28
Muichiro POV:
„Mama, Papa... Ich kann selber laufen", murmelte ich leise, während Papa mich fest in seinen Armen hielt.
„Du bist noch zu schwach, Muichiro", sagte Mama sanft und strich mir durch die Haare. „Wir wollen nicht, dass du stürzt."
Ich senkte den Blick und drückte meine Lippen aufeinander. Ich wollte nicht herumgetragen werden wie ein kleines Kind. Ich wollte nicht, dass alle mich ansahen und dachten, ich wäre hilflos.
Papa merkte wohl, dass es mir nicht gefiel, denn er sagte: „Wenn du zu Hause bist, kannst du dich ausruhen. Und wenn du dich stark genug fühlst, darfst du natürlich selbst laufen. Einverstanden?"
Ich seufzte leise, gab aber schließlich nach. „Okay..."
Mama lächelte erleichtert, und Papa trug mich vorsichtig zum Auto. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter, hörte seinen ruhigen Herzschlag. Früher, als ich noch klein war, hatte er mich oft so getragen, wenn ich krank war oder nachts nicht schlafen konnte. Damals war das ein Trost gewesen. Jetzt war es eine Erinnerung daran, dass mein Körper nicht mehr so funktionierte, wie er sollte.
Während der Fahrt sah ich aus dem Fenster. Die Sonne schien, und die Straßen waren belebt. Es fühlte sich seltsam an, nach so langer Zeit im Krankenhaus wieder draußen zu sein.
„Wenn Yuichiro nach Hause kommt, wird er sich bestimmt freuen", sagte Mama fröhlich. „Und Genya wollte auch vorbeikommen, sobald die Schule aus ist."
Mein Herz machte einen kleinen Sprung. Genya. Ich hatte ihn seit meiner Diagnose kaum gesehen. Natürlich hatten wir telefoniert, aber das war nicht dasselbe.
„Ich hoffe, er erschrickt nicht...", murmelte ich.
Papa sah mich durch den Rückspiegel an. „Warum sollte er?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Weil ich... anders bin als vorher."
Mama drehte sich zu mir um und nahm meine Hand. „Du bist immer noch du, Muichiro. Genya liebt dich. Daran wird sich nichts ändern."
Ich wollte ihr glauben. Aber ein Teil von mir hatte Angst, dass Genya mich ansah und nur noch meine Krankheit sah.
Als wir zu Hause ankamen, ließ Papa mich vorsichtig runter, und ich stand auf meinen eigenen Beinen. Meine Knie fühlten sich wackelig an, aber ich schaffte es, ein paar Schritte zu gehen. Papa hielt sich bereit, falls ich das Gleichgewicht verlor, aber ich blieb standhaft.
Mama schloss die Tür auf, und ich atmete tief ein, als ich wieder in unser Haus trat. Der vertraute Geruch, die warme Atmosphäre – es war, als wäre ich ewig weg gewesen.
„Willst du dich hinlegen?" fragte Mama.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich will auf Genya warten."
Mama und Papa tauschten einen Blick, sagten aber nichts. Ich setzte mich aufs Sofa und wartete. Jede Minute zog sich endlos in die Länge.
Dann, endlich, hörte ich die Haustür.
„Muichiro!" Genyas Stimme war voller Erleichterung. Er trat ins Wohnzimmer, seine dunklen Augen musterten mich aufmerksam. „Endlich bist du zu Hause."
Ich sah zu ihm auf, wusste nicht, was ich sagen sollte. Doch bevor ich antworten konnte, war er schon vor mir auf die Knie gesunken und hatte mich in eine feste Umarmung gezogen.
„Ich hab dich vermisst", murmelte er gegen meine Schulter.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und erwiderte leise: „Ich dich auch."
Er zog sich ein wenig zurück, betrachtete mich eindringlich. „Wie geht es dir? Und sag jetzt nicht 'gut', wenn es nicht stimmt."
Ich senkte den Blick. „Ich... weiß nicht. Ich bin froh, hier zu sein. Aber ich hab Angst. Vor dem, was kommt."
Genya legte eine Hand an meine Wange und hob mein Gesicht an, damit ich ihn ansah. „Dann haben wir Angst zusammen. Okay?"
Ich blinzelte. „Zusammen?"
Er nickte fest. „Ja. Ich werde dich nicht allein lassen, Muichiro. Nie."
Seine Worte lösten etwas in mir aus. Zum ersten Mal seit meiner Diagnose fühlte ich mich nicht allein mit meiner Angst.
Ich atmete tief ein und hauchte: „Danke, Genya..."
Genya POV:
Sobald ich meine Schuhe ausgezogen hatte, packte mich Muichiro am Handgelenk und zerrte mich nach oben. Er war immer noch schwach, das konnte ich sehen – seine Schritte waren wackelig, seine Bewegungen langsamer als früher –, aber er ließ sich nichts anmerken.
„Muichiro, warte mal!", rief ich, aber er ignorierte mich und zog mich weiter.
Wir landeten in seinem Zimmer, das er sich mit Yuichiro teilte. Ich war oft hier gewesen, kannte jeden Winkel, jeden Stapel Bücher auf Yuichiros ordentlich sortiertem Schreibtisch, jede Decke auf Muichiros Bett, die immer ein wenig durcheinander war. Aber heute fühlte es sich anders an.
Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, hörte ich Muichiros Mutter aus der Küche schreien: „Die Tür bleibt offen, Muichiro!"
Ich grinste schief. „Deine Mom traut uns wohl nicht."
Muichiro rollte nur mit den Augen – und drückte die Tür mit einem leisen Klick zu.
„Muichiro...", begann ich warnend, aber er ignorierte mich wieder.
Plötzlich spürte ich seine Hände an meinen Schultern, und ehe ich mich versah, hatte er mich aufs Bett gedrückt. Nicht grob, aber bestimmt. Ich blinzelte überrascht und sah zu ihm auf.
„Was hast du vor?" fragte ich und hob eine Augenbraue.
Muichiro beugte sich über mich, seine langen schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht, und seine cyanfarbenen Augen musterten mich eindringlich.
„Ich wollte nur mal sehen, ob ich das noch kann", murmelte er.
Ich runzelte die Stirn. „Was?"
Er seufzte und setzte sich neben mich. „Ich hab das Gefühl, dass ich jeden Tag ein Stück mehr von meiner Kraft verliere. Früher hätte ich dich mühelos aufs Bett werfen können. Jetzt war das schon anstrengend."
Ich richtete mich auf und legte eine Hand auf seinen Oberschenkel. Ich konnte ihn spüren – den leichten Muskelverlust, die fehlende Spannung. Und doch war er immer noch Muichiro. Immer noch derselbe Junge, den ich liebte.
„Du bist nicht schwach, Muichiro", sagte ich fest.
Er lachte leise, aber es klang nicht echt. „Genya... Ich kann kaum mehr rennen. Ich kann dich nicht mehr so fest umarmen, wie ich will. Ich kann nicht einmal alleine Treppen steigen, ohne dass Yuichiro oder Papa bereitstehen, um mich aufzufangen."
Ich schluckte. Es tat weh, ihn so zu sehen – frustriert, verletzlich. Muichiro war immer so stark gewesen, nicht körperlich, sondern mental. Aber jetzt...
„Dann halt ich dich eben fest", sagte ich leise und zog ihn zu mir.
Er versteifte sich kurz, dann ließ er sich gegen meine Brust sinken. Ich hielt ihn einfach, strich ihm durch die Haare.
„Du musst das nicht alleine durchstehen", flüsterte ich gegen seinen Kopf. „Ich bin da. Und Yuichiro auch. Wir lassen dich nicht fallen."
Sein Atem ging ruhig, aber ich spürte, wie er zitterte. Ich hielt ihn einfach noch fester.
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