53 - Nacer
Ich nehme an, dass mich Sicily aufgegeben hat. Genau wie mich Pasquale aufgegeben hat. Luciano ebenfalls und auch Braedin hat dasselbe getan. Drei Tage sind vergangen, seit er mich besucht hat und ich hasse den Gedanken, dass ich hier bin und mich darum sorgen muss, wie meine Zukunft aussieht, weil mir Schuld für Dinge zugeschoben wird, die ich nicht getan habe. Meine Karriere ist wahrscheinlich schon mausetot, weil die Zeitungen immer denken, sie wüssten alles am besten, obwohl sie keine Ahnung haben, wie die Dinge wirklich aussehen. Stattdessen fühlt sich alles an, als wäre ich in einem falschen Film gelandet.
Ich bin noch weitere Male befragt worden, auch wenn sie mich seit zwei Tagen in Ruhe lassen. Ich deute das als ein schlechtes Zeichen, denn es spielt darauf an, dass keine Aussagen mehr notwendig sind. Ich habe eigentlich gehofft, dass man damit aufhören würde, mich auszuhorchen, aber jetzt wünsche ich mir die Zeit zurück, in welcher ich wenigstens noch für mich selbst sprechen konnte. Allgemein wünsche ich mir die Zeit zurück, in welcher ich nur ein Rennfahrer gewesen bin und die Strecke meine einzige Sorge gewesen ist. Ich wünsche mir auch die Zeit mit Sicily zurück, aber damit bin ich wohl der Einzige. Es wäre einfach zu sagen, dass sie mir aus dem Weg geht, aber sie möchte mich ganz einfach nicht sehen. Das ist alles, was es da noch zu sagen gibt. Es schmerzt.
Gott, es schmerzt so sehr, dass ich zeitweise wünsche, mich an das Versprechen mit dem Raben gehalten zu haben. Dann hätte ich jetzt all diese Probleme nicht mehr und könnte mich stattdessen auf mich selbst konzentrieren. Aber ich kann nur an Sicily und an die unschickliche Lage denken. Wenn ich nicht hier wäre, könnte ich mit ihr reden. Ich könnte sie küssen, ihr zeigen, wie sehr ich sie und ihre Berührungen brauche, wie sehr sie sich in mein Leben eingeschlichen hat. Es fühlt sich falsch an, dass sie jetzt nicht hier bei mir ist.
Bevor ich noch weiter in meinem Selbstmitleid versinken kann, tritt jemand an meine Zelle heran. Ich kneife die Augen zusammen und entdecke Braedin. Neben ihm steht ein Polizist, welcher Braedin angespannt mustert. Mein Kopf stellt sofort auf die Alarmstufe rot. Das ist es wohl gewesen. Irgendjemand muss Beweise gefälscht haben. Ich glaube nicht, dass ich jemals zuvor so glücklich gewesen bin, dass Sicily sich so gut wie möglich von den Rennstrecken fernhält und ihr eigenes Ding macht. Wenn ich nicht bei ihr bin, wird sie vermutlich wenigstens als Zielscheibe losgelassen und ich muss mir keine Sorgen um ihr Wohlergehen machen, während ich zu Unrecht im Gefängnis lande.
„Können Sie uns einen Moment geben?", fragt Braedin den Cop. Sein Tonfall klingt neutral. Es ist schwierig zu sagen, weshalb er genau hier ist. Vielleicht möchte er mir meinen Vertrag offiziell kündigen, bevor er mich hinter sich lassen kann. Der Kerl nickt und entfernt sich einige Schritte von uns. Braedin tritt ein wenig näher an das Gitter heran. Für einige Momente mustert er mich schweigend. Auf seinem Gesicht stehen keine Fragen mehr, sondern nur absolute Gewissheit.
„Die letzten Tage waren schwierig", gibt er schließlich zu. Vermutlich hat er geglaubt, dass ich dieses Gespräch eröffnen würde, aber damit hat er sich getäuscht. Ich schieße mir nicht selbst ins Bein, nur um eine Situation zu verschlimmern, welche schon so fatal ist.
„Was du nicht sagst", murmle ich. Immerhin ist es ihm erlaubt gewesen, das Tageslicht zu sehen und sich bewegen zu können. Er hat alle Menschen treffen können, welche ihm wichtig sind. Ich hingegen habe die einzige Person verloren, welche mir alles bedeutet.
„Es wird nicht unbedingt einfacher werden. Ich musste viele Verträge überdenken. Einige kündigen. Einen neuen Fahrer für das nächste Jahr unterschreiben lassen."
Ich lache bitter auf. Es ist schwierig, Mitleid mit ihm zu haben, wenn er noch immer die falschen Entscheidungen trifft. Ich habe Braedin immer geschätzt, aber ich kann das nicht tun, wenn er das Offensichtliche übersieht.
„Du solltest dich nicht so aufregen. Du wirst ihn mögen."
„Ich soll mich nicht aufregen?", horche ich empört und erhebe mich, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. Dann realisiere ich, was er gesagt hat, und mein Mund klappt auf.
„Ich werde ihn mögen? Macht das einen Unterschied? Ich werde es sowieso nicht beurteilen können. Ihr wollt mich ja wegsperren, nicht wahr? Oder meinst du ernsthaft, dass ich mir die Rennen auf einem Fernseher ansehen würde, wenn es einen gäbe?"
Ich schüttle den Kopf, um meine rhetorische Frage selbst zu beantworten. Ich kann nicht fassen, wie dreist dieses Verhalten von Braedin ist. Dieser wirft mir allerdings nur ein Grinsen zu und packt durch das Gitter meine Schultern mit beiden Händen, bevor ich mich wegdrehen kann. Ich schlage sie nur nicht weg, weil ich das Gefühl habe, dass mir das nicht helfen würde. Sonst wäre ich nicht so gehemmt. Aber da es hier noch Kameras gibt und einen Polizisten, welcher nicht weit entfernt ist, wage ich es nicht einmal. Stattdessen werfe ich ihm einen scharfen Blick zu und hoffe, dass er es selbst kapiert.
„Ich habe eher gedacht, dass du vielleicht selbst gerne im Cockpit sitzen und fahren würdest."
Ich sehe Braedin entgeistert an. Ich verstehe nicht, wie das möglich sein sollte. Vor allem hat er selbst gesagt, dass er einen neuen Fahrer eingestellt hat.
„Hör auf, mich zu verarschen", bringe ich atemlos hervor. Es ist so dreist, dass er mir Hoffnungen macht, wo es keine geben sollte. Dass er mir eine Geschichte erzählt, welche nicht real ist.
„Mache ich nicht, Veenstra. Versprochen. Du und Luciano seid mein Team für das nächste Jahr."
Ich schweige. Versuche zu begreifen. Begreife es nicht.
„Was meinst du damit?", bringe ich schließlich hervor.
„Du bist freigesprochen, weil es sich um eine falsche Grundlage und teilweise gefälschte Beweise gehandelt hat. Pasquale hat dich und Sicily an die Presse verkauft, eure Wohnung zerstört. Ihr Restaurant hat wegen ihm einen beachtlichen Schaden erlitten und er schuldet auch auf verschiedensten Ebenen Strafgelder. Mir übrigens auch, weil er mir zwei Autos zerstört und dafür gesorgt hat, dass wir als Team dem Rennen in Japan aussetzen mussten. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, weil es sowieso abgesagt wurde, aber es ist möglich, dass wir mit Strafen zu rechnen haben, weil er so viele gefährliche Dinge angestellt hat."
Ich blinzle perplex. Pasquale soll das alles gemacht haben?
„Wieso hat er sein Auto kaputtgemacht? Der Unfall ist nicht unbedingt ein Zuckerschlecken gewesen."
Braedin zuckt mit den Schultern. „Selbstschutz, ehe er die richtigen Probleme kreiert hat, nehme ich an. Man kann sich nicht sicher sein. Aber die Aufnahmen sind endlich gefunden und vor Gericht als Beweise geliefert worden. Pasquale weigert sich bisher allerdings noch, auszusagen. Das ist problematisch, aber er kann sich vor seiner Gefängnisstrafe ohnehin nicht mehr retten. Er müsste nicht einmal mehr bestätigen, dass er es getan hat, weil es Aufzeichnungen gibt, welche er gehackt und beeinflusst hat."
Ich nicke langsam, auch wenn ich eins noch immer nicht begreife.
„Wie bist du auf all das gekommen? Du hast doch auch geglaubt, dass ich die Schuld an allem trage."
Diesmal breitet sich ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen aus.
„Ich hatte Hilfe", gesteht er.
„Wer hat dir geholfen?", bohre ich nach. Ich kann die Neugier kaum mehr in Zaum halten, während ich langsam realisiere, dass Braedin mir gute Nachrichten überbringt. Die ersten guten seit Tagen.
„Sicily hat angerufen und mir erzählt, dass sie glaubt, dass Pasquale dahintersteckt. Luciano und ihre Freundin Telese sollen ihr bei der Erkenntnis geholfen haben. Zuerst habe ich geglaubt, dass sie das nur sagt, um dich zu retten, aber sie hat glaubwürdige Argumente geliefert und ich habe ein paar Polizisten organisiert, welche sich konkret mit diesen Vermutungen auseinandergesetzt haben. Das hat ein wenig länger gedauert, weil ich noch mit der italienischen Polizei Kontakt aufnehmen musste, um die Dinge mit deiner Lebensmittelvergiftung und allem drum herum zu klären. Es hat sich herausgestellt, dass sie Recht gehabt hat."
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und all meine negativen Gedanken lösen sich in Luft auf.
„Sie hat mich gar nicht aufgegeben", bringe ich erstaunt hervor, worauf Braedin nickt.
„Nein, das hat sie nicht."
Langsam, aber sicher breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus, während ich nicht mehr weiß, was ich sagen oder denken sollte. Nach den Tagen, welchen ich hinter Gittern verbracht habe, wirken diese Worte so unreal, aber dennoch wunderschön auf mich. Beinahe wie ein Traum.
„Ich denke, dass wir gehen sollten. Pasquale wird deine Zelle vermutlich dringender brauchen, um seinem Schicksal gerecht zu werden und du gehörst hier nicht hin."
Wie in Trance nicke ich. Braedin winkt den Polizisten zu sich heran. Dieser öffnet meine Zelle und das ist es gewesen. Mit einem simplen Klicken des Schlosses bin ich frei. Ich umarme Braedin dankbar, auch wenn es nur teilweise sein Werk ist. Aber er hat Sicilys Vermutung eine Chance gegeben und das werde ich ihm niemals vergessen.
Damit ist er endlichhhh wieder raus 😃
Hat euch das Kapitel gefallen?
Ciao Kakao und bis dann 👋
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top