29

Genya POV:

Ich spürte, wie Muichiro sich langsam aufrichtete. Seine Hände lagen auf meiner Brust, sein Gewicht kaum spürbar. Er drückte mich nach hinten, bis ich wieder flach auf dem Bett lag. Dieses Mal setzte er sich auf meinen Brustkorb.

Ich erschrak, wie leicht er war. Früher hatte er zwar auch nicht viel gewogen, aber jetzt fühlte es sich an, als würde er immer weiter verschwinden. Ein Schatten von dem Jungen, den ich kannte.

Aber ich sagte nichts. Ich wollte nicht, dass er merkte, wie sehr mich das beunruhigte. Stattdessen blieb ich einfach still liegen, sah in seine cyanfarbenen Augen, die mich mit einer Intensität musterten, die mich immer wieder aus dem Konzept brachte.

„Du denkst zu viel nach", murmelte er.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber in dem Moment beugte er sich vor – und küsste mich.

Seine Lippen waren warm, weich, und für einen Moment vergaß ich alles. Vergaß seine Krankheit, vergaß meine Sorgen, vergaß die Welt um uns herum.

Ich legte meine Hände vorsichtig auf seine Hüften, wollte ihn nicht loslassen. Doch kaum wollte ich ihn enger an mich ziehen, löste er sich von mir und sah mich mit einem schiefen Lächeln an.

„Genya...", flüsterte er, während seine Finger über meine Wange strichen. „Hast du Angst?"

Ich runzelte die Stirn. „Angst? Wovor?"

Muichiro lehnte sich ein wenig zurück, sah mich durchdringend an. „Davor, dass ich irgendwann nicht mehr... na ja, dass ich irgendwann nicht mehr der bin, den du liebst."

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich setzte mich abrupt auf, wodurch Muichiro leicht das Gleichgewicht verlor. Schnell legte ich eine Hand an seinen Rücken, um ihn zu stützen.

„Hör auf mit diesem Mist", sagte ich schärfer als beabsichtigt. „Du wirst immer der sein, den ich liebe. Egal, was passiert. Egal, ob du laufen kannst oder nicht. Ob du stärker bist oder schwächer."

Muichiro blinzelte mich an, als hätte er nicht erwartet, dass ich so reagiere.

Ich atmete tief durch, versuchte, meine Stimme wieder sanfter klingen zu lassen. „Natürlich macht mir das Angst, Muichiro. Ich will nicht, dass du leidest. Ich will nicht, dass du Schmerzen hast. Aber was ich nicht will, ist, dass du denkst, ich würde dich deshalb weniger lieben."

Einen Moment lang sagte er nichts. Dann, ganz leise, flüsterte er: „Versprichst du mir das?"

Ich zog ihn wieder in meine Arme und drückte ihn fest an mich. „Ich schwöre es."

Er schmiegte sich an mich, sein Kopf ruhte in meiner Halsbeuge.

„Okay", hauchte er. „Dann... hab ich keine Angst mehr."

Muichiro POV:

Ich wollte Genya wieder küssen, als ich plötzlich zusammenzuckte.

„Was zur Hölle macht ihr da?!"

Ich erstarrte. Panisch drehte ich mich um und sah direkt in Yuichiros genervtes Gesicht. Er stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und funkelte mich an.

„Yuichiro, das ist nicht—"

Doch er ließ mich gar nicht erst ausreden. Er riss die Tür ganz auf und rief laut nach unten: „Mama! Ich weiß jetzt, warum Muichiro die Tür zugemacht hat!"

Mein Gesicht wurde knallrot. Ohne groß nachzudenken, sprang ich auf und presste ihm beide Hände auf den Mund.

„Bist du wahnsinnig?! Hör auf, so rumzubrüllen! Mama bringt uns um!" zischte ich.

Yuichiro blinzelte mich nur an – und dann grinste er. Ich erkannte diesen Blick sofort.

„Nein. Nein, Yuichiro, tu es nicht!", warnte ich.

Zu spät.

Mit einer schnellen Bewegung ließ er sich nach hinten fallen, zog mich mit sich – und dann fing er an, mich am Bauch zu kitzeln.

„Nein! Nein, hör auf! Yuichiro!!" keuchte ich lachend und wand mich unter seinen Händen.

Er grinste nur fies. „Sag, dass ich der beste große Bruder bin, dann hör ich vielleicht auf."

„Vergiss es!" Ich japste nach Luft, versuchte, seine Hände wegzuschlagen, aber meine Kräfte reichten nicht aus.

„Sag es!"

Ich konnte nicht mehr. Mein Bauch tat schon weh vom Lachen, und meine Arme fühlten sich wie Pudding an. Schließlich ließ ich los und fiel atemlos auf den Rücken.

Yuichiro setzte sich neben mich, immer noch grinsend. „Tja, das passiert, wenn du versuchst, mich zum Schweigen zu bringen, Kleiner."

Ich rieb mir den Bauch und warf ihm einen bösen Blick zu. „Du bist echt das Schlimmste."

Yuichiro lachte. Dann musterte er mich und Genya mit einem verdächtigen Ausdruck. „Also, wenn ihr schon so weit seid, dann müsst ihr heute Nacht auch zusammen schlafen."

Genya und ich wurden gleichzeitig knallrot.

„Was?!" rief ich.

„Vergiss es!", protestierte Genya sofort.

Yuichiro zuckte nur mit den Schultern. „Warum nicht? Muichiro kann eh nicht alleine schlafen. Ich hab keine Lust, mir heute Nacht wieder sein Gejammer anzuhören."

Ich funkelte ihn an. „Ich jammer nicht!"

Yuichiro lehnte sich entspannt gegen die Wand. „Oh, wirklich? Soll ich mal nach unten gehen und Mama fragen, wie oft du nachts zu ihr ins Bett kriechst?"

Ich wurde, wenn möglich, noch röter. „Das... das ist was anderes!"

Yuichiro lachte. „Natürlich ist es das." Dann warf er Genya einen Blick zu. „Tja, dann viel Spaß heute Nacht mit ihm."

Genya stöhnte genervt und rieb sich den Nacken. „Warum tu ich mir das hier eigentlich an...?"

Ich verschränkte die Arme und murmelte: „Weil du mich liebst."

Genya seufzte und schaute zur Decke. „Ja... leider."

Yuichiro kicherte. „Ich hab euch zwei echt vermisst."

Yuichiro POV:

Plötzlich warf sich Muichiro auf mich.

Ich hatte es ja kommen sehen. Immer, wenn ich ihn ärgerte, versuchte er sich zu rächen – und meistens landeten wir dann auf dem Boden, raufend wie kleine Kinder. Es war schon immer so gewesen, seit wir laufen konnten.

„Du kriegst mich nicht, Kleiner!" rief ich lachend, während er sich an mich klammerte und versuchte, mich nach hinten zu ziehen.

Normalerweise endete das immer damit, dass er mich in einen unerwartet starken Würgegriff nahm und mich fast erstickte. Aber dieses Mal...

Dieses Mal war es anders.

Ich merkte es sofort. Muichiros Griff war nicht mehr so fest wie sonst. Seine Bewegungen waren langsamer, als würde sein Körper ihm nicht mehr richtig gehorchen.

Das nutzte ich aus.

Mit einem schnellen Ruck warf ich ihn von mir, drehte ihn auf den Bauch und setzte mich triumphierend auf seinen Rücken.

„Ha!" rief ich grinsend. „Dieses Mal hab ich gewonnen!"

Muichiro japste unter mir nach Luft. „Y-Yuichiro..."

Ich lachte nur und drückte sein Gesicht auf den Boden, genau wie er es sonst immer mit mir gemacht hatte. „Na, wie fühlt sich das an, huh? Jetzt weißt du mal, wie das ist!"

Doch dann merkte ich, dass etwas nicht stimmte.

Muichiro wand sich unter mir, aber nicht so wie sonst. Seine Atmung klang seltsam keuchend, und als ich ihn losließ, hörte ich ein leises, feuchtes Tropfen.

Verwirrt blickte ich nach unten – und erstarrte.

Blut.

Muichiros Nase blutete stark, das dunkle Rot tropfte auf den Boden.

„Scheiße—"

In dem Moment kam Mama in den Raum.

„Was macht ihr zwei denn schon wieder—" Sie hielt abrupt inne, als sie Muichiro auf dem Boden sah. Dann fiel ihr Blick auf das Blut.

Ich schluckte schwer.

Sie atmete tief durch, und ich wusste genau, was jetzt kam.

„Yuichiro Tokito."

Ich zuckte zusammen. Mein vollständiger Name. Das bedeutete nichts Gutes.

Langsam stand ich auf. „Mama, es war ein Unfall, ich—"

„Hast. Du. Deinen. Schwerkranken. Bruder. Auf den Boden gedrückt?!"

„Ich wusste doch nicht, dass er—"

„Yuichiro Tokito!!"

Jetzt war's vorbei.

Ich ließ die Schultern hängen und seufzte. „Tut mir leid..."

Mama eilte sofort zu Muichiro, der sich inzwischen aufgesetzt hatte und das Blut von seiner Nase wischte.

„Warum hast du das gemacht?" fragte sie streng.

„Wir haben doch nur gerauft... wie immer..." murmelte ich kleinlaut.

Mama sah mich nur mit diesem typischen „Ich-bin-schwer-enttäuscht"-Blick an, den alle Mütter perfekt beherrschten.

„Muichiro ist nicht mehr so stark wie früher", sagte sie leise. „Du kannst nicht mehr so mit ihm umgehen wie früher."

Ich biss die Zähne zusammen. Das wusste ich doch auch. Ich wusste es, aber... es war schwer, das zu akzeptieren.

Muichiro lächelte mich an. „Ist nicht deine Schuld, Yui. Ich wollte dich doch auch fertig machen."

Mama seufzte. „Ihr seid beide unmöglich..."

Dann griff sie nach einem Taschentuch und begann, Muichiros Nase vorsichtig zu säubern.

Ich stand nur da und fühlte mich schrecklich.

Ich hatte gewonnen – aber es fühlte sich überhaupt nicht wie ein Sieg an.

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