Wüste

Bodnantis

Die Hitze flimmerte über dem feinen Sand der Wüste Gabora. Gelbe Wellen zogen sich über ihre gesamte Fläche und waren im ständigen Wandel. Der heiße Wind peitschte über die Dünen und wirbelte kleine Körner auf.

In all dieser Ödnis wagte sich ein mutiger Wanderer mit seinem Kamel die Wüste Gabora zu durchqueren. Sein Gesicht war mit einem sandfarbenen Tuch umhüllt. Ein langer Mantel umschmiegte die dratige Gestalt.

Mit einem Stab aus dem Stamm eines Zirkonienbaumes stach er in den feinen Untergrund. Feine, glitzernde Adern durchzogen das dunkle, fast schon schwarze Holz undreflektierten das Licht in allen Farben des Regenbogens. Seine Schritte waren schleppend, aber sein Ehrgeiz trieb ihn stetig voran.

Der Himmel war wolkenlos und Saraii brannte unbarmherzig auf die Welt hinab. Das grelle Blau stach dem Wanderer in die Augen, der sie angestrengt zusammenkniff. Weit und breit war nur gelb und blau zu entdecken. Er hatte sich schon lange an den Farben sattgesehen, doch er hatte noch einen weiten Weg vor sich, bis er wieder andere sehen würde. 

Am Horizont erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Interessiert drehte der Wanderer seinen Kopf nach links und entdeckte einen schwarzer Punkt, der plötzlich aufgetaucht war. Ob es sich dabei wohl um einen Wüstengeier handelte, der ein weiteres Opfer der Gabora entdeckt hatte? Nur ungewöhnlich war, dass sich der Punkt nicht im Kreis bewegte, sondern augenscheinlich immer größer wurde. Er kam auf den Wanderer zu!

Verwundert runzelte er die Stirn, was kaum unter dem großen Tuch auffiel. Die dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen und betonten die tiefbraunen Augen. Er hatte keine Zeit, um sich Fragen zu stellen - er musste weiter. Daher ignorierte er das Herannahen des Vogels und trieb sein Kamel weiter voran.

Schon drei Tage war er in der Gabora unterwegs und hatte nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter sich gelassen. Die Tage waren heiß und trieben ihm den Schweiß auf die Stirn. Die Nächte waren kalt und brachten ihn zum Zittern. Bald müsste die Oase Gabardscha auftauchen - das größte Schmuggler und Diebesnest in ganz Bodnantis. Dort würde er wieder für eine Nacht ein warmes Bett und eine heiße Mahlzeit haben. Außerdem wollte er seine letzte Beute zu Gold machen und dann zur nördlichen Steppe weiterziehen. Weit konnte es nicht mehr sein. Gegen Abendrot müsste er die Oase erreichen, dann läge das härteste Stück seines Weges hinter ihm.

Mit schmerzenden Augen blickte er gen Himmel, um den Vogel erneut zu erblicken. Doch am westlichen Horizont war er nicht mehr zu entdecken. Da hob er den Kopf und bemerkte, wie der Wüstengeier über ihm schwebte. Seine breiten Schwingen verdunkelten Saraii und sein langer Hals war gen Erde gestreckt. Der Geier schien ihn aus seinen kleinen Augen zu beobachten.

Wut stieg in seinem Bauch auf. Noch war er nicht tot, geschweige denn dem Tode nahe. Er fuchtelte mit seinem Zirkonienstab in der Luft herum und versuchte das Tier so zu verscheuchen. Doch es blieb unbeeindruckt und zog immer engere Kreise.

„He, mach dass du weg kommst! Ich lebe noch! Verschwinde!", rief der Wanderer dem Vogel erbost zu.

Der Wüstengeier schlug hektisch mit seinen Schwingen und stieg in höhere Lüfte auf. Das braune Gefieder flatterte im Wind und sein orangefarbener Schnabel blitzte einmal kurz auf. Zufrieden grinste der Wanderer unter seiner Gesichtsbedeckung. Doch es verschwand sofort, als der Geier zum Sturzflug ansetzte.

Der Vogel kam ihm im rasanten Tempo immer näher und sein Herz begann heftig in der Brust zu schlagen. Heiß strömte ihm das Blut durch seine Adern und er konnte es in seinen Ohren rauschen hören.

Der Wüstengeier war nur noch wenige Armlängen von ihm entfernt und der Wanderer warf sich schnell in den Sand. Heiße Körner prasselten auf sein Gesicht ein uns verbrannten ihm die Hände. Ein gackerndes Geräusch ertönte, als der Wüstengeier über ihm hinweg segelte. Kühle Luft hob seinen Mantel leicht an und kitzelte ihm auf der Haut.

Der Ärger entflammte in ihm und er erhob sich mit einem Satz. Sein Kamel war still neben ihm stehen geblieben und schien kein Interesse an dem Geier zu haben. Fest packte der Wanderer seinen Stab und machte sich zum Kampf bereit.

Er grub seinen rechten Fuß tief in den sandigen Boden und suchte sich so Halt. Er beobachtete den Wüstengeier misstrauisch, als dieser erneut zum Sturzflug ansetzte. Ein lautes Kampfgebrüll dröhnte aus der Brust des Wanderers und er schlug mit dem Stab zu.

Der Zirkonienstab sauste durch die Luft und traf ins Leere. Der Vogel war flink ausgewichen, fächerte mit seinen Flügeln und stoppte so seinen Fall. Mit langsamen Schlägen setzte sich der Wüstengeier auf dem vorderen Höcker des Kamels ab und blickte den Wanderer aus seinen kleinen, schwarzen Knopfaugen an.

Der lange Umhang wirbelte in der Luft herum, als sich der Wanderer zu dem Geier umdrehte. Er musste den Kopf anheben, um in sein gefiedertes Gesicht zu blicken. Er fühlte sich von dem Vogel verspottet und funkelte ihn böse an. Hohn leuchtete in den Vogelaugen auf und er öffnete den Schnabel für ein gackerndes Kreischen.

„Komm herunter und stelle dich mir in einem fairen Kampf. Herumfliegen wie eine Motte zeugt nur von Feigheit." Auch wenn der Wanderer wusste, dass es nichts nützte, den Vogel zu provozieren, da er ihn nicht verstehen würde, hatte er trotzdem das Bedürfnis, sich und seiner Wut Luft zu machen.

Jedoch bemerkte er schon im nächsten Moment, wie kindlich seine Reaktion doch war. Schließlich handelte es sich hierbei nur um einen dummen Vogel. Endlich verrauchte seine Wut und er nahm wieder eine lockere Haltung ein.

„Na, dann begleite uns ein Stück des Weges. Ein weiterer Weggefährte kann nicht schaden", sprach er nüchtern aus.

„Seid ihr Corvin Schlüsselmacher?", fragte eine krächzende Stimme.

Erschrocken fuhr der Wanderer zusammen. Er packte erneut seinen Stab und sah sich um. Doch bis auf sein Kamel, dem Wüstengeier und er selbst war keine lebende Seele zu entdecken.

„Ich bin hier oben, Herr", ertönte dieselbe kratzige Stimme.

Verwirrt schaute der Wanderer auf - zu dem Wüstengeier. Hatte er etwa gesprochen?

„Seid ihr Corvin Schlüsselmacher?" Der helle Schnabel klappte auf und zu und Worte drangen aus der Kehle des Vogels.

Erstaunt fiel dem Wanderer die Kinnlade hinunter. Er konnte nicht glauben, was er dort sah. Für einen kurzen Moment, zweifelte er an seinem gesunden Menschenverstand. Hatte er zu wenig getrunken? Oder gar einen Sonnenstich?

„Seid ihr schwer von Begriff oder einfach taub?", fragte der Geier frech.

Der Wanderer schloss seinen Mund wieder und räusperte sich.

„Verzeiht mir, Wüstenvogel, doch dieser einfache Wanderer ist sprechende Vögel nicht gewohnt", versuchte er sich zu erklären.

„Raban", sprach der Vogel.

„Wie meint Ihr?" Verwirrt sah der Wanderer den Geier aus seinen braunen Augen an.

„Mein Name lautet Raban", antwortete er ihm kokett. „Seid ihr der, den man den Schlüsselmacher nennt?", fuhr Raban fort.

„Ja, der bin ich. Ich höre auf den Namen Corvin Hanako, doch die Leute rufen mich Schlüsselmacher, Meisterdieb oder Zirkonienkämpfer. Und wer seid Ihr, Raban?"

„Ich bin niemand", antwortete Raban knapp.

Corvin knapperte unsicher an seiner Unterlippe. Eine Frage brannte ihm unter den Zehennägeln, doch er wusste nicht, ob sie den Vogel nicht vielleicht kränken würde.

„Sprich, Corvin Schlüsselmacher. Ich sehe dir an, du hast Fragen." Der Vogel schien es ihm vom Gesicht abgelesen zu haben.

Er nahm all seinen Mut zusammen und stellte sie ihm.

„Was bist?"

„Ich bin, was ich bin. Geboren aus Glas, gekleidet in Federn. Ich bin Wünsche, ich bin Freiheit, ich bin Gefahr. Wer mich besitzt, besitzt meine Weisheit, meine Stärke, meine Macht."

Corvin war mit dieser Antwort nicht zufrieden. Sie verursachte nur noch mehr Fragen. Er öffnete gerade seinen Mund, um eine weitere zu stellen. Da begann Raban wieder zu sprechen.

„Ich habe eine Aufgabe für dich!"

„Eine Aufgabe?", fragte Corvin verwirrt.

„Jemand ruft nach dir und du hast seinem Ruf zu folgen."

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