Das hier ging viel zu schnell und er war noch nicht bereit dafür. Nicht ansatzweise bereit, bei einem derart wichtigen Geschäft eine tragende Rolle zu spielen.
Joaquin federte nervös von einem Bein aufs andere und machte sich damit noch verdächtiger als er ohnehin schon wirken musste, so allein am frühen Abend an einer Straßenecke stehend, das Handy in der Hand, um sofort zu reagieren, sollte er etwas Ungewöhnliches bemerken.
Von seiner Position aus konnte er Pete sehen, der an der nächsten Querstraße Stellung bezogen und Sichtkontakt zu Jazz hatte. Der wiederum hatte das kleine unauffällige Diner im Blick, in dem Camilo, begleitet von Benito und Ramon, mit dem ominösen Colben verhandelte.
Joes Aufgabe glich dem altbekannten Schmierestehen. Er war weit genug entfernt, um nicht wirklich am Geschehen beteiligt zu sein, und nah genug, um mögliche Polizeistreifen zu sichten. Ja, er war mittendrin. Irgendwie jedenfalls.
Und das hatte er sich selbst eingebrockt.
Gott, war sein Tag beschissen. In einem Aschenebel aufzuwachen, war dabei wohl noch das Highlight gewesen. Er konnte immer noch nicht fassen, dass Rico ihn so abgeschmettert hatte, und das nachdem sie diese Wahnsinnsnacht miteinander verbracht hatten.
Immer wieder hatte er diese schummrigen Bilder vor Augen, die Geräusche im Ohr, das Kribbeln auf der Haut. Und die Übelkeit im Magen, wenn er sich klarmachte, dass er nicht seine erste Wahl wäre. Selbst dann nicht, wenn es diesen versnobten Dreckssack Marvin nicht gäbe.
Nach dieser Blamage hatte er erstmal eine kleine Aufheiterung gebraucht und angesäuert festgestellt, dass sein Kumpel ihm den halben Beutel Gras weggeraucht hatte. Er war also nicht drum herum gekommen, nach Green Point raus zu fahren, um sich Nachschub zu besorgen.
Eigentlich hatte er angenommen, dort würden alle mit den Vorbereitungen für das Treffen beschäftigt sein, aber als er seine Packerkollegen an ihren Tischen gesehen hatte, kam er sich vor als schwänzte er die Arbeit.
Anstatt sich also neu einzudecken, hatte er zuerst abwiegen und eintüten müssen. Nur deshalb war er noch dort gewesen, als Camilo und Ramon das Labor im Keller inspiziert hatten.
Heilige Scheiße, er hatte ja schon viel über den Boss gehört, ihn an diesem Nachmittag aber zum ersten Mal gesehen. Alle seine Informationen zum Job bezog er von Juan, Geschwätz holte er sich von Jazz. Die Bezahlung bekam er von Benito. Und er hätte gebetet, dass es so bliebe.
Camilo Ruiz war eine beeindruckende Erscheinung. Groß, breit, die Augen so schwarz wie sein Haar und eine Aura, bei der man eine verdammte Gänsehaut bekam. Schon während er ganz langsam die Kellertreppe herunter stolziert war, hatte er eine bedrückende Stille in den Raum gezaubert.
Der Boss hatte praktisch keinen Ausdruck in dem dunklen Gesicht, aber jeder ahnte, dass er in Sekundenschnelle explodieren könnte. Nun, jeder außer Juan, der ständig bekiffte alte Sack, der nach dem Verpacken immer noch einmal nachwog und ihren Bestand dokumentierte.
Der Verrückte hatte sich von seinem Stuhl erhoben und den Boss begrüßt wie einen alten Kumpel, während Joe sich beinahe in die Hosen gemacht hatte. Er war sich sicher gewesen, dass Cam ihm gleich den Kopf abbeißen würde, so wie dieses ekelhafte Monster mit Augen in den Händen der kleinen Fee in Pans Labyrinth. Schnapp und weg.
Vielleicht war es diese Sorge gewesen, wohl eher aber doch schiere Dummheit, die ihn dazu verleitet hatte, Camilo so anzustarren. Auf ihn aufmerksam geworden, hatte der diesen Blick erwidert und ihn gehalten.
Gott, er hatte noch nie einen so irren Mix aus Gefühlen erlebt. Angst war ganz vorn dabei gewesen, aber auch eine Faszination, die an Leichtsinn nicht zu überbieten war. Nicht einmal die Vorstellung, nackt auf einer Bühne zu stehen, hatte das Potential so eine Scham auszulösen, wie er sie in diesem Moment erlebt hatte.
Sein Starren hatte er erst unterbrochen, als Jazz ihm einen Stoß in die Seite gegeben hatte. Ja, mittlerweile wusste er, warum niemand auf so einer niedrigen Stufe Camilo in die Augen sah. Das brachte nur Probleme.
Und nun war er hier und stand Schmiere für den Big Boss, der seine wortlose Reaktion auf ihn als Anreiz verstanden hatte, ihn heute Abend mitzunehmen.
Warum genau er hier war, wusste er immer noch nicht. Pete hatte ihn für dieses Privileg nur hämisch ausgelacht. Kein gutes Zeichen, oder?
Konzentration. Das hier war enorm wichtig. So wichtig, dass er seinen letzten Joint vor beinahe sechs Stunden geraucht und seitdem keinen mehr angerührt hatte. Ja, er hatte seine Lektion gelernt. Clean zum Job, stoned nach Hause.
Das war zumindest sein Plan, sollten die Verhandlungen gut laufen. Wäre der Deal erstmal gemacht, müsste er nur noch absichern, dass hier keine Bullen herumfuhren, und hatte seine Aufgabe damit erfüllt. Feierabend also.
Aber bis dahin fror er sich hier draußen den Arsch ab. Scheiße, warum musste er auch in New York leben. Warum nicht Los Angeles oder Miami?
Als eine SMS einging, wäre er beinahe die Wand hochgegangen, an der er lehnte. Der Deal war gelaufen. Treffen in einer Stunde in Green Point. Mehr stand dort nicht.
Scheiße, er hatte gehofft, er könnte einfach nach Hause fahren und diesen gruseligen Kerl vergessen. Stattdessen zurück zur Arbeit? Sein Herz polterte nur so durch seine Brust und seine viel zu leeren Lungen verlangten nach einer Zigarette.
Seine Hände zitterten nicht nur vor Kälte, als die Flamme des Feuerzeugs sein Gesicht einen Moment erhellte. Gierig zog er an dem Filter und frage sich, ob es nicht eine andere Lösung gab. Doch leider kam sein Kollege Pete geradewegs auf ihn zu.
»Alles klar?«
Joe hatte alle Mühe, cool zu wirken, und er war sich längst nicht sicher, ob er ihm das abnehmen würde. Pete musterte ihn mit diesem irren Grinsen, von dem er immer noch nicht sagen konnte, ob es nun seine Laune widerspiegelte oder ein Hinweis darauf war, schnellstens das Weite zu suchen.
»Wie lief es?«, bohrte er noch einmal nach, in der Hoffnung, er bekäme nun doch noch die Erlaubnis zu gehen.
»Geh zurück. Da wartet noch Arbeit auf dich.«
Irgendetwas war hier faul, das erkannte sogar er. Nach Green Point brauchte man keine Stunde, erstrecht nicht mit dem Wagen. Und warum konnten sie nicht zusammen fahren, so waren sie schließlich auch hergekommen.
»Und ihr kommt klar?«
Als ob dieser durchgeknallte Spinner, der schneller sein Messer gezückt hatte, als Joe noch so eine dumme Frage stellen konnte, seine Hilfe bräuchte. Viel eher war das der klägliche Versuch, herauszufinden, was sie noch geplant hatten.
Aber darauf fiel sein Gegenüber nicht herein. Er war hier fertig, und ganz offensichtlich doch kein so großes Licht in ihren Reihen, dass ihn das etwas anginge.
Mit aufgesetztem Lächeln demonstrierte er Gelassenheit und nickte, auch wenn er gerade ein bisschen Schiss davor hatte, ein kleines Andenken von Pete zu kassieren, wenn er sich jetzt umdrehte.
Nein, Glück gehabt.
Die beiden gingen getrennte Wege, wohin ihn der auch führen würde. Hauptsache weg hier. Dabei sah er sich ganz genau um. So gespannt sein Nervenkostüm auch war, er wollte sicher keiner Streife vor die Stoßstange laufen oder von Colbens Leuten aufgegriffen werden.
Wie sollte er erklären, zu wem er gehörte, ohne der Firma damit mehr Ärger zu machen als sie im Moment gebrauchen könnte. Als ob ihm das überhaupt etwas nützen würde. Nein, sein Status hatte sich gerade gezeigt.
Die ganze Zeit über war er so verdammt nervös gewesen, Pete hatte sicher schon darauf gewartet, dass er sich einschiffte. Tja, zumindest diese Blamage war ihm erspart geblieben. Aber so langsam wurde ihm bewusst, dass er hier überhaupt nicht gebraucht wurde. Warum man ihn trotzdem mitgenommen hatte, konnte er sich aber nicht erklären.
Er fühlte sich verarscht. Sollte das eine Art Lektion sein? Und was hatte er dabei gelernt?
Abgesehen davon, dass er Camilo sicher nicht noch einmal so offen anstarren würde. Das hatte ihm nur eine Extraschicht in der Packstation eingebracht.
Eine weitere Gelegenheit darüber nachzudenken, was nun aus ihm und Rico werden sollte. Sie waren kein Paar und würden keines werden, das hatte er deutlich gemacht. Aber waren sie eigentlich noch Freunde?
Mit verkniffenem Gesicht fragte er sich, ob er dazu noch in der Lage wäre, nachdem ... Schluss damit. Er musste aufhören, die letzte Nacht immer wieder in Gedanken durchzuspielen, das tat nur weh.
Und anstatt seinem besten Freund nachzujammern, sollte er besser auf seine Umgebung achten. Dann wäre ihm vielleicht auch nicht entgangen, dass er beobachtet wurde.
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