26

Genya POV:

Ich stand da und konnte nichts tun. Gar nichts.

Yuichiro rastete immer mehr aus. Erst hatte er nur geflucht, dann wurde er lauter, dann fing er an, einen der Ärzte an den Schultern zu packen und zu schütteln.

„Macht endlich, verdammt noch mal! Ihr lasst ihn nicht sterben! Versteht ihr mich?! IHR LÄSST IHN NICHT STERBEN!"

„Beruhigen Sie sich! Sie behindern unsere Arbeit!"

„SCHEIß AUF EURE ARBEIT! MEIN BRUDER LIEGT HIER VERDAMMT NOCH MAL HALBTOT!"

„Sicherheit! Bringen Sie ihn raus!"

Ich sah, wie zwei Männer in weißen Kitteln Yuichiro am Arm packten. Er schlug um sich, trat nach ihnen, sein Gesicht war vor Wut und Panik rot.

„NEIN! ICH BLEIB HIER! ICH LASS IHN NICHT ALLEIN!"

Doch er war chancenlos. Die beiden Männer waren stärker, und ehe er sich versah, wurde er aus dem Zimmer gezerrt.

„LASS MICH LOS, VERDAMMT!"

Ich hörte noch, wie er draußen gegen die Tür schlug, dann wurde es still.

Ich wagte es nicht, mich zu rühren. Muichiro lag noch immer reglos da. Ein Arzt schob mir einen kurzen Blick zu.

„Sie sind sein Freund, oder?"

Ich nickte langsam.

„Bleiben Sie ruhig. Er kämpft, aber sein Körper ist sehr geschwächt."

Ich schluckte schwer.

Dann hörte ich plötzlich ein Schluchzen.

Ich drehte mich um und sah Ayame draußen im Gang, wie sie mit zitternden Armen ihren Sohn umklammerte.

Yuichiro weinte.

Ich hatte ihn noch nie weinen gesehen.

Er vergrub sein Gesicht in Ayames Schulter, sein ganzer Körper bebte. Seine Hände krallten sich in ihren Pullover, als würde er sich nur so auf den Beinen halten können.

„Warum passiert das immer ihm...?" Seine Stimme war kaum ein Flüstern. „Warum...?"

Ayame strich ihm beruhigend über den Kopf, hielt ihn so fest, als wollte sie ihn davor bewahren, auseinanderzubrechen.

Ich ballte meine Fäuste.

Scheiß drauf. Ich hielt das nicht mehr aus.

Ich marschierte raus, packte Yuichiro am Kragen und zog ihn zu mir.

„Hör mir zu, du Arsch. Muichiro braucht uns. Er wird das schaffen. Also reiß dich gefälligst zusammen und steh für ihn gerade, kapiert?!"

Yuichiro starrte mich mit glasigen Augen an. Dann knurrte er: „Fass mich nicht an, du Affe."

„Dann reiß dich zusammen, verdammt noch mal!"

Er schnaubte, wischte sich grob übers Gesicht und nickte schließlich.

Ich ließ ihn los.

Jetzt hieß es warten. Und hoffen.

Muichiro POV:

„Du bist wach..." Yuichiros Stimme war heiser. Ich spürte, wie seine Hände leicht zitterten, während er meine hielt. Seine Augen waren gerötet, als hätte er stundenlang geweint.

Ich versuchte zu sprechen, aber meine Stimme klang brüchig. „Bin ich... im Krankenhaus?"

„Ja, verdammt noch mal", knurrte Yuichiro, aber seine Stimme war brüchig. „Du wärst fast draufgegangen, du Idiot."

Ich wollte grinsen, doch selbst das fühlte sich anstrengend an.

„Muichiro..."

Yuichiros Griff wurde fester. Ich merkte, dass er mit sich kämpfte. Er sah mich nicht an, starrte stattdessen auf unsere ineinander verschränkten Hände.

„Die Ärzte... haben gesagt, was mit dir los ist."

Ich blinzelte träge. „Was ist es?"

Yuichiro schluckte schwer.

„Muskeldystrophie Duchenne."

Ich runzelte die Stirn. „Was?"

Er atmete tief durch. „DMD. Es ist eine Muskelerkrankung... degenerativ."

Ich konnte den Schmerz in seiner Stimme hören, doch mein Kopf war noch zu benommen, um alles zu begreifen.

„Und... was heißt das?"

„Es wird schlimmer werden", murmelte er. „Langsam. Aber es wird schlimmer."

Plötzlich wurde es eiskalt in mir.

„Meinst du..."

„Du wirst irgendwann nicht mehr richtig laufen können", unterbrach er mich abrupt. „Und deine Muskeln werden immer schwächer."

Ich starrte ihn an.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Yuichiro biss die Zähne zusammen. „Verdammt, Muichiro! Warum muss es immer dich treffen?!"

Seine Stimme brach, und ich spürte, wie seine Hand sich noch fester um meine schloss.

„Es tut mir leid..." flüsterte ich.

„Halt die Klappe." Seine Stimme war rau, aber er ließ mich nicht los. „Das ist nicht deine Schuld."

Ich wollte etwas sagen, doch in diesem Moment flog die Tür auf.

„Muichiro!"

Genya.

Sein Blick fiel auf mich, und für einen Moment sah er aus, als hätte er nicht erwartet, dass ich wirklich wach bin. Dann marschierte er direkt zum Bett und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen.

„Verdammte Scheiße, du hast mir 'nen Herzinfarkt verpasst."

„Tut mir leid", murmelte ich wieder.

Genya schnaubte. „Hör auf, dich zu entschuldigen, sonst tret ich dich aus dem Bett."

Ich lachte leise. Das fühlte sich normal an.

Yuichiro verdrehte die Augen. „Glaubst du, du kannst uns die nächsten zehn Jahre noch so erschrecken?"

Ich nickte schwach. „Ich geb mein Bestes."

Yuichiro knurrte, aber diesmal war da ein kleines Lächeln in seinem Gesicht.

Genya schüttelte den Kopf. „Du bist echt 'ne harte Nuss, Muichiro."

Ich sah die beiden an.

Egal, was kommen würde – solange sie bei mir waren, würde ich es schaffen.

„Mein Baby... mein kleines Baby..." Ayame schluchzte leise, während sie mich so fest umarmte, als würde sie mich nie wieder loslassen wollen. Ihre Arme zitterten, und ich spürte, wie ihre Tränen auf meine Schulter tropften.

„Mama...", murmelte ich, aber sie ließ mich nicht los.

„Du hast mir solche Angst gemacht!", schluchzte sie. „Warum musst du immer so stur sein? Warum hast du nichts gesagt? Hättest du mir gesagt, dass du dich so schlecht fühlst, hätten wir viel früher etwas tun können!"

„Ich wusste doch nicht..."

Doch sie hörte mir gar nicht richtig zu. Sie wiegte mich sanft hin und her, als wäre ich wieder ein kleines Kind. „Mein armes Baby..."

„Mama, ich bin kein Baby mehr", murmelte ich verlegen, doch meine Stimme war nicht besonders überzeugend.

„Für mich wirst du immer mein Baby sein!", erklärte sie entschieden. „Egal, wie alt du wirst!"

Hinter ihr stand Papa – Hokuto. Er wirkte ruhig, aber ich kannte ihn gut genug, um zu sehen, dass er unter der Oberfläche brodelte. Seine Kiefermuskeln waren angespannt, seine Hände zu Fäusten geballt.

„Wie lange wussten die Ärzte schon, dass du das hast?" Seine Stimme klang eisig.

Ich zuckte leicht mit den Schultern. „Sie haben es erst heute festgestellt..."

„Und keiner hat das früher gemerkt?!" Sein Blick wanderte von mir zu den Ärzten, die außerhalb des Zimmers standen, als würde er sie am liebsten verhören.

„Papa, du kannst jetzt nicht einfach alle anbrüllen", sagte Yuichiro genervt.

„Warum nicht?!", knurrte Hokuto. „Das ist ihr verdammter Job! Warum hat niemand vorher was gesagt?!"

„Weil es vorher keine Anzeichen gab", sagte Genya, der immer noch neben meinem Bett saß. „So was zeigt sich erst mit der Zeit."

Hokuto funkelte ihn an. „Und du bist seit wann ein Arzt?!"

„Seit ich Google benutzen kann", entgegnete Genya trocken.

Ich konnte mir ein schwaches Lächeln nicht verkneifen, während Yuichiro und Mama gleichzeitig seufzten.

„Was bedeutet das jetzt genau für ihn?", fragte Mama leise und sah Papa an.

Papa presste die Lippen zusammen. „Das bedeutet, dass wir aufpassen müssen. Dass er regelmäßige Untersuchungen braucht. Dass er mit der Zeit Unterstützung brauchen wird. Und dass wir ihn verdammt noch mal nicht so weit kommen lassen, dass er fast erfriert, bevor wir was tun."

Er sah mich durchdringend an. „Hast du das verstanden, Muichiro?"

Ich schluckte. „Ja..."

Er schnaubte. „Gut. Denn wenn du noch mal so was abziehst, kannst du was erleben."

Mama schlug ihm leicht gegen den Arm. „Hokuto, droh ihm doch nicht!"

„Ich droh ihm nicht, ich stell nur sicher, dass er auf sich aufpasst."

Yuichiro schüttelte den Kopf. „Super. Jetzt hab ich zwei überfürsorgliche Elternteile."

„Drei", korrigierte Genya. „Ich bin auch dabei."

Ich sah ihn überrascht an.

Er zuckte mit den Schultern. „Denk nicht, dass ich dich jetzt aus den Augen lasse. Wenn du umfällst, bin ich der Erste, der dich wieder auf die Beine bringt."

Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus.

„Danke", sagte ich leise.

„Jaja, danke mir später, wenn du wieder laufen kannst, ohne wie ein verdammter Eisklotz zu sein."

Mama streichelte mir sanft über die Wange. „Mein Baby wird immer mein Baby sein..."

Ich stöhnte. „Mama..."

Sie lächelte. „Das musst du aushalten."

Papa räusperte sich. „Gut. Und jetzt, wie lange muss er hierbleiben?"

„Nur noch zur Beobachtung für die Nacht", erklärte einer der Ärzte, der sich vorsichtig ins Zimmer traute.

„Gut", wiederholte Papa. „Dann bleibe ich hier."

„Ich auch", sagte Yuichiro sofort.

„Vergiss es, ich auch", warf Genya ein.

„Einer von euch kann vielleicht bleiben, aber nicht alle", meinte der Arzt nervös.

„Dann übernachten wir halt draußen vor der Tür", sagte Yuichiro.

Papa grinste gefährlich. „Gute Idee."

Mama seufzte. „Gott, ihr seid unmöglich..."

Ich lächelte müde.

Ja... aber sie waren meine Familie.

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