#40 Coming Home


Die automatische Eingangstür des Krankenhauses schließt sich geräuschlos hinter mir. Kurz halte ich das Gesicht die Sonne, die mich sanft strahlend in der Freiheit empfängt, ehe ich über den Vorplatz in Richtung des Parkplatzes gehe.

Auf halbem Weg kommt er mir entgegen, nimmt mir die Tasche ab und umarmt mich.

"Glückwunsch, Hoseok. Du hast die Hölle heil überstanden. Nunja, fast heil.", begrüßt er mich schief grinsend und klopft mir auf die Schulter.

Ich knuffe ihn mit dem Ellbogen.

"Ich freu mich auch, dich zu sehen, Yoongi."

Er nickt mit dem Kopf in Richtung Parkplatz.

"Gehen wir. Du willst doch bestimmt nach Hause."

Ich zucke bloß zögerlich die Schultern und folge ihm zu seinem Auto.

Yoongi schmeißt meine Tasche auf die Rückbank während ich meine drei Beine umständlich in den Fußraum sortiere. Ein bisschen kompliziert ist es schon, aber ich werde mich wohl daran gewöhnen.

Mein Kumpel steigt auf der Fahrerseite ein und startet den Wagen.

"Wie geht's dir?", fragt er unvermittelt, während er sich in den Verkehr einordnet.

Kurz zögere ich. Ich weiß nicht warum, aber seine Frage überrascht mich gewissermaßen.

"Gut.", antworte ich reflexartig.

"...denke ich."

Er wirft mir von der Seite einen Blick zu und zieht skeptisch eine Augenbraue hoch.

"Denkst du?"

"Ja..."

"Hm.", macht er und verfällt in sein übliches unbeteiligtes Schweigen. Nur das ruhige Knurren des Motors und die Geräusche der Stadt sind zu hören.

Ich habe ehrlich keine Ahnung, wie es mir geht. Das mag seltsam klingen, ich meine, man muss doch wissen, wie man sich fühlt, oder nicht? Es kann schließlich kein anderer für dich bestimmen, und es kann auch keiner erraten.

Außer...

Nein.

Ich mustere Yoongi, der still und konzentriert auf die Straße schaut, und danke ihm stumm dafür, dass er keine Fragen mehr stellt. Überhaupt bin ich ihm dankbar, dass er hergekommen ist. Mir wäre ein gewisser anderer Jemand noch lieber gewesen, aber dass Yoongi hier ist, zeigt mir, dass ich ihnen nicht komplett egal bin.

Yoongi setzt den Blinker und biegt in die Straße ein, in der meine Wohnung liegt, ehe er am Straßenrand vor meinem Wohnblock den Wagen hält und den Motor abstellt.

Ich öffne die Tür und steige holpernd und schwankend aus dem Auto. Yoongi taucht neben mir auf und nimmt meine Tasche vom Rücksitz.

Ich stehe stumm auf dem Gehweg und sehe an der Fassade des Hauses hinauf. Ein komisches Gefühl breitet sich in mir aus, macht meine Finger klamm und meine Füße bleischwer.

Yoongi steht still hinter mir, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und lässt mich in Ruhe.

Noch immer die schweigenden Fenster meiner Wohnung anstarrend krame ich in der Jackentasche nach meinen Schlüsseln. Als meine Fingerspitzen das kühle, gezackte Metall berühren, fühlt es sich an, als würde ein scharfer Stromstoß durch meine Nerven jagen, und ich bin kurz davor, zurückzuzucken, rufe mich aber zur Vernunft.

Es ist mein Zuhause. Ich sollte mich freuen.

Ich gehe zur Haustür und schiebe den Schlüssel ins Schloss. Im Treppenhaus kommt mir der altbekannte, unterschwellige Geruch nach Zigaretten und Putzmitteln entgegen.
Ich betrachte die Treppen und atme tief ein. Vor mir liegen drei Stockwerke.

Auf in den Kampf...

Ich mache mich daran, die Stufen zu erklimmen, eine nach der anderen, wie ich es im Krankenhaus stundenlang geübt habe. Stütze mich mit der Krücke, umklammere mit der anderen Hand das abgegriffene Geländer.

Eine Stufe.

Noch eine.

Durchatmen.

Immer so weiter, wieder und wieder.

Noch ein Stockwerk, aber ich bin schon reichlich außer Atem. Auf dem Treppenabsatz halte ich einen Augenblick inne.

Plötzlich höre ich eine Stimme aus dem Stockwerk über mir. Es ist nicht mehr als ein Murmeln, vielleicht Nachbarn, die an der Tür plaudern, denke ich zuerst, doch es scheint bloß eine einzelne Person zu sein.

Die Person erzählt irgendetwas über Sonne und Heimkommen, und dass er auf jemanden wartet, aber nie antwortet ihr jemand.

Yoongi schaut mich schräg an, als ihm mein angespanntes Lauschen auffällt. Ich zucke bloß die Schultern und deute nach oben.

"Da ist wer.", meint er schlicht. "Und?"

Wieder zucke ich die Schultern und schüttle den Kopf. Er hat ja Recht. Es ist doch nichts ungewöhnliches, dass in einem Wohnblock Leute im Treppenhaus sind.

Mein Problem ist nur, wer es ist.

Die Stimme kommt mir so bekannt vor, aber eigentlich kann es nicht sein.

Ich raffe mich also auf, biege um die Ecke - und stolpere die Treppe fast wieder hinunter.

Es ist tatsächlich der, den ich zu hören geglaubt hatte.
Seelenruhig sitzt er auf der obersten Stufe des Treppenabsatzes. Auf seinem Schoß steht ein knallroter Blumentopf mit einer strahlend gelben Sonnenblume darin, die er gedankenverloren betrachtet.

Ich muss schmunzeln.

"Na, ist es jetzt soweit? Du redest mit Blumen?"

Er hebt ruckartig den Kopf und strahlt augenblicklich mit der Blume um die Wette. Dann springt er so hastig auf, dass ihm der Blumentopf fast vom Schoß kippt. Mit einer Hand rettet er die Pflanze, stellt sie auf den Boden und stürmt die Stufen herunter auf mich zu, um mir stürmisch um den Hals zu fallen.

"Hoseok! Willkommen zuhause!"
Ich lege den freien Arm um ihn und drücke ihn an mich.

"Danke, Kleiner. Schön, dass du hier bist.", sage ich leise und löse mich lächelnd von ihm.

"Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen.", grinst er, ehe er freudig Yoongi begrüßt und sich ihm vorstellt. Der erwidert die Begrüßung - etwas nüchterner allerdings - und verabschiedet sich dann, nachdem er Taehyung meine Tasche übergeben hat.

Als Yoongis Schritte im Treppenhaus verklungen sind, schaut Taehyung mich erwartungsvoll an.

"Und? Bereit?"

"Nicht wirklich.", gestehe ich.

Obwohl es sich mit ihm an meiner Seite schon wesentlich mehr nach Zuhause anfühlt.

"Willst du lieber allein gehen?"

Seine sanften dunklen Augen ruhen aufmerksam auf mir.

"Nein.", sage ich sofort und schüttle den Kopf. "Ich will dich bei mir haben."

Er lächelt, nickt und legt den Arm um mich.

"Gehen wir?"

Ich nicke.

"Gehen wir."

Taehyung hebt die Sonnenblume auf, während ich den Wohnungsschlüssel ins Schloss stecke und die Tür aufstoße.

Leise schwingt sie auf und gibt den Blick auf den stillen Flur frei. Ich mache zwei Schritte hinein und bleibe mitten im Flur stehen.
Es ist kalt in der Wohnung, kein Wunder, den ganzen Winter lief hier keine einzige Minute die Heizung. Fröstelnd sehe ich mich um, als wäre ich zum allerersten Mal hier.

Hier.

In meinem Zuhause.

Ich höre, wie Taehyung leise die Tür schließt und hinter mich tritt. Sofort kommt das Gefühl, beschützt und verstanden zu werden wieder über mich, ein Gefühl von Sicherheit und Unterstützung, das er mir gibt.

Alles sieht so aus als wäre ich gerade erst gegangen, vor einer halben Stunde vielleicht, aber nicht vor über einem halben Jahr. Jacken hängen an der Garderobe, ein paar Schuhe stehen unordentlich darunter.

Langsam laufe ich in die Küche, wo mir das gleiche auffällt. Es wirkt, als wäre ich nie weg gewesen. Auf der Anrichte steht eine angefangene Flasche Wasser, daneben ein Glas. Leere Getränkedosen stehen auf dem Boden neben dem Mülleimer, auf dem Tisch liegt eine Tüte Chips neben einer Tafel Schokolade und einem schieren Mount Everest aus Post.

Ich wende mich ab, gehe an Taehyung, der mit meiner Tasche und der Blume in der Tür steht, vorbei zu meinem Schlafzimmer, öffne die Tür - und bleibe wie angewurzelt stehen.

Wie zur Salzsäure erstarrt starre ich auf das, was dort auf meinem Nachttisch liegt. Ich schnappe nach Luft, als Bilder über mich hereinstürzen, die ich eigentlich hinter Schloss und Riegel gebracht hatte.

Warum machen sie soetwas?

Ich spüre Taehyungs Hand, die sanft meine Schulter drückt. Zögerlich betrete ich das vertraute Zimmer und gehe auf mein Bett zu. Taehyung stellt die Tasche vor dem Kleiderschrank ab und beobachtet mich besorgt, fragt aber nicht und sagt auch nichts.

Wie in Trance strecke ich eine zitternde Hand aus und fahre mit den Fingerspitzen über den rauen, tiefen Riss, der sich über meinen Helm zieht.

Mein Atem geht flach, und ich kämpfe mit den Emotionen, die in mir explodieren.

Ich lasse mich aufs Bett sinken, einzelne Tränen rinnen über meine Wangen. Taehyung tritt zu mir und geht vor mir in die Hocke.

Kurz schaut er mir in die tränenverschleierten Augen, ehe er vorsichtig meine verkrampfte  Hand vom zerstörten Helm nimmt und sie in meinem Schoß legt. Dann lächelt er mich verschwörerisch an, nimmt den Helm, dreht ihn um und stellt den Blumentopf hinein.

Die strahlend gelbe Sonnenblume ragt fröhlich aus dem zerbrochenen Helm, so als wollte sie sagen: Ich habe gewonnen. Ich habe das Schlimmste überwunden, und aus dem Schlimmsten ist etwas Schönes entstanden.

Taehyung schaut mich an und drückt aufmunternd mein Knie. Ich lächle und wische die Tränen weg, als er sich erhebt und das Zimmer verlässt, ehe ich protestieren kann.

Ich ziehe die Schuhe aus, rutsche weiter aufs Bett und ziehe die Beine an.

Als er zurückkommt, zerbricht er gerade noch die Schokoladentafel. Er streift die Schuhe ab und lässt sich neben mich aufs Bett fallen.

Grinsend angelt er ein Stück Schokolade aus der Verpackung und hält es mir vor die Lippen.

"Nervennahrung.", sagt er und zwinkert mir zu. "Schnabel auf!"

Ich schmunzle und schnappe mir die Schokolade, ehe ich an ihn heranrutsche und meinen Kopf an seine Schulter lehne.

Er schiebt sich selbst ein Stück Schokolade zwischen die Zähne und legt seinen Kopf auf meinen.

"Hast du vorhin wirklich mit der Blume geredet?", frage ich leise.

Taehyung lacht gedämpft.

"Naja, ich musste ihr doch sagen, wofür sie hier ist."

"Und, wofür ist sie hier?"

"Ich hab sie dir mitgebracht, damit sie Sonne in dein Leben bringt, so wie du Sonne in meins gebracht hast. Damit sie dich daran erinnert, wie wertvoll dein Leben ist, und damit du weißt, dass es nie wieder so dunkel wird, wie es war.", antwortet er ernst.

"Dankeschön.", murmle ich gerührt.

Er knufft mich sanft.

"Ich danke dir."

Eine Weile ist es still, angenehm still. Wir sind beide in Gedanken versunken, den Blick an die Sonnenblume in meinem umgedrehten Motorradhelm geheftet, die so viel mehr bedeutet.

Erneut lasse ich die Finger über den Helm gleiten.

"Taehyung?"

"Hm?"

"Bleibst du bei mir?"

Ich weiß, dass er versteht, was ich meine. Ich weiß, dass er weiß, dass ich nicht nur diesen Moment meine. Ich weiß, dass er mich versteht, und spätestens nach seiner Antwort bin ich mir sicher, denn er lächelt und antwortet leise:

"Solange du willst."

° ° °
The End



























Just Kidding!

Bitte erschlagt mich nicht 😅
Aber ich finde, das wäre durchaus ein Ende, oder nicht?

Aber nein. Ich hab noch was geplant 😏

Ich danke euch übrigens für
4k 🎉

Wow 😍

Da komm ich ja mit Specials und Bedanken gar nicht hinterher!

Warum sagt mir eigentlich keiner, dass es 2 mal Kapitel 34 gab? 😐

Hab Euch lieb! 💕
Bis zum nächsten Kapitel!

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