16. Kapitel
Raik hatte Leya in seinen Armen. Heute hatte er sie nicht gehen lassen und er wusste, dass sie auch nicht gegangen wäre.
Sie hatten die Kinder ins Bett gebracht und waren danach wieder ihren üblichen Arbeiten nachgegangen. Dabei hatte er ihr erzählt, dass er wieder fort musste. An ihrem Gesicht hatte er gesehen, dass sie nicht unbedingt damit einverstanden war, aber als sie hörte, worum es ging, hatte sie seufzend genickt.
Als er sicher war, dass die Kinder fest schliefen, war er aufgestanden und hatte Leya in sein Bett getragen. Dieses Mal hatte er sie langsam geliebt und erst ihre Lust gestillt, bevor er sich erlaubte seine zu stillen.
Und nun lag sie mit dem Rücken an seiner Brust und strich über seinen Arm. Dabei ließ sie den Finger sehr vorsichtig über den Drachen gleiten.
„Fürchtest du dich immer noch vor ihm? Macht er dir immer noch böse Träume?", fragte er leise.
Sie schüttelte leicht den Kopf.
„Nein. Ich weiß nicht, wann er mir keine Angst mehr machte, aber es ist schon lange her, dass ich von ihm geträumt habe."
Er schnaubte.
„Heißt das etwa, du träumst auch nicht mehr von mir?"
Sie lachte leise, dann drehte sie ihren Kopf etwas zu ihm.
„Ich träume oft von dir. Besonders wenn du nicht hier bist."
Leise brummte er.
„Weißt du, ich habe auch von dir geträumt. Und von diesem Drachen."
Sie sah ihn erstaunt an.
„Das hast du mir nie gesagt."
Er lachte.
„Wie konnte ich? Ich habe dir doch erklärt, dass ich nicht an Träume glaube. Und dann sage ich dir, dass du mir im Traum erschienen bist?"
Sie kicherte leise.
„Du erscheinst mir immer noch in meinen Träumen. Aber dieses Mal hat es bestimmt nichts mit Drachen zu tun. Eher mit etwas anderem."
Er küsste ihren Nacken und brummte zufrieden. Das hatte er hören wollen.
Wieder strich sie über seinen Drachen.
„Drachenträger. Was bedeutet das eigentlich?"
Raik zuckte mit den Schultern.
„Ich denke, dass weiß niemand mehr genau. Soviel ich weiß, hat Stijn damit angefangen. Nach seiner ersten Schlacht hat er sich einen Drachen auf den Unterarm tätowieren lassen. Ich glaube nicht einmal, dass er eine Bedeutung für ihn gehabt hatte. Damals war er noch sehr jung gewesen und wollte wahrscheinlich nur angeben. Mein Vater hat es ihm nachgemacht, als er den Holmgang* gewonnen hatte, der ihm beinahe das Leben kostete."
Leya drehte sich zu ihm um und sah ihm ins Gesicht.
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen, dass jemand deinen Vater besiegen kann. Er ist immer noch so stark."
Raik lachte.
„Ja. Aber meine Mutter erzählte mir einmal, dass sie vor diesem Holmgang Streit hatten und sie ihn verlassen wollte. Ich denke, er war nicht konzentriert."
Er küsste sanft ihre Stirn.
„Nun, dann dachte Lasse wohl, es wäre ein guter Einfall, sich ebenfalls einen Drachen tätowieren zu lassen. Thorge hat sogar zwei. Einen auf der Brust und einen auf dem Arm. Er wollte seinen Vater ehren und hat ihn deswegen zuerst auf der Brust stechen lassen, weil er damals seinen Platz bei den Gunnarssons nicht gekannt hatte. Jetzt ist ihm klar, dass er dazu gehört. Es ging immer so weiter und dann hatten wir auf einmal den Titel Drachenträger."
Leya lachte leise.
„Und ich dachte schon, es hätte irgendwas mit Mut zu tun. Oder Ehre."
Raik grinste sie an.
„Stijn war betrunken. Ich glaube, viel Mut und Ehre hatte er da nicht. Eher Hochmut und Arroganz."
Sie küsste seine Brust.
„Ich finde es aber mittlerweile dennoch schön. Es zeigt auch den Zusammenhalt. Auch der Bernstein..." Sie stockte und er sah sie fragend an.
„Warum sprichst du nicht weiter?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Es steht mir nicht zu darüber zu reden."
Raik lächelte leicht. Er wusste genau, weswegen sie aufgehört hatte zu reden. Um den Bernstein rankten sich mittlerweile genauso viele Geschichten, wie um den Drachen.
„Der Bernstein wird von uns Gunnarssons verschenkt, wenn wir eine Frau wirklich lieben und uns nicht vorstellen können, mit einer anderen zu leben. Deswegen habe ich Ingrud keinen gegeben. Ich habe sie nicht geliebt und alles in mir sträubte sich, einen Bernstein zu holen und ihr ihn zu geben. Ich habe mir eingeredet, dass es Humbug ist. Selbst Sjard habe ich ausgelacht, als er auf einem Markt einen Bernstein für Elsa kaufte. Außerdem bedeutete der Bernstein in der Vergangenheit auch immer, dass irgendetwas Schlimmes auf einen der Drachenträger oder den Frauen zukam."
Sie senkte den Kopf, aber er ließ nicht zu, dass sie dachte, er würde immer noch nicht daran glauben. Er hob ihr Kinn an.
„Der einzige Grund, warum noch kein Bernstein um deinen Hals hängt, ist dieser, dass ich noch keinen gefunden habe. Und weil ich nicht will, dass dir etwas geschieht."
Sie riss die Augen auf.
„Was?"
Er küsste sie sanft auf den Mund.
„Willst du mich, Leya? Ich weiß, ich bin nicht Jülf und ..."
Sie legte ihm einen Finger auf den Mund.
„Du bist nicht Jülf. Du bist Raik! Und ja, ich will dich! Ob du nun einen Bernstein hast oder nicht, ist mir egal."
Er schluckte und drückte sie dann an sich.
„Sobald ich wieder hier bin, Leya. Versprich es mir." Sie lächelte ihn an.
„Ja, Raik. Sobald wir wieder zusammen sind!"
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*Der Holmgang war damals die übliche Lösung für Streitfälle.
Einige werden sich noch an den Kampf erinnern, den Tjark mit Knut gehabt hatte, um seine Ehre zu verteidigen. (in „Sprung in die Vergangenheit")
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Odin fluchte.
„Warum musste sie das so sagen?"
Freya seufzte.
„Sie weiß es ja nicht. Und Raik ahnt nicht, dass es keinen Bernstein braucht, um einen Drachenträger zu fordern. Liv hatte den Bernstein auch nicht."
Odin nickte.
„Aber dieser Satz...als ob sie es ahnen würde."
Freya schüttelte traurig den Kopf.
„Sie ahnt es nicht. Ich frage mich nur, wer das Dach von Thorvalds Vorratskammer beschädigt hat. Er ist immer so sorgsam."
Ein böser Blick traf Odin. Der hob beide Hände.
„Nein! Ich habe nichts damit zu tun. Du weißt selbst, dass ich dieses Mal..."
Sie grinste ihn an.
„Du bist wirklich sehr romantisch veranlagt, Allvater!"
Er schnaubte.
„Reize mich nicht zu sehr, Freya."
Wieder stand Leya vor der Hütte, um Raik zu verabschieden.
Am liebsten hätte sie sich an ihn geklammert, damit er bei ihr blieb.
Merle sah zu ihr hoch.
„Da?"
Leya seufzte.
„Dein Vater muss wieder weggehen und Arbeit erledigen."
Das kleine Mädchen drückte ihr Gesicht in Leyas Röcke.
„Nein!", schniefte sie.
Leya strich ihr leicht über den Kopf.
„Ich weiß, mein Liebling. Ich will auch nicht, dass dein Vater geht. Aber er muss es tun, verstehst du?"
In dem Moment kam Raik aus dem Pferdestall. Dieses Mal saß er nicht auf dem Hengst, sondern führte ihn hinter sich her. Bjarne lief neben ihn und Raik redete ernst mit seinem Sohn.
„Ich weiß nicht, wie lange ich dieses Mal weg bin, Bjarne. Aber du musst wieder auf unsere Frauen aufpassen."
Bjarne senkte bockig den Kopf.
„Will nicht!"
Leya sah, wie Raik vor ihm in die Hocke ging.
„Du musst aber, Bjarne. Sie brauchen dich!"
Leya lächelte Bjarne an.
„Stimmt das, Mama?"
Sie nickte.
„Natürlich, mein Schatz. Du bist dann der einzige Mann."
Bjarne holte tief Luft.
„Dann muss ich sie wohl beschützen!"
Raik fuhr ihm lachend durch die Haare.
„Sehr gut! Dann kann ich auch beruhigt gehen."
Er stand auf und zog Leya zu sich.
„Wenn wir wieder zusammen sind? Und du hast es dir bis dahin nicht anders überlegt?"
Sie schüttelte lachend den Kopf.
„Nein, ich werde es mir bestimmt nicht anders überlegen, Raik!"
Er küsste sie sanft. Es schien ihm dieses Mal egal zu sein, dass alle ihn sehen konnten. Leya hörte seine Mutter leise schluchzen.
Sanft berührte er ihre Wange und lehnte seine Stirn an ihre.
„Weißt du, mein Vater macht das auch immer mit meiner Mutter und ich fragte mich immer, was er ihr denn noch alles zu sagen hat. Jetzt weiß ich es. Ich werde dich vermissen, Mädchen. Und ich kann es jetzt schon nicht abwarten, bis ich wieder hierherkomme und dich sehe."
Sie berührte seine Wange, sagte aber nichts. Sie konnte es nicht, denn dann würde sie in Tränen ausbrechen und das wollte sie ihm nicht antun. Sie hatte gesehen, wie Tjark dasselbe mit Tilda macht und auch Tilda war nie im Stande, etwas zu sagen. Und auch sie wusste jetzt, warum das so war.
Raik küsste noch einmal seine Kinder, dann sah er sie an, als ob er sich jede Kleinigkeit ihres Gesichtes einprägen wollte.
Dann stieg er auf den Hengst und nahm die Zügel in die Hand.
„Raik?"
Schnell ging sie einen Schritt vor. Er sah zu ihr.
„Ja?"
Sie schluckte.
„Ich liebe dich!"
Er stieß seinen Atem aus, dann packte er sie und zog sie vor sich auf das Pferd und küsste sie noch einmal. Dann flüsterte er in ihr Ohr.
„Und ich liebe dich!"
Sjard grinste ihn an. Auch sein Bruder Airikr konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Nur Hjellmar blieb ruhig und zog die Packpferde hinter sich her.
„Was?", murrte Raik.
Sjard grinste noch breiter.
„Du bist verliebt! Du wirst den Bernstein suchen und wir werden dich alle auslachen, weil du dasselbe mit uns gemacht hast!", sang er vor sich hin.
Raik gab ihm einen Stoß und Sjard fiel vom Pferd.
„Halte die Klappe!", brummte er.
Airikr ging etwas auf Abstand.
„Du hättest dich eben nicht wie so ein verliebter Gockel auf Leya stürzen sollen. Nun musst du damit leben, dass wir dich aufziehen werden."
Raik starrte seinen Bruder böse an.
„Ich habe was?"
Nun meldete sich auch Hjellmar.
„Du warst schlimmer, als wir drei zusammen. Ich habe mir schon überlegt, wie ich dich von ihr loseisen könnte. Ob es eine Holzstange tun würde, oder ob wir eine Axt und einen Spaten brauchen."
Sjard war mittlerweile wieder auf sein Pferd gestiegen. Aber er war nicht beleidigt, sondern lachte laut auf.
„Oh ja. Eigentlich braucht es keinen Bernstein mehr. Ich habe gesehen, dass er sie schon am Nacken markiert hat!"
Airikr lachte laut auf.
„Oh ja. Die Male habe ich auch gesehen. Leyas ganze Schulter war eigentlich von den Malen bedeckt. Was tust du ihr eigentlich an, Raik? Hat sie keine Schmerzen?"
Raik schnaubte.
„Du wirst gleich Schmerzen haben, wenn du dein Maul nicht halten kannst!"
Er schnalzte mit der Zunge und ritt ein Stück weiter nach vorne.
Es dauerte nicht lange und er hörte, wie sich ihm jemand näherte.
„Du hast dir doch denken können, dass wir dich damit aufziehen, Raik."
Raik nickte und sah seinen Vetter grinsend an. Sjard lachte leise.
„Du bist gar nicht wütend, du Hund."
Raik sah kurz nach hinten.
„Nein. Aber das brauchen die Welpen nicht wissen."
Sjard riss sich zusammen, dass er nicht schallend lachte.
„Dann ist es wirklich wahr? Leya und du?"
Raik nickte.
„Auch, wenn du mich dieses Mal auslachst, werde ich den Bernstein holen. Sie ist diejenige, die ihn von mir bekommen soll."
Sjard setzte sich bequemer hin.
„Dann wirst du sie tatsächlich heiraten?"
Raik nickte.
Sjard atmete erleichtert auf.
„Und können wir bald mit Nachwuchs rechnen?"
Raik schüttelte den Kopf.
„Hör zu, Sjard. Du darfst es niemanden erzählen. Mir ist es egal, aber ich will Leya nicht das Geschwätz zumuten." Er holte tief Luft. „Sie kann keine Kinder bekommen!"
Sjard hob eine Augenbraue, doch dann zuckte er mit den Schultern.
„Macht ja nichts. Du hast ja schon zwei Kinder."
Raik nickte lächelnd.
„Richtig. Deswegen macht es mir nichts aus."
Das mochte er an Sjard. Er sah immer das Positive und fragte auch nicht nach.
Stattdessen lächelte er leicht vor sich hin.
„Was ist los? Warum lächelst du so?"
Sjard sah ihn an.
„Ganz einfach. Du wirst dich nun beeilen, um nach Hause zu kommen. Elsa wird dir das auch danken!"
Miron war ihnen eine ganze Weile gefolgt.
Nun wusste er, was er zu tun hatte.
Die Männer würden eine Weile weg sein. Für ihn war es eine gute Gelegenheit, um endlich zu zuschlagen.
Er war zurück geritten zu dem verlassenen Hof, den er gefunden hatte. Auch hier hatten die Gunnarssons gewütet. Es war schon lange her, aber hier hatten sie Viehdiebe umgebracht.
Niemand würde ihn hier vermuten.
Schon seit einer Weile hauste er hier und hatte alles vorbereitet. Er hatte das alte verfallene Langhaus wiederaufgebaut und einen Wagen besorgt.
Für die Kinder hatte er warme Kleidung und Essen besorgt. Ihnen würde er nichts antun, aber sie würden bald ihren Vater vergessen und ihn stattdessen annehmen. Genauso, wie es schon immer vorgesehen war. Er würde Ingruds Kinder als seine eigenen annehmen.
Er hörte das Wasser des Fjords rauschen. Der Hof lag gut versteckt an einer Steilklippe. Vom Fjord aus sah man das Langhaus nicht. Das nächste Gut war eine Tagesreise von hier entfernt.
Niemand würde von hier fliehen können. Der Wald war zu dicht und man konnte sich darin leicht verlaufen, wenn man nicht die Hinweise beachtete, die er sich alle gemerkt hatte.
Er holte den Wagen hervor und spannte die robusten Pferde davor. Im Wagen legte er Pelze aus und legte noch Stricke hinein.
Noch vier Tage, dann würde es endlich geschehen!
In vier Tagen würde alles so sein, wie es immer sein sollte.
Dann würde er Ingrud rächen.
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