Kapitel 24: Schuld und Schande
Joaquin zitterte immer noch so stark, dass er es kaum schaffte, seine Zigarette im Aschenbecher auszudrücken. Auch die erzwungene Konzentration auf seine Hand und ihre momentane Aufgabe halfen nicht, er musste den verdammten Keramiktopf festhalten.
Dabei verbrannte er sich die Finger und fluchte lautstark. Am liebsten hätte er das Scheißding gegen die Wand geworfen. Stattdessen griff er nach seiner Sporttasche, in der immer noch seine verschwitzen Klamotten vor sich hin stanken, und schleuderte sie durch sein Zimmer.
Damit räumte er nur die Lampe vom Nachttisch und fegte sein Drehbesteck gleich mit herunter. Als die offene Packung Tabak auf dem Boden landete, ballte er die zitternden Hände zu Fäusten.
Scheiße.
Gottverdammte Scheiße.
Ein paar tiefe Atemzüge später machte er sich ans Aufräumen. Nur keine Fusseln unterheben, während er den Tabak wieder in die Tüte zurückschaufelte. Wenigstens konnte dieser Abend nicht noch schlimmer werden.
Ihm war kotzübel gewesen, als er den Kleinen da liegen gesehen hatte. Aber auch Rico war nicht gerade eine Augenweide gewesen. Was war er froh gewesen, als der Krankenwagen endlich gekommen war, um die beiden mitzunehmen, und selbst der Polizei waren sie gerade noch entwischt.
Als er das Blaulicht gesehen hatte, hatte er geglaubt, damit sei sein ganz persönlicher Nervenzusammenbruch überstanden gewesen. Er hatte sich geirrt.
Dieser grauenvolle Film lief auf Dauerschleife vor seinem inneren Auge. Immer wieder sah er den Unfall vor sich, als wäre er noch immer dort. Er hörte das Quietschen der Reifen, roch den abgeriebenen Gummi, die Abgase, hörte das Geschrei seines Freundes. Und er sah, wie der kleine Junge von dem verdammten Taxi erfasst wurde.
Das war so übel gewesen. Ein menschlicher Körper sollte sich nicht so bewegen.
Und wenn ihm diese Szene schon so auf den Magen geschlagen hatte, wollte er sich gar nicht ausmalen, wie es seinem Freund gerade gehen musste. Er hatte keine Ahnung, wie es ihm oder dem Kleinen ging, Rico hatte sich nicht gemeldet.
Der hatte natürlich gerade andere Dinge im Kopf, als mit ihm Kaffeekränzchen zu halten, aber er wünschte, er könnte etwas für seinen Freund tun. Mehr noch. Rico war sein Bruder und einer von den Guten, er hatte dieses Elend nicht verdient.
Nach dieser Katastrophe war er sich sicher, dass Rico die Szene endgültig verlassen würde. Was gut war. Er würde tun, was er konnte, um ihm den Abgang so leicht wie nur möglich zu machen.
Viel mehr konnte er wahrscheinlich nicht tun.
Da er immer noch nicht ruhiger wurde, versuchte er noch einmal, sich eine anständige Zigarette zu drehen, was allein schon daran scheiterte, dass er immer noch nicht stillhalten konnte. Als es dann noch an der Tür klingelte, wäre er beinahe an die Decke gesprungen.
Wer, zum Teufel, konnte das denn jetzt sein?
Wenn das der Idiot aus seinem Mathekurs war, der schon wieder nicht ohne seine Tüte einschlafen konnte, würde seine miese Laune heute durch ein besonderes Ventil abgelassen werden. Doch der Blick durch den Türspion wischte seinen Ärger umgehend weg.
Er riss beinahe die Tür auf. »Rico, Mann, was machst du denn hier?«
Sein Freund war völlig aufgelöst. Er antwortete ihm nicht, offenbar war er dazu nicht in der Lage. Dafür bat er sich selbst herein und nahm direkt Kurs auf Joes Zimmer. Der warf noch einen prüfenden Blick in den Hausflur, bevor er ihm folgte.
»Hey Mann, wie sieht es aus? Wie geht's José?«
Rico war auf seinem Bett gestrandet. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Hände gefaltet, als wollte er beten, schüttelte er den Kopf. Joe blieb beinahe das Herz stehen, als er seinen Freund missverstand.
»Ich weiß es nicht. Er ist noch im Krankenhaus.«
»Und ... warum bist du jetzt hier?«
»Meine Mom ist da.«
Joaquin brauchte einen Moment, um die Informationen in einen Zusammenhang zu bringen, schloss aber ganz richtig daraus, dass sie scheißwütend auf ihn war und er deshalb die Flucht ergriffen hatte. Er konnte es verstehen, beide Seiten.
»Und sie ruft dich an, wenn sie etwas weiß?«
»Kann sein.«
Aber darauf würde er nicht wetten.
Hatte er sich gerade noch gewünscht, ihm irgendwie beistehen zu können, hatte er jetzt doch keine Ahnung, was er für ihn tun konnte. Eine solche Situation hatten sie noch nie erlebt. Wobei, als seine Mom ausgeflippt war, hatte er sich ebenfalls bei Rico verkrochen, und was Joe damals geholfen hatte, würde ihm sicher auch gut tun.
Er setzte sich zu Rico aufs Bett und legte ihm den Arm um die Schultern. Dabei versuchte er, möglichst tröstende Worte zu finden, die es ihm ein wenig leichter machen würden. Er malte ihm mit rosigen Aussichten zu Josés Genesung ein Bild, an das er sich klammern konnte, und rieb ihm im trägen Rhythmus über den Rücken.
Rico seufzte tief, ehe er ihn ansah. Gutes Zureden allein reichte ihm offenbar nicht, er war ein einziges Nervenbündel und immer noch kurz davor, in tausend Teile zu zerspringen.
»Hast du was da? Ich könnte jetzt was vertragen.«
»Ja, klar.«
Ihm war anzusehen, dass er einen Downer gebrauchen konnte, und vielleicht, wenn er seine Angst in den Griff bekommen hatte, würde er auch das Bild erkennen können, das ihm beschrieben wurde.
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