Kapitel 5: Der Bote
Die kleine Fertigungshalle von El Solet Contracting war schon nicht sonderlich vertrauenerweckend, aber auf dem Platz wollte man seine Zeit erst recht nicht verbringen. Ein paar Strahler, von denen einer schon kaputt war, warfen nur spärliches Licht auf den platt getretenen Sandweg.
Rechts am Zaun zum Nachbargrundstück standen in die Jahre gekommene Baumaschinen, deren Zweck Rico nur erahnen konnte. Links am Hintereingang wartete Frank. Rauchend hob der den Blick, als er die beiden Jungs kommen sah. Rico kannte er bereits, aber seine Gesellschaft war ihm nicht geheuer.
»Hallo, Frank«
»Rico. Ricos Anhang.«
Lächelnd stellte er Joe vor und überspielte seinen Missmut dem so genannten Partner gegenüber so gut er konnte. Joe nickte lediglich stumm und beobachtete, wie Rico den Klumpen in der unterirdischen Verpackung aus seinem Rucksack zog.
Kommentarlos nahm dieser Frank das Paket an sich und verschwand damit durch die Hintertür. Erstaunlich, wie formlos diese Übergabe ablief.
»Was jetzt?«
»Er wiegt es. Solange heißt es warten.«
Im kalten Licht der Neonröhre über ihnen sah Joe sich seinen Freund etwas genauer an, der geschäftig auf seinem Handy tippte und gar nicht zu bemerken schien, wo sie standen.
Die müden Augen blickten freundlich, wenn er ihn ansah, und doch schlossen sie ihn aus seinen Gedanken aus. Das war längst nicht immer so gewesen. Früher, vor dieser Verwandlung, hatte er ihn lesen können wie eine Litfaßsäule.
Doch es war heikel geworden, als er bemerkt hatte, dass sein Freund nicht so sehr hinter den Mädels her war wie er selbst. Damit hatte sich etwas verändert.
Rico hätte sich überall vorstellen können, also warum ausgerechnet in der Zoohandlung, wenn da nicht noch eine Variable im Spiel war.
»Was ist?«
Joe schüttelte den Kopf. »Du lässt dir da echt 'was durch die Lappen gehen, Alter. Wie viel sicherer könnte dein Job denn werden? Abnehmer gibt es wie Sand am Meer, da musst du dir echt keine Sorgen machen.«
»Du kapierst das nicht. Ich mach' das doch nicht aus Spaß. Ich habe meine Mom, Celia und ...«
»Und du denkst, der alte Geizkragen mit dem creepy Vogel zahlt dir mehr als Cam?«
Das sollte seine Ausrede sein nach all den Monaten als Kurier? Unwahrscheinlich. Umso schwieriger wurde es gerade, nicht darauf anzuspringen, dass sein Interesse wohl in Richtung Jungs schwappte und ein bestimmter Name in den letzten Monaten immer wieder gefallen war.
»Glaubst du, ich will das hier mein Leben lang machen?«
Rico war in jeder Hinsicht ein Spätzünder, ja. Der Wandel zum Kickstarter passte dennoch nicht zu ihm.
»Aber Rattenscheiße wegzuschaufeln, ist besser?«
»Ich bin doch kein Kammerjäger.«
Ihr Gespräch endete, als Frank noch einmal aus der Tür trat. »Alles klar. Bis nächste Woche.«
»Schönen Abend noch.«
Rico drehte bei und zog Joaquin am Ärmel hinter sich her, damit der nicht noch irgendetwas Blödes tun konnte.
Ja, Drogenhandel war einfach, wenn man sich an die Regeln hielt. Man bekam seine Ware, gab sie pünktlich und gewinnbringend weiter, stellte keine dummen Fragen und Vornamen reichten meistens aus.
Alles in allem machte Rico sich gut. Er war nie auffällig geworden, hatte nicht mehr verlangt, als seine Arbeit wert war, und behandelte seine Kollegen und Geschäftspartner anständig.
Und doch war dies hier nichts für seinen Freund. Wenn jetzt ein Polizeihund an ihm vorbeischnüffelte, würde sein Rucksack, der noch eine Weile nach Gras riechen würde, ihn auf das nächste Revier verfrachten. Und er war nicht einmal bekifft. Aber das könnte sich ändern.
»Okay. Das war easy. Und jetzt?«
»Nichts. Der Job ist erledigt. Was mit dem Paket passiert, geht mich nichts mehr an. Feierabend.«
»Mein Lieblingswort. Also, gehst du jetzt einfach nach Hause?«
»Heute nicht. Ich habe noch was vor.«
»Wie? Und deine Mom?«
Er hatte nicht darauf verzichten wollen, wenigstens noch eine halbe Stunde mit ihm zu verbringen, bevor er in die leere, kalte Wohnung zurückkehrte, die sein Vater zum Glück vor zwei Tagen verlassen hatte und sicher nicht vor Ende nächster Woche wieder betreten würde. Die perfekte Gelegenheit und Rico wusste das.
»Hat ihre Schicht getauscht. Sie ist zu Hause. Ich treffe mich mit Marvin.«
Marvin. Da hatte er ja seine Antwort. Für den versetzte er also seinen besten Freund. Na schönen Dank auch.
Er verkniff sich seine Wertung, bis Rico bei Airweld sein Fahrrad abschloss und keine Anstalten machte, sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Nein, tatsächlich schulterte er den offenen Rucksack, wahrscheinlich, damit der im Fahrtwind auslüften konnte, und wollte sich verabschieden.
»Du triffst lieber dich mit dem Typen, anstatt mit mir zu feiern?«
Rico schien zu überlegen. Als er den Abend bei Joe abgelehnt hatte, hatte er noch nicht gewusst, dass er heute nicht auf seine Geschwister aufpassen musste. Und dieser Kerl bot ihm sicher etwas anderes, als am Freitagabend in einer grünen Wolke vor dem Fernseher zu hocken. Klar wollte er.
»Du hast doch schon ohne mich gefeiert.« Ricos Stimme klang mindestens so müde, wie es sein Blick war. »Ich muss jetzt los.«
Er stieg auf sein Rad, hob zum Abschied die Hand und bekam die Quittung in Form eines ausgestreckten Mittelfingers. Okay, das war nicht sehr freundschaftlich, aber auch nicht ungewöhnlich.
Joaquin blieb vor Airweld Schweißerzubehör stehen und sah Rico nach. Er widerstand dem inneren Drang, ihn daran zu hindern, seine Zeit mit einem anderen Freund zu verbringen, nur mit Mühe. Das wirkte selbst auf ihn kindisch.
Angepisst war er trotzdem und das würde er bleiben, wenn er jetzt in dieses dunkle Loch zurückkehrte, das sein Zuhause darstellte.
Die nasse, kalte Jahreszeit hatte kein Erbarmen mit ihm.
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