13 - Sicily
„Hast du Pläne für heute Abend?", fragt Nacer, der wie ein nasser Pudel in die Wohnung eingeschneit kommt. Ich sehe ihn fragend an, hauptsächlich weil mich die Befragungen interessieren, von welchen er mir heute Morgen beiläufig erzählt hat. Ich hätte meiner Meinung nach das Recht gehabt, das alles ein wenig früher zu erfahren, aber das scheint ihn nicht zu kümmern.
„Ja", lüge ich. Seit er mit seiner Truppe gestern bei mir im Silver Dreams zu Abend gegessen hat, scheint er wie ausgewechselt zu sein. Er scheint vollkommen neue Prioritäten zu haben und das letzte Bisschen seines Anstandes ist verschwunden, während er mir klar gemacht hat, dass ich mich gefälligst an unsere Abmachung halten sollte, so wie er es ebenfalls tut. Ich gehe ihm noch direkter aus dem Weg als ich es in den letzten Tagen gemacht habe, was wirklich ein Zeichen ist.
„Tja, du wirst deine Pläne ändern müssen", informiert er mich, während er seine Jacke aufhängt und die nassen Schuhe auf das Schuhbrett neben der Tür stellt.
„Nein, werde ich nicht. Du kannst nicht über mich bestimmen, Nacer."
Er schnaubt.
„Vielleicht kann ich das nicht, nein. Aber du kannst auch nicht nur dein Ding durchziehen. Wir müssen gesehen werden. Also gehen wir auf ein Date. Ich hoffe, dass du etwas Schönes anzuziehen hast. Außerdem glaube ich dir nicht, dass du Pläne hast."
Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich im Stuhl zurück.
„Woher willst ausgerechnet du das wissen?"
Er schenkt mir ein kaltes Lächeln.
„Es gibt wenige Dinge, die ich nicht weiß. Außerdem trägst du all deine Wichtigen Termine im Kalender ein. Und heute? Nichts eingetragen. Also hast du sehr wohl Zeit."
Mein Herzschlag beschleunigt sich, während mein Blut zu brodeln beginnt. Ich werde wohl anfangen müssen, meine Termine in einem anderen Kalender einzutragen als in demjenigen, welcher an der Kühlschranktür hängt.
„Was willst du überhaupt machen?"
„Essen gehen. Also zieh dir etwas Hübsches an."
„Willst du mir damit sagen, dass ich nichts Hübsches anhabe?", frage ich in einem provozierenden Tonfall, worauf Nacer mir nur einen müden Blick schenkt.
„Es ist mir verdammt egal, ob du in deinem Zitronen-Pyjama in einem Restaurant aufkreuzt, Sicily. Ich dachte einfach, dass dir dein Ruf nicht egal wäre."
Ich benetze meine Lippen, antworte allerdings nicht darauf. Dass er meine Frage absichtlich nicht beantwortet hat, ist klar wie der Tag. Dass er recht hat, ebenfalls. Ich möchte nicht wie ein Hippie dastehen, wenn wir abgelichtet werden könnten. Ich möchte gut aussehen.
Tatsächlich stehe ich eine halbe Stunde später schon bereit vor der Tür. Ich habe ein rotes Cocktailkleid und dazu passende High Heels angezogen. Um das Ganze abzurunden, trage ich darüber eine Lederjacke, falls es in der Nacht wieder etwas kühler werden sollte. Der Regen hat sich zwar gelegt, aber man kann sich bei dem Londoner Wetter eben nie sicher sein, wie es mit den Temperaturen genau steht. Nacer sieht selbst sehr attraktiv aus, als er wenige Minuten nach mir ebenfalls zur Haustüre kommt. Er hat einen klassischen Smoking an. Wir nehmen uns beide in Augenschein, aber es fallen keine Komplimente. Zumindest vermute ich das, bis ich mich zur Tür drehe, um endlich zu gehen, aber von Nacers Stimme zurückgehalten werde.
„Netter Lippenstift", sagt er. Mein Atem stockt, weil ich für einige Sekunden vergessen habe, dass meine Lippen in demselben Rot leuchten wie auch mein Kleid. Ein leichtes Lächeln legt sich über meine Lippen, während wir die Wohnung verlassen. So ist das also.
„Ich kann nicht glauben, dass du dir diesen Laden ausgesucht hast", kommentiere ich, als wir vor dem teuersten Restaurant Londons stehen. Nacer schmunzelt und drückt mir vollkommen kontextlos einen Kuss auf die Wange, einfach weil hier viele Paparazzi stehen, welche jederzeit bereit sind, ihre Kamera zu zücken. Er ist schließlich nicht die einzige Berühmtheit, welche heute Abend geplant hat, sich hier blicken zu lassen.
„Du darfst dich bei deinem Bruder bedanken."
Ich stolpere fast über meine eigenen Füße, als ich das höre.
„Was hat Luciano auf unserem Date zu suchen, Nacer?"
„Oh, nicht nur er. Deine ganze Familie ist da. Um mich richtig kennenzulernen."
Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe, versuche gleichzeitig aber auch, meine Fassungslosigkeit im Zaun zu halten. Man weiß nie, wer gerade zuhört, und ich beabsichtige nicht, morgen überall unser Familiendrama auf einer Titelseite zu entdecken.
„Sie kennen dich. Seit du ein Kind bist, um genau zu sein."
Nacer zuckt mit den Schultern.
„Ja, aber eben nicht als den Mann, mit welchem ihre Tochter ausgeht. Oder eben die Schwester. Sieh es als kleines Rendez-vous der Familie. Das tut dir bestimmt auch gut."
Ich kann darauf gar nichts antworten, weil mein Herz vor lauter Panik und Wut so kräftig pocht, dass mir der Atem fehlt. Ich kann nicht fassen, wie grausam Nacer ist. Er weiß doch, was für ein schlechtes Verhältnis ich zu dem Rest habe. Wie sehr sie meine Träume sabotieren, die meines Bruders aber unterstützen. Er weiß das alles, aber es scheint ihm einfach egal zu sein. Dass er dabei keine Witze macht, wird mir erst vollends klar, als ich den kleinen Tisch erblicke, an welchem meine Mutter, mein Vater und mein Bruder schon sitzen. Ich begrüße sie höflich, ehe ich neben meiner Mutter Platz nehme. Ihr gegenüber sitzt Papà und neben ihm Luciano. Nacer schüttelt allen die Hand, ehe er selbst an der Spitze Platz nimmt, also neben mir und Luciano. Während ich durch das Menu blättere, nimmt er sanft meine Hand in seine, sodass ich gezwungen bin, mit meiner rechten Hand zu blättern und mit der anderen seine zu halten. Es fällt mir schwer, ihn nicht mit der Karte zu verprügeln, weil er das hier alles tatsächlich für eine gute Idee zu halten scheint, aber ich reiße mich dann dennoch zusammen und lausche der Konversation, welche er mit meinen Eltern führt, mit halbem Ohr. Dass meine Familie immer wieder einen Blick auf unsere Hände wirft, entgeht mir dabei nicht, auch wenn sie es nicht explizit kommentieren.
Das Essen verläuft besser, als ich es erwartet habe. Ich schließe mich selbst von den Gesprächen aus, ehe ein Streit ausbrechen kann, sodass ich auch in Ruhe mein Lammragout mit den Spargeln essen kann.
„Wirst du Nacer zu dem Rennen begleiten, Sisi?", wendet sich meine Mutter irgendwann an mich, was mich endgültig in eine Situation bringt, bei welcher ich nicht mehr schweigen und genießen kann.
„Ich habe einen Job zu erledigen. Hier", sage ich, auch wenn mir klar ist, was kommen wird. Nachdem sie über die Karriere der beiden Herren geschwärmt haben, muss es irgendwann ja die Gelegenheit bieten, mich zu kritisieren. Luciano zieht mir gegenüber eine Augenbraue in die Höhe, was mich glauben lässt, dass er sich dazu nicht äußern wird. Dafür tut es unser Vater.
„Nun, willst du deinen Freund denn nicht unterstützen? Es ist doch jetzt so ernst mit euch beiden", meint er vermeintlich höflich, doch dass in ihm dieselbe Wut brodelt wie in meiner Mutter, ist für mich nicht schwer zu erkennen.
„Ich unterstütze ihn so gut es geht", bringe ich hervor. Dabei meide ich Nacers Blick, weil es mich nervös macht, dass ich nicht weiß, wie er auf so eine Situation reagiert. Er hat noch nie direkt erlebt, dass sie alle gegen mich spielen, was sie nun ziemlich gut meistern.
„Ach, das sagst du doch nur so, Sicilia! Du bist bestimmt nur in dem Restaurant und kochst Nudeln für dich und Telese, während er um die Weltmeisterschaft kämpft. Da könntest du vielleicht auch Prioritäten setzen."
Die Stimme meiner Mutter klingt süß wir Honig, ringt aber in meinen Ohren wie ein Feueralarm. Ich hasse es, wenn sie dabei ist, mich zu manipulieren, obwohl sie weiß, was ich davon halte. Sie alle kennen meine Meinung im Bezug auf mein Leben und ihm Bezug auf das der anderen schon. Ein kleiner Teil von mir hat gehofft, dass sie mich in Ruhe lassen würden, wenn ich mich durch die vermeintliche Beziehung mit Nacer inoffiziell an die Rennbahn binde, aber ich hätte eigentlich wissen müssen, dass sie es nur als Anlass brauchen, um mir deutlich zu machen, dass ich die Ziele in meinem Leben falsch gesetzt habe.
„Oh, Mamma, ich bitte dich! Sicily hat ihre Prioritäten schon gesetzt und sie bestehen daraus, dass sie auf sich selbst achtet und nicht auf ihre Familie! Was für einen Unterschied macht es, wenn ich fahre oder wenn Nacer fährt? Sie wird immer sich selbst an erster Stelle platzieren. Wir sollten aufhören, so viel Hoffnung in einen Sinneswandel von ihr zu stecken, denn dieser wird offensichtlich niemals erfolgen. Nicht dank mir, nicht dank ihrem besten Freund und auch nicht...auch nicht dank Nacer, was auch immer zwischen den beiden laufen mag."
Natürlich hat er recht, dass ich nicht vorhabe, meine Zukunft für Nacer zu opfern, aber gleichzeitig schmerzt es, dass er das alles wie einen so schlimmen Fehler darstellt. Er macht auch, was er liebt, aber keiner hält ihm eine Moralpredig darüber.
Stille breitet sich über den Tisch aus, während ich mich in dem Schmerz suhle, an welchen ich mich eigentlich schon längst gewöhnt haben sollte. Der Rest lässt deutlich werden, was für eine Enttäuschung ich bin, während ich nicht sagen kann, was Nacer denkt. Er äußert sich aber auch nicht. Er steht weder auf ihrer Seite noch nimmt er mich in Schutz. Ich sehe auch nicht in seine Richtung. Ich starre nur noch auf meinen Teller, während ich mich darauf konzentriere, nicht in Tränen auszubrechen.
Dass dieses Essen sich für mich einmal mehr in ein Desaster entwickelt hat, ist kein Wunder. Keine Neuigkeit. Aber der Schmerz wird wohl für immer mit derselben Wucht zurückkehren und mich übermannen, sobald ich damit konfrontiert werde.
Ich kann nicht wiedergeben, was nach diesem Gespräch diskutiert wird, weil ich mich weder psychisch noch physisch daran beteilige. Ich möchte nur nach Hause gehen, weshalb ich auch schwindle, Kopfschmerzen zu haben und auf ein Dessert verzichte. Nacer behauptet, so viel gegessen zu haben, dass er in seinem Magen keinen Platz mehr hat, sodass der Rest schließlich auch nicht mehr Lust hat, etwas zu bestellen. Ich schaffe es gerade noch, mich bei Luciano zu bedanken, weil er das Essen bezahlt hat und alle flüchtig zu umarmen, ehe ich mit Nacer im Schlepptau verschwinde.
Was haltet ihr von Sicilys Familie 🤔😬?
Hat euch das Kapitel gefallen?
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende und wir lesen uns bald wieder 💖
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