Feder
Smadiland
Wenn Wünsche Federn tragen würden, hätte Adain gewiss eine Lösung für sein Problem gefunden. Doch wie so oft war ihm das Glück auch dieses Mal nicht hold.
Schließlich war es eine einfache Wurzel, die ihn zu Fall brachte und seinen Verfolgern die Möglichkeit gab, ihn zu erwischen. Das Letzte, was er sah, war die Holzkeule, die auf ihn zu flog. Danach umfing ihn die Dunkelheit mit weit geöffneten Armen.
„Heda, Brisenbalg." Etwas Schweres traf Adain am Brustkorb, so dass er aufstöhnte. „Der lebt noch", stellte dieselbe kalte Stimme fest. Jemand seufzte unzufrieden, dann ertönten Schritte und eine Tür fiel zu.
Adain setzte sich mühsam auf. Sein Körper schmerzte und er spürte erstmalig die Last der Jahre. Alter war wahrlich kein Geschenk. Der Boden und die Wände bestanden aus rauem Stein. Bis auf die Seite mit dem Zugang war der restliche Raum rund. Gegenüber der Tür war eine Öffnung, durch die helles Sonnenlicht hinein fiel. Hoffentlich hatten sie ihm keine Rippe gebrochen. Es hieß, das solche Verletzungen im Alter schlechter heilen würden.
Kopfschüttelnd zog er sich nach oben. Es lohnte sich nicht, solchen Gedanken nachzuhängen. Vor allem nicht, wenn die Chance bestand, dass er im Laufe der nächsten Woche sterben könnte.
Seine Hände zitterten leicht, als er auf der Suche nach dem Kautabak in seine Westentasche griff. Doch so sehr seine Finger suchten, sie fanden nichts.
Natürlich hatte man ihn durchsucht. Bei Blitz und Sturm, auf dass die elenden Wachen daran verrecken mochten. Sein Tabak war ihm heilig, wichtiger noch als der Herr der Wünsche selbst. Auch wenn man solche Gedanken tunlichst nicht laut aussprechen sollte. Adain schaute in all die vielen Verstecke, die seine Kleidung bot, doch auch seine Münzen, das Messer und die kleinen Messgewichte hatte man ihm abgenommen. Jetzt war er wirklich am Ende.
Wind kam auf und wehte den Geruch der Steppe durch die Fensterluke zu ihm. Adain folgte dem Duft von Wacholder, der seine Füße näher an die Öffnung lockte.
Das Loch war zu schmal, um sich hindurch zu schieben. Es hätte auch nichts gebracht. Weit unter ihm erstreckten sich die Dächer von Salchik und die Kristallbucht, dahinter der violette Bewuchs der Steppenheide. Der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite.
Der Anblick brachte Adain zum Nachdenken. An einem so wunderschönen und windstillen Tag, hätte einfach nichts schief gehen dürfen. Abgesehen davon, es war ein ganz normaler Auftrag für einen Kunsthändler. Niemand hätte doch erwarten können, dass es hier zu Schwierigkeiten kommen würde. Er fuhr mit einer Hand durch sein Haar. Auch wenn es weiß war, so war es zumindest voll genug, damit er einen Zopf tragen konnte. Zu seiner Verblüffung war es noch immer zusammen gefasst.
Seine Finger umschlossen das Band und zogen es heraus. Wie hatten sie es nur übersehen können? Der gläserne Anhänger glich einer Feder und war nur so groß, wie sein kleinster Fingernagel. Er hatte ihn nur aufgefädelt, weil er Angst gehabt hatte, das Stück könnte aus den Taschen heraus fallen. Was für ein Schatz.
Schritte kündigten einen Neuankömmling an. Mit größter Sorgfalt fuhr Adains Daumen über den Glaskörper. wäre es eine Windschwester, so würde das sein Schicksal besiegeln. Neben vielen anderen Dingen konnten sie Artefakte des Herrn der Wünsche aufspüren. Und früher oder später würde man eine von ihnen zu ihm schicken. Wunsch und Wandel, das mussten sie, wenn sie je herausfinden wollten was, oder vielmehr wer ihn in die windigen Hallen getrieben hatte.
Vor der Tür unterhielten sich zwei Stimmen, gewährten ihm einen Aufschub. Adain warf mit einer schnellen Handbewegung die Feder durch das Loch nach draußen. Statt zu fallen drehte sie sich, wirbelte immer schneller um einen unsichtbaren Punkt. Durch die Bewegung wirkte der Körper wie eine Glaskugel, die vor ihm in der Luft stand. Er hatte viel über den Prozess gelesen, aber niemals zuvor gesehen, wie sich ein Wunsch manifestierte.
Das Gebilde fing das Licht ein, so dass es in den Farben des Regenbogens schimmerte. Adain gab sich einen Ruck. „Ich rufe dich, Raban. Mit Stimme und Geist, zeige dich."
Die Kugel stand still, zitternd, bevor sie in unzählige Splitter zersprang. Die Splitter fügten sich zusammen, formten das Abbild eines Vogels, nein, eines Rabens, der mit ausgebreiteten Flügeln in der Luft zu stehen schien. Hinter ihm verstummten die Stimmen und ein Schlüssel fuhr in das Schloß.
„Flieg. Suche jemanden, der mir helfen kann. Beeile dich." In dem Moment, in dem sich die Tür knarrend öffnete, klatschte Adain in die Hände. Das Glas zersprang erneut und ein echter schwarzer Rabe stob flügelschlagend davon. Gerade noch rechtzeitig hatte er den Wunsch freilassen können. Jetzt lag nichts mehr in seiner Hand.
Ein Funken hoffnung glomm in seinem Herzen auf. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.
„Adain Dapersjen." Es überraschte ihn, dass jemand seinen wirklichen Namen kannte. Adain drehte sich zu dem Sprecher um. Eine hagere Gestalt stand im Türrahmen. Der Mund war hinter einem dunkelblauen Tuch verborgen, ebenso die Stirn und der restliche Kopf. „Auch Adain, der Weber oder Adain der Fälscher genannt." Es war nur ein Stück gelbliche Haut zu erkennen und die hellbraunen Augen, die ihn fixierten. Normalerweise verwendete er Brauntöne in seinen Arbeiten, um Wärme auszudrücken. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass dieser Ton so kalt und abweisend wirken konnte.
Das mitternachtsfarbene Tuch kennzeichnete seinen Träger mehr als jedes Abzeichen. Jetzt konnte er nur noch hoffen. Mit einer Sternentochter hätte er reden können, vielleicht hätte sie sich von seinem Alter oder dem Auftreten überzeugen lassen, dass er nichts weiter war, als ein einfacher Kunsthändler. Aber man hatte einen Nachtträger zu ihm geschickt.
Er war wirklich in Schwierigkeiten.
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