48. Selbstmordkommando
Was hat er da gerade gesagt?
Mit geweiteten Augen starre ich Isaac an, der etwas hinter mir fixiert hat. Er ist immer noch über mich gelehnt und hat seine Hände links und rechts von mir an dem Stuhl gestemmt. Im Gegensatz zu ihm hebt mein Brustkorb sich unregelmäßig. Er ist ruhig und starrt mit einem neutralen Blick hinter mir. Bis er sich erhebt und ein Grinsen sein markantes Gesicht ziert.
»Hallo, Bruder. Lange her, nicht wahr?« Dieses Grinsen ist provozierend und amüsant zu gleich. Ihn macht das ganze Spaß... Krank, einfach krank. »Nicht lang genug, Isaac«, ertönt seine tiefe und angenehme Stimme. Sekunden später, als er sprach, bildete sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper. Zum einen, weil er wirklich hier ist und zum anderen, weil seine Stimme kälter und schärfer ist, als ich je für möglich gehalten hätte.
Ich hätte fast erleichtert ausgeatmet, weil er wirklich da ist und nicht auf Isaacs Seite steht. Als Isaac ihn gerufen hat, so, als wäre er mit eingewickelt in das Ganze, rutschte mir das Herz so tief in die Hose, vor Angst. Für eine Millisekunde habe ich gedacht, er hätte uns hintergangen und wäre mit Jeff und Isaac unter einer Decke. Ich hatte befürchtet, all diese Küsse und Berührungen, all die Worte nur gelogen waren. Als wäre alles nur ein Schauspiel gewesen. Was zum Glück nicht der Fall war.
»Lass sie gehen.« Lions Stimme duldet keinen Widerspruch. Wäre ich an Isaacs Stelle hätte ich schon längst nachgegeben. Ich hätte das getan, was er verlangt, um meines Schutzes. Alleine schon weil seine Stimme schärfer ist als ein Messer. Da ich aber nicht an Isaacs Stelle bin und somit auch sein Vorhaben nicht kontrollieren kann, lächelt er.
»Ach, Lion...« Es ist das erste Mal das ich ihn seinen Namen sagen höre und es ist mehr als nur fremdartig und merkwürdig. »Jeff und... Jacob, oder?« Ich stocke. Jacob ist hier? Und Jeff auch? Okay, bei Jeff habe ich es mir schon gedacht aber... Soll das jetzt bedeuten, das er Jacob und Lion festhält? Oh, nein... Gar nicht gut.
»Kommt doch her und lasst uns ein wenig reden«, schlägt er vor. Einladend breitet er seine Arme aus. »Wir verzichten«, lehnt Lion ruhig ab. Wie kann er da noch ruhig bleiben? »Sei kein Spielverderber, Bruderherz«, schmollt er. »Nur dieses eine Mal. Ich hole euch auch Stühle, dann könnt ihr es euch gemütlich machen.« Freudig macht er auf dem Absatz kehrt und lässt uns somit alleine.
Moment mal...
Verwirrt und verblüfft starre ich auf die Stelle, auf die er zuletzt gestanden hat. »Er lässt uns einfach alleine... unglaublich.« Ich erschrecke schon fast bei dem Klang von Jacobs verblüfften Stimme. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. Er hat uns alleine gelassen, das ist gut.
»Er hat doch sicher etwas vor«, behauptet Jeff nachdenklich und das Lächeln in meinem Gesicht verschwand so schnell, wie es auch kam. »Das ist egal. Befreien wir sie«, befehlt Lion eindringlich und schon höre ich wie die Jungs auf mich zu kommen. Ihre Schritte sind schnell, also joggen oder laufen sie auf mich zu.
Ein erschrockener Laut verließ meine Kehle, als Jacobs Gesicht vor mir auftaucht. »Hey, hey... Ich bin's nur«, versucht er mich zu beruhigen. »Jacob«, flüstere ich seinen Namen und muss die aufkommenden Tränen verdrängen. »Keine Sorge, Rina. Wir bringen dich da heil raus.« Er lächelt mich sanft an, was ich erwidere. »Versprochen.« Dann fangt er an an den Handschellen zu rütteln. Ich sehe ihm dabei zu, bis ich eine Bewegung vor mir ausmachen konnte.
Lion und Jeff stehen mit dem Rücken zu mir gedreht und halten ihre Hände hoch. Ich schenke Jeff keine Beachtung, meine Augen liegen nur auf Lion. Besser gesagt, auf seinem Rücken. Er hat sich umgezogen. Als ich ihn zuletzt gesehen habe, was keine Ahnung wie lange her ist, trug er einen schwarzen Pullover und eine schwarze Jeans. Die hat er durch ein hautenges schwarzes Shirt eingetauscht und einer dunkelblauen Jeans, die leicht zerrissen ist.
Er sieht so verdammt gut aus. Auch in solchen Situationen. Wie schafft er das nur?
Meine Gedanken schweifen zu meinem Aussehen, besser gesagt, meinem Kleid, das ich noch an habe. Es ist wirklich ungemütlich so zu sitzen, wie ich gerade sitze und das noch in dem Kleid. Ich bin froh, das ich es noch an habe. Ich kann mir wenigstens sicher sein, das er mich nicht angefasst hat. Obwohl, kann ich mir da wirklich so sicher sein, nur weil ich mein Kleid noch anhabe?
Mit einem Mal fühlte sich meine Haut ekelerregend an, weswegen ich mich schüttle. Besorgt sieht Jacob zu mir hoch. »Was ist los? Ist alles okay? Habe ich dir weh getan?«, bombardiert er mich mit den Fragen. Ich schüttle den Kopf. »Nein, nein. Ich fühle mich nur schmutzig. Das ist alles.« Ich schenke ihm ein Lächeln, das ihn zeigen soll, das er sich keine Sorgen machen muss und treffe auf dunkle Augen, als ich wieder hoch zu Lion sehe.
Leise zog ich die Luft scharf es. Er verschlägt mir immer wieder den Atem. Ich habe das Bedürfnis diese Handschellen von meinem Körper zu reißen und einfach in Lions Arme zu fallen. Es wäre das Schönste, seine starken, geborgenen Arme um mich zu spüren und mich in Sicherheit zu wissen. Denn bei Lion fühle ich mich sicher. Immer.
Ich erkenne das Lion eine Waffe in der Hand hält und sehe dann zu Jeff, der sich jetzt schränk gestellt hat und ebenfalls eine Waffe in die Höhe hält. Ich verstehe nicht nicht ganz... »Ihr dürft ihm nicht vertrauen«, spreche ich in die Stille hinein. Lion zog die Stirn in Falten, wie auch Jacob. Jeffs Blick traf auf meinen. »Doch, ihr könnt mir vertrauen.« Ich schnaubte und schüttle dabei den Kopf. »Nein. Du hast alles nur vorgespielt. Du stehst auf Isaacs Seite.«
»Tut er nicht, Serina.« Mein Blick landete sofort auf seinem. Seine Stimme ist nicht mehr so schneidern wie vorher, eher sanft. »Versteht ihr es nicht...« Er unterbricht mich schnell. »Das war gespielt, Serina. Das war geplant.« Ich halte verwirrt inne. Bitte was? »Aber...« Ich sehe zwischen Jeff und Lion hin und her. Das alles war gespielt? Unglaublich.
»Wenn du noch weiter versucht, die Handschellen von ihr zu lösen, puste ich ihr ohne zu zögern das Hirn weg.« Jacob hörte auf sich zu bewegen und ich höre auf zu atmen. Isaac taucht mit verschränkten Armen auf und lehnt sich an eines der großen Kisten, die uns umkreisen. In seiner rechten Hand hält er eine Waffe, die er von seinem Zeigefinger runter baumeln lässt. »Habt ihr wirklich gedacht, ich hole euch Stühle, damit ihr Herren euch es gemütlich machen könnt? Habt ihr ehrlich gedacht, ich lasse euch alleine, mit der Hübschen da und gebe auch somit die Chance sie zu retten?«
Fragen, auf die wir alle mit Nein hätten antworten müssen, aber so war es nunmal nicht. Wir hatten an diese Sachen geglaubt und wurden enttäuscht.
Verdammt.
»Diese Hübsche da muss mit Fesseln leiden, also bekommt ihr Herren sicher keinen Stuhl. Ihr könnt stehen bleiben.« Er packt die Waffe jetzt mit seiner kompletten Hand und kam dann auf uns zu. »Verschwinde da«, befehlt er Jacob, der sich nicht rührt. Augenrollend hält er seine Waffe auf Jacob und ich halte erneut die Luft an. Wann komme ich überhaupt zum atmen? »Ich kann auch so gut dein Hirn wegpusten, wie ihres, also weg da.« Jetzt erst macht er Anstalt sich von mir wegzubewegen und ich atme die angestaute Luft aus.
Meine Lunge fühlt sich an, als würde sie gleich zerplatzen.
»Nun, wo wir alle hier versammelt...« Lion unterbricht ihn. »Was willst du von ihr? Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun, Isaac. Lass sie gehen.« Es war eine Lüge. Ich hatte sehr wohl etwas mit dem allem zu schaffen und das wusste Isaac auch. »Bruderherz, wir wissen beide, das sie mehr damit zu tun hat, als du behauptest. Aber es ist süß, wie du sie befreien willst.« Er sieht zu seinem Bruder und dann zu mir.
»Sie ist wunderschön.« Er hebt seine Hand an und wollte mich an der Wange brühten doch Lion hielt in auf, in dem er ihn sagte, es soll es lassen. »Ach, Bruder. Du willst immer den Helden spielen, sowie du es bei Mary getan hast. Und wo hat sie das gebracht, hm?« Isaac wusste, er hatte damit einen wunden Punkt bei seinem Bruder getroffen. Man sieht es für Sekunden in Lions Gesicht, aber er konnte schnell wieder sein Pokerface aufsetzten, doch seine Augen verraten ihn.
»Weißt du, wieso ich gedacht habe, du würdest Mary lieben?« Er betrachtet Lion, der schweigt. »Du hast sie angesehen, als wäre sie das wichtigste in deinem Leben. Du hast sie angelächelt, mit ihr geredet, wie du es noch nie bei jemanden getan hast. Deine Blicke sahen aus, als würdest du sie lieben. Zumindest für einen Psychopathen, der niemals geliebt hat, sah ein verliebter Blick so aus. Leider Gottes habe ich mich getäuscht, denn so wie du Serina ansiehst...« Lions Augen treffen auf meine. »So muss Liebe in einem Blick aussehen.«
Isaac zuckt mit den Schultern. »Aber was weiß ich den schon von Liebe?« Er lächelt, als hätte er etwas unglaubliches erzählt. Etwas, das er nicht fassen kann.
Lions Augen haben sich von meinen gelöst und suchen jetzt abwechselnd den von Jacob und Jeff. In ihren Blicken sehe ich, das der jeweils andere einen Plan hat, den sie sich mitteilen wollen, weswegen ich mich zusammen reiße und etwas tue, was ich eigentlich vermeiden wollte. »Wieso?«, fragte ich und alle Augenpaare landeten auf mir. »Wieso was?«, fragt Isaac neutral. »Wieso meinst du, du hättest nie geliebt?« Das mich die Frage wirklich interessiert, will ich nicht zugeben.
Zum ersten Mal seit ich Isaac gesehen habe, hat er eine andere Miene ausgesetzt, als die des Belustigten und die des Neutralen. Jetzt sieht er mich unschlüssig an. Als würde er mit sich ringen, mir eine Antwort darauf zu geben. Schließlich geht er auf den Gesprächsversuch ein. »Ich weiß nicht, wieso. Ich fühle es einfach. Ich hatte zwar schon Bettbekanntschaften und ein bis zwei Beziehungen, die aber zu nichts führten. Ich habe keines dieser Frauen geliebt. Konnte ich nicht. Platz für Liebe ist bei mir nicht vorhanden.«
»Aber wieso denkst du sofort an Beziehungen, obwohl Liebe in vielen anderen drinnen steckt. Wie Freundschaft«, versuchte ich es weiter. »Ich habe keine Freunde.« Ich nickte. Wundert mich nicht. »Oder Familie.« Jetzt grinst er wieder. »Die haben ich getötet, außer dem Dummkopf da.« Er zeigt auf Lion. »Schon vergessen?« Shit, das wollte ich nicht erreichen. »Entschuldige«, murmle ich. Wieso entschuldige ich mich überhaupt? Er hat meine Tante und meinen Bruder getötet. Er hat seine Eltern getötet und die beste Freundin von Lion.
Wut wollte wieder in mir aufsteigen, was ich versuche zu unterdrücken. Bei dem Gedanken, das dieser Psychopath Familienmitglieder von mir getötet hat, hätte ich ihm am liebsten eine verpasst aber ich muss ruhig bleiben. Ich muss die Fassung wahren. Automatisch suchen meine Augen die von Lion. Einfach um nachzusehen, das es ihm gut geht. Und tatsächlich. Die Jungs sind näher gerückt und sprachen leise mit einander, also muss ich weiter machen. Wenn ich schon dabei bin, kann ich ihn gleich ausquetschen.
»Erklär mir, Isaac, wieso du das alles tust.« Er zog die Brauen zusammen. »Was meinst du?« Ich holte tief Luft. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. »Wieso tötest du Menschen, für eine beschissene Kette?« Meine Stimme geht zum Ende hin ungewollt lauter, weswegen ich mich räuspere, als ich fertig gesprochen habe. »Ach, das. Ich töte doch keine Menschen, nur wegen Ketten. Mir macht es Spaß Menschen leiden zu sehen und wenn ich dafür eine Kette, die äußerst teuer ist, als Grund für meine Taten nutzen kann, dann wieso nicht?« Entspannt lehnt er sich im Sesseln zurück.
Wut übermannte mich. Wie wild zerrte ich an den Fesseln herum, um mich endlich aus ihnen zu befreien, damit ich ihm die Augen auskratzen kann. Da es mir nicht gelang, wie gedacht, tat ich etwas, was ich schon vorher hätte tun sollen. Ich schreie ihn an.
»Du gottverdammter Mistkerl! Wie kannst du nur sagen, das es dir Spaß macht Menschenleben zu beenden? Wie kannst du es wagen anderen Menschen ihre Liebsten zu nehmen? Wie kannst du es nur über dich bringen Menschen zu töten, die geliebt und vermisst werden? Wie kannst du es den Menschen antun, die durch diese Tode leiden müssen? Wie zur Hölle kannst du dabei zu sehen, wie Lion an seinem Schmerzen zerbricht, weil du ihm die Menschen genommen hast, die ihm die Welt bedeuten. Sag mir, wie?«
Ich schreite ihn an, wie ich es noch nie in meinem Leben getan habe. Noch nie habe ich so meine Stimme erhoben. Ich hatte es auch nie nötig gehabt.
Viel zum Thema die Fassung wahren.
»Du tötest Menschen, um das zu bekommen was du willst. Du lässt alle gebrochen zurück und scherst dich einen Dreck um sie. Wie kannst du nur all das Leid erbringen und dann nachts ruhig schlafen?« Ich bin außer mich. Dabei war das noch nicht mal alles was ich sagen wollte. Ich kann meine Gedanken nicht in Worte fassen, es ist einfach zu schwer.
Worte waren sowieso viel zu wenig, um das ausdrücken zu können, was ich fühle.
Ich spüre wie Tränen meine Wangen herunter rinnen, die Isaac mit seinen Augen verfolgt und als eine Träne von meinem Gesicht irgendwo auf meinem Kleid gelandet sein muss, sieht er mir wieder in die Augen. In seinen Augen glänzte plötzlich Wut und nicht nur das, sondern auch... Trauer? Irre ich mich oder habe ich das gerade wirklich gesehen?
»Du willst wissen wie? Du willst es also wissen, hm?« Er beugte sich zu mir nach vor und hält mir seine Waffe an den Kopf. Der Lauf der Waffe berührt meine Stirn. Mein Herz rast wie wild. Mein Brustkorb hebt und senkt sich wieder unregelmäßig und die Tränen nahmen kein Ende. »Ich halte diesen verfickten Menschen meine Pistole an den Kopf und schisse.« Er drückt mit der Pistole an die Stirn. »Pang, Pang, Pang«, machte er und ich zuckte bei jedem Mal. »Dann sehe ich zu, wie das Blut aus ihnen spritzt und überall landet. Ich genieße ihre weit aufgerissenen Augen, die blutende Schusswunde und ihre leblosen Körper.«
Er lehnt sich noch weiter vor, die Waffe noch an meiner Stirn. »Ich liebe es, das Blut zu beobachten, wie es herausrinnt und auf dem Boden ein wunderschönes rotes Meer bildet. Ich liebe es zu zusehen, wie das Leben langsam aus ihren Körper verschwindet.« Er schließt die Augen, als würde er die Erinnerungen an tausende Morde wieder hervorrufen und sie genießen. »Dann drehe ich mich um und gebe ein Dreck für die Gefühle anderer Menschen. Die Schmerzen der Anderen sind mir so verdammt gleichgültig. Die ganze Welt kann von mir aus sterben und ich würde in der ersten Reihe sitzen wollen und bei den Höllenschreien, die durch den Schmerz verursacht werden, begeistert klatschen und nach Zugabe rufen.«
»Wichser!«, spucke ich ihm ins Gesicht und das scheint ihn völlig aus der Fassung zu bringen, denn sein Gesicht verzerrt sich wütend und die Waffe in seiner Hand wird mir noch mehr in den Schädel gedrückt. »Ich werde auch deinen Tod mehr als nur genießen, Serina Stone.«
Ich schließe die Augen und versuche an schöne Dinge zu denken. Wie am Lion. Isaac wird mich töten und ich hatte nicht mal die Chance dazu gehabt, ihm zu sagen, das ich ihn liebe. Ich konnte meinen Eltern nicht Lebewohl sagen. Weder meinem Onkel, meiner Oma, noch Camilla, meinem kleinen Engel.
Ich dachte an all die schönen Momente mit meinen Freunden hier in North Carolina. Ich dachte an Deacon, mit dem ich seit Langem wieder gesprochen hatte. Ich dachte an meine Familie, wie sie mir beistanden und mich nicht aufgeben haben. Und ich dachte an Lion Arden. Den jungen Mann, der mein Herz für sich erobert hat.
Ich würde sterben, mit den Gedanken, das ich wundervolle Menschen an meiner Seite hatte und das ich Simon und meine Tante Silvia endlich auf der anderen Seite treffen würde. Doch dazu kommt es wohl nicht. Die Waffe wurde von meiner Stirn genommen und ein lauter Schlag ertönte.
Ich öffne die Augen und sehe Lion, der mit Isaac auf den Boden flog und schmerzvoll stöhnen, als sie darauf landen. »Was zur Hölle«, sagt Jeff und sieht mit großen Augen zu den zwei Brüdern.
Lion rappelte sich sofort auf und ehe wir uns versahen hat er Isaac eine verpasst. Isaacs Kopf fällt leicht nach hinten und er stöhnt. Lion haut noch mal zu. Dann nochmal, dann nochmal, dann nochmal. »Lion! Hör auf! Hör sofort auf!«, schreie ich. Er schlug immer und immer wieder auf ihn ein. »Hör auf Lion! Du bringt ihn sonst um!« Obwohl ich mir nichts mehr als das wünsche, kann ich es Lion nicht antun.
Wenn ihr seinen Bruder zu Tode prügelt, ist er nicht soviel besser als er selbst.
Gottseidank hört er auf.
Mengenweise Blut kommt aus Isaacs Nase heraus, was ihn wenig zu interessieren scheint, denn er wischt das Blut mit seinem Handrücken ab, verwischt und verteilt es damit weiter, ehe auch er zum Schlag ansetzt. Lion konnte nicht so schnell reagieren, weswegen Isaac ihn am Kinn traf. Scharf zog ich die Luft ein, wie auch Jacob und Jeff, die einfach da stehen. Lion setzte sich auf seinem Bruder und schlug ihm mehrere Male ins Gesicht. Isaac versucht die Schläge abzuwehren und sie selbst auszuteilen, was auch irgendwie funktioniert.
Es geht alles so schnell, das ich nicht mal mehr erkenne wer wen gerade eine verpasst hat. Die Tränen, die sich erneut gebildet haben flossen wie ein Fluss von meinen Wangen herab. »Hört auf! Hört auf, verdammt! Ihr bringt euch noch um!«, schreie ich mir aus der Seele heraus. »Jacob! Jeff! Macht das es aufhört! Bitte!«, fehlte ich sie an, doch zu meinem Erstaunen ergriff plötzlich Lion das Wort. »Jungs, der Schlüssel.«
Ich verstand nicht. Ich blicke zu Lion, der seinen Bruder am Hals gepackt hat und fest zu drückt, aber nicht so fest, das er ihn umbringen könnte. Isaac zappelt unter seinem Bruder und sucht alle Mittel, die ihn von ihm befreien. »Der Schlüssel!«, schreit Lion die Zwei an, da sie sich nicht vom Fleck gerührt haben. Jacob nickt, geht zu Lion und Isaac, bückt sich herunter und hebt etwas von Boden auf. Dann steuert er direkt auf mich zu.
Vor mir kniet er sich nieder und hält mir einen kleinen Schlüssel unter die Augen, das völlig blutverschmiert ist. Mein Magen dreht sich um und prompt wurde mir schlecht. »Wir befreien dich jetzt«, sagt er, während er sich an die Handschellen ranmacht.
»Du elender Wichser!«, höre ich Lion brüllen. Ich sehe von Jacobs Schulter herüber und sehe zu wie er Isaac eine verpasste und dann wieder seinen Hals mit beiden Händen festhielt. »Dreckiger Bastard!«, donnerte er. Ein Schlag folgte darauf. »Du verficktes Arschloch!« Ein weiterer Schlag und ein schrecklicher Knacks hallte in der Halle wieder. Angewidert verziehe ich das Gesicht.
Er hat ihm mit Sicherheit die Nase gebrochen.
»Du hast mir alles und jeden weggenommen, der mir etwas bedeutet hat. Du hast meine Eltern getötet und meine beste Freundin, weil du Macht haben wolltest. Weil du nichts als Macht haben konntest, denn kein Mensch, der einen gesunden Verstand hat, hätte sich jemals dazu entschieden, dich, Drecksack, zu lieben!« Ein weiterer heftiger Schlag. Er beugte sich zu Isaac herunter, der voll verschmiert ist mit Blut und der jede Sekunde in Ohnmacht fallen könnte.
»Ich hasse dich«, zischt er so hasserfüllt. »Ich hasse dich so, so sehr.« Schläge über Schläge folgten. Keiner konnte ihn mehr aufhalten. »Jeff! Geh dazwischen! Lion wird in umbringen!«, kreische ich Jeff an. Er kann doch nicht einfach da stehen und zusehen. »Ich werde ihn nicht umbringen. Noch nicht. Ernst müssen wir dich hier raus schaffen.« Was? Schweren Atems hört Lion auf. Er atmet zittrig ein und aus. Man kann nur zu deutlich hören, wie er die Luft einzieht und wieder auspustete.
Ich starre ihn einfach an. Auch er ist vollkommen mit Blut verschmiert. Ob es nicht sein Blut ist, möchte ich erst gar nicht wissen. Aber es sieht schlimm aus. Isaac hat ihn auch erwischt und man muss zugeben, Isaac ist keinesfalls ein Schwächling. Er ist sogar besser gebaut als sein kleiner Bruder. Das Lion ihn nur zu Boden zwingen konnte verdanken wir dem Adrenalin.
Ich habe gar nicht bemerkt das Jacob mich aus dem Handschellen gelöst hat. Erst als er überglücklich »Ja!« schreit und mir sofort in die Arme fällt, wusste ich es. Ich konnte meine Arme um ihn schlingen, weswegen ich so breit lächelte. Ich bin nicht mehr gefesselt.
Jacob lässt mich los und sofort stand ich auf, um auf Lion zu zu rennen, doch der hebt nur seine Hand, woraufhin ich in meiner Bewegung inne halte. »Komm mir nicht zu nahe, Serina«, warnt er mich. »Lion? Was soll das? Es ist vorbei.« Freudentränen laufen meinen überhitzen Wangen herab. »Nein... nein, ist es nicht.«
Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, doch mit einem Kopfschütteln zwang er mich zum stehen bleiben. »Was soll das, Lion? Es ist vorbei. Du kannst aufstehen. Wir müssen nur noch die Polizei rufen, die bringen ihn dann ins Gefängnis. Dann ist alles...« Er unterbricht mich scharf. »Nein, es ist nicht vorbei, Serina. Keineswegs ist es das.«
»Wa- was meinst du?« Meine Stimme zittert, wie auch mein ganzer Körper. Erstaunlich das ich überhaupt noch stehen kann, obwohl meine Beine sich wie Wackelpudding anfühlen. Plötzlich greift er unter sein Shirt und seine Kette kommt zum Vorschein.
»Es tut mir leid.« Er umgreift mit beiden Händen den Diamanten und schließt die Augen zugleich. »Was tut dir leid, Lion? Was tut dir leid?«, frage ich panisch. Er nimmt mehrere tiefe Atemzüge. Isaac unter ihm hat die Augen geöffnet aber bewegt sich nicht. Atmen tut er dennoch, denn sein Brustkorb erhebt sich und seine Augen schließen sich immer wieder kurz.
»Virtutibus insignis. Control me et te quid feceris.« Oh, nein. Nein, das macht er nicht. Das darf er nicht. »Lion, was zur Hölle tust du da?« Er ignorierte mich. Seine Augen sind geschlossen und seine Atmung hat sich beruhigt. »Virtutibus insignis. Control me et te quid feceris. Virtutibus insignis. Control me et te quid feceris«, macht er weiter. »Hör auf damit! Lass das! Es ist vorbei! Hör auf damit, Lion!«, will ich ihn zum aufhören bringen und wollte ihn näher treten, doch etwas hielt mich auf.
»Virtutibus insignis. Control me et te quid feceris...« Er öffnet die Augen und starrt geradewegs in meine. »... Serina.« Ich kontrolliere dich und was du tust, Serina. Auf die Sekunde genau, als er meinen Namen sagte durchzuckte mich ein Kribbeln im ganzen Körper. »Was hast du getan?«, frage ich flüsternd. Er senkte den Kopf. »Es tut mir leid«, entschuldigt er sich. »Was hast du getan?«, schreie ich ihn an.
Er seufzt. »Ich habe dir gesagt, ich lasse es nicht zu dich zu verlieren, oder?« Ich reagiere nicht drauf. Natürlich hatte er mir das gesagt. Ich kann mich dran erinnern. »Ich habe dir versprochen, ich werde dich beschützen und dieses Versprechen werde ich einhalten.« Er ließ die Kette los und sieht zu Isaac, dann wieder zu mir.
»Du wirst mich jetzt hassen, für das, was ich gleich tun werden.« Er lacht. Ein trauriges Lachen. »Aber egal wie sehr du mich hassen wirst, Serina... Ich liebe dich.« Mein Herz setzte aus, nur um dann Millionen mal so schnell weiter zu schlagen. »Ich habe dich immer geliebt.«
Ich starre ihn an, unfähig etwas über meine Lippen zu bringen. Seine Haare hängen im vor die Stirn. Blut ist an seinen Armen, an seinem Gesicht und an seiner Hose. Seine dunkelbraunen Augen sehen fest in meine und ich erkenne darinnen ihre Wahrheit. Nicht nur das, sondern auch Tränen.
»Ich weiß, es ist ein beschissner Zeitpunkt es dir zu sagen, aber ich muss. Ich muss, Serina. Ich werde nämlich nie wieder mehr die Chance dazu bekommen, dir zu sagen, das ich dich liebe.« Er holt tief Luft. »Ich liebe dich. Nur dich. Ich habe immer nur dich geliebt. Du bist das erste Mädchen, das mein Herz so hoch schlagen ließ. Du bist die erste, die mich seit langem anderes betracht hat. Du hast in mir nicht den Mörder gesehen, wie alle anderen. Du hast in mir nur Lion gesehen und das war gut so. Du bist das erste Mädchen, das ich mein Herz übergeben konnte und nicht mehr zurück wollte. Ich weiß, ich bin nicht gut darinnen, meine Gefühle auszudrücken aber...«
»Ich liebe dich, Lion«, schneide ich ihm das Wort ab, als ich endlich meine Stimme fand. Ein Lächeln schlich sich auf Lions Lippen. Ein Lächeln, das ich noch nie an ihn gesehen habe. So ehrlich, so glücklich und erleichtert. Auch meine Lippen formten sich zu einem Lächeln.
Er liebt mich, Serina Stone. Lion Arden liebt mich.
»Ich liebe dich auch, Serina. So, so sehr.« Wir lächelten beide und ich wollte auf ihn zu rennen, ihm um den Hals fallen und küssen bis ich ohnmächtig auf dem Boden liege. Dabei hätte ich Isaac komplett ausgeblendet. Aber ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Als wäre ich auf dem Boden festgeklebt. Verwirrt sehe ich an mir herab, dann zu Lion. Und es machte Klick.
»Was soll das?«, frage ich ihn und er verstand sofort. »Ich möchte das du gehst«, sagt er nur. »Was?«, flüstere ich verwirrt und ungewollt setzte ich plötzlich zum gehen an. Es kann doch nicht war sein, dass das wirklich funktioniert. »Lion«, rufe ich angsterfüllt. »Stop. Hör auf damit.« Er denkt nicht mal daran auf mich zu hören.
Oh mein Gott, was hat er nur vor?
»Jeff. Jacob. Geht mit ihr heraus.« Beide nicken registriert. »Was?« Jacob und Jeff stellen sich neben mich, wobei Jacob mir eine Hand auf den Rücken legt, um mich weiter zu bringen. »Nein!«, wehre ich mich und schüttle meine Schulter. Wenigstens kann ich meinen Oberkörper kontrollieren. »Lion, was soll das? Was hast du vor?« Er sieht mich nicht an, sondern blickt zu seinem Bruder herunter, der auch ihn anstarrt.
»Du wagst es nicht«, sagt Isaac und hustet am Ende hin. Isaac hatte die ganze Zeit die Chance gehabt sich von Lion zu befreien, doch er ist einfach liegen geblieben. Wieso wehrt er sich nicht mehr? Haben ihn Lions Worte weh getan? Oder kontrolliert ihn Lion auch? Ist das überhaupt möglich, mehrere Personen zu steuern? »Oh, doch und wie ich das wage«, sagt er ernst. »Was nicht wagen? Sag mir was du vor hast, verdammt! Du kannst mir das doch nicht antun. Nicht nachdem du mir gesagt hast, du liebst mich!« Die Verzweiflung aus meiner Stimme ist nicht zu überhören.
»Debitum, conteram, perdere, infirmabuntur. Virtus recedat«, sagt er, anstatt auf meine Fragen zu antworten. Obwohl... Schuld, zerbreche, zerstöre, verliere an Kraft. Die Macht solle dich verlassen. Das ist die Antwort.
Der Spruch, um die Ketten zu zerstören. Fuck. Aber was interessiert es mich, wenn die ketten kaputt gehen? Es geht mir eher darum, das die Ketten höchstwahrscheinlich explodieren werden, damit sie auseinander springen und an Kraft verlieren. Das würde er nicht überleben.
»Oh Gott, Lion! Das kannst du doch nicht ernst meinen!«, sagte ich weinend. »Debitum, conteram, perdere, infirmabuntur. Virtus recedat«, vollführt er den Spruch weiter. »Lion, das ist ein verdammtes Selbstmordkommando! Bitte, lass das! Ich kann dich nicht auch noch verlieren! Bitte, Lion, bitte!« Ich schreie mir das Herz weinend heraus. Mein Hals tut schon weh aber ich ignoriere die Schmerzen. Wie auch den Fakt, das meine Beine sich immer noch von selber Richtung Tür bewegen und ich nur mit Mühe zu ihm zurück sehen kann.
»Ich liebe dich, Serina Stones.« Er sieht mir in die Augen und ich ihm. Bis der Kontakt abgebrochen wurde, da Jeff die Tür geöffnet hat und mich durch sie hindurch schiebt. Ich versuche mich mit allen Kräften dagegen zu wehren, aber Lion hat mich immer noch unter seiner Kontrolle. Dennoch versuche ich es weiter.
»Nein! Bitte, bitte nicht! Jacob, lass mich zu ihm! Lass ihn nicht sterben! Ich kann ihn nicht verlieren!«, fehle ich ihn an, als die Tür hinter uns zufällt. »Ich kann nicht«, sagt er schlicht. »Du kannst, verdammt! Bitte, Jacob, bitte! Ich darf ihn einfach nicht verlieren. Nicht noch jemanden den ich liebe!« Ich weine bitterlich. Alles in mir tut weh. Meine Lunge, mein Kopf, meine Arme und Beine.
Aber am meisten mein Herz.
Denn es zerbrach in tausenden kleinen Stücke, als ein lauter grässlicher Knall ertönte und ich plötzlich stehen bleiben konnte. Der Spruch war aufgehoben und ich verstand es. Ich sackte zu Boden und begann stärker zu weinen, als ich es je getan habe. Die Splitter meines zerbrochenen Herzens fiel mit mir zu Boden, mit dem einzigen Unterschied, das es grässlich klirrte und mir noch mehr deutlich machte, das es um mich geschehen war.
Und ich schrie. Ich schrie so laut das es alle im Umkreis von tausend Kilometer hören konnten. Ich schrie mir den ganzen unerträglichen Schmerz aus dem Körper und dennoch entstand immer mehr von ihm. Ich schrie, bis die Luft weh war, um weiter schreien zu können. Ein unvorstellbarer Schmerz zog sich von meinem Herzen und verteilte sich in meinem ganzen Körper. Meine Lunge fühlte sich leer an, benötigte unbedingt Luft. Das Blut in meinem Körper rauschte mir schmerzhaft in den Ohren. Mein Herz zog sich zusammen und wollte nicht mehr weiter schlagen.
Jeder Schlag tut weh.
Aber die Schmerzen waren mir egal, denn nur noch eines schoss mir in den Kopf. Eine einzige Sache, die alles in mir gebrochen hat. Ein Satz, der über meine Lippen kam, mir die Bestätigung nun endgültig gab und mein Leben für immer veränderte.
»Er ist tot.«
Fortsetzung folgt...
Äh ja... wir lesen uns am Nachmittag beim Epilog.
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