Der Vogel im Käfig


Furas Schritte klangen gespenstisch durch den leeren Korridor. Fackeln warfen tanzende Schatten an die rußgeschwärzten Wände. Fura stieg eine enge Wendeltreppe hoch, die in den Ostturm der Burg führte. Auf ihrer Stirn stand kalter Schweiß und das Herz flatterte in ihrer Brust wie ein Vogel im Käfig.

Hoffentlich konnte Rosanna ihnen helfen. Sie wohnte als Botschafterin des Königreichs Surlmaru am Hof des Rabenkönigs, um dort die Interessen ihrer Königin zu vertreten. Es war an Hofe eine bekannte Tatsache, dass die junge Adelige großzügig und nett war und versuchte, den Dienstboten so gut sie konnte zu helfen.

Zudem war Fura mit ihr befreundet und vertraute ihr vollkommen. Der Umstand, unter dem es zu dieser Freundschaft gekommen war, war ebenso ungewöhnlich wie die Freundschaft selbst Die beiden hatten sich am Anfang des letzten Winters kennengelernt. Fura war damals sehr krank gewesen und Liam hatte nicht mehr gewusst was er tun sollte. Durch einen Zufall hatte Rosanna davon erfahren und sich um die Zwillinge und besonders um die kranke Fura gekümmert.

So kam es, das Rosanna, die sich auch oft etwas einsam am Hof von Jarana gefühlt hatte, zu einer Art älteren Schwester und Freundin für Fura wurde.

Wäre Liam nicht dagegen gewesen, hätte sie Rosanna schon lange von ihrer Gabe erzählt. Fura hoffte inständig, dass ihre Freundin ihr helfen konnte.

Als sie am Treppenabsatz angekommen war, ging sie langsamer den kurzen, schmalen Gang hinab, auf die einzige Tür zu. Die aus Eichenholz gefertigte Tür war mit feinen Silberverzierungen versehen. Andächtig strich Fura mit dem Finger über die Türklinke, die die Form eines Alderkopfes hatte. Fast hätte sie vergessen, was sie hier her geführt hatte. Die Angst flackerte erneut in ihr auf, wie ein bereits halb erloschenes Feuer in welches noch einmal eine Menge trocknendes Holz geworfen wurde. Zaghaft klopfte Fura an und fragte durch die geschlossene Tür: »Darf ich reinkommen, Rosanna?« Von der anderen Seite der Tür ertönten Schritte, und mit einem leisen Quietschen öffnete sich die schwere Tür.

Fura blickte in das lächelnde, von goldblondem Haar umrahmte Gesicht. Sie beneidete Rosanna ein wenig um ihr gutes Aussehen, ihre makellose, blasse Haut und ihr schönes langes Haar, das irgendwie nie zerzaust war. Allerdings nicht unbedingt um ihre Größe. Rosanna war noch ein Stück kleiner als Fura, die sich zwar nicht als besonders klein bezeichnen würde, aber auch alles andere als groß war.

Rosanna strich sich eine einzelne Haarsträhne, die sich aus dem komplizierten Zopf gelöst hatte, aus dem Gesicht. »Natürlich darfst du reinkommen, Fura«, sagte sie lächelnd und offensichtlich erfreut sie zu sehen. Wenn Rosanna sprach klang es immer so als würde ein Schwarm Vögel in einem Sommerwald singen. »Sorge breitete sich auf Rosannas schönem Gesicht aus. »Was ist Fura? Ich kann dir ansehen dass du dir Sorgen machst. Erzähl mir bitte was los ist.« Fura blickte sich besorgt um und erwiderte zögernd: »Du hast Recht ... Ich muss mit dir reden.«

Eine tiefe Verunsicherung stieg in Fura auf. Was wenn Rosanna nicht so vertrauenswürdig war, wie es schien? Mit Tränen in den Augen blickte Fura zu Rosanna und flüsterte: »Können wir bitte rein gehen?« Rosanna nickte nur wortlos und schob Fura sachte an sich vorbei in ihre Gemächer.

Ihr blaues Seidenkleid raschelte, als sie sich auf einen der großen Sesel setzte, die vor dem Feuer standen und der Stoff schmiegte sich an ihren Körper, wie Wasser an einen Flusskiesel. Ihre großen braunen Augen schimmerten besorgt. »Was wolltest du mir erzählen Fura?« und die leise Angst, die in diesen Worten mitschwang war nicht zu überhören.

»Es tut mir so leid!« sagte Fura und begann zu weinen, obwohl sie es nicht wollte. »Es tut mir so leid Rosanna! Aber ... aber Liam hat gesagt...« Verzweifelt rang Fura nach Worten. Es war einfach unmöglich die Flut von Gefühlen zurück zu halten die sich in kürzester Zeit in ihr angestaut hatten. All die Angst, der ganze Zweifel und ihr Zorn auf den König brachen in diesem Moment aus ihr hervor. Mit großen, ängstlichen Augen blickte Fura zu Rosanna, die wie versteinert da saß, offensichtlich völlig überrumpelt.

»Rosanna, ich wollte es dir schon länger erzählen, weil du meine Freundin bist« flüsterte Fura stockend weiter »Liam und ich... wir sind Seelenklopfer.«

Wie ein Tuch aus eiskaltem, grauem Samt legte sich ein ängstliches und ungläubiges Schweigen über den Raum. Die Stille wurde nur vom Knistern und Knacken der tanzenden Flammen des Kaminfeuers und dem leisen Schluchzen von Fura unterbrochen.

Nach einem schier endlosen Augenblick regte sich Rosanna. »Wenn das so ist«, flüsterte sie und blickte Fura besorgt an, »dann seid ihr beide in großer Gefahr. Und, « nach einem kurzen Zögern sprach Rosanna leise weiter. »ich schätze, auch ich muss dir etwas erzählen.« Rosanna warf Fura einen prüfenden Blick zu, bevor sie fortfuhr. Ich habe eine jüngere Schwester. Sie ist ein hochrangiges Mitglied der Rebellen. Ich würde vorschlagen, dass du dich, zusammen mit deinem Bruder, bei den Rebellen versteckst. Dort währt ihr vor dem König in Sicherheit.«

Überrascht nickte Fura. » Aber wie sollen wir zu den Rebellen kommen? Es weiß doch niemand wo sie sich verstecken.«

Ein leises Lächeln stahl sich auf Rosannas Lippen. » Ich werde ihr eine Nachricht schicken, dass sie euch von unseren Treffpunkt abholt.« Vollkommen verwirrt nickte Fura. »Ist gut«, murmelte sie leise. »Aber, wie komme ich zu diesem Treffpunkt?« Rosanna musste ihr den Weg mehrere Male erklären, bis sie sicher war, ihn sich merken zu können.

Mit einem Seufzen stand Fura auf und wischte sich über die roten Augen. »Ich denke es ist besser, wenn ich sofort zu Liam gehe und ihm von unserem Plan erzähle. Wir müssen schließlich bald los.« Trotz ihrer Bemühungen konnte Fura ein leichtes Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen.

Rosanna blickte sie nachdenklich an und sagte:»Ich begleite dich noch ein Stück, wenn das für dich in Ordnung ist?«

Als Fura daraufhin stumm nickte, erhoben sich die beiden und stiegen schweigend die schmale Wendeltreppe hinab.

Sie erreichten gerade den großen Korridor, als ihnen Lärm entgegenschlug und das Stimmengewirr über Fura zusammen brach, wie Wellen in der Brandung an einem Felsen. Sie brauchte einen Moment, bis sie den Trubel zuordnen konnte.
Auch Rosanna schien von der Unruhe überrascht worden zu sein. Mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck wandte sie sich an eine vorbei hastende Wache: »Was, bei allen Drachen, ist denn hier los?«

Leicht verärgert blieb die Wache stehen und entgegnete ungeduldig: »Es sind von einer Spionin hier in der Burg Seelenklopfer gemeldet worden. Wenn ihr mich entschuldigt; ich habe Wachdienst.« Mit diesen Worten ging er davon und würdigte Rosanna und Fura keines Blickes mehr.

In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Thronsaal und eine gebückte Gestalt trat heraus. Das dünne, weiße Haar war im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt worden. Ihn den fleckigen, alten Händen hielt sie einen Beutel in dem man die Münzen klimpern hörte.

Entsetzt erkannte Fura, um wen es sich handelte. Es war die alte Geschichtenerzählerin aus dem ‚Trunkenem Schwan'. Die Alte musste Liam und sie belauscht haben und war sofort zur Burg geeilt und hatte sie nun an den König verraten!

Rosanna warf Fura einen erschrockenen Blick zu und sie verschwanden beide schnell in einem Seitengang, um nicht von der Alten gesehen zu werden. Jetzt war klar, in welcher unmittelbaren Gefahr Fura und ihr Zwillingsbruder steckten. »Los! Du und dein Bruder, ihr müsst so schnell wie möglich von hier verschwinden! Ich schicke meiner Schwester ein Zeichnen« flüsterte Rosanna drängend Fura ins Ohr. Fura nickte und stolperte in Richtung der Stallungen, wo sie ihren Bruder vermutete, davon.

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