#46.2 Jump
*alternatives Ende*
(zeitlich nach Kapitel 45)
*4 Wochen später*
Taehyungs P.o.V.
"Wir sehen uns dann nachher?"
Jimin, der neben mir den Flur entlang läuft und im Gehen irgendetwas auf einem Klemmbrett abhakt, nickt.
"Klar. Ich hol' dann Jungkook ab und dann fahren wir los."
Ich knöpfe die letzten paar Knöpfe meines Kittels auf und nehme ihm die Patientenakte ab, die er mir - fertig ausgefüllt - auffordernd hinhält.
Mein Kollege wirft einen Blick auf die Uhr und nickt.
"Ich hab jetzt noch Visite und dann geht's los."
"Alles klar.", antworte ich und bleibe vor der Tür des Pausenraums stehen. "Grüß Doktor Park von mir."
"Mach ich." Er grinst, und gerade als ich durch die Tür verschwinden will ruft er mir im Weitergehen noch zu: "Ach, Taehyung?"
Ich drehe mich in der Tür um und schaue über die Schulter zu ihm.
"Ja?"
"Cool, dass du wieder hier bist."
Ich grinse zurück und will antworten, doch da ist er schon den Gang hinuntergeeilt. Nachvollziehbar, der Oberarzt hasst Unpünktlichkeit.
Ich schließe die Tür hinter mir und der typische Geruch von Kaffee, Desinfektionsmittel und alten Akten umfängt mich. Augenblicklich fühle ich mich ein Stück weit zuhause.
Ich lege das Klemmbrett in den Aktenschrank, streife den Kittel ab und öffne meinen Spind, wobei mein Blick auf einen Stapel Zeitungen fällt, die auf dem Fensterbrett herumliegen. Aufgeschlagen ist ein zerknülltes Kreuzworträtsel.
Da hat doch tatsächlich irgendein Idiot Löffel hingeschrieben... Hat Gott sei Dank jemand gemerkt und es korrigiert...
Ich schaue genauer hin und schließlich nehme ich die völlig zerknitterte, vergilbte Zeitung in die Hand. Es ist tatsächlich das Kreuzworträtsel, das ich vor fast einem Jahr gelöst habe. Das, bei dem Jimin mir geholfen hat. Der Idiot war ich. Einen Augenblick lang starre ich die verblichene schwarze Schrift an, dann gehe ich zum Papierkorb und zerfetze die alte Zeitung in kleine Konfettischnipsel. Wie Schnee rieselt es in den Mülleimer und zufrieden betrachte ich mein Werk.
Das ist Geschichte.
Ich wende mich ab und widme mich wieder meinem Kittel, der unschuldig in einem weißen, knittrigen Haufen dort auf dem Teppich liegt, wo ich ihn fallen gelassen habe. Ich hänge ihn in den Spind und nehme die gepackte Sporttasche heraus, die zwischen Schuhen und Wasserflaschen auf dem Boden des Schranks steht.
Im Umdrehen gebe ich der Schranktür mit dem Fuß einen Stoß, sodass sie leise zufällt, und stelle die Tasche auf den Tisch, um den Inhalt zu kontrollieren. Zufrieden nicke ich schließlich, schultere die Tasche und mache mich auf den Weg auf die Therapiestation.
-
Auf dem Weg durch den Flur begegnen mir die beiden Chaoten, deren Namen ich mir immer noch nicht merken kann, die man aber daran erkennt, dass sie ununterbrochen herumalbern und aneinanderkleben wie die Kletten.
"Hey, Taehyung!", begrüßt mich Klette A.
"Wieder auf der Suche nach Hoseok?", fragt Klette B.
"Tag ihr zwei. Ja, wenn ihr wisst wo-"
"Im Therapiezimmer."; unterbricht Klette A mich.
"Ganz hinten rechts.", ergänzt Klette B, und dann sind sie auch schon wieder verschwunden.
Schulterzuckend sehe ich ihnen nach, ehe ich den Gang herunterlaufe und an der mir genannten Tür klopfe.
"Ja bitte?", ruft Hoseok von drinnen, und ich trete durch die Tür in den Behandlungsraum, wo ich ihn vorfinde wie immer. Er mit dem Jungen, Jisung, irgendwie am üben, und sein Ausbilder, Jaebum, auf irgendeiner Matte sitzend und ihn nicht aus den Augen lassend.
Besagter grüßt mich kurz mit einem Nicken, Hoseok schaut auf und grinst.
"Hey Hoseok.", begrüße ich ihn und knuffe anschließend Jisung vorsichtig gegen die Schulter. "Hey, Großer."
Jisung, der mich mittlerweile schon kennt, verrenkt sich umständlich den Hals um zu mir aufzuschauen, und grinst mich mit seinem Zahnlückenlächeln stolz an.
"Kann ich dich entführen?" Meine Frage geht eher an Jaebum als an Hoseok, schließlich hat er hier mehr oder weniger das Sagen.
"Klar.", antwortet Hoseok und wendet sich an den Jungen. "Hey, Kumpel. JB macht mit dir weiter, okay?"
Der Kleine, der noch ein wenig wacklig auf seiner Prothese steht und sich an Hoseok festhält wie ein Nichtschwimmer an einem Rettungsring, nickt und blickt etwas ehrfürchtig zu Jaebum, der, wie immer, ein wenig finster dreinschaut.
"Gut. Dann bis morgen, ja?"
Wieder nickt Jisung und schlingt die Arme um Hoseok, dem er gerade bis knapp über die Hüfte reicht. Ich halte ihm die Hand hin, und so stark wie er kann, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, gibt er mir fünf.
Hoseok verabschiedet sich von Jaebum, der sich zu Jisung auf die Matte kniet, und folgt mir aus dem Therapieraum.
"Das sieht schon echt gut aus.", sage ich, als er die Tür hinter uns schließt.
Er nickt. "Ja. Vor ein paar Tagen konnte er noch gar nicht stehen. Und so langsam lässt er sich auch auf andere ein."
Ich weiß von seinen Erzählungen, dass es eine Weile gebraucht hat, um Jisung zu knacken, doch mittlerweile scheint alles gut zu funktionieren.
Ich nehme die Tasche in die andere Hand und er wechselt das Thema:
"Treffen wir die anderen dort?"
Ich nicke. "Ja. Jimin holt Jungkook ab und dann kommen sie dorthin."
Hoseok streckt sich und knackt mit den Gelenken. Ich verziehe das Gesicht. "Mach das nicht. Das ist gruselig.", schimpfe ich, doch er lacht nur. "Ich gehe schnell meine Schuhe und meine Tasche holen.", sagt er und verschwindet im Aufenthaltsraum, wo er schließlich mit einem Rucksack über der Schulter und Turnschuhen an den Füßen wieder herauskommt.
"Können wir?"
"Wir können."
Gemeinsam laufen wir den Gang zurück in Richtung Ausgang.
"Es ist schön, dass du wieder hier bist.", sagt er plötzlich.
"Das sagst du jedes Mal.", antworte ich. Vielleicht doch nicht so plötzlich.
"Weil es wahr ist. Du gehörst hierher, genau wie ich."
"Wie hältst du das aus?", frage ich unvermittelt. Die Frage beschäftigt mich schon seit Langem.
"Was?"
"Jeden Tag an den Ort zurückzukommen, der dir so viel Leid gebracht hat."
Er zuckt die Schultern. "Es ist meine Bestimmung. Ich hab das nicht umsonst alles durchgemacht, das kann ich einfach nicht glauben. Deshalb bin ich hiergeblieben. Ich hätte ja auch jederzeit gehen können. Aber ich hatte das Gefühl ich müsste bleiben. Und jetzt kann ich jeden Tag an dem ich über diese Schwelle trete", um den Satz zu unterstreichen macht er einen extragroßen Schritt über die Türschwelle des Haupteingangs, "Jeden Tag an dem ich hierher zurückkomme wische ich dem ganzen Scheiß eins aus. Jeden Tag mache ich das Leid ein Stückchen kleiner in dem ich herkomme und ihm zeige, dass es mich nicht untergekriegt hat, weißt du? Ich haue nicht ab. Flucht ist keine Option, es sei denn es ist die Flucht nach vorn. Angriff. Und deshalb bin ich immer noch hier."
Immer wieder beeindruckt er mich mit seiner Einstellung, und noch mehr beeindruckt es mich, dass ich ein Teil dieser Einstellung bin. Ein Stück davon sein darf.
Ich schließe mein Auto auf und schmeiße meine Tasche auf die Rückbank. Hoseok tut es mir nach und lässt sich schließlich auf den Beifahrersitz fallen.
Der Verkehr ist nicht besonders dicht und so sind wir relativ schnell raus aus der Stadt.
"Ich könnte dich das Gleiche fragen.", sagt er auf einmal.
"Was?"
"Warum du noch hier bist. Ich meine, ich war nicht einfach, und das ist nett gesagt. Du hast dir von mir sonstwas gefallen lassen. Du hast dich mit Mandarinen bewerfen lassen, bist in aller Herrgottsfrühe losgelaufen um mir Eis zu holen, du hast dich feuern lassen, hast dir den Kopf für mich einschlagen lassen und bist immer noch hier. Du hast unter mir mindestens genauso sehr gelitten wie ich unter meinen Schmerzen. Also, warum?"
Einen Augenblick schaue ich nachdenklich auf die Straße, die leer und still unter dem blauen Himmel daliegt.
"Vielleicht ist es meine Bestimmung.", nehme ich mir seine Worte zur Hilfe. "Du warst meine persönliche Herausforderung. Vielleicht wusste ich, wenn ich diese Nuss knacke, dann entsteht... soetwas. Vielleicht hab ich das geahnt. Vielleicht... Ich weiß es nicht. Es war einfach so ein Gefühl. Ja, du hast mich aufgeregt, und ja, du warst nicht einfach, du warst alles andere als einfach, aber vielleicht war es das, was mich dazu bewegt hat, bei dir zu bleiben."
"Manchmal erinnerst du mich an einen Hund, Kleiner."
"Was?" Verwirrt schaue ich ihn an.
"Du bist so eine gute Seele, eigentlich bist du zu gut für diese Welt. Du bist unglaublich treu, denn sonst hättest du mich damals einfach links liegen lassen wie eine Arbeit, die nicht gelingen will. Aber manchmal kannst du dich an Dingen, die du erreichen willst, festbeißen, und so sehr sie dich auch abzuschütteln versuchen, so weh es dir auch tut, festzuhalten, du lässt nicht eher los bis du hast, wofür du gekämpft hast. Du hast Biss, Taehyung, und dieser Biss hat mir das Leben gerettet. Aber nicht nur das. Du hast auch ein verdammt gutes Herz, und dieses Herz hat es mir ein zweites Mal gerettet."
Eine Gänsehaut wandert über meine Arme und kribbelt bis in meine Fingerspitzen, als ich den Wagen in einen schmalen, unebenen Feldweg lenke, der durch einen ziemlich dunklen Wald fühlt, durch dessen dichte Baumkronen kaum ein Lichtschimmer dringt.
Genau so wie dieser Weg hier, so war auch unserer Weg. Voller Löcher, holprig, immer wieder fallen Dinge herunter, manche gehen kaputt, manche kann man auffangen. Der Weg ist lang und schwierig, und manchmal muss man durch die dunkelsten Tiefen, in denen man kein Licht mehr sieht, doch am Ende kommt eben dieses Licht zurück, und das wunderschöne Ziel, auf das man so lange gewartet hat. Und solange man nicht allein ist, schafft man auch diesen Weg.
Am Ende des Schotterweges bricht die Sonne wieder durch die Bäume und eine weitläufige Lichtung breitet sich vor uns aus. Ich stelle den Wagen am Rand des Weges ab, und Jimin, der uns irgendwie eingeholt haben muss, parkt sein Auto neben uns.
Die beiden springen aus dem Auto, während Hoseok und ich langsam aussteigen. Das Licht bricht sich in der glatten Wasseroberfläche des Sees, in dem sich der makellos blaue Himmel spiegelt. Die Sonne wärmt den lauen Wind, der über meine nackten Arme streicht. Ein langer Holzsteg streckt sich über das Wasser, das völlig still daliegt. Naja, fast völlig. Am Rand des Sees, nahe am Ufer, paddelt eine einzelne Ente ruhig im flachen Wasser.
Einen Moment lang beobachte ich den Vogel, und einen Augenblick später landet eine zweite Ente neben der Ersten, was mir ein Schmunzeln entlockt.
Ich greife durchs geöffnete Autofenster auf die Rückbank und angle meine Tasche und Hoseoks Rucksack heraus. Meine Schuhe und Socken streife ich ab und lasse sie neben dem Auto stehen, ebenso wie meine Hose - unter der ich, wie die anderen auch, Badeshorts trage - die ich auf den Rücksitz werfe. Das knöcheltiefe Gras kitzelt an meinen Fußsohlen und streift sanft meine Beine.
Jungkook und Jimin breiten eine große, karierte Picknickdecke aus und lassen ihre Taschen darauffallen, ehe auch sie die Schuhe abstreifen und lachend losspurten. Kookie, der im Laufen versucht, seine Jeans abzustrampeln, bleibt in einem Hosenbein hängen und schlägt unter lauten Gelächter lang hin, woraufhin Jimin zurückrennt um ihm aufzuhelfen. Als beide wieder stehen, ziehen sie die T-Shirts über den Kopf und sprinten über den Steg, nur um sich am Ende gegenseitig und mit riesigem Geplantsche ins Wasser zu schubsen.
Währenddessen schlendern Hoseok und ich gemächlich hinter den beiden Spielkindern her. Ich knöpfe im Gehen mein Hemd aus, streife es ab und lasse es auf der Decke liegen. Hoseok läuft mit geschlossenen Augen neben mir her und genießt die warme Sonne auf seinem Gesicht.
In diesem Augenblick ist alles gut.
Ich spüre es, und ich weiß, dass er es auch spürt. Das Leben meint es ab sofort gut mit uns. Wir sind hier, und alles andere kann uns mal. Alles was zählt ist jetzt, die Vergangenheit war mal. Wir schreiben ein neues Kapitel hinter das alte. Wir werden es noch oft lesen, doch wir haben uns von seinen Ketten befreit. Jetzt heißt es Freiheit.
Ich spüre das warme, raue Holz des Steges unter meinen nackten Füßen und beobachte die Enten am Ufer, während ich Hoseoks Anwesenheit, der die Augen noch immer geschlossen hat, wie einen Sicherheitsanker neben mit spüre.
Dann fällt mir beim Anblick der Enten etwas ein. Ich bleibe am Ende des Steges stehen und schaue kurz zu den anderen, die weiter draußen im Wasser herumtoben, ehe ich Hoseok am Handgelenk fasse, damit er nicht weiterläuft und in den See fällt.
Denn dafür habe ich andere Pläne...
Er bleibt neben mir stehen, lässt die Augen jedoch geschlossen.
"Hoseok?"
"Hm?"
"Weißt du was?"
"Hm?"
"Es ist noch was fällig."
Jetzt öffnet er die Augen und schaut mich blinzelnd an. "Was denn?"
"Ich hab dir geschworen, irgendwann..."
Ich lasse den Satz in der Luft hängen, und ihm geht scheinbar ein Licht auf, denn für einen Augenblick schaut er mich schockiert an und weicht zurück, doch ich halte ihn fest. "Nein...Mann, Kleiner!", jammert er, doch auch er muss lachen, genau wie ich.
"Doch.", grinse ich, woraufhin er versucht, zu flüchten, doch ehe er sich versieht habe ich ihn an der Taille geschnappt und halte ich fest.
"1..."
"Wehe!"
"2..."
"Kleiner, ich schwör's dir!"
"3!"
Mit Schwung schmeiße ich ihn - wie vor Ewigkeiten geschworen - ins klare, kalte Wasser, ehe ich selbst Anlauf nehme und ihm hinterherspringe.
° ° °
The End
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