𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟐𝟒
„Was ist, wenn uns jemand erkennt?", frage ich Vincent, als wir das King Anwesen verlassen. „Dann hat Atlas ein Alibi, falls etwas mit Aaron passiert." Entsetzt sehe ich ihn an und schubse ihn leicht. „Das ist nicht lustig!"
Er greift meine Hand und zieht mich an sich. „Ich weiß, Kleines", flüstert er in mein Ohr. Seine Stimme lässt einen Schauer über meinen Rücken laufen. „Mach ich dich etwa nervös?", fragt er neckend. Langsam schüttle ich mit meinem Kopf. Doch weder er noch ich treten weg voneinander.
Seine blauen Augen wandern über mein Gesicht und bleiben an meinen Lippen hängen. „Wir sollten weiter gehen", meint er schließlich und lässt von mir ab. Seine Abwesenheit ist sofort spürbar. Kälte breitet sich in meinem Körper aus.
Mein Blick geht zu dem Sonnenuntergang, der sich aktuell am Himmel abspielt. „Hat die Bibliothek überhaupt noch offen?", frage ich Vincent. Er zuckt nur mit den Achseln. „Keine Ahnung. Aber, da es sowieso nur ein Block entfernt ist, werden wir es gleich herausfinden."
Skeptisch sehe ich zu ihm. „Und wenn sie geschlossen hat?", hacke ich nach. „Dann sehe ich meinem Bruder glücklicherweise sehr ähnlich." Er zwinkert mir zu.
„Es ist ungewohnt die Straßen ohne einen Aufpasser entlang zu gehen. Dabei war es vor kurzer Zeit noch normal", spreche ich meine Gedanken aus als wir einige Schritte im Schweigen gegangen sind.
Doch, dass auch Felice dutzende Bodyguards rum um die Uhr bei sich hatte, verschwieg ich.
„Das Gefühl kenne ich."
Überrascht sehe ich zu Vincent. „Was? Denkst du es war für mich anders, als ich Frankreich verlassen hatte und ausgewandert bin?"
„Atlas erwähnte das bei dem Essen mit euren Eltern. Er meinte, dass sie schuld waren."
„Meine Eltern hatten keine Schuld. Bevor ich gegangen bin, habe ich Atlas erzählt, dass ich mir die Welt ansehen will. Dass ich auf der Suche nach Inspiration gehen will."
„Wieso sagt er dann, dass Scarlett und Ezra schuld sind?"
„Vielleicht, um ihnen ein schlechtes Gewissen unter die Nase zu reiben. Sowas hat er schon als Kind gern gemacht."
Ein kühler Windstoß bläst in unsere Gesichter und ich erschaudere. Wenige Schritte später bemerke ich, dass Vincent stehen geblieben ist. Fragend drehe ich mich zu ihm. Er streift sich die Lederjacke, die er bis eben trug von sich und geht auf mich zu, um sie über meine Schultern zu legen.
Und in diesem Moment wurde mir klar, wie verschieden sich die Zwillinge eigentlich sich.
Atlas, der Bruder, der mit dem Geld um sich wirft, als hätte es keinen Wert. Der Mann, der für jeden Schritt einen Plan hat, der oft mit einem Deal verbunden ist. Seine Anzüge, die zu seiner Alltags Kleidung gehört. Dabei kann er keine Krawatten binden.
Dann ist da noch Vincent. Er ist liebevoll und zeigt, im Gegensatz zu seinem Bruder, seine Wut nicht mit Gewalt. Der Mann hat keine Hintergedanken, die mit einem Deal in Verbindung stehen. Er trägt lässige Kleidung und verbringt seine Freizeit mitschreiben.
„Ist alles okay?" Vincent legt eine Hand auf meinem oberen Teil meines Rückens. „Ja, ich habe mich nur gefragt, ob du deine Inspiration gefunden hattest." Ein Lächeln umspielt seine Lippen.
„Ich habe sie gefunden, meine Inspiration. Ich habe dich." Röte schießt in meine Wangen und ich drehe meinen Kopf weg. Habe ich das gerade richtig verstanden? Er ist Jahre lang auf der Suche gewesen und nimmt dann ausgerechnet mich?
Vincent legt seine Finger unter mein Kinn und dreht es in seine Richtung, damit ich gezwungen bin, ihn anzusehen. „Ich habe viele Jahre meines Lebens vergeblich nach etwas gesucht, was meine Inspiration sein könnte. Doch als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich, dass ich sie nicht hätte suchen brauchen. Sie fand mich."
Langsam schließe ich meine Augen und nehme seinen Duft in meiner Nase auf. Du bist verlobt, Vivianne. Es fühlt sich jetzt vielleicht richtig an, aber es ist falsch. Sehr falsch.
Ich entferne mich etwas von Vincent. „Wir sollten uns beeilen, sonst ist die Bibliothek wirklich geschlossen." Der Mann vor mir nickt. „Stimmt." Als ich meinen Kopf anhob, bemerkte ich erst, wie voll die Straßen trotz dieser Uhrzeit noch sind. Es ist ein Wunder, dass noch keine Kamera auf uns gerichtet war.
Der restliche Weg verlief im Schweigen. Vor der Bibliothek leuchteten meine Augen auf. „Sie ist noch offen", flüstere ich fröhlich. „Komm, ich möchte dir etwas zeigen." Vincent greift nach meiner Hand und zieht mich förmlich in das Gebäude hinein. Wir laufen an einigen der Regale vorbei, bis er plötzlich stehen bleibt.
„Was willst du mir zeigen?"
„Schließ deine Augen, Kleines." Ich gehorche und spüre, wie die Hände meines Gegenübers sich sanft auf meinen Rücken legen und er mich etwas dreht. „Öffne sie wieder." Ich sehe nun direkt auf das Regal vor mir.
Verwirrt sehe ich noch einmal kurz zu Vincent, bis ich es verstehe und meine Augen sich weiten. „Ernsthaft?" Überrascht lasse ich meinen Blick über das Regal gleiten. Jedes einzelne Buch stammt von einem Autor. Vincent King.
„Ich habe meine Bücher oder Gedichte nie verkauft, sondern es, wie du es unschwer sehen kannst, in Bibliotheken stellen lassen."
„Und sie gaben dir deshalb ein ganzes Regal?" Er schmunzelt und schüttelt mit dem Kopf. „Nein, Kleines. Als ich hier gearbeitet hatte, habe ich nach und nach Bücher umgestellt und nach zwei Jahren wurde es endgültig zu dem Regal, was du jetzt siehst."
„Du hast hier gearbeitet?"
„Entgegensatz zu meinem Bruder kann ich nicht einfach schnipsen und habe ein gefülltes Konto. Ich muss arbeiten, sowie du es tun musstest, bevor Atlas dich fand." Verlegen kratze ich meinen Nacken. „Ist etwas?"
„Weißt du noch, als wir gemeinsam shoppen waren?" Er nickt und blickt auf meine Lippen. „Das Gefühl deiner Küsse werde ich nicht so schnell vergessen, Kleines." Ich rolle mit meinen Augen. Vincent bäumt sich vor mir auf und presst mich mit seinem Körper gegen das Regal. „Roll deine Augen nicht oder ich werde dir noch einen Grund dafür geben."
Ich schlucke.
„Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes sagen, Vincent." Er grinst. „Ach, ja?" Seine Hände gleiten langsam hinab zu meiner Taille und finden dort ihren Stopp. Er kommt mir noch näher, wenn das überhaupt möglich ist.
„Wir sollten jetzt gehen, Kleines. Ich weiß nicht, ob ich mich noch länger zusammenreißen kann", flüstert er in mein Ohr und lässt von mir ab. Enttäuscht und auch froh darüber, hole ich tief Luft.
„Habt ihr schon einen Termin?"
Verwirrt sehe ich zu Vincent. „Wie bitte?", frage ich. „Für die Hochzeit. Gibt es schon ein Datum?" Überfordert schüttle ich mit dem Kopf. „Atlas drückte mir nur einen Ring in die Hand. Von einem Datum oder allgemein den Ablauf war noch nicht dir Rede. Vielleicht findet sie auch nicht statt, sobald ich ihn verprügelt habe, weil er mir nachspioniert hat."
„Vivianne", ich unterbreche ihn. „Nein, Vincent. Ich habe schon einmal erlebt und möchte diese Hölle nicht noch einmal durchmachen. Ich schaffe das nicht ein drittes Mal. Ich möchte ihn nicht noch einmal alles verlieren, weil mein Vater seine Finger im Spiel hatte."
„Du wirst nie wieder alles verlieren."
„Das kannst du nicht wissen, Vincent. Es kann jeder Zeit nach hinten los gehen und ehe du dich versiehst, wurdest du aus deinem eigenen Zuhause rausgeschmissen. Weißt du was? Eigentlich müsste es noch einmal so passieren. Denn, wie heißt es so schön? Alle guten Dinge sind drei."
Er kommt auf mich zu und legt seine Arme um mich. „Sag sowas nicht, Kleines. Niemand verdient es. Am wenigsten du." Eine Träne rollt meine Wange hinab. „Und wieso passiert es dann immer mir?"
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Wie findet ihr das Kapitel?
Arme Vivianne... zum Glück hat sie ihren Vincent. 👀
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