25 - Nacer

Es ist eine Schande, dass Pasquale mich dabei erwischt, wie ich Sicilys Instagram-Account stalke. Ehrlich, das ist mir peinlicher, als es sein sollte.

„Du bist so verknallt", kommentiert er amüsiert, worauf mir einige neugierige Blicke zufliegen. Ich versuche, die Hitze in meinem Nacken zurückzuzwingen, auch wenn mir bewusst ist, dass ich dem chancenlos ausgesetzt bin.

„Darf ich mir nicht mehr ansehen, was meine Freundin macht?", knurre ich, um meine Autorität stückweit zurückzuerlangen. Pasquale lacht nur, während er mir ein Hemd zuwirft.

„Wolltest du dir dabei vielleicht noch einen runterholen? Außerdem sind diese Beiträge von vor ungefähr fünf Jahren."

Ich ziehe mir das Hemd über den Kopf, um ihm nicht antworten zu müssen. Als ich gesehen habe, dass sie eine Story gepostet hat – sie ist wohl in ihrem eigenen Restaurant zu Abend essen gegangen – hat ihr Profil mich eben neugierig gemacht. Meine Finger sind dummerweise auf dem Bildschirm ausgerutscht, denn als ich wieder darauf schaue, hat der fünf Jahre alte Beitrag ein rotes Herz unter dem Bild. Scheiße. Sie wird sich fragen, was für ein verdammter Versager man wohl sein muss, wenn man sich so durch das Profil einer Person wühlt, mit welcher man streng genommen gar nichts am Hut hat. Über meine eigene Dummheit seufzend lasse ich das Herz stehen, weil sie ohnehin eine Benachrichtigung dafür erhalten wird. Das Bild hat sowieso hübsch ausgesehen.

Damals war ihr Gesicht bei weitem noch nicht so reif wie heute, aber ihre Pausbacken und ihr Lächeln haben darauf nichtsdestotrotz unfassbar süß ausgesehen. Zudem hatte sie eine Koch-Uniform in einer Hand und in der anderen ein Diplom, welches ich nicht genau lesen kann. Ich nehme an, dass das ihr Abschluss ist. Was mich auf die Frage bringt, wieso sie eine Restaurantbesitzerin ist, wenn sie den Abschluss einer Chef-Köchin hat. Ich schüttle den Kopf über mich selbst, denn diese Gedanken sind einmal mehr alles andere als produktiv. Während ich versuche, sie aus meinem Kopf zu verbannen, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich pausenlos an sie denken muss. Wie ich Artikel und Bilder von ihr – von uns beiden suche – auch wenn mir immer wieder nur derjenige ins Auge springt, auf welchem wir im Restaurant des Golfclubs abgelichtet worden sind. Ich kann mir nicht erklären, wieso ausgerechnet dieses Bild für mich so wichtig ist, aber es zeigt uns, wie ich wie weggetreten dasitze und sie aufgestanden ist, wahrscheinlich um ihrem Bruder zu sagen, dass er sich wie ein Arschloch verhalten hat.

Auf anderen Bildern hat sie mein Gesicht in ihre Hände genommen und zu sich gedreht. Wir sehen so vertraut aus, dass selbst ich den Zeitungsartikeln glaube, als sie uns als Paar bezeichnen, welches füreinander gegen den Rest kämpft. Ich wünsche mir so sehr, dass wir tatsächlich so wären.

Und ich verbanne den Gedanken so schnell, wie er auch gekommen ist. Verdammt, ich habe mit dieser Frau absolut nichts am Hut. Jedes Mal, wenn wir mit irgendeinem Familienmitglied essen gehen, verliert sie danach die Nerven und ich fühle mich merkwürdig. Sie verwirrt meine Gefühle und das sollte ich nicht zulassen. Ich muss mich endlich unter Kontrolle kriegen. Ich habe ihr vor fast zehn Jahren ausdrücklich gesagt, dass ich nicht vorhabe, jemals wieder irgendetwas intimes mit jemandem zu teilen. Ich will niemanden mehr nah an mich heranlassen, geschweige denn lieben. Der Preis dafür ist mir zu hoch.

Ich sollte sie langsam daran erinnern. Genau wie auch mir selbst. Diese gespielte Beziehung wird das Ende der Saison sowieso nicht erleben, so viel ist jetzt schon klar. Mit diesem Gedanken fasse ich mich und gehe mir Pasquale zu unserer nächsten Befragung. Egal wie sehr ich den Fall auch ausgeblendet haben mag, er ist nicht abgeschlossen. Pasquales Wagen muss absichtlich beschädigt sein worden. Selbst wenn er das mittlerweile nicht mehr ist, hat er seither zusammenfassend nur schlechte Wochenende gehabt.

Für unser Team bei der Weltmeisterschaft der Konstrukteure ist das eine verdammte Katastrophe. Wenn er weiß, was genau geschehen ist, gewinnt er vielleicht einen winzigen Teil seines Selbstbewusstseins wieder zurück und fängt wieder an, normal zu fahren. Sonst kann er die nächste Saison bei einem anderen Team – wenn überhaupt – verbringen. Sein Vertrag ist im Gegensatz zu meinem noch nicht für die nächsten beiden Jahre erneuert worden. Seine Karriere steht an einer Klippe und er scheint sich selbst in den Abgrund stürzen zu wollen.

„Antwortet so wenig und so neutral wie möglich. Alles andere kann sich schrecklich auf unser Team und die Presse ausüben, ja?", holt mich Braedin aus den Gedanken.

Pasquale und ich nicken im Einklang, auch wenn wir separat zur Befragung geschickt werden. Zweimal dasselbe zu hören ist eine versicherte Naht. Ich gehe als erster und mir fällt direkt auf, dass in dem Raum nur ein winziger Tisch mit zwei Stühlen an seinen Enden zu finden ist. Einer ist schon von einem Cop besetzt, also setze ich mich an das andere Ende, während ich eine halbwegs anständige Begrüßung murmle.

„Nacer Veenstra, ja?", beginnt er und übergeht jeden Prozess der Höflichkeit. Der etwas ältere Mann dreht seinen Stift zwischen den Fingern, während eine rundliche Brille auf seiner Nase sitzt. Er schiebt sie kurz zurecht und wirft mir einen fragenden Blick zu.

„Ja."

„Sie fahren seit zwei Jahren für das Team, ja?"

„Ja", wiederhole ich. Ich hoffe, dass er weiterfährt mit Ja- und Nein-Fragen.

„Wie alt sind Sie?"

„Dreiundzwanzig."

Knappe Antworten, rufe ich mir ins Gedächtnis und widerstehe dem Drang, eine ausführlichere Antwort zu liefern.

„Wissen Sie, warum Sie hier sind?", fährt er fort, ohne auch nur die geringste Miene zu verziehen. Ich nehme an, dass erst jetzt der richtige Spaß beginnt.

„Nicht wirklich, nein."

Lüge. Natürlich weiß ich es. Aber das bedeutet nicht, dass mir auch klar ist, was er mit seinen Fragen beabsichtigen möchte. Ich bin lieber vorsichtig, als mich dann zu verplappern, wodurch dann die eigentlichen Probleme beginnen.

„Sie stehen unter Verdacht, ihren Teamkollegen – Pasquale Charpentier – sabotiert zu haben."

Mein Mund klappt auf, während ich nicht anders kann, als den Polizisten entgeistert anzustarren. Wie kommt man auf so eine beschissene Theorie? Pasquale ist mein bester Freund, fast schon ein Bruder. Ich wüsste nicht, was aus mir geworden wäre, wenn er sich nicht um mich gekümmert hätte, als ich es am meisten gebraucht habe. Obwohl, eigentlich weiß ich es doch: aus mir wäre gar nichts geworden. Ein Niemand. Ein absoluter Reinfall.

Ich hätte im Traum nicht daran gedacht, ihm zu schaden. Dass ich nun unter Verdacht stehe, ihn sabotiert haben, ist eine verdammte Schande.

„Ich habe ihn nicht sabotiert", bringe ich hervor, während ich mit meiner Fassung zu ringen habe. Am liebsten würde ich dem Kerl das Maul mit seinen doofen Papieren stopfen, auf welchen diese bodenlosen Theorien wohl stehen.

Er macht sich einige Sekunden lang Notizen. Ich habe das Gefühl, dass dieser Raum plötzlich zu klein für mich geworden ist. Ich kann hier nicht anständig atmen, es wirkt alles so klein und erdrückend auf mich. Gleichzeitig befehle ich mir innerlich, dass ich mich hier nicht zu einem idioten machen soll, weil zu hundert Prozent klar ist, dass mein Verhalten dokumentiert wird. Ich muss darauf achten, jetzt keine Dummheiten anzustellen, bevor man mich noch für derartige Theorien disqualifiziert. Das würde mir nämlich bevorstehen, wenn man die Dinge tatsächlich so hinrückt, als hätte ich Pasquale sabotieren wollen, um mir selbst zu helfen. Disqualifikation. Von der Saison und ziemlich sicher auch von der Sportart. Nach derartigen Skandalen sieht man seinen Sitz nie wieder. Und ich werde meinen um keinen Preis aufgeben.

„Können Sie beschreiben, was an dem Tag des Unfalls geschehen ist?", übergeht er meinen Kommentar. Ich verkneife mir ein Schnauben und reibe mir stattdessen über den Nasenrücken.

„Ich habe einen ziemlichen Bildriss", gebe ich zu.

„Versuchen Sie, das wiederzugeben, woran Sie sich noch erinnern können", meint er nur, auch wenn ich das jetzt schon in mehreren Befragungen gemacht habe. Wahrscheinlich prüfen sie, ob ich mir selbst in gewissen Punkten widerspreche.

Ich versuche die Szene so gut zu rekonstruieren, auch wenn mir bewusst ist, dass gewisse Schlüsselelemente fehlen, die in meiner Erinnerung zerrieseln wie Sand zwischen meinen Fingern. Mein Kiefer zuckt mehrere Male während der Erzählung, da es mich ärgert, dass ich die Bilder in meinem Kopf nicht genau kontrollieren kann. Ich erinnere mich am allerbesten an die Gefühle, welche mich in dieser Situation befallen haben. Der Schock und die Angst haben mich fest im Griff behalten. Ich werde niemals vergessen, dass ich einige Momente gefürchtet habe, ob dieser Moment sein Leben gekostet haben könnte.

Diese Angst verankert sich wieder in mir, während ich ehrlich an meinem Verstand zu zweifeln beginne. Die folgenden Fragen beantworte ich noch knapper als die vorangehenden, weil ich keine Nerven mehr für dieses Gespräch habe. Ich werde ein ernstes Wörtchen mit Braedin wechseln, wenn das hier vorbei ist, weil er ganz bestimmt wusste, was in dem Raum auf mich gewartet hat.

Und er hat nichts getan, um es zu verhindern und mich vor einer derartigen Situation zu retten.

Uunnd damit ist der Was-ist-mit-Pasquale-passiert-Fall wieder eröffnet 😬

Wie findet ihr Nacers Gedanken über Sicily?

Wie hat euch das Kapitel gefallen?

Bis zum nächsten Wochenende 🥰❤️

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