38 - Sicily
Nacer scheint unsere Gäste nicht erwartet zu haben. Er wirft mir einen fragenden Blick zu, doch ich schüttle nur den Kopf. Ich habe die beiden definitiv nicht eingeladen. Er seufzt leise und die Unbeschwertheit, welche ihn vorher so strahlen lassen hat, verschwindet beinahe vollständig. Ich drücke seine Hand, um ihm zu zeigen, dass ich da bin, lasse sie dann allerdings los, damit er die Tür zuschließen kann.
„Ah, da seid ihr ja!", begrüßt uns Braedin. Er nimmt Nacer in die Arme, was ich wohl zum ersten Mal erlebe, und schüttelt dann meine Hand. Pasquale macht sich das Leben einfacher und umarmt uns beide.
„Gut zu sehen, dass du wieder auf den Beinen bist, Kumpel!", sagt er zu Nacer, was mich lächeln lässt. Pasquale scheint sich ernsthafte Sorgen gemacht zu haben, genau wie ich es auch getan habe. Ich frage mich, wieso er nicht zu Besuch gekommen ist, denn ich habe ihm gesagt, wo sich Nacer aufhält. Wahrscheinlich hatte er einfach keine Zeit.
„Danke", meint Nacer. Er lässt die beiden herein und legt dann seinen Arm um meine Schulter, während wir zusammen reingehen. Es ist ungewöhnlich, dass er so viel Körperkontakt sucht, aber gleichzeitig gefällt es mir auch. Es ist eine Seite an ihm, welche ich bisher noch nicht gesehen haben, welche aber lieblich und vor allem liebevoll ist.
„Wie kommen wir zu der Ehre, besucht zu werden?", will er wissen, während die beiden ihre Schuhe abziehen und sich dann direkt im Wohnzimmer auf der Couch niederlassen. Es stört mich, dass sie sich hier so gut auszukennen scheinen, während ich diese Wohnung überhaupt nicht gekannt habe. Ich befehle mir, nicht eifersüchtig zu werden und versuche mir einzureden, dass sie schon viel länger eine enge Beziehung zu Nacer gehabt haben. Ich sollte viel eher froh darum sein, dass er all die Zeit nicht allein war.
„Wir müssen reden. Über den Krankenhausbesuch und darüber, dass in der Werkstatt ein weiterer Unfall entdeckt worden ist."
Braedin malt beim Wort Unfall Gänsefüßchen in die Luft, während mein Blick automatisiert an Nacer haften bleibt. Ich verstehe nicht, was all diese Dinge miteinander zu tun haben. Ein undefinierbarer Ausdruck macht sich in seinem Gesicht breit und seine Schultern verspannen sich.
„Was hat das zu bedeuten?"
Braedin wirft mir einen Seitenblick zu und ich verstehe sofort, dass er mich bei dieser Konversation nicht dabeihaben will. Ich trete gerade ein paar Schritte zurück, um den Jungs ihren Freiraum zu lassen, weil es mich eigentlich nichts angeht, als Nacer nach meinem Arm greift und mich wieder zu sich zieht.
„Sie bleibt."
Braedin scheint protestieren zu wollen, doch Nacer schneidet ihm das Wort ab.
„Ich vertraue ihr."
Mein Atem stockt und ich werde rot, während die Blicke zwischen uns hin- und herwandern. Ich denke, dass die beiden wohl gemerkt haben, dass sich etwas zwischen Nacer und mir geändert haben muss, auch wenn sie noch nicht vollends begreifen, was es ist. Ich weiß es nicht einmal selbst, aber es gefällt mir. Nacer holt für uns beide einen Stuhl, damit wir uns gegenüber Pasquale und Braedin setzen können, ehe wir dieses Gespräch fortführen.
„Wo sind wir steckengeblieben?", fragt er und sieht Braedin auffordernd an.
„Du hast gefragt, was es zu bedeuten hat", erinnere ich Nacer. Er nickt mir dankbar zu, richtet seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Braedin.
„Ja. Zuerst zu den Entdeckungen. Dein Auto hat denselben Schaden aufgezeigt, wie das von Pasquale es vor der Sommerpause getan hat. Du hättest einen genauso schlimmen Unfall haben können wie er. Du kannst von Glück reden, dass du nicht gefahren bist."
Nacer wird ein wenig bleich und man sieht ihm an, dass der Gedanke angsteinflößend ist. Pasquale selbst starrt sich auf die Hände, um die Erinnerungen in seinen Augen nicht offen an den Tag zu legen.
„Wieso?", bringe ich hervor. Ich denke ebenfalls, dass es kein Zufall gewesen sein kann, aber ich verstehe nicht, was für ein Beuteschema die verantwortliche Person gehabt hat.
„Das ist unklar. Aber jetzt steht das Team unter ständiger Beobachtung der Ermittler. Es ist schon schlimm, dass sie bisher nichts herausgefunden haben, aber dass sich so etwas ereignen konnte, während eigentlich kein einziger Zeitpunkt bestanden hat, um so eine große Sache zu erlauben, ist fatal. Und das ist noch das Mildeste. Es wird erst kritisch, wenn man bedenkt, dass uns eine Disqualifizierung droht, falls wir diese Sache nicht geregelt kriegen. Wir könnten mächtigen Ärger erhalten und stehen bald dem verfrühten Ende dieser Saison bevor, wenn wir nicht herausfinden, was da genau geschehen ist. Das wäre für uns wiederrum das Ende der Weltmeisterschaft – in beiden Kategorien."
In meinem Kopf dreht sich alles, während ich mich frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Das ist schlimmer als ich es mir vorgestellt habe und ich hasse den Fakt, dass ich nichts dagegen unternehmen kann. Nacer könnte sein Leben riskieren während des Fahrens, wenn ihn jemand sabotiert. Pasquale hat den Preis dafür bereits einmal gezahlt, aber dass Nacer nun auch vor einem derartigen Schicksal steht, schnürt mir die Kehle vor Angst zusammen.
„Was hat das mit Nacers Lebensmittelvergiftung zu tun?", lenke ich das Gespräch auf Braedins Information von ganz am Anfang.
„Ich befürchte, dass sie kein Zufall gewesen ist. Sicily, du hast ebenfalls von seiner Speise gekostet?"
Ich nicke.
„Dann kann er sich die Vergiftung eigentlich nur schwer da zugezogen haben. Vielleicht war sie unabsichtlich, vielleicht nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand in einer Wasserflasche des freien Trainings Salmonellen oder ähnliches eingepflanzt hat, ist verdammt hoch. Wir können die Vergiftung nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt zurückführen, was die Ermittlungen dessen nur noch schwieriger macht. Aber ich befürchte auch, dass die falsche Diagnose kein Zufall gewesen ist."
Ich ziehe scharf die Luft ein und Nacer legt seine Hand auf meine, um meine Nerven zu beruhigen. Aber ich denke nicht, dass er versteht, wieso ich mich so aufrege. Das Rennen hätte sein Leben gekostet und Braedin versucht mir gerade zu erzählen, dass es kein Zufall ist. Derartig hohes Fieber und Übelkeit sind immer ein Grund, um auf ein Rennen zu verzichten, aber wenn das Auto dann noch gegen einen spielt, sind so viele negativen Faktoren einbegriffen, dass jeder Fehler, jede winzige Unaufmerksamkeit, fatal werden kann. Ein Leben beenden kann. In modernen Formel 1 Rennautos sind Todesunfälle zwar viel seltener als früher, aber sie geschehen. Unfälle gibt es immer wieder, da muss es einmal nur genügend schlimme Faktoren geben, um zusammen eine Katastrophe auszurichten.
„Es wird morgen das ganze Team auf der Bahn erwartet, wo unsere Dinge noch aufgestellt sind. Alle müssen einen Test machen, welcher über das Fachwissen gestaltet ist, sodass man endlich die möglichen Täter einschränken kann. Dieser Fall muss nämlich so schnell wie möglich gelöst werden. Und jeder und jede mit dem nötigen Fachwissen hätte den Schaden aus verschiedenen Motivationen anrichten können."
Nacers Hand schließt sich fester um meine, während sein Kiefer zu arbeiten beginnt.
„Soll das heißen, dass auch ich verdächtigt werde?", bringt er mühevoll hervor, worauf Braedin das Gesicht verzieht. Ich habe Nacer selten so kalkweiß im Gesicht erlebt, als hätte er tatsächlich mit Übelkeit zu kämpfen.
„Tut mir leid, aber so ist es nun mal."
Braedins Stimme klingt plötzlich so kleinlich und Pasquale hebt seinen Kopf ruckartig.
„Nicht nur du. Sie wollen mich auch ins Kreuzverhör nehmen, obwohl die ganzen Komplikationen mit der Sabotage meines Autos angefangen haben!", bringt er wutentbrannt hervor und springt auf, während er plötzlich vor Aufregung zu strotzen scheint. Ich zucke zusammen, und wieder streichen Nacers Finger beruhigend über meine Hand, als wollte er in erster Linie sichergehen, dass es mir gut geht, auch wenn eigentlich sein Leben und nicht meines bedroht ist. Bei dem Gedanken schnürt sich meine Kehle von Neuem zu und ich frage mich, wie es jemals so weit kommen konnte.
„Pasquale, beruhig dich. So sind die Regeln nun mal, selbst wenn sie dir nicht gefallen", versucht Braedin ihn zu beschwichtigen, doch Pasquale fährt sich nur durch die Haare und schnaubt.
„Mir nicht gefallen? Die Regeln sind verdammter Mist! Ist Sicily die nächste, welche ebenfalls ins Kreuzverhör genommen wird? Jetzt haben sie eine Befragung mit ihr gemacht und das sorgt wahrscheinlich dafür, dass sie Interesse an ihr finden werden."
Braedin sieht aus, als würde er Pasque am liebsten eine reinhauen, damit er die Klappe hält. Ich tausche einen beunruhigten Blick mit Nacer, während wir beide noch immer keinen Kommentar abgeben.
„Sicily, es ist möglich, dass es so kommen wird. Aber in diesen Zeiten muss eben alles Mögliche in Erwägung gezogen werden."
Braedin erhebt sich und packt Pasquale am Ärmel. Es sieht so aus, als hätte er nun alles gesagt, was es zu sagen gibt.
„Bis morgen", erinnert er uns nochmal an den Termin. Nacer erwidert die Worte, während ich zu sehr unter Schock stehe, um etwas erwidern zu können.
Langsam wirds auf jeden Fall ernst...
Mögt ihr Braedin und Pasquale bisher?
[DOPPEL-UPDATE 1/2]
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