24. Kapitel - Glühwürmchentanz & Lichterglanz

Kilian hatte schon früher immer gemeint, dass Enyas Augen wie warmer Honig leuchteten. Doch nun, geheilt durch das fünfte Element und umgeben von weiteren Quintessenzen, leuchteten ihre Augen noch mehr als vorher.

Er war froh, dieses Leuchten weiterhin sehen zu können.

"Die Drei werden niemandem mehr etwas tun", stellte Kilian fest, als er das Schlüssel-Gefängnis aufhob. Es leuchtete dunkelgrau mit goldenen Punkten. Augustus und seine Handlanger hatten stets nach Reichtum und Gold gegiert - jetzt waren sie in ihr eigenes 'Wunderland', wie sie es einst bezeichnet hatten, weggesperrt worden. Er hoffte, dass sie dort genug Gold für den Rest ihres Lebens hatten.

Fiona hob derweilen die anderen Schlüssel auf. "Sechzehn, siebzehn, ...", zählte sie. "Und der gehört euch."

Sie reichte Kilian den leuchtend roten Schlüssel, in dem sein Vater eingesperrt war. Als dieser von Augustus vor die missliche Wahl der Schlüssel gestellt wurde, hatte er geglaubt, Enya so retten zu können. Doch nun war es endlich an der Zeit, ihn zurückzuholen.

Enya überließ es ihm, den Schlüssel zu zerbrechen. Kilian hielt die Luft an und brach ihn entzwei.

Eine Gestalt formte sich vor ihnen. Nur einen Herzschlag später stand sein verwirrter Vater vor ihm und schob die Brille auf seiner Nasenspitze hoch. "Wo sind wir?", fragte er und drehte sich um. "Was ist passiert?"

Dann erblickte er Kilian und Enya. Und die Menge an schwebenden Quintessenzen. Und Fiona. Und Darius, der die Pfoten zum Gruß hob. "Hi."

Der Mund seines Vaters klappte auf.

"Papa!" Enya warf sich in seine Arme. "Du bist wieder frei! Du glaubst nicht, was alles passiert ist! Kilian hat mich geheilt! Und wir haben das fünfte Element vereint!"

Sein Vater blinzelte überfordert. Doch seine Verwirrung schien zweitrangig, denn seine Kinder waren hier - beide, gesund und munter. Nur das zählte.

Er lächelte Kilian an, welcher die Wiedervereinigung der Beiden bis jetzt mit einem Lächeln beobachtet hatte. "Ach, ist das so?"

Sein Vater breitete die Arme aus, um sie beide in die Arme nehmen zu können. Kilian zögerte keine Sekunde mehr. Obwohl sie mitten im Nebelgebirge in einem Vulkan waren, fühlte es sich für ihn wie Zuhause an.

Nach einer Weile räusperte sich ihr Vater. "Davon abgesehen, dass ich sehr viele Fragen habe - Habe ich mich verhört oder hat Daria gerade 'Hi' gesagt?"

"Darius!", riefen Darius, Enya und Kilian im Chor und lachten gemeinsam.

Während Enya und Darius bei seinem Vater blieben und ihm von den Elementen erzählten, drehte sich Kilian suchend im Kreis. Wo war Fiona?

Er fand sie schließlich abseits beim Podest.

"Was machst du?", wollte er wissen und setzte sich neben sie.

Sie zuckte mit den Schultern und versuchte den nächsten Schlüssel auf ihren schief gebauten Schlüsselturm zu legen, ohne dass er zusammenbrach. "Jemand sollte sie freilassen, damit sie alle zu ihren Familien zurückkehren können", meinte sie.

Kilian nahm ihre Hand, damit sie stoppte und ihn ansah. "Ich weiß, die Quintessenz konnte deine Schwester nicht zurückbringen. Aber denk nicht, dass du allein bist. Du hast jetzt uns."

"Wirklich? Auch ... wenn jetzt alles vorbei ist?"

"Erst recht jetzt, wo alles vorbei ist."

Kilian lächelte und Fiona erwiderte sein Lächeln.

"Ich kann dich auch heilen", bot er ihr an und streckte eine Hand aus. Eine Quintessenz folgte seiner stummen Bitte und schwebte zu ihnen. "Du hast gesagt, dass du damals, als du die Elemente nicht jonglieren konntest, auch einen Teil von dir verloren hast. Dass du deshalb 'verrückt' geworden bist."

Wobei er zugeben musste, dass er ihr verrückt und unvorhersehbar irgendwie mochte.

Fiona zögerte. "Ich ... Ich weiß nicht. Das ist Jahre her. Wer bin ich mit den Elementen? Wer bin ich ohne die Elemente?"

"Du", antwortete er einfach.

Sie verdrehte die Augen. "Sehr hilfreich."

"Nein, das meinte ich wirklich so. Enya hatte gesagt, dass sie Angst hatte, die Elemente würden mich verändern. Aber das haben sie niemals getan, sie haben mir nur gezeigt, was sowieso in mir steckte. Ich will damit sagen: Ob mit oder ohne Elemente macht für deinen Charakter keinen Unterschied. Du bist und bleibst du - aber vielleicht wird es leichter, wenn das fünfte Element alles vereint, was zwiegespalten ist."

Fiona dachte eine Weile nach. "In Ordnung. Wenn ein Apotheker das sagt, dann vertraue ich dem."

Sie schloss die Augen und Kilian betrachtete die Quintessenz. Früher hatte er das nicht so gesehen, aber Apotheker zu sein war eine wirklich tolle Aufgabe. Vor allem, wenn er es auf seine Art machen konnte.

Kilian hielt die Quintessenz vor Fiona, sodass sich die Magie entfalten konnte. Sie breitete sich aus, umhüllte sie in goldenem Licht und spülte alles fort, was sie für einen Neuanfang nicht mehr brauchte.

Denn das war es, was sie wirklich brauchte: Einen Neuanfang.

Als sie die Augen öffnete, wirkte Fiona ausgeglichener. Ruhiger. Und befreiter.

Doch wie er es gesagt hatte, war sie immer noch dieselbe mit ihrer seltsamen Art. Fröhlich stand sie auf und klatschte in die Hände. "Jetzt ab nach Hause! Ich muss meine Fische füttern."

"Deine Fische? Oh, meinst du die Regenbogenkois, die im Wasserfall vor deinem Zuhause leben?"

Fiona nickte, dann tippte sie sich nachdenklich gegen das Kinn. "Wobei ... ich weiß nicht, ob der Spiegel-Wald hinter dem Wasserfall noch bewohnbar genug ist, um es Zuhause zu nennen."

Der Spiegel-Wald war durch Feuer und Wasser zerstört worden, als die beiden Elemente ausgebrochen waren. Wahrscheinlich konnten sie es wiederherstellen, aber es würde eine Weile dauern.

"Wenn du möchtest, kannst du erstmal mit uns kommen", bot sein Vater plötzlich von hinter ihnen an. Enya, Darius und er hatten sich anscheinend auf die Suche nach ihnen begeben und liefen fasziniert zwischen den vielen Quintessenzen hindurch.

"Ehrlich?", fragte Fiona erstaunt.

"Sicher. Unsere Türen stehen für alle offen - wie ich gerade erfahren habe, beherbergen wir ab jetzt sogar einen sprechenden König der Eichhörnchen."

Darius reckte die Brust und richtete sein Fell. "Das ist korrekt."

"Gut", stimmte auch Fiona munter zu.

Sie standen auf und Kilian wusste, dass es Zeit zu gehen war. Während die anderen die Schlüssel einpackten, um die Menschen später zu befreien, verweilte sein Blick auf den vielen Quintessenzen, die noch immer über dem Podest schwebten. Er wollte sie nicht einfach so zurücklassen.

Aber konnte er sie mitnehmen?

Kilian beschloss, einfach die Magie um Rat zu fragen. Was sollen wir mit den vielen Quintessenzen tun? fragte er in Gedanken, weil er wusste, dass sie ihn hören würde.

Die Antwort kam in Form eines Glühwürmchens. Es flog einen Kreis um das Podest und die Quintessenzen begannen sich dort zu sammeln. Staunend sahen alle dabei zu, wie die Lichter nach oben schwebten wie Laternen des Lebens und durch die Öffnung des Vulkans in den Himmel verschwanden.

Wohin sie flogen, wusste Kilian nicht. Aber er war sich sicher, dass jeder Hoffende, der die Elementarebene aufsuchen und nach Heilung fragen würde, auch zukünftig das Geschenk des fünften Elements empfangen würde.

Das Glühwürmchen flog zurück und schwirrte zum Tor. Kilian bedeutete den anderen, ihm zu folgen. "Kommt!"

Gemeinsam traten sie durch das Tor nach draußen, wo sie die Morgendämmerung bereits begrüßte. In der Ferne, über den Gipfeln des Nebelgebirges, brach ein neuer Tag an. Die Sonne leuchtete genauso hell wie einst die Quintessenz, wie ein Versprechen auf einen neuen Tag voller Magie und Wunder.

Von hier konnte er das ganze Gebirge und die unendliche Weite sehen. Früher hatte er sich danach gesehnt, weit wegzureisen. Nun glitten seine Finger in seine Tasche und stießen gegen den neuen, goldenen Kompass. Er holte ihn raus und strich über die Hülle. Vielleicht bot die Welt in Zukunft Abenteuer für ihn, die er im Moment noch nicht erahnen konnte.

Er freute sich schon darauf.

Doch vorerst war er froh, nach Hause zurückkehren zu können.

Als sie fröhlich losliefen, spürte Kilian die feurige Wärme der Sonne über sich und die ruhige Erde unter seinen Füßen. Das Morgentau durchnässte seine Schuhe und der kühle Wind wehte um ihn herum, wie eine wohlwollende Umarmung.

Die Elemente waren überall. Aber vor allem wusste er, dass sie in ihm waren, und in jedem einzelnen von ihnen.

Man musste nur genau hinsehen.

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