3.Kapitel
Raik lehnte sich zurück und lauschte Naya, die eine Sage erzählte.
Beinahe wirkte es heute wie ein Wettkampf zwischen ihr und Finnjard, denn sie wechselten sich immer wieder ab. Im Laufe des Abends wurden die Geschichten und Sagen immer derber und selbst er musste manchmal grinsen.
Doch nun erzählte Naya eine Art Liebesgeschichte. Raik kannte sie schon. Sie ging natürlich tragisch aus. Aber wie immer erzählte sie Naya so lebendig, als ob man selbst davon betroffen wäre.
Er hörte es hinter sich seufzen. Langsam drehte er den Kopf und sah die dunkle Frau, die ihn schon den ganzen Abend Essen und Met brachte.
Raik wusste genau, wer sie war und erinnerte sich an sie. Sie war Jülfs Frau gewesen.
Raik war betroffen gewesen, als er von seinem Tod gehört hatte. Er selbst hatte neben ihm gekämpft und konnte es sich einfach nicht vorstellen, dass Jülf nicht mehr unter ihnen weilte.
Er hatte schon immer zugegeben, dass Jülf mit seiner Frau wirklich Geschmack bewiesen hatte. Sie sah anders aus als die Frauen des Nordens, aber er konnte sich vorstellen, dass genau das die meisten Männer reizte. Wenn sie nicht so traurig aussehen würde.
Er hatte sich wieder und wieder bei ihr bedankt, wenn sie ihm etwas gereicht hatte, doch sie hatte immer nur ihren Blick gesenkt und ihm nicht geantwortet. Er konnte es verstehen. Auch wenn Jülf schon seit vielen Monaten tot war, trauerte sie noch um ihn.
Nun war er es, der seufzte.
Er wünschte, er könnte auch so um seine tote Frau trauern, aber er tat es einfach nicht. Dabei sollte er Trauer fürseine Frau empfinden. Immerhin waren sie vier Jahre verheiratet gewesen. Damals hatte er Thorge gesagt, dass sich irgendwann eine Art Zuneigung entwickeln würde, aber das war nie geschehen. Weder von ihm noch von ihrer Seite war davon irgendetwas zu spüren gewesen. Er hatte sie zwar bestiegen, aber es war eher Pflicht statt Lust. Und es waren nur wenige Male gewesen. Sie war unter ihm gelegen wie ein Holzstück. Nicht einmal küssen wollte sie ihn. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, wäre ihm in den Sinn gekommen, dass sie ihn hasste. Doch dem war nicht so. Das glaubte er zumindest. Sie hatten kaum miteinander gesprochen und sie war ihm immer aus dem Weg gegangen. Irgendwann hatte er es auch gelassen, sich um sie zu bemühen. Nur noch einmal hatte sie ihm erlaubt, sich zu ihr zu legen und da musste Merle entstanden sein.
War Ingrud bei ihm auch reserviert, so hatte sie Bjarne geliebt und vergöttert. Manchmal hatte Raik das Gefühl gehabt, sie war eifersüchtig, wenn er sich mit Bjarne beschäftigte. Sie hatte ihn nie erlaubt, Bjarne in seine Arme zu nehmen, so wie er es von seinem Vater oder Stijn kannte, die ihre Kinder ständig in den Armen gehalten hatten. Stattdessen hatte sie auf ihn eingeschimpft, dass er zu grob für ihr Kind wäre. IHR Kind. Nicht das gemeinsame Kind.
Am liebsten hätte sie ihn nicht in die Nähe seines Sohnes gelassen und es wurde noch schlimmer, als sie wieder schwanger wurde. Er hatte zwar mit ihr die Kinder gezeugt, aber wenn es nach Ingrud gegangen wäre, hätte er nichts mit ihnen zu tun gehabt. Er war sich damals nicht sicher gewesen, ob er wirklich zu grob für Bjarne war. Doch nun wusste er, dass Ingrud Bjarne nicht mit ihm teilen wollte. Er liebte seine Kinder und würde sie nie verletzen.
Wieder hörte er Leya leise schluchzen.
Er machte auf der Bank etwas Platz.
„Setz dich hierher, Mädchen. Im Moment will niemand etwas zu trinken!"
Sie wischte sich über die Nase und sah ihn arrogant an.
„Ich setzte mich nicht neben einen Gunnarsson, der nicht verheiratet ist!"
Raik hob verblüfft beide Augenbrauen.
„Seit wann bist du so unfreundlich? Ich habe dich ganz anders in Erinnerung! Habe ich dich in irgendeiner Weise beleidigt?"
Sie schüttelte schnell den Kopf und das arrogante Gehabe legte sich.
„Nein! Es hat etwas mit den Göttern und meinen Träumen zu tun."
Er verstand nicht ganz.
„Die Götter verbieten es dir, neben einem Nachfahren der Gunnarssons zu sitzen der verwitwet ist?"
Sie holte tief Luft.
„Nein! Sie verbieten es mir nicht. Ich verbiete es mir selbst. Ich möchte keinen Mann mehr haben!"
Er lächelte.
„Du bist in Trauer. Ich verstehe das. Aber ich kann dir versichern, dass ich auch keine Frau mehr haben will! Ich denke, ich bin für dich also harmlos!"
Sie kämpfte einen inneren Kampf mit sich aus, doch dann setzte sie sich neben ihn, hielt aber viel Abstand.
Raik zuckte nur mit den Schultern und hörte wieder Naya zu.
Nach einer Weile beendete Naya den Vortrag, doch Leya blieb sitzen und starrte ins Leere.
Raik reichte ihr sein Trinkhorn und nach kurzem Zögern nahm sie es und trank einen Schluck daraus.
Er sah auf die Tischplatte.
„Jülf war ein guter Mann. Ich verstehe, dass du so sehr um ihn trauerst und ich bedauere deinen Verlust!"
Sie nickte leicht.
Dann sah sie ihn an.
„Du bist selbst in Trauer!"
Leise seufzte er.
Er wollte ihr nicht erklären, dass er nicht trauerte, weil er seine Frau nicht geliebt hatte. Es ging sie nichts an. Deswegen zuckte er nur mit den Schultern.
„Ich habe meine Kinder, die mir Trost spenden!"
Sie lächelte leicht.
„Das ist schön, dass du wenigstens Trost in den Kindern findest."
Er nickte.
„Es ist schwierig, aber ich liebe sie beide." Er lächelte leicht, als er an seine zwei Kinder dachte. „Ein Junge und ein Mädchen. Bjarne und Merle. Ich habe sie ungern alleine gelassen, aber sie sind bei meiner Mutter und meinem Vater gut aufgehoben!"
Sie senkte leicht den Kopf.
„Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angefahren habe! Aber ich traue keinem Gunnarsson. Und eben besonders nicht, wenn er nicht vermählt ist."
Raik wurde neugierig, aber er konnte sich vorstellen, dass sie ihm nicht sagen würde, warum sie die Gunnarssons und deren Nachfahren vermied.
Stattdessen stand er auf und reichte ihr wieder sein Trinkhorn.
„Du kannst den Rest austrinken. Ich werde mich zurückziehen."
Sie runzelte die Stirn.
„Der Jarl hat uns noch nicht entlassen."
Raik nickte müde.
„Ich habe seine Erlaubnis. Mir fehlt Schlaf."
Er sah sich seufzend in der Halle um, in der es schon wieder lauter wurde.
„Ich denke, dass es aber sehr lange dauern wird, bis er zu mir kommt!"
Beinahe mitleidig sah sie ihn an, bis sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen bildete.
Sie stand auf.
„Folge mir!"
Verdutzt ging er tatsächlich hinter ihr her. Leya ging aus dem Langhaus und hielt vor einer kleinen Hütte.
„Hier lebten Jülf und ich. Seit seinem Tod habe ich die Hütte nicht mehr betreten. Du kannst sie nutzen."
Raik sah sie erstaunt an.
„Du überlässt sie mir?"
Sie lachte spöttisch.
„Ich will nicht mehr darin wohnen. Alles erinnert mich..."
Er nickte schnell. Er wollte nicht, dass sie wieder traurig wurde.
„Das kann ich verstehen. Und ich danke dir! Ich muss wirklich schlafen!"
Sie nickte nur noch einmal, dann drehte sie sich um und ging ins Langhaus.
Seufzend betrat Raik die Hütte. Es war lange nicht mehr gelüftet worden und der Kamin brannte auch nicht. Doch auf dem Lager waren Pelze und Decken ausgebreitet. Er entfernte die Bretter von den Fenstern und fachte den Kamin an. Dann zog er sich aus und legte sich auf das Lager. Eine kurze Weile lauschte er dem Meeresrauschen, dann schlief er ein.
Leya lief etwas langsamer.
Sie hörte, wie Raik die Fenster öffnete, die seit Jülfs Tod geschlossen waren. Nach einer Weile sah man sogar wie Rauch aus dem Kamin stieg.
Die Hütte wirkte auf einmal nicht trostlos. Raik hauchte ihr wieder Leben ein.
Leya blieb stehen und betrachtete die Hütte, die Jülf selbst gebaut hatte. Eigentlich erwartete sie beinahe, dass sie Raik als Fremdkörper darin sah, aber dem war nicht so.
Langsam kam sie wieder auf die Hütte zu und schaute vorsichtig durch das Fenster.
Raik lag mit dem Bauch nach unten auf dem Lager und schlief schon jetzt.
Jülf hatte immer auf dem Rücken geschlafen und hätte jetzt schon geschnarcht. Doch von Raik kam kein Laut. Nur ab und zu ein Seufzen, wenn er sich drehte.
Sie hatte erwartet, dass seine Kleidung unordentlich auf den Boden lag, aber auch dem war nicht so. Alles lag ordentlich auf einer Stange in der Nähe des Kamins. Sie hatte sie selbst dort befestigt, doch Jülf hatte sie immer ignoriert und Leya hatte seine Kleidung aufgehoben und auf die Truhe gelegt.
Wieder drehte sich Raik. Seltsam, dass er so unruhig schlief.
Er hob seinen Arm neben den Kopf und sie konnte den Drachen sehen, den sie so fürchtete.
Einen Moment erstarrte sie.
War Raik der Mann, der sie in ihren Träumen immer verfolgte?
Nein!
Das konnte nicht sein. Er trauerte doch selbst und hatte ihr glaubhaft versichert, dass er keine Frau wollte.
Leicht lächelte sie.
Er war ungefährlich für sie.
Sie hatte es nicht nur an seiner Versicherung bemerkt, dass er nie wieder heiraten würde, sondern auch, wie er von seinen Kindern sprach. Es hatte so liebevoll geklungen und sie hatte ihn zum ersten Mal seit seiner Ankunft lächeln gesehen.
Raik Tjarksson war nicht der Mann den sie fürchten musste.
Erleichtert seufzte sie und betrat noch einmal die Hütte. Sie zog die Vorhänge vor die Fenster, damit es nicht so hell war. Die Nachtsonne schien direkt auf das Lager und störte bestimmt Raiks Schlaf. Sie legte Kerzen und Zündhölzer auf den Tisch und ging wieder.
Wieder stöhnte Raik und murmelte im Schlaf Namen.
Bjarne und Merle.
Seine Kinder.
Selbst im Schlaf dachte er noch an sie.
Leya erlaubte sich erneut ein Lächeln.
Nein, er war nicht gefährlich. Bei ihm konnte sie beruhigt sein.
Sie schüttelte den Kopf.
Was waren das für Gedanken? Er würde bald wieder davon segeln und sie würde ihn wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen.
Schnell ging sie aus der Hütte, bevor sie noch mehr von diesen dummen Gedanken hatte.
Thorge beobachtete seinen Vetter. Er lächelte, während er nebenbei noch seiner Frau lauschte.
Sjard beugte sich zu ihm.
„Du scheinst sehr gute Laune zu haben."
Thorge nickte und zeigte mit dem Kinn zu Raik und Leya.
„Sieh dir das an. Sie sitzt neben ihm und sie unterhalten sich."
Sjard folgte seinem Blick und grinste.
„Und sie schreit ihn nicht an. Ich würde mal sagen, dass kommt unseren Absichten gerade recht."
Thorge nickte.
Naya beendete ihren Vortrag und kam zu ihnen. Thorge zog sie auf seinen Schoß und strich ihr sanft über den dicken Bauch.
„Heute keine Sagen mehr von dir, meine Liebe. Ich möchte nicht, dass du dich zu sehr anstrengst."
Naya küsste ihn lachend auf den Mund.
„Es strengt mich nicht an, Thorge. Und dein Nachfolger genießt es. Die ganze Zeit war er sehr ruhig. Sogar noch ruhiger als Stijn und Liv."
Thorge streichelte noch einmal über den gerundeten Leib.
„Ich möchte es trotzdem nicht. Bald ist es soweit und du solltest deine Kraft aufsparen!"
Sjard grinste.
„Er ist schlimmer, als ich es bei Elsa war!"
Naya lachte.
„Das habt ihr Gunnarssons wohl gemeinsam. Ihr seid sehr fürsorglich, aber ich sehe, dass es sich gelohnt hat."
Sie zeigte unauffällig zu Raik. Der stand gerade auf und folgte Leya aus dem Langhaus.
Man konnte nicht sagen, wer verblüffter war. Thorge oder Sjard.
„Bei allen Göttern! Das hätte ich nicht erwartet, dass er sie besteigt!", keuchte Sjard.
Naya schlug ihm sanft auf den Arm.
„Das wird er auch nicht! Ich kenne zwar Raik nicht gut genug, aber Leya ist meine Freundin. Sie wird sich nicht mit ihm einlassen. Aber ich denke, die erlaubt ihn, ihre Hütte zu nutzen."
Sjard hob eine Augenbraue.
„Und inwiefern hat es sich deiner Meinung nach gelohnt?"
Sie seufzte.
„Eigentlich habe ich Stillschweigen versprochen, aber ich denke, du solltest wissen, was ich weiß." Sie schaute zu Thorge, der nickte. Er wusste es offensichtlich auch.
Naya beugte sich zu Sjard.
„Als Jülfs Leichnam hierher gebracht wurde, trauerte Leya sehr. So sehr, dass Lasse sie in seine Hütte tragen musste. Deine Schwester gab Leya einen Trank, damit sie schlafen konnte. Leya erzählte mir und Jule, dass die Götter ihr einen Traum geschickt hatten. Sie sah blaue Augen eines Mannes und den Drachen der Gunnarssons, der sie und den Mann verband. Seitdem meidet sie jeden Nachfahren der Gunnarssons, der nicht verheiratet ist. Sie hatte sogar auf die Götter geflucht!"
Sjard verzog das Gesicht.
„Ich habe das schon gehört. Und ihr seid euch wirklich sicher, dass ihr sie zu uns schicken wollt?"
Sie sahen, wie Leya wieder in die Halle kam und wieder die Männer bediente, doch gleichzeitig auch die Kinder betreute. Sie wirkte nachdenklich und traurig.
„Ja! Sie muss etwas anderes sehen." Thorge seufzte. „Ich verliere sie nicht gerne, aber hier wird sie immer schwermütiger!"
Naya lehnte sich an ihn.
„Ich verliere sie auch nicht gerne, aber es ist besser so."
Sjard schnaubte.
„Ihr tut gerade so, als ob es Leya bei uns schlecht gehen würde. Ich passe schon auf sie auf. Und wer weiß...vielleicht findet sie bei uns Frieden und auch etwas Glück!"
„Der Junge weiß gar nicht, wie Recht er hat."
Freya rieb sich die Hände.
Odin atmete tief ein und aus, was Freya den Kopf heben ließ.
„Was? Was siehst du?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Du weißt, was man ihnen auch nachsagt. Den Gunnarssons meine ich."
Freya seufzte.
„Ich weiß es sehr wohl und es ist teilweise auch unsere Schuld. Dennoch gönne ich den beiden das Glück, dass sie wirklich verdienen."
Odin schwieg, was Freya gar nicht passte.
„Was? Willst du mir irgendetwas sagen?"
Odin beugte sich nach vorne. Er wirkte auf einmal alt und weise.
„Ich befürchte, Raik Tjarksson wird es von allen am schwierigsten haben."
Freya riss die Augen auf.
„Was hast du dieses Mal angestellt?"
Odin hob entrüstet den Kopf.
„Nichts! Es sind die Vorgeschichten, die den beiden zu schaffen machen. Die Vergangenheit wird sie immer wieder einholen."
Er seufzte.
„Wir werden eine Menge zu tun bekommen, Freya. Dieses Mal habe sogar ich die Nornen gebeten, unsere Hilfe zu akzeptieren. Es geht nicht um ein Spiel. Alles, was wir bisher mit den Gunnarssons erlebt haben, war...wie soll ich das sagen...Spaß."
Freya sah den Allvater entsetzt an.
„Tjark wäre beinahe gestorben. Lasse wurde beinahe wahnsinnig und stürzte sich von einer Schlacht in die andere. Selbst Stijn..."
Odin hob die Hand.
„Glaube mir, wenn ich dir sage, dass wir damals alles mit Leichtigkeit bewältigt haben. Es wird einfach aussehen, doch der Schein trügt. Ich habe Teile gesehen, die sogar mich erschreckt haben und mich fragen ließen, wozu Menschen fähig sind."
Freya sackte in sich zusammen.
„Aber es wird ein gutes Ende nehmen. Oder? Das wird es doch?"
Odin schwieg.
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Hallo meine Lieben,
wundert euch nicht, dass ich heute noch ein Kapitel einstelle. Aber ich habe heute Mittag zwei Fehler entdeckt und bevor ich es wieder vergesse, habe ich es gleich hier verbessert.
Außerdem nehme ich heute die Gelegenheit wahr und stelle euch die Lieder vor, die ich dieses Mal beim Schreiben höre. (Die Gunnarssons-Greatest-Hits sozusagen.)
Als erstes habe ich Danheim für mich entdeckt. Es ist ein dänisches Projekt und wurde 2016 gegründet. Von ihnen höre ich am liebsten: -Holmgang, Vikinger und Bersekir.
Und natürlich höre ich auch wieder Warduna. Besonders Solringen hat es mir angetan.
Von der Serie "The last kingdom" habe ich mir das Lied " lívstræðrir" ausgesucht. Ich habe es gehört, als ich Kapitel 12 geschrieben habe...ich habe geheult. Die ganze Zeit!
So, jetzt nerve ich euch auch nicht weiter. Viel Spaß und bis Montag!
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