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Chenle:

Sonnenlicht kitzelt mir im Gesicht und ich muss ein paar Mal blinzeln, bevor ich etwas erkennen kann.
Dann fällt mein Blick auf Jisung, der neben mir auf dem großen Bett liegt und mir lächelnd ins Gesicht schaut.

"Guten Morgen", sagt er leise und ich spüre, wie sich mein Gesicht erhitzt bei dem Gedanken daran, dass er mich beim Schlafen beobachtet hat.

"Gut geschlafen?", erkundigt er sich und streicht eine Haarsträhne aus meinem Gesicht

"Ja, und du?"

"Ich auch, dankeschön."

Sein Lächeln ist so wunderschön. Und er schaut mich immer noch an, hat alles andere um uns herum ausgeblendet.

"Alles okay?"

Er nickt, aber in seinem Blick liegt Besorgnis, weshalb ich ihm weiter fragend anschaue.
Eine Weile herrscht Stille zwischen uns, in der wir uns einfach nur gegenseitig anschauen. Ich meine, Jisungs Gedanken in seinem Kopf rumoren zu hören. Er dreht und wendet die Worte, die er sagen möchte, wiegt sie fein säuberlich ab.

Mein Herz fängt stärker an zu klopfen, Jisungs Nervosität überträgt sich auf mich. Ich bin kurz davor, ihn erneut darauf anzusprechen, obwohl ich ihm eigentlich seine Zeit lassen wollte, da spricht er endlich weiter.

Die Worte sind gut überlegt und kommen ihm doch nur zögerlich über die Lippen.
"Jeno war gestern Nacht hier. Er hat sich Sorgen gemacht, weil du nicht da warst..."

Ich ahne schon, in welche Richtung diese Unterhaltung gehen wird, aber ich lasse ihn weiter reden.

"Er wirkte sehr... panisch und war fast nicht ansprechbar. Ich... Ist alles okay bei dir Lele?"

Ein paar Sekunden schweige ich und sofort versichert Jisung mir, dass ich nichts sagen muss, wenn ich nicht will. Er möchte mich nicht unter Druck setzten. Er gibt mir Zeit. Aber eigentlich möchte ich es ihm doch gerne erzählen... Oder?

"Nein nein, alles gut. Jeno ist sehr... beschützerisch und besorgt um mich. Ich hätte ihm schreiben sollen, daran habe ich nicht gedacht, tut mir leid, dass er dich geweckt hat."

"Nein Lele, das ist doch nicht schlimm. Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht."

Überrascht schaue ich ihn an. Ich weiß, dass Jisung mich mag, das ist offensichtlich. Ich mag ihn ja genauso gerne. Aber ihn sagen zu hören, dass er sich um mich sorgt, ist etwas anderes. Dabei möchte ich doch gar nicht, dass er sich Sorgen macht. Ich möchte nicht, dass er sich wegen mir Gedanken macht, dass er wegen mir so traurig schaut.

"Es ist alles gut Jisungie. Wirklich.
Ich..."

... wurde entführt. Wenn ich das sage, wird er umkommen vor Sorgen. So wie alle. Jeno. Renjun. Meine Eltern.

Ich will das nicht. Er soll sich nicht wegen mir verrückt machen.
Aber andererseits möchte ich ihn auch nicht anlügen. Das hat er nicht verdient.

"Ich hatte einen Stalker. An meiner alten Schule. Also Stalker ist vielleicht übertrieben, aber er ist mir immer öfter gefolgt, hat mich fotografiert. Er war irgendwie... besessen von mir. Irgendwann ist es eskaliert und er hat einen Freund von mir angegriffen. Deshalb sind wir auch umgezogen. Der Junge ist in Behandlung und ihm geht es schon besser, aber ich habe mich dort nicht mehr sicher gefühlt.

Jetzt ist aber alles gut. Mir geht es gut und ich habe auch... eine Therapie angefangen. Nur Jeno hat manchmal... Panikattacken deswegen. Aber bitte mach dir keine Sorgen deswegen, es ist wirklich alles wieder gut."

Ist es ja wirklich. Der Mann wurde gefasst. Jeno geht es gut. Wir sind sicher.

Es gibt also keinen Grund, Jisung zu beunruhigen. Ich werde es ihm irgendwann in Ruhe erzählen. Wenn die Gerichtsverhandlungen abgeschlossen wurden. Und wenn meine Erinnerungen wieder vollständig zurück sind.

"Ich kann dir gerne irgendwann die ganze Geschichte erzählen, aber nicht heute, okay?", sage ich ihm dann, weil er ganz eindeutig immer noch nicht ganz glaubt, dass das alles war.

Jetzt überspielt er es allerdings mit einem Lächeln und nickt, weshalb ich schnell näher zu ihm rücke, meine Arme um seinen Oberkörper lege und mein Gesicht in seiner Brust vergrabe.
Ich bin so überwältigt von seiner Reaktion, dass sich ein paar Tränen in meinen Augen gebildet haben. Er soll sie nicht sehen.

Zufrieden ziehe ich seinen Geruch ein und spüre, wie er die Umarmung erwidert und mir sanft durch die Haare streicht. So kann ich meinetwegen immer wach werden. Nicht unbedingt mit diesem Gespräch aber morgendliche Kuschelstunden sind schön. Wie gut, dass heute Jisungs freier Tag ist.

Meinetwegen können wir die ganze Nacht so hier liegen bleiben. Allerdings...

Jeno.

"Jisungie, ich gehe kurz mal rüber und schaue nach Jeno, okay?"

Ich löse mich aus der Umarmung und schaue ihn lächelnd an.

"Frühstücken wir danach zusammen?"

Er nickt glücklich und schlägt die Bettdecke weg.

"Du kannst Jeno auch gerne mitbringen. Ich würde ihn gerne besser kennenlernen."

"Ich schaue mal, wie viel Zeit er heute hat, aber er freut sich sicher." Ist nur die Frage, in welcher Verfassung er gerade ist. Verdammt, warum bin ich heute Nacht auch nicht aufgewacht.

Ich springe aus dem Bett und ziehe eine von Jisungs Jacken über, meine Klamotten oder besser gesagt Jisungs Klamotten, die ich trage, lasse ich an.
Sie sind so bequem, am liebsten würde ich sie nie mehr ausziehen.

"Bis gleich", sage ich, bevor ich mich auf den Weg nach Hause mache.

Jenos Zimmer ist stockdunkel, die Rollläden sind zugezogen und lassen weder Licht noch Sauerstoff in den Raum. Es dauert eine Weile, bis ich in dem schwachen Flurlicht meinen besten Freund eingekuschelt auf dem Bett entdecke.

Ich weiß nicht, ob er träumt, oder wach ist, aber er zittert und atmet schwer.

Schnell eile ich auf das Bett zu und knie mich neben ihn.

"Jeno, hey hey ganz ruhig. Ich bin bei dir. Ich bin bei dir."

Er kommt nur langsam zu sich, bevor er mich wahr nimmt und mit großen Augen zu mir auf schaut.

"Lele. Oh Gott Lele. Es tut mir so leid. Es tut mir so-"

Weiter spricht er nicht. Wir beide liegen halb auf dem Boden, Jeno in meinen Armen und ich halte ihm fest, bis seine Tränen versiegt sind.

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