Prolog

9 Jahre zuvor
SICILY

Ich hasse es, dass mein Bruder jede Entscheidung für uns trifft. Er fährt, wir folgen. Er wünscht, wir hören. Ich hasse es, dass unsere Eltern sich nicht gegen ihn durchsetzen können, dass sie immer zulassen, dass er die Wahl hat. Ein Siebzehnjähriger bestimmt über unser aller Schicksal. Luciano Vultaggio, der Held dieser Familie.

Ich starre ihn nieder, während wir in diesem berühmten Park wandern, welcher ihn überhaupt nicht kümmert. Viel lieber flirtet er mit Mädchen, die älter sind als er. Viel lieber isst er sein Eis und blödelt mit seinen Freunden herum...von welchen nur einer bei ihm ist. Ich habe Pasquale immer für den einzig ernsten in diesem Freundeskreis gehalten, aber da habe ich mich wohl getäuscht, weil er die Frisbee jedes Mal gegen Lucianos Kopf wirft und somit noch viel mehr Blödsinn anstellt als mein Bruder. Mamma sieht dabei zu und macht Fotos, während Papà die beiden stolz betrachtet.

Nacer ist der letzte im Dreierbunde, welcher fehlt. Ich sehe mich um und entdecke ihn dann bei der Statue. Er überragt den Raben, welcher aus Edgar Allan Poes Reisekoffer fliegt, nur um wenige Zentimeter und scheint nur auf das Tier zu achten, statt auf den berühmten Dichter. Sein ganzer Körper ist erstarrt, während er dem Vogel in die Augen sieht. Ich räuspere mich, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu richten.

„Was tust du hier?", frage ich ihn, während mir der Wind meine dunklen Haare ins Gesicht weht. Schnell streiche ich sie weg, damit sie mir nicht die Sicht auf ihn versperren. Nacer sieht mich unverhohlen an, seine braunen Augen bohren sich in meine. Er sieht traurig aus. Einsam.

„Ich sehe mir die Statue an."

Ich schlucke, weil mich seine stählerne Ruhe aus dem Konzept bringt. Er mustert mich regelrecht, als wären meine Fragen reine Zeitverschwendung. Luciano hat zwar gesagt, dass es ihm nicht gut geht, seit seine Eltern beim Tauchen nicht mehr erschienen und seither vermisst sind, aber Nacer scheint nicht mehr als ein Geist seiner selbst zu sein. Er dreht sich von mir weg. Vielleicht dreht er sich von allen weg. Aus irgendeinem Grund versetzt mir das einen Stich. Aber dass er als einziger hier ist, sich als einziger die Statue ansieht...lässt mich glauben, dass nicht mein Bruder, sondern er sich den Ort hier ausgesucht hat. Dass diese Reise nach Boston sein Wunsch war, welchen mein Bruder als seinen eigenen verkauft hat.

„Weißt du, was der Rabe gesagt hat, Sicily?", will Nacer in einem ruhigen Ton wissen, ohne mich auch nur im Geringsten zu beachten. Theoretisch gesehen kann er nicht einmal wissen, ob ich noch hinter ihm stehe, er geht einfach davon aus.

„Nein", bringe ich hervor, statt mich über seine Arroganz und Kälte aufzuregen.

„Nimmermehr. Das hat er gesagt. Nimmermehr. Nevermore."

„Was willst du damit sagen?" Meine Stimme klingt so sanft im Vergleich zu seiner. Meine Stimme ist viel weniger hart und kalt. Ich klinge wie ein Kind im Vergleich zu ihm, obwohl ich nur ein Jahr jünger bin.

„Ich werde nimmermehr einen derartigen Verlust spüren."

„Das kannst du nicht wissen, Nacer. Das Schicksal könnte immer seine eigenen Pläne haben", sage ich vorsichtig, doch er schüttelt den Kopf und dreht sich endlich zu mir um.

„Doch, ehrlich gesagt kann ich das tun. Denn ich werde mich nimmermehr von derartigen Gefühlen beeinflussen lassen. Nichts lieben, nichts verlieren."

Sein Blick fällt ein letztes Mal auf den Raben, dann drückt er sich an mir vorbei und geht zu seinen Freunden, während er mich verdutzt dastehen lässt. Wie kann ein Junge in seinem Alter schon entscheiden, dass er sich niemals verlieben wird, wenn es doch gar nicht sein Kopf, sondern viel eher sein Bewusstsein diese Entscheidung zu treffen hat?

Das war auch schon der Prolog 🏎🤩

Erste Meinungen zu Sicily?

Oder zu Nacer?

Wie gefällt euch die Dynamik im Prolog 😏?

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