Kapitel 07*
»Mach schon!«
Wir wurden aus dem Van getrieben, wie wilde Hühner in den Stall. Eine Schar Wächter (zumindest sagen sie aus wie Wächter) hielt Wache und ich konnte die Pistolen sehen, die an ihren Gürteln hingen. Einige hielten sie in der Hand, jederzeit bereit, loszuschießen.
Von einer Wächterin wurde ich am Arm gepackt und grob in eine Richtung gezogen. Ich blinzelte einige Male, bis ich mich an die Sonne gewöhnt hatte, die in mein Gesicht schlagen zu schien und warm auf meiner Haut prickelte. Ich roch den Duft von Blumen im Frühling und Moschus. Der schwarzhaarigen Frau torkelte ich nur unbeholfen hinterher, denn meine Absatzschuhe hatte ich wieder angezogen. Ich wehrte mich zwar nicht, aber das änderte nichts daran, dass ich hier jeden einzelnen hasste. Zumal sie mir wohl den Arm abreißen wollte, so wie sie daran zerrte.
Ich hob meinen Blick und mein Atem stockte. Vor uns erstreckte sich ein riesiges Haus - nein, es glich einer Burg. Keine mittelalterliche Burg, deren Tor man hinunter fahren musste - im Gegenteil: es sah eher so aus, als ob man eine historische Baute nachahmen wollte - aber sie war groß und hatte Türme. Sie war weiß, hatte präzise silbergraue Ornamente, verdammt viele Gitter und Zäune vor den Fenstern und einen großen Garten, dessen Gras in einem schmutzigen Lindengrün. Um das Gebäude verteilt standen mehr Wächter, als ich je gesehen hatte und jeder einzelne betrachtete uns mit Argusaugen.
Ich ahnte, dass sie mich in die Burg hinein schleppen würde. Und ich ahnte auch, dass mir in dieser mehrere Buntblüter entgegen kommen würden. Mein Unbehagen wurde größer, auch wenn ich glaubte, heute nicht mehr zu sterben. Was machte ich also hier? Es war definitiv kein Gefängnis, auch wenn ich sicher eine Weile suchen müsste, ehe ich einen Fluchtweg fand.
Vor der weißen Pforte aus Stein kamen wir zum Stehen. Die Wächterin rührte sich nicht, genauso wenig wie die, die ebenfalls warteten. Noch nie hatte ich so viele Buntblüter auf einmal gesehen - zumindest glaubte ich das, schließlich kannte ich nicht die Blutfarbe jedes einzelnen Menschen, dem ich je begegnet war. Keines der Gesichter vor mir kam mir auch nur vage bekannt vor. Die hinter mir waren mit mir zusammen im Van gewesen.
»Hör auf zu zappeln!«, meckerte die Wächterin und ich bemerkte, wie ich unruhig auf der Stelle wippte. Ich biss mir auf die Unterlippe, um eine bissige Bemerkung zu unterdrücken. Ich würde sie nicht noch mehr provozieren wollen, sie war bereits gereizt genug.
Als sich etwa vierzig Buntblüter, inklusive Wächter, versammelt hatten, öffnete ein dicker Mann die Tür. Wieder wurde ich durch die Gegend geschubst, als wäre ich nicht mehr wert, als ein Sack Mehl, doch diesmal schlug ich ihre Hand weg und lief selbstständig weiter. Sie murrte, aber als sie sah, dass ich nicht im Begriff war wegzurennen, wanderte ihre Hand drohend zu ihrer Pistole. Wir brauchen sie lebend, hallte es noch immer in meinem Kopf wieder. Für was brauchten sie uns lebend? Wollten sie unser Blut klauen? Nein. Tryan war vielleicht ein Heuchler, aber Buntblüter hassen tat er allemal.
Ich schritt die grüne Wiese entlang, geradewegs auf das burgähnliche Anwesen zu. Die meisten Blumen unter meinen Füßen waren, wie der gesamte Rasen, zertrampelt. Aber die Blumen, die noch standen, umging ich geschickt. Ich hatte das Gefühl, die Wärterin würde extra auf die Blumen treten.
Letztendlich kamen wir vor einer geöffneten Tür an. Statt dass wir erneut stehen blieben, gingen wir direkt hinein. Entgegen meiner Erwartung sah es recht gemütlich aus. Ich meine, es hatte nichts gefährliches. Die Wände waren lindgrün gestrichen. Das einzige, was wirklich gruselig war, war ein Mann in den Vierzigern, der mitten im Raum stand. Sein Dasein und seine Ausstrahlung machte mir keine Angst, aber er lächelte breit. Und es war kein falsches Lächeln, er schien sich wirklich über unsere Ankunft zu freuen.
»Willkommen auf der Buntblüter Org., eine Schule für euch«, rief er in den Raum hinein. »Das Org steht für Organisation.« Was Sie nicht sagen.
Unter anderen Umständen hätte ich eine Bemerkung gemacht, dass Buntblüter Org. ein bescheuerter Name für eine Schule war. Stattdessen erstarrte ich. Eine Schule für uns? Für uns Buntblüter? Diesen Ort von Schloss war kein Ort, in dem man eine Schule eröffnete. Ich empfand seine Worte als äußerst unangenehm.
Er fuhr fort: »Hier lernt ihr, mit eurer Magie umzugehen.« Also standen sie für uns ein und wollten, dass wir unsere Gabe besser kontrollieren lernten? »Und ganz wichtig: wie ihr sie unterdrückt, bis sie nicht mehr an die Oberfläche kann.« Gut, ich wischte meine Überlegungen beiseite - sie waren ja doch falsch.
In meinen Gedanken fasste ich die Geschehnisse der letzten Stunden zusammen: Nachdem meine Eltern und ich gezwungen waren, auf Paul Tryans Gala zu erscheinen, heckte ich einen miesen Plan aus. Vorort schlug dieser fehl und ich wurde, gemeinsam mit anderen Buntblütern, gefangen genommen. In einem Van wurden wir auf die Buntblüter Org. geschickt, in welcher wir lernen sollten, unsere Magie abzulegen. Es hörte sich lächerlich an und ich schwor mir, und zwar in diesem Moment, dass ich mir nie wieder einen Plan einfallen lassen würde. Nie wieder.
»Ihr werdet gleich in eure Zimmer geführt.« Es wurde immer schlimmer. »Dort wird bereits euer Mitbewohner oder eure Mitbewohnerin auf euch warten ... oder auch nicht.«
Innerlich übergab ich mich. Ich wollte nachhause zu meinen Eltern. Ich wollte nicht, dass man mir meine Gabe nahm und auch wollte ich nicht hier bleiben. Unter keinen Umständen würde ich in diesem Loch verrotten.
An einer Uhr an der Wand erkannte ich, dass es zwölf Uhr dreißig war. Passend dazu, knurrte der Magen eines Mädchens neben mir. Es weinte und ihr Haar war völlig zerzaust. Dem Mädchen neben mir liefen stumme Tränen über die Wange. Sie hinterließen eine schwarze Mascaraspur.
»Dort findet ihr euren Stundenplan und die Goldenen Regeln vor.« Verband er das mit Moral? Die Goldene Regel besagte, genau das alles hier sein zu lassen. Oder wollte er etwa, dass man das mit ihm tat? Ihn entführte? »Die wichtigste Regel: Keine Magie.« Er lächelte. Natürlich. Weiter klärte er uns nicht auf. Ich hatte nicht einmal Zeit, mich an die neue Umgebung zu gewöhnen, denn sogleich wurde ich auch schon durch das Gebäude geschubst.
Ich lief eine steinerne Wendeltreppe hinauf, die mich doch an ein altes Gebäude denken ließ. Der Turm war düster gehalten und nur die Abbiegungen in ein Stockwerk erhellten den Gang mit Licht. Im vierten Stock und wurde ich in so einen Gang gedrängt. Der war knallgelb, die Türen lila, der Boden quietschgrün. Es erinnerte mich an einen bunten, hässlichen Kindergarten. Vor der dritten Tür links mit der Aufschrift D25 machte die Wächterin Halt.
Das Zimmer hinter der Tür war zwar klein, aber es passte alles hinein. Ich trat ein und dachte zuerst, der Raum sei gespiegelt. Auf der linken Seite stand alles das, was auch auf der rechten stand - nur eben spiegelverkehrt. Wie ein Hotel, nur weniger gemütlich: Zwei Betten, zwei Schränke und ein Tisch. Alles in hellem Braun. Hinter mir knallte die Tür zu - die Wächterin war verschwunden. Zu meiner Rechten befand sich noch eine Tür und als ich sie öffnete, verbarg sich ein kleines Badezimmer dahinter. Ich schloss die Tür wieder und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich muss raus hier.«
Ich zog die Vorhänge der beiden Fenster zur Seite. Man konnte sie nicht öffnen; sie waren nur dicke Gläser in der Wand, ohne Griff, ohne Rahmen. Ein wenig faszinierte es mich. Nur ein kleines Fenster über den Gläsern ließ sich öffnen, damit wenigstens etwas Luft hier rein kam. Doch da würde ich niemals durchpassen. Möglicherweise könnte man die Scheiben einschlagen, allerdings würde ich mir alle Knochen brechen, wenn ich hinuntersprang. Ich könnte mich hinabseilen, aber es standen so viele Wächter rundherum, dass ich unmöglich unentdeckt davon kam. Ob sie nachts ebenfalls dort standen?
Ich drehte mich zurück und mein Blick fiel auf ein umgemachtes Bett, das - wie der Rest der Möbel auch - ebenholzfarben war. War das Mädchen, mit dem ich mir ein Zimmer teilen sollte, bereits im sogenannten Unterricht? Da fiel mir ein, dass hier ein Stundenplan und die ach so Goldenen Regeln liegen sollten.
Auf dem Tisch lagen zwei Zettel. Der eine trug die Überschrift Goldene Regeln. Auf ihm war mein Name und mein Blutstatus notiert. Alepin Vason, Blaublut, Typ-E. Gewöhnliche Hausregeln, die eine gewöhnliche Schulumgebung vermitteln sollten. Doch darauf fiel ich nicht herein. Dennoch ließ mich die letzte Regel lachen:
34. Keine Magie außerhalb des Unterrichts und ausschließlich, wenn ausdrücklich darum gebeten wird.
Unterricht. Ich war noch immer verwundert, was dieser Unterricht zu bedeuten hatte. Deswegen legte ich die Regeln beiseite und zog das zweite Blatt zu mir: Stundenplan. Auch hier war mein Name sowie meine Blutfarbe notiert. Auf den ersten Blick sah es tatsächlich aus wie ein ganz normaler Stundenplan: Die Tage von Montag bis Freitag in Spalten sowie Tageszeit. Sie hatte zwei Zeilen: Morgenunterricht und Nachmittagsunterricht. Ich bezweifelte, dass mir Mathe unterrichtet werden würde. Allerdings verstand ich die Abkürzungen nicht, die mein Unterricht darstellen sollte:
Montag Morgen: H
Montag Nachmittag: V
Dienstag Morgen: V
Dienstag Nachmittag: K
Mittwoch Morgen: K
Mittwoch Nachmittag: V
Donnerstag Morgen: V
Donnerstag Nachmittag: /
Anmerkung: B ab 13 Uhr
Freitag Morgen: H
Freitag Machmittag: K
Ich runzelte die Stirn. Erneut schaute ich aus dem Fenster und überlegte, was ich jetzt denken sollte. Dann wanderte mein Blick wieder durch das Zimmer. Über dem umgemachten Bett hing ein weiterer Stundenplan.
Name: Rory Dunn
Blutstatus: Lilablut, Typ-F
Mit Rory teilte ich mir wohl das Zimmer. Ihr Stundenplan war ganz ähnlich aufgebaut wie meiner.
»Hallo?« Ich zuckte zusammen und fuhr herum. In der Tür stand ein dunkelhäutiges Mädchen mit schwarzen, dichten Haaren. Ihre Augen waren so hellblau, dass es gar nicht in ihr dunkles Erscheinungsbild passte. Sie trug ein gelbes Hemd und eine blaue Jeans.
»Hallo«, begrüßte ich sie. Mein Blick glitt zum Stundenplan, dann wieder zu ihr. »Bist du Rory?«
»Aye«, sagte sie und lächelte schief. Schottin. »Und du musst meine neue Mitbewohnerin sein.«
»Alepin«, stellte ich mich vor. »Kannst du mir sagen, wofür die Buchstaben stehen?«, fragte ich und zeigte auf ihren Stundenplan.
Sie nickte und trat näher. »H steht für Herkunft, K für Kontrollieren, V für Vernichten und das B für Blutabnahme.«
Ich hob die Brauen. »Wie lange bist du schon hier?« Eigentlich wollte ich die Antwort nicht wissen.
Noch immer umspielte ein kleines Lächeln ihre Lippen, aber ihre Augen wirkten betrübt. Automatisch hatte ich das Bedürfnis, sie zu trösten. »Eine Weile. Willst du das anlassen?«
Ich schaute an mir herunter. »Ich habe nichts anderes dabei.« Und ich hatte weitaus größere Sorgen als ein schickes Kleid und unbequeme Schuhe. Sie schritt zu einem Kleiderschrank, vermutlich meinem und öffnete ihn. In ihm hingen und lagen Kleidungsstücke, die ... mir gehörten. Mit schnellen Schritten war ich bei ihr angelangt und schaute mit großen Augen und offenem Mund in den Schrank. »Die Bastarde waren bei mir zuhause?«
»Bei jedem«, flüsterte sie.
Nachdem ich mich umgezogen hatte und wieder meine heißgeliebte Lederjacke trug, zog mich Lory durch die Gänge. Wahrscheinlich würde ich mir den Weg niemals merken, aber das hatte ich auch nicht vor. Ich wollte so schnell wie möglich verschwinden. Auf dem Weg kamen uns weitere Buntblüter entgegen und an jeder Ecke lauerten Wächter. Ich bemerkte, dass niemand älter als achtzehn schien. Und das sagte ich Lory auch.
»Manchmal«, flüsterte sie, »bringen sie Erwachsene hierher. Aber sie verschwinden nach und nach und keiner weiß, wohin sie gehen. Sie kommen niemals zurück.«
»Glaubst du, dass sie einfach gehen? Dass sie einen Ausweg gefunden haben?« Das glaubte ich nicht, aber ein Hoffnungsschimmer war gut zu gebrauchen.
Sie schüttelte den Kopf. Mehr brauchte sie nicht zu sagen, damit ich verstand. Wir blieben vor einer offenen Tür stehen. In dem Raum waren Tische und Stühle aufgestellt, einige Mädchen tummelten sich schon darin. Einige erkannte ich aus dem Van wieder, mit dem Unterschied, dass nun keiner mehr lachte. Überhaupt war die Stimmung düsterer, als ich sie je erlebt habe.
»Deine Nachmittagsstunde.« Mit diesen Worten nickte sie mir aufmunternd zu und verschwand hinter einer Ecke. Vorsichtig betrat ich den Raum. Ich blieb stehen und schaute mich um.
Ein großer Mann mit braunem Haar musterte mich und mir wurde unwohl. »Setz dich«, sagte er in einem falsch-freundlichen Ton.
Ich setzte mich in die hinterste Reihe und verschränkte meine Arme. Als erstes überprüfte ich, ob sie Fenster hier zu öffnen waren. Natürlich nicht. Anders als in normalen Klassenzimmern, waren außer Tischen und Stühlen nichts weiter. Keine Tafel. Nur ein Haufen Hoffnungslosigkeit.
***
Das Problem an der Sache mit dem Updaten ist, dass ich zwar viele Kapitel geschrieben habe, mir aber die Lust fehlt, diese zu überarbeiten :/
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