04
Genya POV:
Es war halb acht am Abend. Ich saß immer noch in diesem dämlichen Chemie-Klassenzimmer und starrte auf die Tafel. Die Zeit zog sich wie Kaugummi, und ich konnte nicht aufhören, mich zu fragen, wie viel länger das noch dauern würde. Mein Blick wanderte immer wieder zur Uhr. Ein paar Minuten mehr und ich könnte endlich nach Hause, duschen und den Rest des Abends in Ruhe verbringen. Doch irgendwie war ich immer noch hier – und das nur, weil ich es gewagt hatte, den Chemielehrer Obanai mit meiner "Halt die Fresse"-Antwort zum Lachen zu bringen. Na gut, er war auch selbst schuld, aber das half mir nicht dabei, jetzt endlich loszukommen.
Plötzlich öffnete sich die Tür. Ich sah auf und erblickte – nun, das war nicht das, was ich erwartet hatte. Ein Lehrer stand da, und hinter ihm folgte niemand anderes als Muichiro Tokito. Ich starrte ihn an, völlig verwirrt. Was zur Hölle hatte der hier zu suchen? Wir gingen doch auf unterschiedliche Schulen, oder? Muichiro war immer ein bisschen ein Mysterium, aber das hier... das war definitiv neu.
„Muichiro? Was machst du hier?" fragte ich, meine Stimme klang irgendwie überrascht und gleichzeitig unwillig.
Muichiro zuckte nur mit den Schultern und sah mich dann kalt an. „Nachsitzen. Weil ich viel klüger bin als mein Geschichtelehrer. Er hat keinen Plan von gar nichts."
Ich starrte ihn an. „Geschichte? Was hast du gemacht, dass du nachsitzen musst?" fragte ich neugierig, aber auch ein wenig amüsiert.
„Ich hab ihn korrigiert. Er hatte die ganze Zeit falsche Jahreszahlen und meinte, der Zweite Weltkrieg sei 1945 zu Ende. Dann hab ich ihm gesagt, dass er die falschen Daten hat, und er hat mich rausgeschmissen."
„Was? Der Typ ist wirklich dämlich," stieß ich aus und schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihr Lehrer ist ein richtiger Hohlkopf."
„Dachte ich mir auch," antwortete Muichiro mit einem kühlen Blick, der mich irgendwie faszinierte.
Ich nickte, dann fiel mir etwas anderes auf. Warum war er wirklich hier? Warum war er jetzt hier und hatte überhaupt nichts anderes zu tun, als nachzusitzen? Vielleicht, weil unsere Schulen nebeneinander waren. Aber trotzdem, ich hatte das Gefühl, dass er nicht einfach aus Zufall hier war.
„Und was ist mit dir? Warum bist du eigentlich nachsitzen? Ich dachte, du würdest nie in Schwierigkeiten kommen," fragte er mich plötzlich, als er sich in einen Stuhl setzte und mich mit einem fast herausfordernden Blick ansah. Ich konnte die Spur eines Schmunzelns in seinem Gesicht erkennen. Was sollte das jetzt bedeuten?
„Ich hab mich mit Obanai angelegt," antwortete ich, ohne wirklich nachzudenken. „Er hatte die Formel falsch, und ich hab ihm gesagt, dass er seinen Mund halten soll, wenn er keine Ahnung hat."
Muichiro schüttelte den Kopf, als er ein leichtes Grinsen zeigte. „Du bist echt eine nervige Plage, weißt du das?"
Ich lachte und zuckte mit den Schultern. „Was soll's, es war lustig. Und außerdem – ist es nicht irgendwie der Job von Schülern, die Lehrer ein bisschen zu ärgern?"
„Manchmal schon, aber du übertreibst es wirklich," sagte er, wobei sein Ton immer noch ein bisschen spöttisch war. Doch dann veränderte sich plötzlich sein Blick, als er mich ansah. Es war ein flüchtiger Blick, aber für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass etwas anderes dahintersteckte – etwas, das ich nicht ganz fassen konnte.
Es war eine Sekunde, aber in der fühlte ich, wie mein Herz für einen Moment aussetzte. Mein Blick fiel unbewusst auf seine Lippen, und mein Atem stockte.
„Was? Was ist mit dir?", fragte Muichiro, als er bemerkte, dass ich ihn irgendwie starrte.
Ich blinzelte schnell und schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen. „Äh, nichts. Nichts... Ich wollte nur wissen, wie deine Haare so glänzen, ja?"
Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich skeptisch, aber sagte dann nichts mehr dazu. Stattdessen blickte er wieder zur Tür und begann, sich auf dem Stuhl hin und her zu wippen.
Ich konnte nicht anders, als immer wieder zu ihm hinüberzusehen. Was war das? Warum war mein Herz plötzlich schneller? Wieso fühlte sich alles so seltsam an, wenn ich in seiner Nähe war?
„Genya... warum starrst du mich so an?" fragte Muichiro schließlich, seine Stimme war jetzt weniger kühl und irgendwie... etwas weicher. Als er mich anblickte, schien er zu bemerken, dass ich nicht wirklich bei der Sache war.
„Ich... äh..." Ich hatte keine Ahnung, was ich antworten sollte. „Es tut mir leid. Ich hab... einfach die ganze Zeit nachgedacht. Über... alles."
„Über mich?", fragte er, und ich konnte den Hauch eines Grinsens in seiner Stimme erkennen. War das ein Witz? Oder war er tatsächlich neugierig?
Ich seufzte leise, drückte mir eine Hand ins Gesicht und murmelte: „Das ist lächerlich. Du bist einfach... du bist einfach zu klug, weißt du das?"
„Zu klug?" Er blickte mich jetzt direkt an, und der Ausdruck auf seinem Gesicht war völlig ernst. „Glaub mir, Genya. Ich bin nicht nur klug. Ich weiß, was du gerade denkst."
Ich starrte ihn an, das Gefühl, dass irgendetwas zwischen uns in der Luft lag, machte mich plötzlich nervös. „Was denk ich?"
„Du denkst gerade, dass du nicht weißt, warum du mich die ganze Zeit ansiehst, aber es ist doch ziemlich offensichtlich, oder?" sagte Muichiro mit einem leichten, beinahe verlegenen Lächeln.
Ich schluckte. Oh Gott.
Muichiro POV:
Genya reagierte wirklich irgendwie süß. Diese Mischung aus Verwirrung und Verlegenheit auf seinem Gesicht war einfach zu viel für mich. Ein kleines, fast unsichtbares Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich ihm in die Augen sah. Aber dann konnte ich den Blick nicht länger halten und wandte meinen Kopf ab. Was war nur los mit mir? Warum fühlte sich alles plötzlich so komisch an, wenn er in der Nähe war? Ich griff nach meinem Skizzenbuch, um mich abzulenken, und begann, einige Linien zu ziehen, die irgendwie auch meine Gedanken ordneten.
Doch kaum hatte ich den ersten Strich gemacht, fühlte ich, wie Genya sich neben mir beugte. „Was machst du da?" fragte er neugierig, seine Stimme klang fast wie ein Flüstern, als ob er keine Lust hätte, den Moment zu stören.
„Nichts," murmelte ich und versuchte, ihn nicht zu beachten. Ich konzentrierte mich weiter auf die Linien in meinem Skizzenbuch, doch es war schwer, meine Gedanken zu ordnen, wenn Genya so nah war.
Plötzlich schnappte er sich das Skizzenbuch aus meinen Händen, bevor ich überhaupt reagieren konnte. „Hey!" rief ich, doch er hatte es schon aufgeklappt und blätterte durch die Seiten. „Gib das zurück!"
Genya grinste frech. „Was hast du da gezeichnet, hm?" fragte er, während er weiter blätterte. Ich versuchte, meine Hand nach dem Buch auszustrecken, aber er hielt es zu hoch, als dass ich es erreichen konnte.
„Genya, das ist privat!" sagte ich und versuchte, ihn mit einem Blick zu bestrafen. Aber er schien sich keinen Kopf zu machen, als er weiter in dem Buch herumblätterte. Ich konnte ihn hören, wie er leise murmelte: „Du bist wirklich ein ganz schöner Perfektionist, Muichiro. Deine Zeichnungen sind echt gut."
Ich seufzte und lehnte mich zurück. „Komm schon, gib's mir wieder."
Doch dann stieß er auf ein Bild, das mein Herz im selben Moment schneller schlagen ließ. „Was ist das?" fragte er, als er auf eine der Zeichnungen starrte. Ich spürte sofort, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. Es war ein Bild von ihm. Genau von ihm. Und es war... nun ja, ziemlich gut geworden. Und verdammt peinlich. Das Bild hatte ich gemalt, als ich an ihn dachte – nach all den Jahren, in denen wir uns aus den Augen verloren hatten. Ich hatte ihn immer wieder gezeichnet, ohne wirklich darüber nachzudenken, dass jemand irgendwann diese Bilder sehen könnte.
„Genya...", sagte ich leise, fast wie ein Flüstern. „Das ist... nicht das, wonach es aussieht."
Genya drehte sich zu mir und grinste schelmisch. „Oh, wirklich? Sieht aus, als würdest du mich wirklich sehr mögen. Wusstest du, dass du das ganz gut hinbekommst, wenn du jemanden zeichnest?" Er hielt das Bild hoch und sah mich mit einem Blick an, der irgendwie gleichzeitig spöttisch und interessiert war.
„Es ist nur eine Zeichnung," sagte ich hastig und versuchte, meine Panik zu verbergen. Aber mein Herz raste immer schneller. „Ich hab's einfach gezeichnet, weil... weil ich viel Zeit hatte, okay?" Ich schielte schnell nach unten, als er immer noch das Bild betrachtete.
„Aha, wirklich?", sagte Genya, immer noch mit diesem unverschämten Grinsen. „Und warum hast du mich immer wieder gezeichnet, Muichiro? Warum mich?"
Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. „Es... ist einfach nur eine Zeichnung!" sagte ich und versuchte, ihm das Skizzenbuch wieder abzunehmen. Doch er hielt es so fest, dass ich es nicht zurückbekam.
„Muichiro," begann er, diesmal ein bisschen ernster, „es ist wirklich ein tolles Bild. Warum zeigst du mir das nicht öfter?"
Ich starrte ihn an, mein Gehirn versuchte krampfhaft, eine Antwort zu finden, aber irgendwie war ich plötzlich so nervös, dass mir die Worte im Hals stecken blieben. Was sollte ich ihm sagen? Dass ich es immer wieder gezeichnet hatte, weil ich ihn nie vergessen hatte? Weil ich irgendwie immer an ihn dachte, selbst als wir uns aus den Augen verloren hatten?
„Ich... hab es nicht mit Absicht gemacht", murmelte ich, „es war nicht so gemeint." Meine Stimme klang so unsicher, dass es fast peinlich war.
Genya sah mich lange an, dann grinste er breit. „Ach, Muichiro. Du bist echt ein Mysterium." Er hielt mir das Skizzenbuch endlich entgegen, aber als ich es nahm, spürte ich, dass seine Hand für einen Moment leicht meine berührte. Ein winziger Funke sprang über, und plötzlich war es so, als ob die Zeit stillstand.
„Du bist wirklich dumm, Genya", sagte ich leise, aber mein Tonfall war viel weicher, als ich es eigentlich beabsichtigt hatte.
„Warum?" fragte er, und seine Augen funkelten vor Interesse.
„Weil du gerade etwas entdeckt hast, was du nie wieder loswerden kannst", sagte ich, ein Hauch von einem Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
Genya sah mich an, als ob er versuchte, meine Worte zu verstehen, aber ich konnte die leichte Verwirrung in seinen Augen sehen. Doch dann, ohne ein weiteres Wort, beugte er sich vor und legte mir eine Hand auf die Schulter.
„Du bist wirklich ein komischer Typ, Muichiro. Aber irgendwie mag ich das," sagte er mit einem fast schelmischen Lächeln, das mich für einen Moment sprachlos machte.
Und in diesem Moment wusste ich plötzlich, dass es keine Möglichkeit gab, ihm zu entkommen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top