25. Kapitel

Raik ging durch das Gut von Thorvald. Seit Tagen hatte er Leya schon nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er hatte das Gefühl, dass Svens Männer ihn von Leya abschirmten. Und er wusste genau, warum das so war.

Bilal, der dunkle Wikinger, wollte ihn nicht in die Nähe seiner Tochter lassen. Offenbar hatte Leya ihm von seinen Heiratsabsichten erzählt und Bilal war dagegen.

Er atmete tief durch und lief einfach immer weiter.

Wenn er stehen geblieben wäre, hätte er irgendjemanden vor Wut ins Gesicht geschlagen.

Eine Hand packte ihn und zog ihn in eine kleine Gasse.

Raik riss wütend seine Augen auf, aber als er Leya erkannte, wurde sein Blick liebevoll. Er nahm sie in seine Arme und küsste sie sanft.

„Oh Raik. Es tut mir so leid. Ich wollte schon viel früher zu dir, aber sie verhindern es immer wieder."

Sie schmiegte sich an ihn. Raik war einfach nur froh, dass er sie in endlich wieder seinen Armen halten konnte.

„Dein Vater akzeptiert mich nicht."

Es war eine Feststellung, keine Frage.

Sie holte tief Atem.

„So einfach ist es nicht erklärt. Du musst wissen, dass er in unserer alten Heimat einen hohen Rang hatte. Und nun ist er der Meinung, dass ich wieder dorthin soll. Das, was ich bisher gemacht habe, ist in seinen Augen nicht gut genug."

Er sah sie fragend an.

„Warst du eine Prinzessin oder so etwas?"

Sie zuckte mit den Schultern.

„Das hoffentlich nun nicht. Ich habe es nicht ganz verstanden, was ich sein soll. Aber ich soll zu meinen Großeltern zurückkehren.", schluchzte sie.

Er strich ihr sanft die Tränen aus dem Gesicht.

„Willst du das denn?"

Sie lehnte ihre Stirn gegen seine Brust.

„Ich will es nicht. Aber irgendwie doch. Ich will meine Großeltern gerne sehen. Aber ich will nicht für immer dort bleiben. Doch mein Vater...mein Vater..."

Sie schluchzte wieder auf.

Raik verstand, was sie sagen wollte.

Leya war hin und her gerissen. Sie konnte sich nicht entscheiden, was sie tun sollte. Wenn sie sich für ihn und die Kinder entschied, würde ihr Vater traurig werden. Wenn sie die gehorsame Tochter war und mit ihrem Vater ging, würde sie Raik unglücklich machen.

Raik fiel ein, was die Seherin zu ihm gesagt hatte.

Du wirst für sie entscheiden müssen!

Bei allen Göttern, warum wurde er so bestraft?

Er wusste, was es für Leya bedeutete, dass sie ihren Vater wiedergefunden hatte. Schließlich hatte er gesehen, wie glücklich sie darüber war. Ihr halbes Leben hatte sie gedacht, dass er tot war. Jeder hatte ihr die Hoffnung genommen. Er selbst hatte nicht daran geglaubt, dass ein Sklave so lange überleben konnte. Nun, Bilal war ja kein Sklave mehr, doch auch die Geschichten des dunklen Wikingers hätte Raik nie in Verbindung mit Leya gebracht. Er hatte ja nicht einmal daran geglaubt, dass es diesen dunklen Wikinger wirklich gab. Seine Geschichten wurden Kindern erzählt, wenn sie unartig waren. Ihm selbst war schon einmal mit dem dunklen Wikinger gedroht worden.

Er bestraft alle, die ungerecht und böse sind.

Und nun wurde er wirklich von ihm bestraft.

Er holte tief Luft, dann hob er Leyas Kinn an und sah ihr ins Gesicht.

Er wusste, dass er nun für sie entscheiden musste und es würde ihm das Herz brechen.

„Du musst mit ihm gehen, Leya! Er ist dein Vater! Ich war leider zu spät und habe jedes Recht an dich verloren."

Sie starrte ihn an.

„Was meinst du damit?"

Er holte erneut tief Luft.

„Wenn wir schon vermählt wären, hätte er es nicht mehr ändern können. Aber so...du bist seine Tochter."

Wieder legte sie ihre Stirn an seine Brust.

„Ich will dich nicht verlassen, Raik."

Er nickte und umarmte sie fester.

„Das will ich auch nicht. Aber wenn du nicht mit ihm gehst, wirst du mir das irgendwann vorwerfen. Das will ich nicht. Du hast Zeit mit deinem Vater verdient und ich werde dem nicht im Wege stehen."

Sie schluchzte leise.

„Was ist mit den Kindern?"

Er schüttelte den Kopf.

„Mach dir um sie keine Gedanken. Ich werde es ihnen erklären und sie werden es verstehen."

Wieder hob er ihr Kinn und hauchte einen Kuss auf den Mund.

„Gehe mit ihm, Leya. Vielleicht ist es deine Bestimmung, dass du den Platz einnimmst, der dir zusteht."

Sie nickte und ihm wurde klar, dass sie wirklich nur auf seine Entscheidung gewartet hatte. Schlimmer noch...um seine Erlaubnis. Als ob sie ihn deswegen fragen musste.

Nun küsste er ihre Stirn.

„Ich wollte immer nur, dass du glücklich wirst, Leya."

Sie seufzte.

„Ich weiß. Ich war aber mit dir auch glücklich."

Er lächelte sie an, obwohl es ihm verdammt schwer fiel.

„Und ich mit dir!"



Sven schnaubte.

Leya stand am Heck des Bootes und schaute zurück auf das Gut. Der Drachenträger stand immer noch auf dem Steg und sah ihnen nach.

Sven hätte nie gedacht, dass sein Waffenbruder so ein Esel sein konnte. Sah Bilal denn nicht, was er sah? Die zwei liebten sich und Bilal trennte sie nun.

Die letzten Tage hatte er schon bemerkt, wie sie sich immer angeschaut hatten. Doch dieser Raik blieb auf Abstand. Nur wenn Leya leicht ihre Hand hob, lächelte er ihr zu, aber er näherte sich ihr nicht.

Gut, Bilal hatte auch dafür gesorgt, dass es ihm nicht möglich war. Einer seiner Männer stand immer in der Nähe von der Frau und sah Raik böse an.

Sven hatte versucht mit Bilal über die beiden zu sprechen, aber Bilal hatte ihm gar nicht zugehört. Er hatte nur dämlich vor sich hingelächelt und Sven irgendwann erklärt, dass nun alles gut werden würde. Den Namen Raik hatte er einfach überhört. Er hatte Sven in schillernden Farben erzählt, was er Großes mit seiner Tochter vorhatte. Er wollte sie tatsächlich zurückschicken. Sie sollte das tun, für das er sich schämte, nämlich seinen Eltern gegenübertreten. Sie sollte seine Ehre wiederherstellen. Er selbst wollte nicht mehr zurückkehren.

Sven hatte nur mit dem Kopf geschüttelt. Jeder Versuch mit Bilal zu reden, war gescheitert.

Die restlichen Tage, die sie noch bei Thorvald verbracht hatten, waren anstrengend gewesen. Der ältere Drachenträger, Stijn hieß er, hatte vorgeschlagen, dass man Leyas Sachen holen sollte. Sven wusste genau, was er damit bezweckte. Er wollte den beiden mehr Zeit verschaffen. Auch Sven hatte den Vorschlag begrüßt, doch Bilal hatte abgelehnt. Sie würde von ihm neu eingekleidet werden.

Sven hatte Stijn entschuldigend angesehen.

Dann war der Tag der Abreise gekommen.

Dieses Mal war es Sven gewesen, der die beiden alleine ließ und aufpasste, dass keiner ihnen zu nahe kam. Leya hatte sich bei ihm bedankt und auch Raik hatte ihm dankbar zugenickt.

Es war nicht lange gewesen. Dann wurde Sven schon wieder gerufen.

Leya war Hand in Hand mit Raik aus der Hütte getreten und Sven hatte gesehen, dass sie wieder geweint hatte. Und auch Raiks Gesicht war aschfahl gewesen. Erst kurz vor dem Boot hatte er ihre Hand losgelassen. Kein Wort hatten sie gesprochen, sich nur angesehen, als ob sie stumm Zwiesprache halten würden.

Es tat Sven weh, dass er das mit ansehen musste und nichts unternehmen konnte.

Er drehte sich zu Bilal um, der fröhlich die Kisten ordnete, die Thorvald ihnen als Geschenk mitgegeben hatte.

Sven ging zu ihm.

„Du bist ein Hundsfott, Bilal!", schnauzte er ihn an.

Bilal hob verwundert den Blick.

„Habe ich deinen Zorn erregt?"

Sven nickte.

„Und ob du das hast. Du bist so unsagbar blind! Du erkennst nicht einmal, wie sehr du deine Tochter verletzt!"

Bilal zuckte mit den Schultern.

„Sie hat mir selbst gesagt, dass sie mir gehorchen wird. Sie wird den Drachenträger vergessen."

Sven schnaubte erneut.

„Das glaubst du doch selbst nicht! Er liebt sie und sie liebt ihn. Nur du sturer Bock willst das nicht erkennen!"

Bilal lächelte ihn milde an.

„Leya ist eine gehorsame Tochter. Sie wird sich meinen Wünschen beugen."

Sven fluchte lautstark und fuhr sich über das Gesicht.

„Aber zu welchem Preis? Schau sie dir doch an!"

Er packte Bilal an der Tunika und zerrte ihn vor sich.

„Siehst du das? Sie kann sich jetzt schon sehr schwer von ihm trennen. Und er steht immer noch am Steg!"

Bilal wirkte etwas nachdenklich.

„Aber sie hat gesagt..."

Sven schlug ihm leicht auf den Hinterkopf.

„Natürlich hat sie dir gesagt, dass sie dir folgen wird. Wie du gesagt hast, ist sie eine folgsame Tochter. Bei allen Göttern, ich wäre froh, wenn nur eines meiner Kinder so folgsam wäre."

Bilals Gesichtsausdruck wurde wieder hart.

„Sie hat sich gegen ihn entschieden!" Er drehte sich zu Sven um. „Und ich will nun nichts mehr davon hören. Sie ist meine Tochter! Mische ich mich in deine Erziehung ein? Nein! Also lass mich in Ruhe!"

Sven schnaubte, doch Bilal ging ihm aus dem Weg und setzte sich an die Ruder.

Sven wusste, dass er Bilals Herz nicht erweichen konnte. Langsam ging er zur Pinne.

Leya stand immer noch an der gleichen Stelle und schaute sehnsuchtsvoll zum Gut, dass immer mehr aus ihrem Sichtfeld verschwand.

„Es tut mir leid, Mädchen.", flüsterte er.

Sie holte tief Luft, wandte sich aber ihm nicht zu.

„Ich habe es versucht!", fing er noch einmal an.

Nun senkte sie leicht den Kopf und drehte sich um.

„Ich weiß und ich danke dir dafür. Es soll wohl so sein!"

Sie lief an den Männern vorbei in den Unterschlupf, den sie für Leya aufgebaut hatten. Nicht einmal zu ihrem Vater schaute sie.

Sie zog das Leder zurück und verschloss sich so allen Blicken.

Nur einmal konnte man sie schluchzen hören. Ansonsten war sie ruhig.



Raik sah das Boot nicht mehr, dennoch blieb er auf dem Steg stehen.

Sie war weg!

Langsam fuhr er sich über den Drachen, der ihr vor nicht allzu langer Zeit noch Angst gemacht hatte. War das ein erneuter Fluch, den jeder Drachenträger ereilte? Warum traf es ihn so hart?

Es tröpfelte leicht, doch nach einer Weile ging ein Regenschauer auf ihn herab. Doch er blieb stehen, als ob er sie dadurch zurückholen konnte.

Wie sollte er es seinen Kindern erklären, dass Leya nicht mehr bei ihnen wohnen würde? Er hatte Leya zwar gesagt, dass er es Bjarne und Merle erklären würde, aber er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.

Er wusste ja nicht einmal selbst, wie er das hatte zulassen können.

Verflucht!

Langsam hob er den Kopf und der Regen tropfte auf sein Gesicht.

„Was willst du nun tun?"

Raik drehte sich langsam zu Stijn um.

Sein Onkel stand vor ihm wie ein Fels. Er hatte seine starken Arme vor der Brust gekreuzt und sah ihn ernst an. Raik hatte ihn schon immer bewundert. Stijn hatte schon immer gewusst, wo sein Platz war und hatte die Entscheidungen seines Bruders nie in Frage gestellt. Dennoch war er glücklich mit seiner Schar Kinder und seiner Frau.

„Was soll ich schon tun?"

Stijn schnaubte.

„Ganz ehrlich, Raik! Ich habe dich die ganzen Jahre beobachtet. Erst als kleiner Bengel. Du warst damals schon so ernsthaft und wolltest deinem Vater nacheifern. Was ja nichts Schlimmes ist, auch wenn ich bestimmt nicht immer mit allem einverstanden war, was dein Vater so von sich gegeben hat."

Er lachte spöttisch.

„Seine ganzen verfluchten Regeln haben mich schon immer in den Wahnsinn getrieben. Tjark hat meiner Meinung nach immer sehr viel von dir erwartet und ich war froh, dass es mich oder meine Kinder nicht erwischt hatte. Doch du hast es alles hingenommen. Dann war die Sache mit Thorge. Eigentlich hätte ich dir böse sein sollen, weil du meinem Sohn schaden wolltest. Doch ich habe dich auch verstanden. Es war bestimmt nicht leicht, immer mit ihm verglichen zu werden."

Er wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht.

„Als du geheiratet hast, dachte ich, du würdest deinen Weg schon machen. Aber erst mit Leya habe ich den Mann in dir gesehen! Den Vater! Den Krieger! Vorher war das nicht ersichtlich. Gib es zu! Du brauchst Leya!"

Raik lachte spöttisch.

„Was erzählst du da? Ich war schon vorher ein Krieger!"

Stijn blieb ernst und nickte.

„Das warst du. Aber du warst nur ein halber Mann. Ich weiß, wovon ich rede. Und dein Vater würde dasselbe sagen. Jeder von uns verfluchten Drachenträger würde das. Wir sind ohne unsere Frauen nichts."

Wieder wischte er sich über das Gesicht und über das kurz geschorene Haar.

„Was wirst du also tun?"

Raik schloss kurz die Augen.

„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich werde ich mich besaufen."

Stijn fing an zu grinsen.

„Das ist eine Möglichkeit. Aber ich kenne dich, Raik Tjarksson. Du bist stur wie alle Gunnarssons. Du wirst dir etwas überlegen!"

Er legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Und ich werde dich unterstützen."

Raik nickte ihm zu.

„Im Saufen?"

Stijn lachte dröhnend.

„Da selbstverständlich auch!"

Er packte Raiks Genick und schob ihn in Richtung des Langhauses.

„Wenn ich was Dummes vorhabe, wirst du mich trotzdem unterstützen?", fragte Raik leise.

Stijn lachte erneut und alle, die bei dem Regen noch draußen waren und ihre Arbeit verrichteten, sahen zu ihnen.

„Das ist doch schon Tradition, dass wir irgendetwas Dummes tun. So sind wir einfach mal!"



Freya grinste.

Sie wusste nicht wieso, aber Stijn war ihr schon immer der Liebste von allen gewesen.

Natürlich war er manchmal ein Kindskopf. Das hatte sich auch mit den Jahren nicht geändert. Gut, er war nun Vater und sogar Großvater und schon etwas weiser, als er es noch in jungen Jahren war, aber manchmal kam der unbekümmerte Stijn zum Vorschein. Wie eben gerade.

Sie sah zu den beiden, die nun ein Trinkhorn nach dem anderen leerten. Dabei sah sie aber auch, dass Stijn sein Met mit Wasser mischen ließ.

Sie lachte leise.

Der Kerl war unverbesserlich.

Sie sah auf das Meer und bewegte die Hand, in der Hoffnung, dass es niemand mitbekam.

Raik würde unerwartete Hilfe bekommen. Mit ihrer Hilfe näherte sich jemand, mit dem niemand gerechnet hatte.

Sie schaute auch zu Sjard, der vor seiner Hütte saß und dumpf brütete.

Dann sprang er auf und erklärte seiner Frau, dass er zu Thorvald reiten würde.

Sie klatschte lachend in die Hände.

Das würde ein Spaß werden!

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