Kapitel 6: Denver's Calling

Vor dem Eingang zum Juniper Valley Park und so nah am Tennisplatz konnte er das beinahe schon melodische Geräusch der Aufschläge hören und sah zu, wie die gelben Filzbälle immer wieder vom blauen Untergrund absprangen, um gleich wieder in die andere Richtung zu zischen.

Rico folgte dem Match erst seit ein paar Minuten, das war weniger schräg, als auf den kleinen Spielplatz zu seiner Linken zu achten, von dem aus ihn die Schaukeln anlächelten und ihn einluden, mal wieder das innere Kind herauszulassen.

Nein, besser nicht. Hier waren zu viele Leute, und Hunde. An diesem sonnigen Herbsttag hatten sich erstaunlich viele Spaziergänger aufgemacht, zweifellos um das gute Wetter an diesem Samstag zu genießen, bevor es bald schon wieder viel zu kalt werden würde, und warfen Stöckchen und Bälle für ihre Vierbeiner.

So wunderte es ihn auch nicht, als ein aufgeweckter Golden Retriever an ihm vorbei lief. Der sprang direkt die Treppe herunter, eilte über das kurze Rasenstück bis an den Zaun zum Tennisplatz und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.

Das rege Treiben der Spieler schien ihn aber kaum zu beeindrucken, er hatte seinen eigenen Ball mitgebracht. Rico lächelte über seinen Versuch, mit vollem Maul fröhlich zu bellen, um auf sich aufmerksam zu machen. Offenbar suchte er einen Spielkameraden.
»Rico!«

Am hüfthohen Zaun angelehnt, lächelte er der fröhlichen Stimme entgegen. Marvin joggte auf ihn zu. Dabei hatte er lässig die Hände in die Jackentasche gesteckt und wirkte so heiter wie der Sonnenschein selbst.

»Hallo mein Freund, wartest du schon lange?«

Dann breitete er wieder die Arme aus. Das schien ganz normal für ihn zu sein, Rico allerdings überraschte diese Begrüßung immer wieder. Aber schön war sie allemal.

Im nächsten Moment pfiff Marvin hell und der cremefarbene Hund kam herbeigeeilt. Der schüttelte sich kurz, wobei die Marke an seinem Halsband klimperte, dann begrüßte er Rico mit energisch wackelndem Körper.

»Das ist deiner?«

»Er heißt Denver. Ich musste ihn mitnehmen, weil mein Dad gerade den Garten zerlegt. Aber keine Sorge, er ist total lieb.«

Rico achtete kaum auf Marvins Worte, denn dieser Hund hatte ihn gerade gefesselt. Ihre erste Kontaktaufnahme glich einem magischen Moment, denn als diese treuen, braunen Augen zu ihm auf schauten, wurden beide ganz ruhig. Es war, als stellten sie gerade eine Art der Verbindung her, die Rico nie gekannt, aber viel zu lange ersehnt hatte.

Dann klappte Denvers Maul auf, der Ball fiel auf den Boden, und er schien ihn anzulächeln. Sobald Rico den breiten Kopf und die flauschigen Schlappohren streichelte und die Wärme spürte, die der Hund an ihn weitergab, war eine neue Freundschaft entstanden.

Rico ging in die Knie, als Denver näher kam. Genüsslich ließ der sich kraulen, sein wippender Schwanz drückte vornehme Verzückung aus.

»Er ist wundervoll.«

»Ich wusste, du würdest ihn mögen.«

Marvin lächelte wieder dieses traumhafte Lächeln, das Rico schon beim ersten Anblick an einer empfindlichen Stelle getroffen hatte. Und nun wusste er nicht, ob der Hund ihn wärmte oder der samtweiche Ausdruck im Gesicht seines Besitzers.

Tja, Mist. Er konnte kaum noch leugnen, dass dieses Grummeln im Magen, das er in seiner Nähe spürte, in Wirklichkeit eine Schar Schmetterlinge war, die aufgeregt mit den Flügeln schlugen. Das hatte wenig mit Hunger zu tun, viel mehr mit einem gerade erwachenden Appetit, der mehr zu verlangen drohte als ein hübsches Lächeln.

Und dabei hatte er keine Ahnung, ob Marvin etwas Ähnliches für ihn empfand. Das war einfach nicht zu deuten. Und doch ... Wenn er so smart lächelte wie jetzt, lag in seinen Augen ein Funkeln. Oder bildete er sich das jetzt schon ein?

Dass der gute Denver ihn schon bald zum Spielen aufforderte, lenkte ihn ein wenig davon ab, wie warm ihm bei gerade einmal siebzehn Grad werden konnte.

Während sie also durch den Park spazierten und Rico immer wieder den Ball warf, überließ er Marvins Gott gegebener Begabung, ihn durch Reden zu beruhigen. Zumindest bis sie auf den gängigen Teenager-Spaß zu sprechen kamen.

»Oh, nein, man, ich trinke nie wieder. Beim letzten Mal, das war die Sommerparty bei meinem Kumpel Simon, habe ich Rolling Stones-Songs an der Karaokemaschine gejault. Und in seinen Pool gekotzt. Das war der peinlichste Auftritt, den ich je hingelegt habe.«

»Das hätte ich gern gesehen.«

Marvin hob beschwörend die Hände, als könnte er ihn davon abhalten. »Nein, glaube ich nicht. Du würdest nicht mehr mit mir reden.«

Wenn er es sich aussuchen könnte, würde der heutige Tag niemals enden. Nur sie beide mit Denver im Park, er hatte nicht gewusst, dass man seine Zeit mit so wenig und doch mit so unheimlich viel verbringen konnte. Im Augenblick hätte es wohl nichts gegeben, das Rico von ihm fernhalten könnte. Nicht einmal Karaoke.

»Keine Chance, dass du noch mal singst?«

»Nee, aber bei unserer letzten Familienfeier habe ich tanzen gelernt.« Während Marvin sich an seine ersten Tanzschritte erinnerte, grinste er vor sich hin, aber es schien ihm kein bisschen peinlich zu sein. »Ich glaube, ich mag das. Ist irgendwie ... macht Spaß, ja.«

»Tanzen?«, hörte Rico sich sagen, und irgendwie konnte er seine Zweifel daran dann doch nicht ganz kaschieren.

Marvin nickte eifrig grinsend in seine Richtung. Mhm. In Ordnung, vielleicht wäre das so eine Sache, bei der er nicht mitmachen würde. In seiner Vorstellung hatte das den gleichen Coolnessfaktor wie Schaukeln.

Dennoch konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen und versuchte, nicht daran zu denken, wie süß Marvin mit dem Beanie und dem Ohrring auf der linken Seite aussah. Aber bei jedem Blick in seine Richtung wollte er näher zu ihm.

»Hast du eigentlich eine Freundin?«, überraschte Marvin ihn als nächstes.

»Nee, man, Mädchen nerven.«

Ricos Antwort kam so schnell, dass er selbst dachte, seine Aussage könnte falsch ankommen. Er wollte keinesfalls den Eindruck vermitteln, er sei prüde oder unerfahren. Leider konnte er nicht einmal eine Eroberung vorgaukeln.

Mist, diese Unterhaltung ging in eine völlig falsche Richtung. Und Marvins sagenhaftes Lächeln wurde eine Spur zu positiv.

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