2 - Sicily

Mein Herz poltert jedes Mal etwas stärker in meiner Brust, wenn ich die Nachbarstür meiner Wohnung sehe. Pasquales Tür. Wenn ich den Schlüssel zu seiner Wohnung hätte, würde ich wenigstens seine Pflanzen gießen, weil ich weiß, wie sehr er sie liebt. Wir sind über die letzten Jahre enge Freunde geworden. Ich sehe ihn vielleicht nicht so oft, weil er viel herumreist und nicht immer zurück nach Hause kommt und ich umgekehrt auch nicht jedes Rennen live miterleben kann, aber wenn ich ihn sehe, verbringen wir immer eine wundervolle Zeit zusammen. In dieser Sommerpause haben wir eigentlich viele Pläne gehabt und ich hatte sogar vor, mir zwei Wochen freizunehmen, damit ich mit ihm ans Meer gehen kann. Jetzt überlade ich mich stattdessen mit Arbeit, damit ich nicht in Sorgen ertrinke.

Seit drei Tagen ist er im Krankenhaus. Er liegt nicht mehr im Koma, allerdings geht es ihm auch nicht wirklich gut. Sonst wäre er logischerweise wieder hier. Ich darf ihn heute besuchen, aber ich weiß nicht, ob ich mich dazu bereit fühle. Früher habe ich Pasquale für denselben Idioten gehalten wie meinen Bruder, aber mittlerweile ist mir bewusst, was für ein toller Kerl mein bester Freund ist. Ich schaffe es teilweise, mir einzureden, dass es ihm doch den Umständen entsprechend gut geht, aber ich kann mich auch nicht unendlich lange selbst anlügen. Vor allem nicht, wenn ich ihn in einem Krankenhausbett sehen werde und er keine ersichtlichen Verletzungen hat.

Ich schüttle diese Gedanken ab, schließe die Haustür ab und werfe die Schlüssel dann in meine Handtasche. Ich sollte mir eher Gedanken machen, dass ich Krankenhäuser überhaupt nicht mag, weil vor vier Jahren meine Großmutter in einem gestorben ist. Sie war die einzige Person, die meine Träume unterstützt hat und nicht die meines Bruders. Die einzige Person in der Familie, welche sonntags nicht nur Formel 1 Rennen, sondern auch Kochsendungen mit mir geschaut hat. Die mich finanziert hat, während meine Eltern das Gefühl hatten, mich finanziell von meinen Träumen lösen zu müssen, damit ich es mental ebenfalls mache. Sie hat mir praktisch ihr ganzes Erbe hinterlassen. Ich kann nicht behaupten, dass sich das Verhältnis zu meiner Familie seither verbessert hat. Mit Luciano habe ich mich einigermaßen vertragen, weil wir uns darauf geeinigt haben, nicht einer Meinung zu sein. Was nicht bedeutet, dass ich ein gutes Verhältnis zu ihm hege – es ist einfach weniger schlecht als das zu meinen Eltern.

Ich fahre mit der Metro zum Krankenhaus, wobei ich mich auf dem Parkplatz nach den teuren Autos umsehe, welche herumstehen sollten. Es dauert nicht lange, bis ich den Block der Ferraris, Mercedes' und Lamborghinis entdecke. Daneben steht beinahe schon niederträchtig ein Fiat. Ich muss nicht lange überlegen, um auf den Schluss zu kommen, dass auch Nacer in diesem Krankenhaus ist. Ich presse meine Lippen zusammen, während ich seinen betretenen Gesichtsausdruck nach dem Rennen aus meinem Kopf zu verbannen versuche. Er hat das Rennen für sich entschieden, obwohl er angeblich in einem Trance-ähnlichen Zustand gewesen ist. Ich habe Schwierigkeiten, das zu glauben, obwohl ich ihm eher abkaufe, dass er Schwierigkeiten hat diesen Unfall zu verarbeiten als mein Bruder. Der hat sich nämlich mit seiner Freundin auf das Land verzogen und golft dort, um sich seine Zeit zu vertreiben. Auch wenn sein Auto jetzt hier steht, weiß ich, dass er in den letzten Tagen komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Angeblich, um alles zu verarbeiten.

„Sicily, da bist du ja!", werde ich von meiner Mutter begrüßt, die neben Luciano in einem Sitz des Wartezimmers bequemt und eine Klatschzeitung liest. Ich bedeute ihr, die Stimme zu senken, während ich den übrigen Wartenden einen entschuldigenden Blick zuwerfe. Es ist vermutlich schon genug unangenehm für sie, dass überall Bodyguards herumstehen, da muss ich ihnen mit meiner Präsenz nicht noch zusätzliche Schwierigkeiten bereiten.

„Ja", antworte ich schließlich und lasse mich wohl oder übel auf den Stuhl neben ihr fallen.

„Wie geht es mit deinem Restaurant? Ich habe schon so lange nichts Neues mehr von dir gehört."

Eigentlich will sie nur wissen, wie lange es noch dauert, bis ich bankrottgehe. Ich habe mir zwei lokale Restaurants gekauft, aber nur von einem weiß sie, dass es mir gehört. Es ist auch gefühlt ein Ritz 2.0. Aber das ändert nichts daran, dass ich gerne gutes Essen verkaufe und ein stimmiges Ambiente liebe. Im Kontrast dazu steht der winzige Pub in einem noch viel winzigeren Winkel Londons, von welchem niemand aus meiner Familie etwas weiß. Ich mache dort unheimlich viel Geld und das mit rundum billigem Bier und einem guten Fußballspiel, welches jeweils von zwei Fernsehern übertragen wird, sodass man es aus jedem Winkel des Lokals betrachten kann. Natürlich kann ich nicht erzählen, dass das meine Taktik ist, Zuschauer anzulocken, weil es nicht sonderlich gut ankommen würde, wenn ich einen anderen Sport als die heilige Formel 1 gut reden darf. Also spare ich mir diese Informationen eben auf, bis...nun, bis ich den perfekten Zeitpunkt finde, um sie zu teilen.

„Gut", antworte ich schließlich. Ich bin nicht hier, um mich von meiner Mutter ausquetschen zu lassen, sondern weil mein bester Freund verletzt ist und ich endlich die Erlaubnis erhalten habe, ihn zu besuchen.

Mamma sieht so aus, als würde sie das gerne kommentieren, aber ich hole mein Handy hervor und beginne, die erstbesten Nachrichten zu lesen. Meine Finger verkrampfen sich zwar um das Gerät, als der erste Artikel mit von Pasquales Namen in dicken Buchstaben überschrieben ist. Ironischerweise kitzeln meine Finger jedes Mal, wenn ich darunter einen Artikel zur Formel 1 sehe. Denn ich liebe sie selbst, auch wenn ich hasse, was sie aus meiner Familie gemacht hat.

„Der nächste Besucher", sagt eine Krankenschwester laut in das Zimmer, während sie zu unserer Ecke sieht. Mein Bruder steht auf, doch sie schüttelt nur den Kopf.

„Sicily Vultaggio ist an der Reihe", spezifiziert sie, während sie mich direkt ansieht. Etwas überrascht stehe ich auf und sehe meinen Bruder schulterzuckend an. Ich folge ihr, während sie mich zu einem Raum führt...vor welchem Nacer steht. Ich spanne mich umgehend an, während ich versuche, ihn so gut wie möglich zu ignorieren.

„Sie haben zehn Minuten", informiert mich die Krankenschwester höflich und deutet auf die Zimmertüre. Ich danke ihr und drücke mich an Nacer vorbei, ohne auch nur in seine Richtung zu blicken. Zumindest versuche ich das.

Während ich die Türe hinter mir schließe, bete ich, dass Pasquale wach ist. Das ist sogar tatsächlich der Fall. Sofort beruhigt sich mein Herzschlag. Ich habe nicht einmal gemerkt, wie schnell es eigentlich schlägt.

„Oh, Pasquale!", bringe ich nur hervor, ehe ich zu ihm eile und ihm die sanfteste Umarmung gebe, welche diese Welt jemals gesehen hat. Ich möchte ihm seine Innereien nicht zerquetschen, nachdem er erst vor Kurzem von seinem Auto hätte zerquetscht werden können wie eine Traube.

„Du scheinst dich ja richtig zu freuen, dass ich nicht auseinandergefallen bin wie ein Puzzle", bringt er mühsam hervor, während seine Augen schon halb zufallen. Ich nicke mit einem sanften Lächeln. Ich merke gar nicht, wie schnell zehn Minuten vorbei sind, während ich mir von ihm den besten Klatsch und Tratsch aus dem Krankenhaus erzählen lasse. Er erwähnt kurz, dass er noch ein paar Tage hier sein muss, bis er dann entlassen werden kann. Und dass die Saison für ihn eigentlich so gut wie vorbei ist. Seine Gehirnerschütterung und der Schock würden nicht zulassen, dass er schon ziemlich bald wieder auf einer Rennbahn fährt. Nach der ersten Hälfte der Saison sind solche Unfälle anscheinend zu erwarten gewesen, weil der Druck immer grösser wurde und dadurch auch der Stress sowie auch bis zu einem gewissen Maß die Risikobereitschaft wie auch die Unfallgefahr.

Bevor ich ihn genauer dazu ausfragen kann, werde ich aber schon von der Krankenschwester auf den Gang geschickt, um Platz für meinen Bruder zu machen. Ich verspreche Pasquale nur noch schnell, dass ich wieder herkommen werde, ehe ich mich von ihm verabschiede. Auf dem Gang bleibt mir für einige Momente die Spucke weg.

Zum einen, weil das alles erstaunlich gut gelaufen ist und zum anderen, weil Nacer noch immer im Gang steht. Nur steht er nun an die Wand gegenüber gelehnt und beobachtet mich. Er scheint sich in dieser kurzen Zeit gut gefasst zu haben. Ich werfe ihm dennoch einen vernichtenden Blick zu. Mit ihm habe ich mich in den letzten Jahren definitiv nicht angefreundet.

Aber noch ehe ich mich an ihm vorbeidrücken kann, packt er mich sanft am Handgelenk und hält mich somit zurück.

„Wir müssen reden", informiert er mich mit einem ernsten Gesichtsausdruck.

Uiuiui worüber will Nacer da wohl reden 🤭🤔?

Was haltet ihr von Pasquales Lage - also dass er im Krankenhaus und eventuell die Saison (als Tabellenführer) abbrechen muss 😬?

Wie findet ihr es, dass Nacer einen Fiat besitzt, während alle anderen mit einem Sportwagen aufgetaucht sind 😂?

Ich hoffe jedenfalls, dass euch das Kapitel gefallen hat 😊

Ciao Kakao und bis bald 🥛🍫🤎

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