43 - Sicily
Nacer hat sich heute im Qualifying ziemlich schlecht geschlagen. Normalerweise sind die schnellen Runden für ihn kein Problem, aber heute ist es ihm nicht so recht gelungen. Ich habe mir das Qualifying gestern am Morgen extra angesehen, aber es hat einfach nicht geklickt. Ich nehme an, dass es ihm vom Fliegen vermutlich noch immer nicht gut geht. Der Flug nach Singapur ist etwas länger als die sonstigen Flüge und das scheint ihm noch nachzuhängen. Ich bezweifle, dass er einem Jetlag unterliegt, aber es ist deutlich, dass er morgen einige Plätze auszubügeln hat.
„Hey", begrüßt mich Telese mit einer Umarmung. Sie hat ihre Schürze schon angezogen und grinst mich über den Rand ihrer Brille an. Normalerweise trägt sie Linsen, aber ich mag es, wenn sie ausnahmsweise eine Brille trägt. Es ist zwar unpraktisch, weil die Gläser wegen des aufsteigenden Dampfes in der Küche anlaufen, aber es sieht dennoch hervorragend aus.
„Hey", entgegne ich mit einem sanften Lächeln. Ich habe schon so lange nichts mehr von ihr gehört, dass ich mich ein wenig schlecht fühle.
„Möchtest du mal in der Küche vorbeikommen? Die Neuen schlagen sich ziemlich gut und ich denke, dass du gerne sehen würdest, was sie da so anstellen."
Ich nicke und verlasse mein Büro mit ihr, bevor ich es abschließe. Heute hat es zwar nicht so viele Leute hier, aber lieber vorsichtig als nachsichtig.
„Wie ist deine Woche gewesen?", frage ich Telese, worauf sie mit ihren Schultern zuckt.
„Es hat bessere Zeiten gegeben. Ich muss definitiv öfter trainieren gehen, wenn ich weiß, dass er sich dort befindet."
Er ist in Teleses Sprache Hadrian. Ihr offizieller Crush, auch wenn sie das nicht gerne zugibt. Telese tut nämlich gerne so, als wollte sie es unbedingt vermeiden, eine Beziehung zu haben, auch wenn ich genau spüre, dass sie sich tief im Inneren eigentlich nicht viel mehr wünscht. Seit sich ihre Eltern haben scheiden lassen, hält sie nichts von Beziehungen, auch wenn ich niemanden kenne, der in einer Beziehung liebevoller wäre als sie.
„Das ist gut für deine Muskeln", frotzle ich, worauf sie mir einen strengen Blick zuwirft. Ich hebe abwehrend die Hände, wobei ich allerdings lachen muss. Sie sieht so süß aus, wenn sie versucht, ernst zu bleiben.
„Du solltest mir viel lieber erzählen, was mit dir und dem holländischen Hottie läuft", entgegnet sie mit anzüglich wackelnden Augenbrauen, worauf ich so rot werde wie eine Tomate. Teleses Mund klappt auf und sie sieht mich schockiert-glücklich aus.
„Ist da etwas Ernstes entstanden?", will sie in einem fassungslosen Flüsterton wissen, worauf ich mit den Schultern zucke, aber nicht verhindern kann, dass sich ein glückliches Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet. Die Zeit mit Nacer in Italien war besonders. Die meisten Fahrer haben ihren Hauptsitz in Monaco, während Nacer seine Bleibe in einer italienischen Kleinstadt hat, welche ihn auf den Boden zu holen scheint. Dort wird er vielleicht als eine Berühmtheit erkannt, aber er muss dem reichen, monegassischen Lifestyle nicht folgen, sondern kann eine wunderbare Zeit in seiner Wohnung genießen. Es ist so anders als mein Zuhause, aber es gefällt mir dennoch. Vielleicht sogar ein Stückchen mehr als London, weil Italien immerhin bis zu einem gewissen Maß das Land ist, aus welchem meine Vorfahren stammen. Ich spreche die Sprache fließend, wenn auch nicht so ausgeprägt wie das Englisch in London, einfach weil ich sie nicht so häufig brauche und auch in einer englischsprachigen Schule gewesen bin.
„Hast du Sex mit ihm gehabt?", fragt sie so direkt heraus, dass meine Wangen nur noch röter werden.
„Pssst", versuche ich sie zum Schweigen zu bringen, während die Küchentüren vor uns aufschwingen. Teleses Augen werden groß, während sie mich schockiert anblickt, doch ich schüttle den Kopf.
„Fast. Aber dazu ist es schlussendlich nicht gekommen. Die Situation dort ist zu angespannt gewesen für...Intimitäten."
Telese schüttelt den Kopf, immer noch fassungslos. Vermutlich fragt sie sich, wieso sie erst jetzt von der Veränderung des Verhältnisses zwischen Nacer und mir erfährt.
„Sind diese Dinge nicht gerade gut, um einfach mal loszulassen?", will sie wissen. Ich möchte ihr antworten, als es plötzlich zu rauchen beginnt. Mein Blick schießt zu den Herden, während der Rauchmelder losgeht und jegliche Gespräche von einem Lärm übertönt werden. Mein Blick wandert panisch zu Telese, welche mich genau gleich anblickt.
„Alle Sachen vom Herd nehmen, Herd und Backofen ausschalten und dann durch den Notausgang!", hole ich das Küchenpersonal aus ihrer Trance, welches sich in einer Schockstarre befunden hat.
„Hilf ihnen!", befehle ich Telese und drehe mich um, damit ich den Gästen helfen kann, sofern sie es brauchen. Ich bin für alle verantwortlich, sollte etwas geschehen. Ich eile sogleich zur Lautsprecheranlage und zucke selbst zusammen, als meine Stimme durch den Lautsprecher ertönt, während ich die Anweisungen durchgebe, dass man sich möglichst vor dem Rauch schützen und rausgehen soll. Ich hatte noch nie eine Situation, in welcher es hier gebrannt hat und es macht mir unendlich viel Angst. Ein Blick auf den Kamin genügt, um zu entdecken, woher der Brand stammt. Allerdings kann ich die Situation nicht mehr retten, da beinahe schon eine ganze Wand Feuer gefangen hat. Der Raum ist so gut wie leer, nur stauen sich die Leute ein wenig vor dem Eingang, was sich allerdings recht schnell auflösen sollte. In meinem Kopf gehe ich durch, welche Orte noch geprüft werden müssen und eile sogleich zu den Toiletten. Das Männerklo ist leer, was mich erleichtert aufatmen lässt.
Ich atme in die Beuge meines Ellbogens, während meine Augen schon ein wenig tränen. Ich fluche innerlich, während ich hoffe, dass es hier auch niemanden mehr hat. Telese hat mir vor einigen Sekunden getextet, dass in der Küche alles erledigt ist. Ich öffne die Tür der Damentoilette auf und fluche innerlich, als ich eine Frau erblicke, welche tränenüberströmt an der Türklinke einer Kabine zerrt. Die restlichen sind leer.
„Mein Kind ist da drin! Sie kann die Tür nicht wieder aufbringen!", ruft sie nervlich am Ende und sieht hilfesuchend zu mir. Ich brauche einige Momente, ehe ich ihr antworten kann, weil ich kaum noch richtig atmen kann.
„Sie sollten gehen, ich kümmere mich darum", ordne ich ihr an, während ich halbkonzentriert eine Haarklammer aus meinem Haar ziehe und diese Senkrecht in die Einsenkung des runden Metallteiles stecke, welches auf unserer Seite des Drehteiles befestigt ist. Das Kind weint nun ebenfalls laut und ruft nach Hilfe. Ich bete, dass es nicht an einem Sauerstoffmangel stirbt, denn der Rauch ist mittlerweile überall. Die Mutter ist noch da, was ich eigentlich erwartet habe. Niemand lässt sein Kind allein zurück, wenn es in einer lebensbedrohlichen Situation steckt.
Das Schloss der Tür springt zurück und ich drücke die Türklinke nach unten, während die Mutter wie automatisiert nach ihrer Tochter greift und im gleichen Atemzug hochhebt, um aus diesem verrauchten Raum verschwinden zu können. Dieser hat sich nun verdichtet.
„Ich weise den Weg. Passen Sie auf die Atmung auf", bringe ich erstickt hervor. Die Rauchschwaden sind so dunkel, dass man den Weg nicht mehr erkennt. Sobald wir im Hauptraum sind, haben eine weitere Wand und ein paar Tische Feuer gefangen, allerdings steht uns keiner davon im Weg. Blind ziehe ich den Arm der Frau, welche ihre weinende Tochter mit sich durch den Raum trägt. Ich kann kaum noch denken, außer dass wir dringend hier verschwinden müssen und falls wir es nicht schaffen sollten, ich zwei Leben auf meinem Gewissen habe. Die Sirenen der Feuerwehr dringen zu meinen Ohren und wenige Sekunden später taumle ich mit der Mutter und dem Kind durch die Eingangstür. Der Krankenwagen ist schon da und unterzieht einzelne Personen der Schar vor dem Silver Dreams – meinem Restaurant – einer medizinischen Kontrolle. Die Mutter bedankt sich bei mir und erzählt mir irgendetwas davon, dass sie mir so vieles schuldet, weil ich ihr Baby gerettet habe, aber ich nehme es gar nicht richtig wahr, während Feuerwehrleute an uns vorbei in das Gebäude rauschen. In meinem Kopf dreht sich alles und ich kann nicht mehr richtig atmen, während mir unendlich schwindlig ist.
„Sicily, da bist du ja!", ertönt eine familiäre Stimme durch die Menge. Ich nehme Teleses Erscheinung verschwommen wahr. Meine Augen tränen vermutlich noch immer, weil ich viel zu lange im Rauch gewesen bin. Der kleine Raum der Damentoilette hat viel aufgehalten, aber davor und danach habe ich ein riskantes Spiel gespielt und dafür zahle ich nun den Preis. Nicht, dass ich es bereue, mich zuerst um meine Gäste gekümmert zu haben. Das ist meine Pflicht. Ich spüre, wie mich Telese erleichtert umarmt, und kippe mit meinem Körper gegen ihren, weil mich meine Beine nicht mehr halten können.
„Oh Gott, du brauchst dringend einen Arzt", meint sie schockiert. Ich nehme danach nicht mehr wahr, was geschieht. Stattdessen schließen sich meine Augen automatisiert und ich nehme nur noch Dunkelheit wahr.
Ufff Restaurant-Brände sind eine unangenehme Sache 😬
Was wird wohl als nächstes geschehen?
Ich hoffe, dass euch die Kapitel gefallen haben und dann lesen wir uns bald wieder 🥰
[DOPPEL-UPDATE 2/2 ]
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