11. Kapitel
„Du musst mir keine Tunika nähen, Leya!"
Raik war es unangenehm, dass sie sich so um ihn kümmerte. Das war nicht ausgemacht.
„Du bist für meine Kinder zuständig und nicht für mich."
Die Kinder waren im Bett und eigentlich würde Leya bald ins Langhaus gehen. Doch dann hatte sie ihm gesagt, dass sie den Stoff für eine neue Tunika gewebt hatte. Und er hatte sich gewehrt. Eine Tunika von einer Frau, die nicht mit ihm verwandt oder mit ihm verheiratet war, das war ihm irgendwie zu persönlich.
Leya verschränkte ihre Arme vor der Brust.
„Bist du denn der Meinung, ich kann es nicht?"
Raik riss die Augen auf.
„Was? Nein! Das habe ich nicht gesagt!"
Sie legte den Kopf schief.
„Warum willst du dann nicht, dass ich dir eine Tunika nähe?"
Er fuhr sich verzweifelt durch den Bart. Seine Erklärung könnte nun peinlich werden. Für beide.
„Es gehört sich nicht, dass du als unverheiratete Frau mir eine Tunika nähst. Die Alte habe ich noch von Ingrud."
Das hörte sich nun seltsam an, war aber so. Es war das letzte Kleidungsstück, dass Ingrud für ihn genäht hatte und das war noch kurz vor Bjarnes Geburt gewesen. Er hätte sich schon längst eine Neue kaufen sollen oder wenigstens seine Mutter darum bitten sollen, ihm eine zu nähen. Aber er hatte einfach nicht mehr daran gedacht.
Der Ausdruck in Leyas Augen wurde mitleidig.
Das konnte er nun auch nicht leiden.
„Ich verstehe.", murmelte sie.
Nein, das tat sie nicht.
Er stand auf.
„So ist das nicht."
Leya schüttelte den Kopf.
„Doch, natürlich! Du hast deine Frau geliebt und tust es immer noch. Du willst ihr Andenken wahren und deswegen willst du nicht, dass ich nähe!"
Wieder fuhr er sich verzweifelt durch den Bart.
„Du verstehst es wirklich nicht..."
Sie lächelte, aber es fiel kläglich aus.
„Ich verstehe es, Raik. Ich werde den Stoff mitnehmen und deiner Mutter geben. Du kennst mich eben nicht gut genug, dass ich es mir erlauben könnte, dir etwas zu nähen."
Er zog seine Augenbrauen zusammen.
„Willst du mit mir streiten, Leya? Ich habe weder behauptet, dass du nicht nähen kannst, noch habe ich gesagt, dass du nicht würdig dazu bist."
Sie starrte ihn an.
„Was willst du mir dann damit sagen?"
Er hob beide Hände.
„Das, was ich dir schon am Anfang gesagt habe. Es gehört sich einfach nicht für eine unverheiratete Frau, einem Mann, der auch nicht verheiratet ist, eine Tunika zu nähen."
Sie schnaubte.
„Das ist eine blödsinnige Erklärung, Raik. Ich denke eher, dass ich Recht habe. Ich verstehe schon, dass du Ingrud so geliebt hast und nicht willst, dass ich mich in der Beziehung einmische. Ich habe das schon am Anfang verstanden, als du nicht wolltest, dass ich Ingruds Andenken bei den Kindern aufrechterhalte. Ich habe kein Recht dazu. Ich bin nicht dumm, Raik! Ich verstehe es schon!"
Ihre Stimme wurde energischer, ohne laut zu werden. Sie war wütend, aber sie wollte die Kinder nicht wecken.
Auch Raik beherrschte sich nun, damit er nicht los brüllte.
„Du bist nicht dumm! Aber du hörst mir einfach nicht zu!"
Sie schnaubte.
„Ich werde nun gehen, Raik! Du hast wohl schlechte Laune und ich will nicht, dass du sie an mir auslässt."
Sie schnappte sich ihren Korb und das Schultertuch und stürmte auf die Tür zu.
Mit einem Satz war Raik an der Tür und hielt sie zu.
Leya sah ihn erschrocken an, als er vor ihr stand und sie böse anstarrte.
„Du wirst mir nun zuhören, Leya! Und du wirst nun endlich auch verstehen, was ich dir sage!"
Sie wollte sich an ihm vorbei drängeln und riss wie eine Besessene an der Tür.
„Lass mich durch, Raik!"
Er schüttelte den Kopf. Dann schloss er die Augen.
„Ich habe Ingrud nie geliebt!"
Der Satz hallte nach wie Donnerklang.
Sie starrten sich beide gegenseitig an.
„Was?", flüsterte sie.
Raik nickte und senkte den Kopf.
„Es war eine Vernunftehe und ich erwartete keine Liebe. Ebenso wenig wie Ingrud. Ich dachte, mit den Jahren wird es eine gewisse Zuneigung geben, aber stattdessen begann sie, mich zu hassen!"
Leya riss die Augen auf.
„Aber warum?", flüsterte sie.
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich war wohl nicht das, was sie erwartet hat."
Leya schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wie kannst du das sagen? Ich habe nie einen Mann wie dich erlebt. Nicht einmal Jülf war so wie du."
Er senkte leicht den Kopf. Er hatte sich jahrelang gefragt, was er falsch gemacht hatte. Und nun kam Leya und sagte, dass er überhaupt nicht daran schuld gewesen war. Mehr noch. Sie erklärte ihm, dass er gut war. Und das konnte er fast nicht glauben.
„Wie denn?"
Er sah, wie sie schluckte.
„Du bist ein guter Mann, Raik Tjarksson. Du liebst deine Kinder. Du hilfst mir, wo du nur kannst. Nie erhebst du deine Stimme, auch wenn dich die Kinder zur Weißglut treiben. Du bleibst ruhig, wenn ich schon längst überlege, sie einfach nach draußen zu schicken. Du stellst kaum Ansprüche. Wie kann man dich nicht lieben?"
Er hätte ihr nun erklären können, dass Ingrud einen anderen geliebt hatte. Doch stattdessen neigte er seinen Kopf und küsste sie sanft auf den Mund.
Es war nur ein kurzer Kuss, aber er hatte eine verheerende Wirkung auf Raik. Am liebsten hätte er Leya an sich gerissen, doch er wusste auch, dass sie es nicht zulassen würde. Im Gegensatz zu ihm hatte sie ihren Mann geliebt.
Als er sich wiederaufrichtete, sah sie verstört aus.
„Ich...ich glaube, ich sollte gehen."
Er nickte nur.
Sie machte die Tür auf und er merkte, wie ihre Hand zitterte.
Kaum war die Tür offen, knallte sie gegen die Wand.
Ein Schneesturm!
Raik drückte die Tür mit aller Macht zu.
Bei allen Göttern, warum hatte er den Sturm nicht schon vorher bemerkt?
Oben waren die Kinder aufgewacht und weinten. Köter bellte laut.
Leya ließ den Korb fallen und eilte zur Treppe.
„Die Fenster!", rief sie ihm noch zu.
Er nickte und lief zu den Fenstern, doch die Bretter, die sie angebracht hatten, hielten den Sturm draußen. Schnell lief er die Treppe hinauf. Leya saß bei Bjarne im Bett und hatte Merle in ihren Armen. Köter saß zu ihren Füßen und zitterte. Bjarne hielt ihm seine Arme entgegen. Er hatte Tränen in den Augen, hielt sie aber mit aller Gewalt zurück.
Raik hob ihn auf und Bjarne legte seinen Kopf auf seine Schulter.
„Was war das, Da?"
Raik setzte sich neben Leya und strich seinem Sohn beruhigend über den Rücken.
„Es ist nur ein Schneesturm, Bjarne. Er wird bald vorbei sein!"
Bjarne schluchzte leise.
„Ich habe Angst. Kannst du bei uns bleiben? Du und Leya?"
Raik sah zu Leya, die nickte.
„Ja. Wir werden bei euch bleiben, bis ihr eingeschlafen seid."
Mittlerweile hörte man den Sturm und die Kinder wollten sich lange nicht beruhigen, bis Leya anfing, leise zu summen.
Bjarne bewegte den Kopf etwas, damit er sie ansehen konnte. Sie lauschten Leya und Bjarnes Kopf wurde mit der Zeit immer schwerer auf Raiks Schulter.
Leya nickte ihm zu, ohne den leisen Gesang zu unterbrechen.
Sie stand langsam auf und brachte Merle zur Wiege. Sanft legte sie das kleine Mädchen hinein. Raik legte Bjarne in sein Bett und deckte ihn zu. Der Junge drehte sich auf den Bauch und seufzte leise. Aber er schlief. Selbst der Hund hatte sich beruhigt und schlief.
Raik sah sich nach Leya um. Sie deckte gerade Merle zu. Die Kleine öffnete noch einmal ihre Augen und lächelte Leya an.
„Mama!", flüsterte sie leise.
Leya erstarrte einen Augenblick und sah dann zu Raik.
Doch auch er lächelte sie an. Für ihn war es schon klar gewesen, dass Merle Leya als ihre Mutter ansah.
Er zeigte nach unten und sie folgte ihm.
Leya setzte sich an den Tisch, während Raik noch Holz auf das Feuer legte.
„Du kannst heute Nacht nicht zurück, Leya!", meine er leise.
Sie nickte.
„Ich weiß."
Er sah sie nicht an, sondern starrte auf die Wand über den Kamin.
„Ich werde auf dem Boden schlafen.", versicherte er ihr, doch dann hörte er sie leise schnauben.
Er drehte sich zu ihr um.
„Was ist dagegen zu sagen?"
Sie nahm eine Kerze vom Tisch und hielt sie über den Boden. Die Kerze flackerte und ging dann aus.
„Es zieht, Raik. Du wirst krank werden!"
Er zucke mit den Schultern.
„Ich habe schon schlimmer geschlafen."
Sie schüttelte erneut den Kopf.
„Nein! Ich werde mich zu Bjarne legen!"
Er lachte spöttisch, als er ihr Gesicht sah. Sie selbst zweifelte daran, dass sie in dem schmalen Bett Schlaf finden würde. Besonders wenn Köter sich noch zu ihnen legte.
Doch dann stand sie entschlossen auf. Sie schaute auf sein Lager.
„Wir sind erwachsene Leute, Raik. Dein Lager ist groß genug für uns beide."
Er starrte sie entsetzt an.
„Aber...aber...der Kuss!"
Sie hob die Hand.
„Das wird nicht mehr geschehen. Ich weiß, dass es dich wahrscheinlich überkommen hat. Aber wenn du darüber nachdenkst, wirst du einsehen, dass es nichts zu bedeuten hat!"
Er lachte erneut.
„Das ist nur deine Meinung! Aber ich werde mich beherrschen, Leya."
Er nahm aus der Truhe eine leichte Stoffhose, die er nur im Sommer anzog. Außerdem nahm er eine alte Tunika heraus, die noch schlimmer aussah, als die, die er jetzt trug. Mit den Sachen ging er nach oben und zog sich um.
Als er wieder nach unten kam, hatte Leya schon ihr Oberkleid ausgezogen und kämmte sich mit den Fingern durch das Haar. Als sie ihn sah, begann sie zu kichern.
„Was?", fragte er.
Sie zeigte auf ihn.
„Und du willst nicht, dass ich dir eine Tunika nähe? Bei allen Göttern, ich müsste dir mindestens drei nähen, wenn deine gesamte Kleidung so aussieht."
Er grinste.
„Ich bin eben sparsam. Aber du hast Recht. Ich brauche wirklich dringend neue Kleidung."
Sie nickte.
„Das sehe ich." Sie hob einen Finger an die Nase. „Ich mache dir ein Vorschlag. Ich werde für dich nähen."
Er verzog das Gesicht, aber sie ließ ihn nicht sprechen.
„Ich werde nähen. Und dafür wirst du mich mitnehmen, wenn du auf einen Markt gehst."
Er runzelte die Stirn.
„Das ist aber ein schlechtes Geschäft für dich. Du brauchst nur zu fragen und ich nehme dich mit. Dafür musst du mir nichts nähen."
Sie lächelte ihn leicht an.
„Außerdem wirst du niemanden sagen, dass wir das Lager geteilt haben. Und ich möchte ein neues Kleid. Du wirst es mir bezahlen. Mein altes Kleid sieht beinahe so aus wie deine Tunika."
Er keuchte kurz auf. Das hörte sich anrüchiger an, als es war.
„Ich werde niemanden etwas sagen. Und du bekommst ein Kleid."
Sie nickte und schlüpfte dann unter die Decken.
„Dann ist es abgemacht."
Schnell löschte sie die Kerze auf ihrer Seite und zog die Decke bis zu ihrer Nase.
Seufzend legte er sich neben sie. In dem Moment hörte er schon den Stoff seiner Tunika reißen.
Sie lachte leise.
„Du brauchst dringend eine Tunika, Raik!"
Er löschte die Kerze auf seiner Seite. Leya drehte ihm den Rücken zu, was ihm gerade Recht war.
Er legte seinen Arm unter seinen Kopf.
Dann lächelte er.
Auch wenn sie so weit wie möglich von ihm entfernt war, fühlte er sich wohl. Es tat gut, dass er nicht alleine auf dem Lager lag.
Er betete zu den Göttern, dass der Schneesturm noch lange anhalten würde. Er respektierte, dass sie ihn nicht wollte. Aber es fühlte sich einfach gut für ihn an.
Er holte tief Atem und schloss die Augen.
Bald war er eingeschlafen.
Irgendetwas hatte Leya geweckt.
Sie seufzte leise.
Ein Arm lag auf ihrer Hüfte und sie wurde an einen harten Körper gedrückt.
Einen Moment dachte sie, es wäre Jülf, doch dann merkte sie, dass es nicht Jülf sein konnte. Jülf war behaart wie ein Bär gewesen und der Arm, der auf ihr lag, hatte nur wenige Haare.
Gerade als sie sich aufrichten wollte, hörte sie ein Kichern.
Sie schaute hoch und direkt in zwei paar blaue Augen, die sie lächelnd anschauten.
„Leya. Du bist hier geblieben!"
Bjarne hielt Merle mehr schlecht als recht in seinen Armen, doch die Kleine klammerte sich an ihren Bruder, als ob ihr Leben davon abhing. Als sie jedoch sah, dass Leya wach war, zappelte sie herum und wollte zu ihr. Selbst der Hund schien sich zufragen, was Leya hier machte.
„Mama! Mama! Mama!"
Leya setzte sich auf und nahm Merle in ihre Arme.
„Guten Morgen, meine beiden Schätze. Warum seid ihr schon wach?"
Sie sprach leise, denn Raik schlief noch. Doch als sie aufstehen wollte, zog er sie wieder an sich.
Bjarne lachte und sprang zu ihr unter die Decke. Er kuschelte sich an sie heran. Leya legte Merle zwischen sich und Raik. Eine natürliche Barriere wäre bestimmt angebracht. Raik murmelte etwas und drehte sich dann auf den Rücken. Aber er schlief weiter.
So lag sie zwischen den beiden Kindern, die nicht daran dachten, aus dem Lager zu steigen.
„Warum schläfst du bei Da?", fragte Bjarne. „War dir kalt?"
Sie nickte ernst.
„Ja. Es war wirklich kalt. Und ich konnte nicht zurück zu deiner Großmutter wegen dem Sturm!"
Draußen hörte sie immer noch den Sturm, der noch heftig tobte. Vorerst würde sie wahrscheinlich hierbleiben müssen.
„Habt ihr Hunger? Soll ich das Frühmahl machen?"
Bjarne schüttelte den Kopf und auch Merle schien nicht gewillt zu sein aufzustehen.
Leya seufzte leise und drückte den Kindern jeweils einen Kuss auf die Stirn.
„Ich könnte noch lange hierbleiben!", seufzte Bjarne.
Leya musste ihm da Recht geben. Es war wirklich gemütlich, auch wenn sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil die Kinder sie bei Raik erwischt hatten.
„Bleibst du jetzt immer bei uns?", fragte Bjarne sie.
Leya seufzte.
„Du weißt doch, dass es nicht geht. Diese Nacht war nur eine Ausnahme, weil der Sturm tobte."
Bjarne sah sie ernst an.
„Ich bete zu den Göttern, dass der Sturm nie aufhört!"
Leya lachte laut auf.
„Ich bin mir nicht sicher, ob alle damit einverstanden wären."
Raik bewegte sich nun und sah verschlafen zu ihr und den Kindern. Er sah erst erstaunt drein, doch dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
Er öffnete die Arme und seine Kinder kuschelten sich an seine nackte Brust.
Leya runzelte die Stirn.
Moment.
Raik hatte doch eine Tunika angezogen, bevor sie sich zum Schlafen niedergelegt hatten. Wo war sie hin?
Ein Blick auf das Fußende erklärte den Verbleib der Tunika. Sie grinste, als sie den Stofffetzen sah, der eben einmal diese Tunika gewesen war.
„Guten Morgen. Du brauchst ganz dringend eine Tunika."
Raik legte sich stöhnend auf den Rücken.
„Was hast du nur mit dieser verfluchten Tunika?", murmelte er.
Bevor sie antworten konnte, hüpfte Bjarne auf seinen Bauch. Raik zuckte zusammen und stieß seinen Atem aus.
„Da! Leya hat bei dir geschlafen. Wäre es nicht schön, wenn sie für immer bleiben könnte?"
Auch Merle schien ihre Meinung zu haben, denn sie patsche auf Raiks Brust und brabbelte fröhlich vor sich hin.
Leya lachte leise und stand auf.
„Ich lass euch noch etwas liegen und mache das Frühmahl."
Bevor die Kinder ihren Unmut kundtun konnten, war sie schon aufgestanden und kämmte sich mit den Fingern durch ihr Haar. Schnell schlüpfte sie in ihre Schuhe und legte sich das Schultertuch um. Die Kuh musste gemolken werden. Sie war froh, dass der Stall vom Vieh direkt an die Hütte gebaut worden war.
Sie fütterte das Vieh, molk die Kuh und sammelte die Eier ein. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es schon sehr spät war. Aber sie konnte nicht nach draußen schauen, da der Sturm nicht nachließ.
Ab jetzt lief der Morgen wie immer. Raik hatte sich und die Kinder mit dem restlichen warmen Wasser gewaschen und schon angezogen. Bjarne und Merle saßen mit Abstand vor dem Kamin und spielten, während er den schweren Wasserkessel befüllt hatte.
„Warst du am Bach?", fragte Leya entsetzt.
Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich habe den Kessel mit Schnee befüllt und schon das war mühsam. Man sieht die Hand nicht vor den Augen. Er nahm sich ein Tuch und rubbelte sich die Haare trocken. „Ich frage mich, wie lange der Sturm anhält."
Das fragte sich Leya auch.
Sie hatte wieder ein schlechtes Gewissen Jülf gegenüber. Während sie das Frühmahl vorbereitete, schalt sie sich im Stillen.
Es hatte ihr gefallen, in Raiks Armen aufzuwachen. Auch wenn er es bestimmt nicht bewusst getan hatte, war ihr selbst sehr wohl bewusst, dass sie sich am liebsten noch an ihn geschmiegt hätte. Aber das durfte nicht sein. Ebenso wenig wie der Kuss, an den sie immer wieder dachte.
Ihr Hirn schien das aber anders zu sehen.
Immer wieder erwischte sie sich selbst, wie sie Raik anstarrte.
Bei allen Göttern, warum war ihr so warm im Inneren, wenn sie ihn nur ansah?
Sie riss sich zusammen.
Es durfte nicht sein!
Sie war Jülfs Frau. Und sie wollte ihren Mann, der sie immer beschützt hatte, in Ehren halten!
Sie musste sich das immer wieder sagen.
Raik Tjarksson war nicht für sie bestimmt!
Niemand war das!
Sie gehörte Jülf. Sie schuldete es ihm!
Entschlossen drehte sie sich von der Familie weg und rührte den Getreidebrei für die Kinder.
„Warum ist das Mädchen nur so stur? Bist du sicher, dass sie nicht mit den Gunnarssons weitläufig verwandt ist?"
Odin lachte.
„Nein! Ist sie nicht. Aber schau dir ihren Vater an! Der dunkle Wikinger, der seine Vergangenheit hinter sich ließ. Der Mann hat mir schon immer gefallen. Nur schade, dass er mich nicht als Gott ansieht, sondern an seinen Glauben festhält."
Nun war es Freya, die lachte.
„Nicht jeder glaubt an uns. Das war schon immer so. Aber dann hätten wir auch sehr viel zu tun, meinst du nicht?"
Odin hob eine Augenbraue.
„Wenn es solche Männer sind, würde es sich lohnen. Aber eines fällt mir auf. Dieser Sturm. Er kam doch etwas plötzlich, oder?"
Freya zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht, was du meinst!"
Odin stieß einen zweifelnden Laut aus.
„Ich denke, du weißt genau, was ich meine. Und mir fällt schon seit geraumer Zeit auf, dass Gna nicht mehr in deiner Nähe ist."
Freya schluckte hart und hoffte, dass der Allvater es nicht bemerkte. Doch sein Auge war scharf auf sie gerichtet.
„Freya! Ich habe dich gewarnt! Es muss alles seinen Weg gehen und wir dürfen nicht zu viel Einfluss nehmen."
Er hob seine Hand, doch Freya hielt ihn auf.
„Noch eine Nacht, Odin. Lass ihnen noch eine Nacht. Ich habe das Gefühl, dass einiges zum Vorschein kommt."
Odin hielt mitten in der Bewegung inne.
„Raik oder Leya?"
Freya zuckte mit den Schultern.
„Beide. Bitte, Odin. Nur diese Nacht. Dann werde ich mich nicht mehr einmischen!"
Odin schnaubte.
„Ich glaube ja wirklich alles, aber das nicht! Aber gut. Ich gebe ihnen noch eine Nacht. Doch morgen wird der Sturm vorbei sein."
Freya senkte den Kopf.
„Ich danke dir, Allvater!"
Der schnaubte.
„Diese Unterwürfigkeit steht dir nicht"
Nun grinste sie.
„Gib es zu. Du willst wissen, was geschieht!"
Er neigte den Kopf zur Seite.
„Das weiß ich doch! Ich sehe alles!"
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