9 - Sicily

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich noch lebe, wenn ich das höre."

Pasquale sieht mich so skeptisch an, dass ich nur lachen kann. Ich habe ihm versprochen, ihn aus dem Krankenhaus zu holen – natürlich musste sich da aber auch Nacer einmischen. Immerhin habe ich es geschafft, dass er nun in der Garage wartet, statt sich mir aufzudrängen und Pasquale Geschichten über mich zu erzählen, welche nicht stimmen. Darin ist Nacer nämlich bestimmt gut. Außerdem nehme ich es ihm noch immer übel, dass er mich zum Golfen mitgeschleift hat. Das Nagelstudio ist für ihn vermutlich nicht einmal annähernd so schlimm gewesen, wie dieser Golfplatz es für mich gewesen ist. Ich habe davon sogar einen Sonnenbrand.

„Ich meine es ernst. Wir sind zusammen und auch zusammengezogen. Ich kann dir meine – unsere – Wohnung gerne zeigen, wenn du mir das nicht glaubst."

Pasquale zieht nur eine Augenbraue in die Höhe, während er langsam neben mir herläuft. Er nickt einigen Krankenschwestern zu, während ich darauf aufpasse, dass er nicht einfach plötzlich umkippt oder einen Schwächeanfall hat. Sie haben mich explizit darauf hingewiesen, ihn in den nächsten paar Tagen möglichst nicht allein zu lassen, was ich mir natürlich zu Herzen nehmen werde. Wenn sich nichts ereignen sollte, bedeutet das, dass er wieder fit ist wie ein Turnschuh.

„Bei aller Liebe, Sicily...wir sprechen von Nacer. Liebe ist nicht unbedingt sein Spezialgebiet."

Was er nicht sagt...

„Vielleicht hat das so gewirkt, Pasque, aber ich verspreche dir, dass das nicht so ist. Von beiden Seiten nicht. Wir haben einfach unsere Zeit gebraucht, um das zu erkennen und damit wir uns an diesen Gedanken gewöhnen können. Du weißt gar nicht, wie lange ich versucht habe, die Gefühle zu verdrängen, aber...aber es hat einfach nicht funktioniert. Ich glaube, dass es Nacer und mir im Bezug darauf sehr ähnlich gegangen ist. Ich weiß auch nicht, wie es so weit gekommen ist, aber jetzt ist es eben so. Und das gefällt mir. Wir funktionieren unglaublich gut zusammen."

Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gelogen, aber Pasquale scheint es mit dennoch zu glauben.

„Ich will nur nicht, dass du dich in etwas hineinreitest, während Nacer das alles nicht annähernd so ernst nimmt wie du, Sisi", meint Pasquale schließlich. Er scheint noch immer an meiner Aussage zu zweifeln. Das lässt mich bezweifeln, dass er überhaupt irgendetwas von dem glauben wird, was Nacer und ich machen. Er wird die Lüge schneller entdecken als uns wohl ist. Wie auch immer Nacer dann noch erklären möchte, dass er unbedingt bei mir wohnen wollte, ohne seinen Freund als ein hilfloses, armes Ding darzustellen. Aber das ist momentan gar nicht mein Problem. Ich habe andere Dinge, um welche ich mich kümmern muss. Schließlich ist mein bester Freund gerade dabei, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden.

„Nacer fährt uns nach Hause", informiere ich meinen besten Freund. Pasque zieht eine Augenbraue in die Höhe, während sich langsam ein Lächeln auf seinen Lippen ausbreitet.

„Du meinst das wirklich ernst, ja?"

Ich zucke mit den Schultern. „So ernst, wie ich es eben meinen kann", gestehe ich.

Also gar nicht. Aber das muss er nicht wissen. Zumindest noch nicht.

„Wie hast du bitte Zeit in seinem vollen Terminkalender gefunden, Sisi?"

Ich zucke wieder mit den Schultern. „Es ist Sommerpause. Außerdem denke ich, dass das mit dir so ernste Angelegenheiten sind, dass man sie eigentlich auch im Terminkalender einplanen sollte."

„Ich bin kein Kind. Ich muss nicht bemuttert werden, wie sehr ich es auch schätze, dass du – ihr – euch so sehr um mich kümmert. Das ist nicht selbstverständlich, aber ich finde es echt großartig, dass ihr euch die Mühe macht. Auch wenn es nicht notwendig ist. Ich habe mich selbst im Griff und ich bin nicht grundlos entlassen worden, Sisi."

Ich nicke, während ich ihm die Tür zur Garage aufhalte, wobei ich ihm bedeute, in welche Richtung wir zum Auto gehen müssen.

„Das mag vielleicht sein, aber ich kümmere mich gerne um meine Freunde. Du kannst mir nicht sagen, dass es bei dir anders wäre. Du würdest mich vermutlich sogar eigenhändig füttern, wenn ich aus einem Krankenhaus entlassen werden würde. Und was Nacer betrifft, geht es ihm einmal mehr ähnlich. Es ist uns nicht egal, wie es dir geht, Pasque."

Er seufzt, sagt aber nichts dagegen, weil wir beide wissen, dass ich Recht habe.

„Das ist das erste Mal, dass ich in seinem Auto mitfahren darf", sagt er, als wir wenige Minuten später auch schon Nacers Auto entdecken. Nacer hat es sich darin bequem gemacht und scheint etwas auf seinem Mobiltelefon zu lesen, während ich überrascht zu Pasquale sehe.

„Das kannst du nicht ernst meinen!"

Doch dieser lacht nur. „Natürlich meine ich das ernst. Ich habe absolut keine Ahnung, wie du ihn dazu gebracht hast, dass er mich sein heiliges Gut betreten lässt."

Seine Aussage wird von einem leichten Glucksen begleitet, während ich mir den Kommentar spare, dass ich eigentlich gar nichts getan habe. Nacer hat vermutlich vorher nie den Wunsch gehabt, jemanden in diesem Auto zu haben. Ich werde seine Einstellung dazu wohl kaum geändert haben, so viel ist zumindest sicher. Denn dafür müsste ich in der Lage sein, ihn zu beeinflussen, was schon einmal nicht so ist. Tatsächlich hat Nacer mich für den größten Teil der Fahrt ignoriert und stattdessen den Takt der Musik, welche im Radio gespielt wurde, auf das Lenkrad geklopft. Ich pikiere immer noch darauf, dass wir endlich die Abmachung genau ausformulieren, weil ich keinen Nerv dafür habe, ständig Machtkämpfe mit ihm auszufechten. Denn genau das haben wir schon die ganze Woche so getan. Ich möchte mich jetzt um Pasquale kümmern und nicht darum, wie ich Nacer übertrumpfen kann. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich für derartigen Kinderkram gar keine Zeit habe. Ich habe einen Vollzeit-Job und der beinhaltet den Fakt, dass ich mich um mein Restaurant und um meinen Pub kümmern muss.

„Nun, das ist es wohl, was die Liebe mit einem macht", philosophiere ich unsinnigerweise. Viel eher müsste ich sagen, dass es Schauspieler aus uns macht. Aber ich habe es nicht nötig, Pasque darüber aufzuklären.

„Ich kann noch immer nicht glauben, das über euch beide zu hören", meint mein bester Freund mit einem verschmitzten Lächeln. Ich zucke mit den Schultern und öffne ihm die Beifahrertür.

„Willst nicht lieber du vorne sitzen?", fragt Pasquale mit einem bedeutungsvollen Blick. Ich rolle nur mit den Augen, denn tatsächlich ist das nun das Letzte, was ich gerne machen würde.

„Krankenbonus", ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Pasquale seufzt, steigt aber ein. Ich selbst nehme auf der winzigen Rückbank Platz. Tatsächlich lehnt sich Nacer nach hinten und legt mir eine Hand aufs Knie, während er kurz mit den Fingern darüberstreicht.

„Hast du genug Platz da?", will er wissen, während ich Schwierigkeiten habe, meine Atmung unter Kontrolle zu halten. Mir ist zwar bewusst, dass wir eine Beziehung spielen, aber an Berührungen habe ich nie gedacht. Vor allem habe ich nicht vermutet, dass etwas so Simples derartig intime Emotionen in mir auslösen kann.

„Willst du sagen, dass ich fett bin?", bringe ich etwas atemlos hervor, während ich versucht bin, seine Hand wegzuschlagen. Aber Pasquale hat sie ebenfalls bemerkt, sodass seine Augenbrauen nun in die Höhe des Mount Everest gewandert sind. Auf meinen Kommentar hin bringt er ein Lachen hervor, während Nacer mit den Augen rollt.

„Da kümmert man sich um sie und sie nimmt es persönlich, Pasquale", sagt er zu seinem Teamkollegen. Die beiden umarmen sich kurz, sodass ich mich endlich wieder entspannen kann, weil Nacer nicht mehr so viel Nähe zu mir aufbauen kann.

„Immerhin bist du es und nicht Braedin, welcher sich um sie kümmert", lacht Pasque, worauf sie beide schlagartig wieder ernste Gesichter ziehen.

„Ja, habe ich gehört. Wann ist das entschieden worden?"

Ich habe selten gehört, dass Nacer so ernst klingt. Vor allem frage ich mich, um was für eine Entscheidung es da geht.

„Vor ein paar Tagen. Keine Ahnung. Ich hoffe jedenfalls, dass es funktionieren wird. Ich habe nicht so große Hoffnungen wie die anderen, verstehst du?"

„Was meinst du?", mische ich mich ein, doch die beiden Männer scheinen mich vollkommen vergessen zu haben.

„Ja. Ich habe gehört, dass du lieber nicht weitergefahren wärst. Aber die Saison muss beendet werden. Für das Team."

Die Saison muss beendet werden. Sie ist noch nicht fertig für Pasquale?

„Du fährst trotz des Unfalls wieder? Meinst du das ernst?"

Endlich sieht mich mein bester Freund an.

„Die Verletzungen sind verheilt und sie waren größtenteils nur milde. Im Krankenhaus hat das Training kontrolliert begonnen, sonst hätte man mich niemals so lange dortbehalten. Der Unfall ist schon drei Wochen her. Ich bin gut verheilt, Sisi."

Ich blinzle, während sich meine Gedanken überschlagen.

„Hast du denn keine Angst? Keinen Respekt? Irgendetwas muss nicht gut gewesen sein! Zumindest mit dem Auto. Das ist kein Spiel, Pasque, da geht es um dein Leben!"

Ich suche Hilfe bei Nacer, doch er blickt starr auf die Straße. Ich weiß, dass er es tut, um meinem Blick auszuweichen.

„Nacer fährt dasselbe Auto wie ich, Sicily. Außerdem ist schon eine Untersuchung eingeführt worden, also ist das alles keine so große Sache. Der Fehler wird gesucht und behoben und dann kümmert man sich drum. Wir sind Rennfahrer, Sicily. Wir leben und fahren riskant."

Ich möchte etwas darauf antworten, aber eigentlich bin ich nur sprachlos. Ich sehe nämlich nicht ein, wieso man bereit wäre, sein Leben zu opfern, nur damit man für das Team gewinnen kann. Das heißt nämlich übersetzt, dass Pasquales Chancen jetzt noch zu gewinnen – und das, obwohl er die Weltmeisterschaft vor dem letzten Rennen noch angeführt hat – als relativ gering einschätzt. Was wiederrum bedeutet, dass er es alles nur für die Meisterschaft der Konstrukteure macht. Für die Meisterschaft, für welche er und Nacer gemeinsam kämpfen. Also schlucke ich meine Kommentare herunter und schweige stattdessen.

Apropos Sommerpause (F1)...nach dem morgigen Rennen beginnt sie auch für uns 😭😱

Werden Nacer und Sicily genug überzeugend sein können?

Meinungen zum Kapitel?

Ich wünsche euch ein schönes Wochenende, bis bald 💖

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