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«Keine Ahnung», ruft Gina genervt. «Ich habe das Vieh nicht gesehen.»
Sie versteht die Liebe zwischen Bianca und mir nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist eifersüchtig, weil wir wie Pech und Schwefel zusammenkleben. Was sie natürlich nie zugeben würde.
«Hör mal, Bruder. Ich habe ein heisses Geschäft für dich.»
Murat mustert mich.
«Ich bin ganz Ohr», sage ich neugierig und beuge mich vor. Geschäfte mit Murat haben mir bisher immer viel Kohle eingebracht. Er sieht zu Gina rüber, dann wieder zu mir und zieht die Augenbrauen hoch.
«Du kannst vor ihr frei reden!»
«Es sollte besser keine Mitwisser geben ...»
«Sie ist meine Schwester, sie kann es hören!», wiederhole ich nachdrücklich. In der Sekunde, als ich diese Worte ausspreche, frage ich mich nicht zum ersten Mal, ob ich Gina wirklich vertrauen kann. In der Vergangenheit hat sie mich manchmal um Geld erpresst. Doch ich habe ihr verziehen und noch eine Chance gegeben. Ich hoffe, sie verdient das. Für uns beide.
«Wenn du meinst», antwortet Murat zögernd.
Gina bringt uns den Kaffee und setzt sich zu uns. Murat sieht sie mit zusammengekniffenen Augen an. Sie erwidert ungerührt seinen Blick. Beide liefern sich ein tödliches Blickduell.
«Sorry Bruder, aber ich traue ihr nicht!»
Ginas Augen werden schmal.
«Junge, sei keine Memme. Sie ist meine Schwester und tanzt nach meiner Pfeife, kapiert?», fauche ich.
Gina schnaubt empört und fixiert nun mich mit ihrem Todesblick. Ich blinzle ihr zu. Sie soll gefälligst mitspielen, sonst geht mir ein fettes Geschäft durch die Lappen. Sie scheint mich zu verstehen. Mit einem zuckersüssen Lächeln wendet sie sich Murat zu.
«Du kannst mir hundertprozentig vertrauen. Ich würde niemals etwas tun, was meinem Bruder schadet», sagt sie mit sanfter Stimme. So hat sie bereits als Kind geredet, wenn sie etwas wollte.
«Na gut.»
Murat gibt nach, löst seinen Blick von ihr und sieht mich an.
«Es geht um ein paar Autos, die frisiert werden müssen.»
«Also reden wir von gestohlenen Autos?»
Murat sieht sich hektisch um.
«Keine Sorge, da ist niemand.»
Er nickt mir kurz zu.
«Wie stellt ihr euch das vor?», frage ich.
«Du bekommst regelmässig fette Karren geliefert. Dazu suchst du dir einen passenden Unfallwagen, frisierst die Lieferung und verkaufst hier quasi einen Neuwagen und einen Haufen gebrauchter Teile.»
«Moment - ich soll die hier verkaufen? Bei mir? Woher kommen die Karren überhaupt?»
«Bruder, das hat dich nicht zu interessieren. Du stellst keine Fragen und behältst dafür fünfzig Prozent. Wie hört sich das für dich an?»
«Hm», murmle ich. «Ich brauche Verstärkung. Mit meinen Jungs kann ich das nicht machen. Ich kann nicht für sie garantieren. Ausserdem muss das Tagesgeschäft weiterlaufen, sonst fallen wir auf.»
«Kein Problem. Wir schicken dir Hilfe.»
«Aber nur Jungs, die Deutsch sprechen», sage ich entschieden. «So was wie letztes Jahr, mache ich nicht mehr mit.»
«Keine Sorge, die können besser Deutsch als du», witzelt Murat.
«Bestimmt nicht», antworte ich genervt.
Er lehnt sich vor und boxt mir gegen den Arm.
«Nur Spass, Bruder.»
Nachdenklich sehe ich ihn an. Mit seinen nach hinten gegelten Haaren und dem schwarzen Vollbart sieht er aus wie ein Schmierlappen.
Ein Tritt gegen das Schienbein reisst mich aus meinen Gedanken.
«Wie siehts aus?»
Ich denke an die Kohle. Das wird den Bitches gefallen. Vor allem meiner Natalia.
«Logisch machen wir das!», sage ich und schlage in seine ausgestreckte Hand ein.
«Ihr könnt gleich mit Natalias Karre anfangen», sagt Gina spöttisch. «Sie kommt in zwei Monaten wieder.»
«Gehts noch! Wie kommst du auf diese blöde Idee?», fahre ich sie an.
«Niemals!», stimmt Murat mir zu. «Mit ihrem Alten will ich mich nicht noch einmal anlegen. Ausserdem habe ich einen Deal mit dem. Ich muss los, du hörst von mir.»
Wir gehen in die Garage.
«Ich musste noch einiges zusätzlich an der Karre machen, Bruder. Ich habe Öl nachgefüllt und die Zündkerzen gewechselt, das war längst überfällig. Dafür muss ich dir 2000 Franken extra berechnen», lüge ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Murat hat mich oft genug verarscht, da brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben.
«Alles zusammen kostet das dann 5000 Franken, weil du es bist», sage ich gönnerhaft.
Er grinst mich wissend an.
«Du Abzocker!»
Ich zucke mit den Schultern.
«Bei Mercedes ist es teurer und ich arbeite besser.»
Er nickt nur und drückt mir fünf violette Scheine in die Hand. Mühsam quetscht er sich und seine Masse auf den Fahrersitz und fährt viel zu schnell aus dem Tor meiner Werkstatt hinaus. Natürlich nicht, ohne den Motor seines getunten AMGs laut aufheulen zu lassen.
«Angeber», murmle ich leise.
Ich drehe mich um und bemerke erst jetzt, dass Gina uns gefolgt ist. Ich ringe mir ein Lächeln ab.
«So, Schwesterherz, jetzt können wir reden.»
Doch Gina erwidert mein Lächeln nicht. Überhaupt sieht sie übernächtig und traurig aus, sie hat dunkle Ringe unter den Augen und ist sehr blass. Abwesend schaut sie sich in meiner Garage um.
«Läuft bei dir, Bruder», sagt sie anerkennend. Ich nicke nur und lasse den Blick ebenfalls durch den Raum schweifen. In der Werkstatt habe ich aktuell einen Mercedes, zwei sportliche BMWs und sogar einen Ferrari stehen. Weitere Autos warten draussen auf dem Parkplatz, um von mir hergerichtet zu werden. Ich habe durch meine harte Arbeit echt etwas erreicht, und das bereits mit sechsundzwanzig Jahren.
«Wie viel an Wert steht hier eigentlich?», fragt Gina.
«Um die dreihunderttausend werden es sein», antworte ich stolz.
Gina bekommt grosse Augen.
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