13. Kapitel

Leya stand unschlüssig vor Raiks Hütte.

Seine Worte hatten ihr zu denken gegeben und sie hatte sich die ganze Nacht auf dem Lager hin und her gewälzt. Sie schämte sich etwas, denn sie musste zugeben, dass von Raik nie etwas gekommen war, was ihre Anschuldigungen gerechtfertigt hätten. Bis auf den Kuss, den er ihr gegeben hatte. Doch auch der war eigentlich harmlos gewesen und in gewisser Weise hatte sie ihn auch verstanden. Er hatte lange keine Frau gehabt und sie war nun mal gerade da gewesen. Nach dem Geständnis, dass er ihr gemacht hatte und ihre Reaktion darauf,  hätte er wahrscheinlich jede Frau geküsst.

Außerdem musste sie zugeben, dass es ihr nicht unangenehm gewesen war. Ganz im Gegenteil. Einen so sanften Kuss hätte sie von Raik nie erwartet.

Als sie am Morgen aus der Kammer kam, war Tilda schon auf und hatte sie erstaunt angesehen. Leya hatte ihr nur erklärt, dass sie wieder zurückgekommen war, als der Sturm aufgehört hatte und war dann schnell aus dem Langhaus gegangen. Es war ihr unangenehm, gerade Raiks Mutter zu erklären, was vorgefallen war. Sie wusste, dass Tilda ein Gespür für so etwas hatte. Wahrscheinlich hätte sie so lange nachgefragt, bis Leya ihr alles erzählt hätte.

Nun wusste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte.

Raik hatte in vielen Dingen recht gehabt. Es wäre wirklich feige, wenn sie ihn und die Kinder nun verlassen wollte, nur, weil sie einen seltsamen Traum gehabt hatte. Schließlich hatte er nichts von ihr verlangt, was sie nicht wollte. Es war ungerecht von ihr gewesen, dass sie ihn so angefahren hatte.

„Ach, Naya. Jetzt bräuchte ich wirklich jemand zum Reden.", flüsterte sie.

Ihre Freundinnen fehlten ihr im Moment wirklich sehr. Leya hätte sie um Rat fragen können und alle hätten sie auch verstanden.Nun wusste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte.

In dem Moment ging bei Sjards Hütte die Tür auf und Sjard trat heraus.

Eigentlich hätte Leya sich am liebsten versteckt, doch stattdessen hob sie das Kinn. Die Flucht war vorbei. Sie wollte nicht mehr davon laufen. Vor nichts und niemanden mehr.

Sie lief langsam durch den Schnee auf ihn zu. Einige Bauern hatten schon einige Wege freigeschaufelt, aber es lag immer noch genug Schnee, dass ihr Rock und die Schuhe nass wurden.

Sjard sah ihr lächelnd entgegen.

„Leya! Ich grüße dich! Willst du zu meiner Frau?"

Sie nickte.

Vielleicht würde Elsa sie verstehen. Sie brauchte unbedingt jemanden zum Reden.

Irgendwie hatte Sjard immer ein Gefühl dafür, dass etwas nicht stimmte. Obwohl man ihm nachsagte, dass er reichlich sorglos sein Dasein fristete, hatte Leya schon einige Male gesehen, dass er auch sehr feinfühlig sein konnte.

Auch dieses Mal war das so. Er sah sie nur kurz an und reichte ihr die Hand, damit sie auf der kleinen Stufe nicht ausrutschte.

„Ich denke, ich werde meinen Sohn holen und dann zu Raik gehen.", murmelte er und verschwand auch gleich.

Leya versuchte ihren Rock auszuwringen, bevor sie in die Hütte trat.

„Das ist vergebliche Mühe, Leya!", hörte sie Elsa lachen. „Komm rein und setzte dich an den Kamin."

Auch Elsa schien zu merken, dass Leya etwas auf den Herzen hatte. Sie wartete, bis Sjard und Lönne gegangen waren, dann setzte sie sich zu Leya, die ihre Schuhe ausgezogen und zum Trocknen neben den Kamin gestellt hatte.

Sie reichte Leya einen Becher mit warmer Milch und sah sie erwartungsvoll an.

„Was ist geschehen?"

Stockend begann Leya zu erzählen, doch mit jedem Satz fiel es ihr leichter. Elsa hörte zu. Ihr sonst so freundliches Gesicht wurde auf einmal sehr ernst. Nur einmal lächelte sie wieder und zwar, als Leya ihr von dem Kuss erzählte. Als sie geendet hatte, das Elsa in das Feuer und überlegte lange.

„Ich kann dich verstehen, Leya. Allerdings verstehe ich auch Raik. Es ist so, wie du gesagt hast. Er hat dir nichts getan, was diesen Traum bestätigen könnte. Er hat selbst genug Sorgen."

Leya nickte und senkte den Kopf.

Elsa seufzte.

„Weißt du, Raik ist wohl der Einzige, der nicht an diese Gunnarsson-Legende glaubt. Ich weiß nicht, wieso das so ist. Gerade er als Tjarks Sohn war mit den Geschichten aufgewachsen. Schließlich waren seine Eltern die Ersten, die das alles durchgemacht hatten."

Sie nahm einen Schluck Milch.

„Er hat dich also geküsst. Und du hast bei ihm die Nacht verbracht, aber es ging züchtig zu. Und was machst du ihm nun eigentlich zum Vorwurf?"

Leya zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Er hatte Recht. Ich habe in den ersten Nächten nach Jülfs Tod diesen Krieger verflucht. Ich war wirklich der Meinung, dass er daran schuld war, dass Jülf nicht mehr lebte. Aber das ist natürlich nicht wahr. Jülf war ein Krieger. Es hätte ihm jeder Zeit passieren können, dass er getötet wird. Raik kann da nichts dafür."

Elsa nickte.

„Und er hat dir auch nicht die Ehe angeboten? Raik meine ich."

Leya nickte.

„Nein, das hat er nicht. Ganz im Gegenteil. Er hat mir immer wieder versichert, dass er sich nicht mehr vermählen will."

Elsa lachte auf einmal. Ihre Unbekümmertheit kam wieder zurück.

„Ich kann dich verstehen, Leya. Wirklich. Doch ich sehe es genau wie Raik. Vielleicht wollten die Götter einfach nur, dass du endlich Mutter wirst. Und das bist du. Denke nicht an Raik, denke an Bjarne und Merle."

In dem Moment ging die Tür auf und Bjarne kam mit Köter hereingestürmt.

„Da bist du ja!", rief er und warf sich Leya in die Arme. „Wo warst du denn? Ich habe dich gesucht! Aber Da war alleine in seinem Lager."

Sie lächelte Bjarne an und fuhr ihm durch das Haar.

„Der Sturm hat aufgehört. Also bin ich wieder zu deiner Großmutter."

Sjard kam mit Merle in den Armen herein. Lönne zog Bjarne mit sich und dieses Mal rannte Bjarne ihm hinter her. Er war so anders. Nicht mehr schüchtern und ruhig. Heute war er wie ausgewechselt und Leya lächelte, als sie sein Lachen hörte.

Merle streckte ihre Arme nach Leya aus.

„Mama!", rief sie erfreut.

Elsa und Sjard grinsten sich gegenseitig an.

Merle kuschelte sich an Leya, doch dann sah sie sich neugierig um und quengelte etwas, bis Leya sie auf den Boden setzte.

Sjard beugte sich zu Leya.

„Er wartet auf dich.", erklärte er, bevor er Merle wieder in seine Arme nahm.

„Also, kleine Walküre. Wir gehen hinaus zu den Kriegern und schauen, dass sie keine Dummheit anstellen. Was hältst du davon?"

Elsa stand auf und reichte Leya die Hand, um ihr aufzuhelfen.

Dann umarmte sie ihre Freundin.

„Geh zu ihm! Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie es den Anschein hat."



Raik saß am Tisch und wartete.

Er hatte Sjard gebeten, Leya zu ihm zu schicken. Und nun wartete er bis sie endlich auftauchte.

Als sie am Morgen nicht erschienen war, hatte er schon alle Hoffnung aufgegeben, dass sie je wieder seine Hütte betreten würde. Doch dann hatte er sie gesehen, wie sie unschlüssig vor der Hütte stand. Beinahe wäre er selbst herausgetreten und hätte sie notfalls zu sich in die Hütte gezogen. Doch dann war sie gegangen. Er hatte schon befürchtet, dass sie gehen wollte. Erst als Sjard ihm erzählte, dass Leya sich mit Elsa aussprach, war Hoffnung in ihm aufgekeimt.

In Gedanken hatte er sich schon Worte zurechtgelegt, die er ihr sagen wollte. In der Nacht war er doch sehr wütend auf sie gewesen und auch jetzt hegte er noch einen Groll gegen sie. Wie konnte sie annehmen, dass er sie heiraten würde, nur, weil sie diesen Traum hatte? Und warum war sie vor ihm davongelaufen? Bis auf den einen Kuss hatte er es nie an Anstand fehlen lassen. Verdammt, er hatte sich sogar angezogen, als sie neben ihm geschlafen hatte. So etwas hatte er schon seit Jahren nicht mehr getan.

Aber ihm war klar geworden, dass Männer ihr nie etwas Gutes zukommen lassen hatten. Außer Jülf natürlich! Ihm war klar, dass sie nie einem Mann trauen würde. Vielleicht würde sie ihm auch nicht vertrauen, aber er wollte es wenigstens versuchen. Die Kinder brauchten Leya.

Die Tür ging auf und Leya kam herein.

Sofort stand er auf, sprach aber nicht.

Bei allen Göttern, sie war nur eine Nacht weg gewesen und ihm wurde auf einmal bewusst, dass er sie vermisst hatte. Neben sich!

Sie verschränkte ihre Hände hinter ihrem Rücken und senkte den Kopf.

„Es tut mir leid, Raik!"

Beinahe wäre er in die Knie gegangen.

Ihr musste nichts leid tun!

Er verstand sie doch!

„Sieh mich an, Leya!", forderte er leise, aber bestimmt.

Sie hob langsam den Kopf.

„Willst du uns verlassen?", fragte er.

Es dauerte eine Weile, aber dann schüttelte sie den Kopf und wieder wurden seine Knie weich vor Erleichterung.

Verflucht, was war nur los mit ihm? Eigentlich sollte es ihm doch egal sein. Aber das war es nicht.

Er räusperte sich.

„Komm bitte her und setze dich an den Tisch."

Langsam kam sie auf ihn zu und setzte sich. Er nahm wieder ihr gegenüber Platz.

Beide schwiegen sich eine Weile an.

Raik holte tief Luft.

„Hör zu, Leya. Wir waren beide gestern etwas erhitzt. Da du uns aber nicht verlassen willst, sollten wir bereden, wie es weitergehen soll. Du traust mir nicht. Besser gesagt, traust du diesem Traum nicht, was ich sehr gut verstehen kann. Aber ich versichere dir, dass ich immer den Anstand wahren werde."

Sie nickte.

„Dafür danke ich dir. Ich denke, es sollte weitergehen wie bisher. Du hattest Recht. Die Kinder sehen mich wahrscheinlich bald als Mutter an und ich will die Rolle gerne annehmen. Allerdings..."

Er sah, wie sie schluckte und begann zu lächeln.

„Du willst keinen Mann! Wegen Jülf. Ich denke, das habe ich so langsam verstanden. UNd ich will keine Frau!"

Sie nickte und er lehnte sich etwas zurück.

„Gut, dann wirst du weiterhin bei meinen Eltern schlafen. Nur in schwierigen Situationen werde ich dich bitten hier zu bleiben. Wenn eines der Kinder krank ist oder ich fort muss."

Leya hob ihren Blick.

„Damit bin ich einverstanden."

Raik faltete seine Hände zusammen.

„Nun sollten wir noch besprechen, was geschieht, wenn du doch einen Mann findest, dem du folgen willst!"

Ihr Kopf ging ruckartig nach oben.

„Aber ich will..."

Er hob die Hand und sie verstummte.

„Du bist jung, Leya. Wer weiß denn schon, ob in ein paar Jahren ein Mann kommt, der dich alles vergessen lässt?"

Leya schnaubte.

„Ich kann es nicht vergessen. Weder die guten noch die schlechten Jahre. Daran wird auch ein Mann nichts ändern können! Ich werde bei den Kindern bleiben."

Wieder hob er eine Hand.

„Du weißt nicht, was passieren kann. Aber in dem Fall bitte ich dich, noch eine Weile hier zu leben, bis die Kinder sich daran gewöhnt haben."

Sie nickte, auch wenn man ihr ansah, dass sie nicht daran glaubte, dass dies je passieren würde.

Er stand auf und sah auf einen unbestimmten Punkt auf der Wand.

„Ich glaube nicht an diese Legenden, Leya. Und ich glaube auch nicht an Träume. Ich weiß, dass gerade ich das nicht sagen sollte. Schließlich hat jeder Nachfahre ein Erlebnis gehabt, dass ihn an die Götter glauben ließ. Ich will mein Leben davon aber nicht bestimmen lassen. Das solltest du auch nicht. Willst du immer in Angst leben, dass du dich doch einmal verlieben könntest? Dass du Jülf vergessen würdest?"

Sie starrte ihn an.

„Ich habe gesagt, dass ich Jülf nie vergessen werde."

Er lächelte sie an.

„Und warum dann die Angst?"

Sie sah ihn ernst an und stellte eine Gegenfrage.

„Glaubst du an die Götter? Oder hast du Angst davor, dass du dich auch einmal verlieben könntest?"

Er lachte.

„Sehr gut! Du kannst dich wehren, Das werde ich mir merken und mich vor einer Streiterei mit dir hüten!"

Nun lachte sie auch leise, wenn auch sehr schüchtern.

„Das wird sich nicht vermeiden lassen. In manchen Dingen werden wir nicht einer Meinung sein."

Das wusste er. Er hatte diesen Satz auch nur so dahingesagt, damit sie nicht mehr so verschreckt aussah. Doch er musste zugeben, dass er sich auf einen kleinen Streit mit ihr sehr freute. Wenn es nicht ausartete.

Irgendwie schwante es ihm, dass sie irgendwann mal mit ihm sehr lautstark besprechen würde, was sie störte.

„Gut! Dann lassen wir also alles auf uns zukommen, ja?"

Leya nickte.

„Lassen wir alles seinen Lauf."



Miron schärfte seine Klinge. Er ging sehr sorgfältig dabei vor. Immer wieder betrachtete er die Klinge seines Schwertes merzte dann kleine Unebenheiten weg, die ihn störten. Sein Schwert musste ohne jeden Makel sein, denn es sollte Raik töten.

Nicht nur das Schwert bekam diese Behandlung, sondern auch sein Messer und sein Beil. Er musste auf alles vorbereitet sein.

Miron hatte seinen Plan im Kopf und niemand würde ihn aufhalten. Erst würde er die Frau und die Kinder holen.

Er hatte sie beobachtet und er wusste, dass Raik ihr zugetan war. Und er liebte seine Kinder. Nichts würde Raik mehr treffen, als wenn man den Kindern etwas antat. Das würde Raik wahrscheinlich mehr treffen, als wenn der Frau etwas zustoßen würde. Aber Miron würde den Kindern nichts antun. Immerhin waren sie auch ein Teil von Ingrud. Sie würde ihm das nie verzeihen.

Doch die Frau, die mehr Sklavin als Frau war...sie würde seinen Zorn zu spüren bekommen, während er auf Raik wartete.

Miron lachte leise und selbst er musste zugeben, dass es schaurig klang. Aber er war alleine in dem Langhaus. Es gab niemanden mehr auf dem Hof, dem er Rechenschaft schuldete. Seine Knechte und Mägde waren verschwunden. Das Vieh war jämmerlich erfroren oder verhungert, weil sich niemand mehr darum kümmerte. Selbst sein Bruder war davon geritten, als er sah, dass Miron nur noch für seine Rache lebte. Was Arian vorhatte, wusste Miron nicht. Es war ihm auch gleich. Er brauchte niemanden, der sich ihm in den Weg stellte oder ihn von seinem Plan abbringen wollte.

Nein!

Niemand konnte ihn aufhalten.

Er würde die Legende zum Einsturz bringen.

Er würde zeigen, dass die Gunnarssons eben doch nicht von den Göttern geliebt wurden. Zumindest nicht Raik.

Nicht mehr lange und er würde seine Rache bekommen!



Es fängt an!"

Odin sah zu Miron hinunter.

Freya setzte sich hin und seufzte.

Kann man es nicht aufhalten?"

Odin schüttelte den Kopf.

Nein! Es ist ein Teil der Prüfung!"

Freya riss die Augen auf.

Ein Teil? Nur ein Teil?"

Odin drehte sich langsam zu ihr um. Sein Gesicht war ernst.

Ich habe dir gesagt, dass es Raik hart trifft."

Freya rang mit ihren Händen.

Aber er hat sich doch geändert, Allvater. Kann man es nicht irgendwie abwenden? Oder zumindest abschwächen?"

Odin lächelte leicht.

Ich habe es schon abgeschwächt. Es war noch mehr für ihn vorgesehen. Das Schlimmste habe ich ihm erspart!"

Freya seufzte.

Ich mag das nicht!"

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