige mich in aller Förmlichkeit. Ihr werdet nie mehr einen Grund zur Klage finden!"

Als weitere entschuldigende Geste gab er den kleinen Sack, den er Raik zuerst angeboten hatte, Leya.

Raik packte Leya sanft am Ellbogen und führte sie von dem Stand weg.

„Ich danke dir! Ohne dich hätte ich wahrscheinlich zu viel bezahlt!"

Wieder war seine Stimme leise, doch dieses Mal war nichts Gefährliches zu hören.

„Ich habe nur getan, was getan werden musste."

Er nickte.

„Du hättest mich auch bezahlen lassen können."

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich habe beobachtet, wie du die Münzen sorgfältig abgezählt hast. Sag mir, bist du arm?"

Er lachte leise.

„Das nicht unbedingt. Doch da es nur eine Handelsfahrt war, werde ich so gut wie nichts bekommen."

Einen Moment dachte sie daran, dass ihr noch genug Münzen blieben. Aber sie erwähnte es lieber nicht, solange sie nicht wusste, was noch auf sie zukam.

Er führte sie sanft, aber bestimmt in ein Gasthaus.

Leya blieb abrupt stehen.

„Was hast du vor?"

Raik seufzte leise.

„Ich weiß, warum du hier bist. Und ich denke, wir sollten darüber sprechen, was du erwartest. Bisher hatte ich nicht die Gelegenheit mit dir darüber zu reden und wir werden bald Zuhause sein!"

Leya schnaubte leise.

„Dein Zuhause. Nicht meines. Und ich werde tun, was du von mir verlangst. So hat es mir mein Jarl aufgetragen!"

Thorge hatte nichts in der Richtung erwähnt, aber sie wollte Raik klar machen, dass sie immer noch zu Thorges Stamm gehörte, auch wenn sie im Moment nicht dort lebte.

Raik seufzte erneut.

„Du willst es mir wohl nicht einfach machen. Thorge ist nicht hier und ich bin der Meinung, dass wir es unter uns ausmachen sollten, wie du dir alles vorstellst."

Wieder ging er einen Schritt nach vorne, doch Leya stemmte ihre Füße fest in den Boden.

„Bitte! Sie werden mich hier nicht bedienen. Du hast den Händler doch gehört. Auch für ihn war ich eine Sklavin!"

Raik grinste.

„Ich denke, ich habe ihm klar gemacht, dass dem nicht so ist. Und ich werde es auch jedem anderen verständlich erklären! Du brauchst keine Angst haben, wenn du in meiner Nähe bist."

Leya zweifelte daran, aber sie konnte sich auch nicht hier mit ihm streiten. Schon jetzt schauten einige Leute zu ihnen.

Widerwillig folgte sie ihm in das Gasthaus.

Sie war zum ersten Mal in so einem Haus. Als sie mit Jülf auf der Flucht war, hatte er große Städte gemieden. Und auf dem Eisland hatten sie nie Gelegenheit gehabt zusammen zu reisen. Jülf hatte ihr aber oft von solchen Gasthäusern erzählt, die er gerne als Spelunken betitelte. Dort ging es rau zu und es waren auch nicht gerade die saubersten Orte.

Dementsprechend war sie erstaunt, als sie den Gastraum betrat. Es war voll und einige Männer mit Essbrettern liefen umher. Frauen füllten die Trinkhörner der Männer auf. Es war sauber und es roch nicht nach schalem Met oder ungewaschenen Leibern. Stattdessen waren die Binsen offensichtlich am Morgen frisch verteilt worden, denn noch immer konnte man den Duft riechen.

Es war laut und man konnte die Leute lachen hören. Unwillkürlich drängte sie sich näher an Raik und erwartete, als der Wirt auf sie zukam, dass er sie wieder hinaus scheuchen würde.

Doch nichts dergleichen geschah.

Der Wirt lachte Raik freundlich an.

„Raik Tjarksson. Ich habe schon gehört, dass euer Boot angekommen ist."

Raik grinste.

„Es ist nicht mein Boot, sondern das von Finnjard."

Der Wirt machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Wie dem auch sei. Was kann ich für Euch und eure Begleitung tun?"

Man konnte seine Neugier erkennen, aber er fragte nicht nach.

Raik sah lächelnd zu Leya.

„Darf ich dir Leya vorstellen? Sie ist die Witwe von Jülf, einen Krieger meines Vetters Thorge."

Der Wirt warf Leya einen beeindruckten Blick zu.

„Die Herrin kommt aus dem Eisland?"

Leya musste sich zusammenreißen, dass sie nicht laut auflachte. Als Herrin hatte sie noch niemand bezeichnet.

Raik antwortete für sie.

„Ja, sie kommt aus dem Eisland. Könntet ihr mir einen ruhigen Platz geben? Ich nehme auch mit der Küche vorlieb!"

Der Wirt lachte, als Raik ihm so versuchte zu erklären, dass Leya und er sich nicht zu einem Stelldichein trafen.

„Die Küche ist um die Zeit nicht gerade der ruhigste Ort. Aber ich werde schon einen Platz finden."

Er führte die beiden in eine Nische, in der ein kleiner Tisch stand. Kurz darauf stand vor ihnen eine Essbrett und jeweils ein Becher. Leya nippte an dem Getränk und riss verblüfft die Augen auf. Das war Wein. Und zwar ein sehr Guter.

Sie nahm noch einen Schluck und beobachtete Raik, der mit einem Messer Fleisch aufspießte. Sie nahm ein Stück Brot und tunkte es in den Bratensaft, bevor sie noch etwas Gemüse aufnahm. Sie kaute genüsslich, denn es schmeckte wirklich sehr gut.

Raik aß langsam und bedächtig. Erst als er es heruntergeschluckt hatte, sprach er wieder mit ihr.

„Nun gut. Ich bin dir natürlich sehr dankbar, dass du mir mit meinen Kindern helfen willst, aber ich nehme einmal an, dass du nicht unter meinem Dach leben willst! Mein Wunsch ist es auch nicht."

Sie schüttelte heftig den Kopf, was ihn zum Grinsen brachte.

„Keine Angst. Ich habe da schon einen Einfall. Das Langhaus meiner Eltern ist sehr groß und hat mehrere kleine Kammern. Du kannst bei ihnen die Nacht verbringen."

Leya nickte dankbar.

Zumindest war so der Anstand gewahrt.

„Was die Bezahlung angeht..."

Sie hob die Hand.

„Ich verlange keine Bezahlung. Schließlich haben wir diesen Handel nicht geschlossen."

Er zuckte mit den Schultern.

„Dennoch will ich dich für deine Arbeit bezahlen. Nur im Moment..."

Sie erinnerte sich, wie er die Münzen gezählt hatte und hob deswegen abwehrend die Hand.

„Das ist nicht nötig. Mir reicht die Nahrung und ein warmes Lager."

Er lächelte leicht.

„Damit kann ich dienen."

Ihr war bewusst, dass er im Moment nachgab, weil er sie einfach nicht bezahlen konnte. Aber es würde zu einer erneuten Diskussion führen.

Er kaute wieder an einem Stück Fleisch und sprach erst weiter, als er zu Ende gegessen hatte.

„Was erwartest du noch von mir?"

Sie nahm einen Schluck Wein.

„Du weißt, was ich nicht erwarte. Ich will keinen Ehemann. Ich will überhaupt keinen Mann haben. Ich war glücklich verheiratet und ich will Jülf in Ehren halten."

Er nickte.

„Da auch ich keine Frau will, dürften wir keine Schwierigkeiten haben."

Er wischte sich mit dem Ärmel über den Mund, was Leya kurz den Mund verziehen ließ. Er grinste.

„Meine Frau hat das auch gehasst. Ich werde darauf achten."

Er zeigte auf den Beutel, den sie immer noch auf dem Schoß balancierte.

Bist du fertig mit deinen Einkäufen?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich möchte noch etwas für die Kinder kaufen. Wie alt sind sie denn?"

Raiks Gesicht entspannte sich sofort und ein Lächeln umspielte seine Lippen.

„Bjarne wird bald vier Jahre alt und Merle ist nun über ein halbes Jahr alt."

Leya musste nun auch lächeln.

„Noch sehr jung. Ich hoffe, sie mögen mich."

Raik holte tief Luft.

„Merle kennt ihre Mutter nicht. Ingrud ist kurze Zeit nach der Geburt verstorben. Bjarne fragt nach ihr, aber es wird immer seltener."

Leya unterdrückte das Bedürfnis, ihn trösten zu wollen. Stattdessen nickte sie nur.

„Wenn du es verlangst, werde ich das Andenken deiner Frau aufrechterhalten."

Raik zuckte mit den Schultern.

„Wie du willst!"

Auf einmal war der freundliche Mann verschwunden. Er blickte wieder so eiskalt, wie er es sonst immer tat und stand auf. Sie senkte den Kopf. Irgendwie traute sie sich nie on sein Gesicht zu blicken.

„Du musst dich sputen. Finnjard will so schnell wie möglich wieder in See stechen!"

Ohne auf sie zu warten, ging er zum Wirt und bezahlte für das Essen und die Getränke.

Leya blickte ihm nach.

Raik Tjarksson musste seine Frau wirklich sehr geliebt haben, wenn er so dagegen war, dass sie die Erinnerung aufrechterhielt.

Sie würde sich in Zukunft davor hüten, Ingrud wieder zu erwähnen. Am besten sie unterließ private Gespräche. Aber eines war sicher. Raik war bestimmt nicht der Gunnarsson, der ihr immer im Traum erschien.

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