44 - Nacer

Auf meinem Handy blinkt eine unbekannte Nummer und ich erwäge, ob ich antworten soll. Dann fahre ich mir durch die Haare und mache es, weil ich schon den ganzen Tag eine Unruhe in mir habe. Sicily antwortet mir seit zwei Stunden nicht mehr und in einer beginnt das Rennen. Ich befinde mich momentan nur hier, wo ich in Ruhe meine Gedanken sortieren kann, weil Braedin eingesehen hat, dass dieses Wochenende für mich schwierig ist.

„Nacer Veenstra hier", sage ich und verziehe dann das Gesicht. Meine Worte hallen in diesem winzigen Raum viel zu laut nach und brechen die Stille auf eine unangenehme Art und Weise.

„Nacer?", wiederholt eine weibliche Stimme, welche mir bekannt vorkommt. Ich runzle die Stirn und durchsuche mein Gedächtnis nach dieser Stimme, gebe nach wenigen Sekunden aber wieder auf.

„Ja", bestätige, auch wenn ich meinen Namen schon am Anfang des Gesprächs angegeben habe. Normalerweise mache ich das nicht, denn ich nehme eigentlich nur Anrufe von eingespeicherten Kontakten an. Heutzutage kann man einfach nicht wissen, was sich gewisse Fans ausdenken und da gehe ich lieber auf Nummer sicher und beantworte unbekannte Anrufe nicht. Heute ist aber ohnehin ein merkwürdiger Tag, da kann ich mir auch Ausnahmen erlauben. Sie bestätigen meine Regeln.

„Hier ist Telese", räuspert sich die Frau am anderen Ende der Leitung. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Sie ist Sicilys beste Freundin. Wieso ruft sie an?

„Ist bei dir und Sicily alles in Ordnung?"

Eigentlich möchte ich nur wissen, wie es Sicily geht, aber es würde mir unfreundlich erscheinen, wenn ich das so direkt frage, also lasse ich es bleiben und erkundige ich mich nach beiden. Telese schweigt einen Moment lang und die Panik in mir steigert sich bis ins Unermessliche.

„Telese?", hake ich nach. Ich beginne im Raum zu tigern. Vielleicht stammt meine Unruhe daher, dass es Sicily nicht gut geht und meine Instinkte das irgendwie erkennt haben und nun ihren Tribut fordern und meine eigenen auf Alarmstufe rot stellen.

„Den Umständen entsprechend. Wo bist du?"

Ihre Stimme zittert ein wenig. Ich balle eine Hand zu einer Faust, während die andere mein Mobiltelefon beinahe zerquetscht.

„In Singapur. Was sind die Umstände?"

Ich verziehe mein Gesicht, weil ich merke, wie unhöflich ich klinge. Im selben Moment wird mir die Panik bewusst, welche in mir aufsteigt. Dass Telese mir nicht sagen will, was los ist, impliziert, dass es so schlimm ist, dass es ihr unangenehm ist, es auszusprechen.

„Es hat einen Unfall gegeben...das Silver Dreams hat gebrannt. Alle haben es zum Glück überstanden."

Schon wieder zittert ihre Stimme. Ich brauche einige Momente, um zu verarbeiten, dass es einen verdammten Brand in Sicilys Restaurant gegeben hat. Wie zur Hölle konnte es dazu kommen?

„Gib sie mir ans Telefon", fordere ich, worauf Telese schnaubt. Dann atmet sie tief ein und aus, bis sie sich schließlich wieder gefangen hat.

„Sicily ist im Krankenhaus. Eine ziemlich üble Rauchvergiftung hat sie erwischt, weil sie einer Mutter und einem Kind geholfen hat. Sie ist bewusstlos geworden. Man versorgt sie nun. Ich bin gerade vor dem Krankenhaus und wollte dich nur kurz informieren, bevor es in den Medien zu sehen ist und du dir Sorgen machst."

Bevor ich mir Sorgen mache? Ich mache mir Sorgen, gerade weil ich es erfahren habe und dabei ist es mir egal, ob ich es irgendwo lese oder ob es mir irgendwer sagt. Ich werde mir immer Sorgen machen, solange es um Sicily geht, realisiere ich.

„Wie geht es ihr jetzt? Ist sie wach geworden?"

„Ja, für einige Momente. Die Ärzte sagen, dass sie ziemlich stabil ist und sich ausruhen sollte. Es wäre aber gut, wenn jemand für sie da ist und sich um sie kümmert."

Ich mache mir die geistige Notiz, mich von nichts ablenken zu lassen und so schnell von hier zu verschwinden, wie es nur möglich ist.

„Okay. Ich muss das Rennen fahren, vorher kann ich von hier nicht verschwinden. Ich werde mir aber einen direkten Flug nach England organisieren, sobald ich kann. Ich werde dir die Details zukommen lassen. Kannst du dich so lange bitte um Sicily kümmern?"

Ich brauche mindestens sechs Stunden, bis ich in England bin und das wird verdammt anstrengend, weil ich die kontinentalen Flüge meistens so überlebe, dass ich nicht nach Hause gehe und stattdessen von einem Ort direkt zum anderen fliege. Ich bin erst vor wenigen Tagen hier angekommen und der Jetlag liegt mir noch immer auf dem Magen. Zumindest vermute ich, dass es sich um den Jetlag handelt, denn anders kann ich mir das Unwohlsein der letzten Tage und das schreckliche Qualifying von gestern, welches mich auf P6 befördert hat, nicht erklären.

„Werde ich tun. Ich kann dich auch über die wichtigsten Veränderungen informieren, wenn es welche geben sollte."

„Gerne. Und ich danke dir, Telese. Du bist eine gute Freundin für Sicily."

Einige Sekunden breitet sich Stille aus, dann räuspert sie sich.

„Irgendjemand muss für sie da immer sein. Ich habe die Rolle liebend gerne übernommen. Ich zähle darauf, dass du sie nicht im Stich lässt, Nacer."

Ich versichere ihr, dass ich das nicht tun werde und lege auf. Meine Atmung geht nur stockend und ich mustere die Uhr auf meinem Handgelenk. Ich muss bald meinen Pflichten vor dem Rennen nachgehen, aber ich habe noch ungefähr zehn Minuten, wenn ich den Notfall verdeutlichen kann. Ich texte Braedin, dass ich diese zehn Minuten aus familiären Gründen brauche. Bevor ich darüber nachdenken kann, schicke ich die Nachricht ab. Denn es ist so. Sicily ist in den letzten Tagen zu meiner Familie geworden und ich brauche diese Zeit, um mich zu fokussieren. Ich muss mir einen Flug organisieren und es gibt jemanden, der das für mich tun könnte.

Meine Füße tragen mich zu einem Areal, welches nicht unserem Team gehört, aber wo ich meinen Flug finden kann.

„Ich dachte nicht, dass ich dich so bald wieder sehen würde", begrüßt mich Luciano und grinst mich an. Er klopft mir erfreut auf den Schultern. Es verwirrt mich ein wenig, dass er so aufrichtig stolz wirkt, dass ich ihm gegenüberstehe, aber ich nehme es hin. Ich bin nicht hier, um unsere Freundschaft zu bestätigen oder einen Kaffee zu trinken, ich bin hier, weil ich seinen Privatjet brauche.

„Hast du eine Sekunde Zeit?", frage ich den Typen, welcher die Pole Position für heute erobert hat. Das hat ihm eine gute Anzahl Punkte in die Tasche geholt.

„Klar."

Er sieht verwirrt aus, wehrt sich aber nicht, sondern sieht mich nur neugierig an. Er scheint zu merken, dass diese Konversation nicht von den Kameras aufgeschnappt werden sollte, welche hier überall zu sehen sind und jeden Blick auffangen, um ihn später analysieren zu können.

„Kannst du mir deinen Privatjet auslehnen?", frage ich ihn, sobald wir in einem kleinen Raum sind, welcher uns von den anderen trennt.

Unnnd damit haben wir die beiden auch wieder zusammen gesehen 😊

Ist Nacer süß, wenn er sich Sorgen macht?

[DOPPEL-UPDATE 1/2]

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