Kapitel 08*

Nach zehn Minuten waren scheinbar alle eingetrudelt. Ein blondes Mädchen setzte sich neben mich. Sie schien wie eine der typischen Blondinen mit der hellsten Haut, auch wenn sie hübscher war. Doch als sie mich vorsichtig anlächelte, war sie mir gleich sympathischer. Dass ich auch immer Vorurteile hegen muss.

»Ich bin Jennifer«, stellte sie sich vor, und auch ich nannte ihr meinen Namen. Ihre Stimme war hell und zart, irgendwie leicht. »Glaubst du, man könnte die Fenster einschlagen?«

Erstaunt schaute ich zu ihr. mit dieser Direktheit hatte ich nicht gerechnet. »Das habe ich auch schon überlegt.« Ich seufzte. »Allerdings ist es egal, denn es sind zu viele Wächter unterwegs.«

Sie neigte den Kopf. »Du bist Blaublüterin.«

Wieder war ich erstaunt. »Woher weißt du das?« Sie nahm meinen Arm und zeigte auf meinen Handrücken.

»Oh Gott, das habe ich gar nicht bemerkt!« In meinem Handrücken waren zwei Schnitte in Form eines Vs gemacht wurden. Blau schimmerte durch die Risse in meiner Haut und ich sog die Luft ein. Wie konnte ich das nicht bemerken?

»Ich habe es zuerst auch nicht bemerkt«, sagte sie und zeigte mir ihre Hand. Bei ihr schimmerte ein Permanentgrün durch. Jennifer war also Grünblüterin und konnte Worte manipulieren, das Gegenstück zu meiner Gabe. »Wie seltsam«, murmelte sie.

»Vielleicht haben sie das zur Erkennung getan?«

Sie nickte. »Das macht Sinn.«

Der letzte Schüler, der eintrat, war ein bekanntes Gesicht: Jake, der Junge, mit dem ich mich im Van unterhalten hatte. Er suchte einen freien Platz, als er mich sah, lächelte er, und setzte sich ans Fenster. Der hochgewachsene Mann vorn ließ seinen Blick über uns schweifen, dann schloss er die Tür. »Ich bin Mister Mendes«, stellte er sich mit einer tiefen Stimme vor.

Ich hasste ihn augenblicklich. Ich wollte wirklich keine Vorurteile hegen, aber ich hatte auch einen Sinn für Böses. Und er war böse, definitiv.

»An euren Gesichtern lese ich schon die Frage ab: Was passiert hier? Ich werde euch lehren, wie ihr eure Magie unterdrücken könnt, sodass ihr nicht mehr in der Lage sein werdet, sie zu nutzen, selbst wenn ihr es euch noch so sehr wünscht. Das mag zunächst fragwürdig klingen, aber ich kann euch versichern, dass das alles Sinn machen wird. Wenn euch die Unterdrückung gelingt, werdet ihr normal sein können. Und wisst ihr, was das heißt?« Er machte eine Pause und seine Miene verdunkelte sich. »Dann seid ihr kein Abschaum mehr.«

»Wie wollen die es schaffen, unsere Magie zu unterdrücken?«, fragte Jennifer neben mir leise. Sie verzog das Gesicht bei dem Wort Magie genauso wie ich. Ich wusste nicht wieso, aber das, was ich konnte, traf Magie nicht. Es war ... anders.

Ich zuckte mit den Schultern und unterdrückte ein abwertendes Zischen. »Die sind doch sowieso bescheuert.«

»Danke«, sagte Mendes ironisch und schaute in meine Richtung. »Willst du deine Aussage erläutern?«

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Natürlich hatte er es gehört. »Warum versuchen Sie, uns zu normalisieren, wenn Sie uns auch einfach töten könnten?« Die Option drei, uns einfach in Frieden leben zu lassen, schien wohl zu abwegig für ihn, sodass ich sie nicht benannte.

Mendes lächelte. »Ich bin doch kein Barbar.«

»Ach nein? Wieso bin ich dann hier?« Ganz dünnes Eis, Alepin.

Sein Lächeln vertiefte sich. »Wie heißt du?«

»Alepin Vason.« Eine kurze und knappe Antwort.

Er nickte. »Gut, Alepin Vason. Was, wenn ich dir sage, dass wir einen Weg gefunden haben, dich zu normalisieren und dein Blut für immer zu färben, sodass du ganz normal sein kannst? Wieso sollten wir dich, wenn es doch einen anderen Weg gibt, töten?«

Na schön, ich würde es mit Option drei versuchen. »Dann würde ich sagen, dass ihr Rassisten seid, die mich in meiner Selbst zu unterdrücken versuchen, die mir vorschreiben wollen, wer ich zu sein habe und die mein wahres Ich verbergen wollen.« Ich war ja selbst von meinem Monolog begeistert. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Jennifer gequält die Augen schloss. »Was ist denn an Magie - wie Sie es so schön nennen - verkehrt?« Das Eis knirscht unter meinen Schritten.

»Was an Dämonen verkehrt ist?«, fragte er zurück. Ich biss die Zähne aufeinander. Unbewusst hatte ich mich vorgebeugt und nun ließ ich mich wieder zurückfallen, der Unglaube durchfuhr meinen ganzen Körper. Ich gab ihm keine Antwort, auch wenn seine Augen um eine verlangten.

Ein Klingeln ließ mich zusammenfahren. »Da ihr recht spät eingetroffen seid, konnten wir leider nicht die ganze Stunde nutzen. Ihr könnt jetzt wieder eure Räume aufsuchen.«

Als ich Jennifer anschaute, schüttelte sie den Kopf. »Ich würde mich nicht mit ihm anlegen«, riet sie mir und ich nickte ergeben.

Als ich an Mendes vorbeilaufen wollte, packte er mich am Arm, obwohl ich bedacht darauf war, ihn keines Blickes zu würdigen. »Ich rate dir, deine Zunge zu hüten« - er schaute auf meine Hand - »Miss BlaublutUnd das Eis gibt nach, bricht unter meinen Füßen weg.

Ich riss mich von ihm los und stürmte aus dem Raum, doch natürlich musste ich gegen jemanden stoßen. Wer sonst, außer Jake, würde draußen auf mich warten und mich belustigt angrinsen? Ich hatte nicht die Nerven zum Lachen. »Was?«, fauchte ich.

»Mach mal halb lang«, sage er, als ich mich an ihm vorbei drücken wollte. »Ich wollte dich fragen, ob wir zusammen die Türme erkunden.«

»Da bin ich dabei«, sagte die Stimme Jennifers zu meiner linken.

»Ihr wollt allen Ernstes die Türme erkunden?« Ich wollte mich aus dem nächsten Fenster schmeißen.

»Naja«, Jake senkte seine Stimme, »vielleicht finden wir ja einen geheimen Ausgang.«

Das war ein Argument. Mein Blick blieb an einem verweinten Mädchen kleben. Als Jennifer meinem Blick folgte, schien ihre Laune sofort im Keller zu sein. Die erdbeerblonden Haare des Mädchens glänzten wie ihr tränenverschmiertes Gesicht und ich meinte, auch Tränen in Jennifers Augen zu sehen.

Als uns das Mädchen sah, schaute sie uns völlig verdattert an und hörte augenblicklich auf zu weinen. Stattdessen machte sie sich hastig von dannen. Hastig rannte sie die Treppen hoch und im Flur hörte man erneut Schluchzer widerhallen.

»Sie hat mich so sehr an meine kleine Schwester erinnert«, hauchte Jennifer. »Ich höre noch immer ihr Gekreische, als mich die Wächter durch unser Haus gezerrt haben. Ich träume nachts von ihrem Schrei, als sie mir die Spritze in meine Schulter gerammt haben.«

»Das tut mir leid«, sagte ich. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich sie aufmuntern sollte.

»Wir könnten die Türme erkunden und du erzählst uns ein wenig über deine Schwester, ja? Womöglich kannst du so den Schmerz an die Erinnerung verarbeiten.« Jake war voller Ideen.

Der Klassenraum lag ganz oben in einem Turm. Und den liefen wir langsam hinunter. Der Turm war aus dunklem Stein, genau wie die Treppen. Aber der Turm sah hübsch aus, trotz der Düsternis. Fenster waren nirgends. Aller dreißig Stufen kamen wir in ein neues Geschoss, in denen sich mehr Wächter als Buntblüter aufhielten. Ich fühlte mich wie in einem Gefängnis und im Grunde genommen war es das auch.

»Denise hat seidiges Haar im hellen Braun. Die Leute sagen, sie ist mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Aber sonst haben wir nichts gemeinsam. Weder der Rest ihres Aussehens, ihrer Größe oder ihrem Kleidungsstil. Sie liebt Sherlock Holmes - sie steht auf Detektivarbeit, hört gern klassische Musik und« - sie stockte für einen Moment - »hat rotes Blut. Mein Vater sagte immer, ich sollte mich nicht verstecken, das ist keine Lösung. Aber ich tat es dennoch, und Denise bereitete mir Gesellschaft. Sie war meine einzige Freundin.«

Die Sache mit den Freunden war schwierig, wenn man sich immer nur versteckte, da sprach ich aus Erfahrung. Und ich wusste, welcher Schmerz auf ihrer Seele lag. Ich konnte ihre Trauer fühlen.

»Mein Vater sagte immer das Gegenteil«, meinte ich. »Verstecken ist mein Schlüssel zum Überleben.« Ich schüttelte den Kopf.

»Und Jake, was hat dein Vater immer gesagt?«, fragte Jennifer ganz beiläufig.

Seine Miene wurde düster. In seinem Blick lag größerer Schmerz. Größer, als ich ihn erlebt hatte. »Was ist passiert?«, fragte ich leise.

»Mein Dad ist nach der Scheidung meiner Eltern nach Washington gezogen, wo er einen Mann geheiratet hat. Auch meine Mom heiratete wieder, blieb aber mit mir in Dallas. Ich habe meinen Vater so gut wie nie gesehen, bis -« Er schloss die Augen, bevor er weiter sprach: »Ihr Mann hasste mich. Er hatte mehrmals versucht mich umzubringen - wegen meinem Blut. Ich erzählte meiner Mutter davon, doch sie glaubte mir nicht. Aber ich konnte mich immer gut gegen ihn verteidigen, ich hatte ja die Gabe.

Doch eines Tages ging es zu weit ... Während er mir die Luft abdrückte versuchte er, mich aus dem Fenster im obersten Stock zu schubsen. Ich konnte mich kaum gegen ihn wehren, ich konnte mich nicht richtig konzentrieren. Ich hatte zu wenig Luft. Als er seinen Griff für eine winzige Sekunde lockerte ... da brachte ich ihm zum Taumeln. Er krachte gegen ein Regal. Dann rannte er auf mich zu und ich sprang zur Seite. Er fiel und konnte sich nur am Fensterrahmen halten. Er streckte mir die Hand hin, flehte mich an, ihm zu helfen, aber ich konnte nicht ... Er fiel hinab.« Wieder schloss er die Augen, doch öffnete sie nicht wieder. »Er überlebte nicht. Und nur drei Tage später fand man meine Mutter in ihrem kaputten Auto gegen einen Baum gefahren. Tot.«

»Das ... tut mir leid«, sagte Jennifer und schaute mich hilfesuchend an, doch ich wich ihrem Blick aus.

»Ich zog zu meinem Vater und seinem Mann nach Washington. Ich kam mit ihnen nicht klar. Aber das machte auch nichts, denn kurz darauf landete ich auch schon hier.«

»Jake«, sagte ich, »wenn du in Washington gelebt hast, musst du bei Tryans Gala gewesen sein, nicht wahr?« Ich war nie gut im Mitegfühl zeigen, also versuchte ich eben, das Thema umzulenken.

»Witzig«, sagte er trocken. »Ich hab versucht, mein Blut zu färben. Hat offensichtlich nicht funktioniert. Wie bist du reingekommen?«

»Ich habe das Blut meiner Eltern gemischt. Ich bin nur dank einer ... Freundin reingekommen. Aber das Gemisch hat so oder so nicht funktioniert. Sie haben es erkannt.«

Seine Antwort war ein Summen in meinen Ohren. Ich betrachtete die schmutzigen Wände, während Jennifer und Jake schon längst kein Interesse mehr an dem Gebäude zeigten. Schwarze Spuren, die vermutlich schon seit Ewigkeiten dort weilten, fanden sich immer wieder an den Wänden wieder. Die Spuren hat man nicht mehr abbekommen, vermutete ich.

Mittlerweile waren wir so weit nach unten gelaufen, dass es noch dunkler wurde. Die einzige Lichtquelle der einzelnen Etagen verschwand, wir waren im Keller angelangt - zumindest war es die einzige Erklärung. Und obwohl es dunkler wurde, wurde mir klar, dass die schwarzen Spuren an den Wänden dunkelrot waren. Ich blieb stehen, legte meine Kopf schief und betrachtete einen der größeren Flecken. Ich streckte meine Hand aus, als wollte ich ihn berühren, doch ich ließ sie wieder sinken. Und tatsächlich schimmerten die Flecken rot. »Sagt mal, ist das Blut?«

Jennifer und Jake, die neben mir zum Stehen gekommen waren, musterten die Flecken an den Wänden nun ebenfalls.

»Es ist ... rot«, stellte Jennifer fest und kniff ihre Augen zusammen. »Wieso klebt rotes Blut an den Wänden?«

»Als würde es nicht reichen, dass schon Blut an den Händen der Wächter klebt«, murmelte ich und der Gedanke, dass das Blut von Wächtern stammte, erfasste mich mit einer Genugtuung, die mich mutig werden ließ. »Was glaubt ihr, wie es hierher gekommen ist?«, fragte ich.

»Äh«, kam Jakes äußerst hilfreiche Antwort. Als ich ihn anblickte, sah ich, dass er nach unten schaute und mein Blick folgte seinem. Eine schneeweiße Tür lag am Ende des Ganges.

Jennifer trat die letzten Stufen hinunter. »Betreten verboten«, las sie das Schild, welches an der Tür hing und grinste. »Wer will wissen, was dahinter liegt?«

»Wir sollten umkehren«, meinte ich und dachte an Alex, der das sicher gefallen würde.

Jake wog ebenfalls die Möglichkeiten ab und schritt letztendlich auf Jennifer zu. Ich stöhnte und obwohl ich kehrt machen wollte, lief ich auf sie zu. »Wenn das Betreten verboten ist, wieso sollte die Tür zu öffnen sein?«, gab ich meine Bedenken preis. »Das wäre äußerst unverantwortlich.«

»Ein Versuch ist es wert.«

Mit diesen Worten drückte Jennifer die Klinke runter und rüttelte an der Tür, die sich doch tatsächlich öffnen ließ. Jennifer quiekte leise, Jake blickte überrascht drein und ich schaute über meine Schulter, um nach Gefahren Ausschau zu halten. Sie hatten die Tür nicht abgeschlossen? Jennifer zog weiter an der Tür und öffnete sie ganz.

Ihr Gesicht wurde aschfahl, als sie erkannte, was sich hinter der mysteriösen Tür verbarg.

***

Was fängt mit C an und hört mit liffhänger auf?

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