Kapitel 10: ¿Qué pasa?

»Wow! Woah! Alter!«

Lachend hauten die Jungs in die Tasten, denn im Leaf Cup Final Race entschied sich nun, wer am Ende ganz oben auf dem Treppchen stehen würde. Rico zog vorbei an den schnappenden Blumen, driftete um die Kurven und ließ den schwarzen Kettenhund hinter sich.

Die Rennen in Mario Kart dauerten gerade einmal zwei Minuten, boten aber eine für ihn lang vermisste Unterhaltung. Die neuen Strecken und Effekte waren ebenso herausfordernd wie sie Spaß machten, und als Marvin in Gestalt von Luigi näher kam, stieg die Spannung noch einmal an.

Wer glaubte, Shooter machten aggressiv, der war noch nie kurz vor dem Ziel in eine Bananenschale gerauscht.

In einer theatralischen Geste ließ Marvin den Controller in seinen Schoß fallen, riss die Hände hoch und jammerte auf so unverschämt niedliche Art. Rico hörte aber kaum, was er da von sich gab, dafür lachte er einfach zu laut.

»Oh man, das gibt's doch nicht. So knapp. So knapp!«

»Von wegen knapp, ich habe zwölf Sekunden Vorsprung.«

Marvin lehnte sich in die Kissen zurück und gab sich trotzig, doch sein anhaltendes Grinsen verriet ihn. »Zwölf Sekunden sind doch gar nichts.«

»In zwölf Sekunden kann viel passieren.«

Breit grinsend sah er zu, wie Rico sich zu ihm drehte. Kaum bemerkte der seinen erwartungsvollen Blick, musste auch er lachen. Marvin war offenbar ein Quell der guten Laune und nicht verlegen, ihm, der sich wie ein Verdurstender vorkam, immer wieder einen Schluck anzubieten.

Was er gestern im Park über ihn gesagt hatte, war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Aber es stimmte, früher war er so viel entspannter gewesen, viel offener und noch nicht derart wütend auf die Welt.

Natürlich war ihm klar, warum er sich heute so gefangen fühlte, aber er hoffte inständig, er könnte zu seiner alten Form zurückfinden. Marvin zeigte ihm allemal den Weg. Jetzt war es an ihm, dem zu folgen.

Ja, in seiner Nähe fiel es ihm so leicht, nicht an den ganzen Mist zu denken, den er mit sich herumschleppte.

Es war erstaunlich, wie wohl er sich hier fühlte, besonders in seinem Zimmer. Das war überschaubar groß und mindestens so vollgestopft wie der Rest des Hauses, und irgendwo zwischen den Klamotten, Zeitschriften und Spielzeugen lag der Hund.

Einfach großartig.

Marvin lächelte ihn weiter an. Dabei wanderte sein Blick zu Ricos dunklem Haar, in das er gleich darauf die Finger schob, zu seiner Nase, über die er mit seiner eigenen rieb, über seine Brauen, Wimpern und Wangenknochen und schließlich zu seinen leicht geöffneten, ebenfalls lächelnden Lippen.

»Du bist so hübsch, weißt du das eigentlich?«

Es gefiel ihm sehr, wenn Marvin ihn so ansah, aber jedes seiner Komplimente brachte ihn in Verlegenheit. Er war es einfach nicht gewohnt und gleichermaßen wollte er mehr davon.

»Hör auf«, bat er ihn nicht ernst gemeint mit einem nervösen Grinsen.

»Kann ich nicht.«

»Doch, sicher.«

»Nein, geht nicht. Du kannst ja auch nicht aufhören, so süß zu sein.«

»Halt die Klappe.«

»Bring mich doch dazu.«

Ja, alles an Marvin gab ihm ein gutes Gefühl. Aber das beste holte er sich, indem er mit ihm erfuhr, wie süß zwölf Sekunden schmecken konnten.

Was sie gestern noch in gewisser Weise zögerlich getan hatten, fiel ihnen heute schon sehr viel leichter. Und während Marvin in seinem Haar wühlte und den freien Arm um seine Taille legte, fuhr Rico langsam mit der Hand über seine Brust. Marvin seufzte ergeben und für Rico war das Anreiz genug, noch näher an ihn heran zu rutschen.

Als Marvin ihn an sich drückte und begann, seinen Rücken zu streicheln, spürte Rico ein Kribbeln. Zuerst nur an den Stellen, die er berührte, aber bald schon am ganzen Körper, und es fiel ihm immer schwerer ruhig zu atmen.

In dieser lauschigen Zweisamkeit entwickelte sich zunehmend Vertrautheit, aber auch ein Gefühl, das er so nicht kannte. Es war wie ein inneres Treiben, ein Sehnen, das auch durch die vielen intensiven Küsse nicht gestillt, sondern nur weiter angestachelt wurde.

Kurz überlegte er, ob das eine rein körperliche Reaktion sein könnte. Schließlich war das alles so neu und aufregend, dass sein weiches Hirn allmählich die Kontrolle verlor und der Rest von ihm dafür langsam in Fahrt kam.

Marvin so nah zu sein, war durchaus berauschend, und dieses neuerliche Gefühl schien auch auf ihn überzugehen. Als in diesem viel zu schönen Moment sein Handy einen Anruf meldete, zuckte der deutlich zusammen.

Verdammt, nicht schon wieder.

Die SMS von Joe hatte er heute bewusst ignoriert, denn der gehörte in ein Kapitel, das Rico gerade einfach nicht aufschlagen wollte. Auch seinen ersten Anruf vor etwa einer Stunde hatte er auf die Mailbox geleitet.

Als der Anrufer einfach nicht auflegen wollte, schnaufte Rico genervt auf und wand sich aus dem Knäuel, das sie geschaffen hatten, um sein Handy aus der Hosentasche zu zirkeln.

»Geh nicht ran«, bat Marvin ihn beinahe sehnsüchtig. Er versuchte noch, ihn mit weiteren liebevollen Küssen abzulenken, und zu gern hätte Rico dem nachgegeben.

»Ich muss. Könnte meine Mom sein.« Zumindest hatte er diese Hoffnung, bis er Benitos Namen auf dem Display sah. Er biss sich auf die Zunge. »Mein Cousin. Entschuldige.«

Das war ungewöhnlich. Seine nächste Lieferung wäre erst in der kommenden Woche fällig und sonst gab es keinen Grund ihn zu kontaktieren. Alarmiert rutschte er an die Bettkante, um ein wenig Abstand zu Marvin zu haben, und nahm den Anruf auf Spanisch entgegen. Ein Zeichen für Benito, dass er gerade nicht reden konnte. Der fasste knapp zusammen, dass Rico umgehend zu ihm kommen sollte.

»¿Qué pasa?«, wollte Rico von ihm wissen und bekam nur einen Hinweis auf die letzte Lieferung. »¿Cuál es el problema?«

Wenn er Marvin schon verlassen sollte, müsste der Grund dafür wenigstens ein guter sein, aber Benito gab ihm kaum mehr Hinweise, als er sich selbst zusammenreimen konnte.

Rico murmelte noch ein paar Sätze ins Telefon, die Marvin hoffentlich nicht verstand, doch er sah bald ein, dass es keinen Sinn machte, mit seinem Cousin zu diskutieren. Irgendetwas war schief gegangen und das musste er jetzt klären.

Sein Tag war so was von gelaufen.

»Alles in Ordnung?«, fragte Marvin hinter ihm. »Mein Spanisch ist echt unterirdisch, aber Problem habe ich verstanden.«

»Ja. Nein. Also, das weiß ich noch nicht. Er wollte das nicht am Telefon besprechen.« Rico ignorierte mal, dass er zu lauschen versucht hatte. »Ich muss gehen. Tut mir leid.«

Marvins Blick drückte zwar Verständnis aus, aber da war auch eine Sorge, die er ihm nicht wirklich nehmen konnte. Zumindest verstand er die Dringlichkeit hinter diesem Anruf und stellte keine Fragen, als er Rico zur Tür begleitete.

»Äh ... Rufst du mich an, wenn du alles geklärt hast?«

»Ja, na klar.«

»Und bleibt es bei morgen?«

»Ich denke schon.«

Rico war schon beinahe zur Tür hinaus, als Marvin nach seinem Arm griff, damit er endlich einmal stehen blieb. »Rico, warte mal.«

Er hatte nicht viel Zeit, denn die Firma duldete keine Verzögerungen, und offenbar strahlte er selbst auch schon eine gewisse Form von Ungeduld aus. Marvin jedenfalls ließ die Hand wieder sinken, als ihm nicht die passenden Worte einfallen wollten.

Unsicherheit überschattete seine sonst so fröhliche und unbekümmerte Erscheinung. Die angestrengt verzogenen Brauen wiesen auf Enttäuschung hin. Er musste ihm lassen, dass er seine Entscheidung nicht infrage stellte, wenn er offenkundig auch nicht begeistert davon war.

»Marv«, versuchte er es nun sanfter. »Ich würde auch lieber bleiben, aber das klang echt wichtig. Ich melde mich so schnell wie möglich. Okay?«

Auf Marvins wenig überzeugtes Nicken hin schlang Rico die Arme um seine Taille und schob sich noch einmal so nah es ging an ihn heran. Damit hatte der nicht gerechnet.

»Und dann machen wir genau da weiter, wo wir aufgehört haben.«

Und auch das kam wohl unerwartet, so überrascht wie Marvin ihn gerade ansah. Schmunzelnd neigte Rico den Kopf und wartete, ob er ihm entgegenkommen würde. Er spürte, wie sein Freund die Arme um seine Schultern legte, eine Hand in sein Haar grub und voller Sehnsucht seinen Kuss erwiderte.

Wie gern hätte er Benito vergessen und wäre wieder mit Marvin auf sein Bett gekrochen.

»Sind wir ein Paar, Rico?«, flüsterte er ihm entgegen. »Ich meine, haben wir eine Beziehung? So ganz offiziell?«

Er öffnete blinzelnd die Augen, nicht sicher, ob er richtig gehört hatte.

»Ich will ehrlich sein. Das wäre meine erste. Ich weiß gar nicht so genau, womit wir weitermachen, wenn wir weitermachen. Wenn du da mehr Erfahrung hast ...«

Rico konnte sich ein dämliches Grinsen nicht verkneifen. Verblüffend, dass er noch süßer werden konnte, wenn er versuchte, gleich zwei heikle Themen unter einen Hut zu bringen.

»Ich habe genauso wenig Ahnung wie du«, gab er zu. »Ich hatte auch noch keinen Freund.«

»Willst du denn mit mir zusammen sein?«

Rico zögerte nicht. »Ja.«

»Ja?«

»Ja.«

Da riss Marvin erneut die Arme hoch, beinahe so als hätte er das Rennen gewonnen. »Ja!«

Rico lachte herzhaft, völlig gelöst von den Zweifeln, die er bislang noch gehabt hatte, und küsste den Jungen, der seine Schmetterlinge zum Tanzen brachte. Auch Marvin hatte seine innewohnende Lebensfreude wieder hervorgeholt und stieg ganz ohne Nervosität mit ein.

Und was das Weitermachen betraf, nun, wie das ginge, würden sie zu gegebener Zeit gemeinsam herausfinden.

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