Your man

„Dein Zuhause?"
„Mein Haus," ich zucke bei dem fragenden Anblick von Theo traurig mit den Schultern, „Ich kann es wohl nicht länger Zuhause nennen, wenn ich die einzige bin, die noch hier ist." Verstehend nickt der Teenager, bevor er sich sichtbar verunsichert im Nacken kratzt. Noch immer klebt dunkles Blut in seinem Gesicht, jedoch glänzt es nicht länger im einfallenden Mondlicht. Die Verletzungen scheien notdürftig geheilt oder zumindest verkrustet zu sein und generell scheint sich der Junge in den letzten Minuten erholt zu haben. „Kommst du," er wirft erst mir einen Blick zu, bevor er seine Augen ausweichend auf das Lenkrad vor sich richtet, „Kommst du heute Nacht alleine klar?" Ich nicke zögerlich, bin mir jedoch nicht sicher ob Theo meine Antwort aus dem Augenwinkel sehen kann. Also räuspere ich mich und beantworte seine Frage mit einem leisen Ja. Gleichzeitig greife ich über meine Hüfte und löse den Anschnallgurt aus seiner Verankerung. Zischend löst er sich und ich spüre wie der sichernde Druck von meinem Körper verschwindet. Ich greife nach dem Griff der Autotüre, zögere jedoch, sie zu öffnen. Mein Ärmel ist bei der Bewegung nach hinten gerutscht und offenbart dabei die vernarbte Haut, die sich inzwischen über mein Handgelenk und meinen ganzen Unterarm zieht. Meine Finger haben sich bereits um das kalte Türschloss gelegt und ich muss den Griff nur noch zu mir ziehen und die Türe aufdrücken. Trotzdem halte ich kurz inne und drehe mich noch einmal zu Theo um.

„Danke."
Sein Blick fällt überrascht auf mich und verwundert fragt er nach: „Warum?" „Du hast mir heute das Leben gerettet," innerlich höre ich die warnenden Worte von Stiles, versuche sie jedoch so gut wie möglich zu verdrängen. In diesem Moment zählt nur die Tatsache, dass ich dank Theo noch am Leben bin. Er zuckt in diesem Moment lässig mit den Schultern und wendet mein Dank mit einem zögerlichen Kopfschütteln ab. „Du hast mich rechtzeitig vor Mr. Douglas versteckt," erkläre ich jetzt verunsichert, nachdem der Junge den Anschein macht, mein Dank nicht verstehen zu können. Nervös ziehe ich mit der freien Hand den Ärmel meines Pullovers zurecht, sodass die dunkle Verfärbung meiner Haut unter dem Stoff verschwindet. „Naja du hast Scotts Vertrauen. Also brauche ich dich lebend." Ich starre den Teenager verwundert an, glaube in seinen Worten jedoch noch etwas anderes rauszuhören. „Du hättest abhauen können," ich denke an Stiles Worte, in denen mitgeschwungen ist, wie selbstsüchtig Theo ist, „Stattdessen hast du mich versteckt und dich Mr. Douglas entgegen gestellt." Ich rede Stiles Warnung entgegen und fürchte, dass ich mich selbst in etwas verrenne. Jedoch sagt mein Gefühl, dass ich Theo langsam vertrauen und Stiles Warnung vorerst außer Acht lassen sollte. Immerhin hatte mir der Junge heute bewiesen, dass Stiles mit zumindest einer seiner Aussagen falsch liegt.

„Wir sehen uns morgen," weicht Theo dem Thema aus und schenkt mir ein schmales Lächeln - Zeichen genug, um zu Gehen. Ich nicke ihm kurz zu, bevor ich die Tür öffne und aus dem Auto steige. Draußen werde ich von der kalten Nachtluft empfangen und gerade als ich mich noch einmal zum Auto umdrehen möchte, um dem Jungen eine gute Nacht zu wünschen, gibt er schon Gas und fährt mit durchdrehenden Reifen davon. Gedankenverloren starre ich ihm nach, bis das Licht seiner Rückbeleuchtung in der Dunkelheit verschwimmt.

Ich seufze leise auf und steuere mit langsamen Schritten das Einfamilienhaus an, dass von außen heruntergekommen und verlassen wirkt. Dabei hatte es früher nur so von Leben und Schönheit gesprüht. Der Kies knirscht unter meinen Füßen und während ich die Haustüre ansteuere, schweifen meine Gedanken automatisch zu meinem Bruder und zu dem drängenden Bedürfnis, ihn wieder einmal auf dem Friedhof zu besuchen und ihm alles zu erzählen - auch wenn sein Körper schon längst nicht mehr dort liegt. Bei diesem Gedanken muss ich schwer schlucken und kurz zucken meine Finger, als würden sie mit dem Gedanken spielen, erneut die Nummer aus Florida zu wählen, um mich ein weiteres Mal davon zu überzeugen, dass Clays Stimme echt und nicht nur Ursprung meiner lebendigen Fantasie ist. Dass Clay echt ist. Doch erneut schlägt die Kirchuhr nach Mitternacht und der kalte Wind lässt mich erzittern. Selbst dann noch, als die Haustüre hinter mir knarrend ins Schloss fällt und die Stille des Hauses ohne Warnung auf mich hereinbricht. Ich komme heute nicht alleine klar. Ich hätte Theo fragen sollen, ob er hier bleiben kann. Ich hätte nicht so tun sollen, als wäre alles okay. Das Bild von Mr. Douglas, mit glühenden Augen, scharfen Krallen und diesem mörderischen Gesichtsausdruck - es hängt mir noch immer im Kopf und jedes Detail scheint sich in meine Augen eingebrannt zu haben. Was wenn er mich in der Hütte bemerkt hat und heute Nacht nach mir sucht? Wenn er mich genauso bedroht wie Theo?

Ein leises Klingeln reist mich aus meinen beängstigenden Gedanken und erschrocken zucke ich zusammen. Ich kenne den Klingelton, kann ihn aber im ersten Moment nicht einordnen. Somit durchschneidet er sekundenlang die Stille im Haus, bevor ich realisiere, dass es mein Handy sein muss. Theo. Scott. Stiles. Irgendwie beruhigt mich der Gedanke, dass nur einer der Jugendlichen meine Nummer haben kann. Es lässt meine Muskeln entspannen und tief atme ich durch. Es würde mir mehr als nur gut tun, ein Gespräch mit einem der Teenager zu führen. In dieser Sekunde ist es mir sogar egal, mit wem. Mit diesem beruhigenden Gedanken greife ich nach meinem Handy, dass zweimal durch meine zittrigen Hände rutscht. Als ich es dann endlich zu fassen bekomme, ziehe ich es hektisch aus meiner Hosentasche und lasse es dabei fast erneut fallen. Erst nach dem dritten Versuch habe ich es fest in der Hand und kann den Anruf mit einer schnellen Bewegung annehmen. „Hallo?" ich halte mir das Handy fest ans Ohr und lausche in den Hörer, in dem Stille herrscht. Ich kann Atemzüge hören, jedoch keine Stimme. „Hallo?" wiederhole ich meine zittrigen Worte und presse das Handy noch fester an mein Ohr. Knirschen. Dann ein tiefer Atemzug. Dann endlich eine Stimme.

„Charlotte?"
Es ist eine ruhige Stimme. Männlich. Vertraut. Überrascht schnappe ich nach Luft und meine Nervosität entlädt sich in einem unkontrolliertem Händezittern. Mir fällt es schwer, dass Handy am Ohr zu behalten und ich brauche wenige Sekunden, um mein Mund unter Kontrolle zu bringen. „Clay?" Meine Stimme ist nur ein fassungsloses Hauchen und doch bin ich mir sicher, dass der Anrufer meine Frage problemlos verstehen wird. Ich spüre wie meine Beine das Zittern meiner Hände übernehmen und ich meine Standhaftigkeit verliere. Ich mache einen unsicheren Schritt und stütze meinen geschwächten Körper an der Wand ab. Diese gibt meinem Gewicht mit einem leisen Knarren nach, dass ich jedoch nur am Rande meiner Aufmerksamkeit wahrnehme. Viel zu laut ist mein rasender Herzschlag, das Rauschen von Blut in meinen Ohren und die kribbelnde Nervosität in meinen Beinen.

„Hey."
„Hey."

Keiner von uns, weiß was er sagen soll und ich kann das Brennen seitlich meiner Augen spüren. Es zieht sich von meiner Nase, um mein Augenlieder und treibt mir Tränen in die Ränder meines Blickfeldes. Ich habe Angst ein weiteres Wort meines Bruders zu verpassen und presse das Handy noch näher an mein Ohr. „Clay." Ich kann noch immer nicht fassen, dass es gerade mein Zwilling ist, der um eine solche Zeit anruft. Der im eine solche Zeit mich anruft. Er kennt mich nicht. Kann sich nicht mehr an mich erinnern und doch hat er in diesem Moment nach dem Telefon gegriffen und meine Nummer gewählt. Er muss sie bei meinem letzten Anruf gespeichert oder im Kopf behalten haben.
Er muss.

„Habe ich dich geweckt?"
Clays Stimme klingt zögerlich und selbst durch das Telefon kann ich seine Unsicherheit hören. Ich erinnere mich an die späte Uhrzeit und schüttele langsam mit dem Kopf. Erst als ich das Gefühl habe, das Zittern meiner Stimme unter Kontrolle zu haben, beantworte ich seine Frage: „N...Nein," ich schließe für wenige Sekunden die Augen und spüre wie sich eine heiße Träne aus meinem Augenwinkel löst. Sie rollt über meine Wange und verfängt sich in meinen Lippen. Ich kann die salzige Flüssigkeit schmecken und wische mir mit der freien Hand über das Gesicht. Dabei spüre ich auch einen Teil der vernarbte Haut auf meiner Wange und zitternd atme ich aus.

„Ich musste dich einfach anrufen," seine erklärenden Worte bleiben in meinem Kopf hängen und ein schmales Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, „Ich...," er zögert kurz, bevor er weiterspricht, „Ich hatte das Gefühl, mit dir reden zu müssen." Ein erleichtertes Schluchzen verlässt meinen Mund und hallt sekundenlang im Telefon nach. Erschrocken darüber presse ich mir meine Hand auf den Mund und schließe erneut für wenige Sekunden die Augen. Ich spüre mein Herz, das aufgeregt gegen meinen Brustkorb schlägt und auszubrechen droht. Ich spüre nicht länger das Brennen in meinen Augen, sondern die heißen Tränen der Freude, die mir in diesem Moment ungestoppt über das Gesicht laufen. Ich kann das Zittern meiner Muskeln nicht länger kontrollieren und meine Beine geben geschwächt nach. Ich rutsche mit dem Rücken an der Wand entlang und sinke langsam auf den kalten Boden. Dabei dringen die ruhigen Atemzüge von Clay an mein Ohr und ich kann nicht glauben, in diesem Moment tatsächlich seine Stimme zu hören.

„Geht es dir gut?"
Ich kann seine Unsicherheit hören. Ich kann ihn nahezu vor mir stehen sehen, wie er sich nervös im Nacken kratzt, mit den Füßen wippt und versucht mir die Wahrheit mit einem schmalen Lächeln zu entlocken. Er hatte schon immer das umwerfendste Lächeln gehabt, dem Jeder zu Füßen lag, während ich mit einem Blick alles erreichen konnte. Ich kann hören wie Clay sich das Telefon näher ans Ohr drückt und ich erinnere mich an seine Frage. Mit zittrigen Fingern wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und räuspere mich. Erst als ich mich dazu in bereit fühle, ihm ehrlich zu antworten, öffne ich meinen Mund.

„Mir ging es noch nie besser."

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Am liebsten schreibe ich Szenen zwischen Charlotte und Clay oder zwischen ihr und Theo. Hoffe euch gefällt dieses Kapitel. Wollte an dieser Stelle auch mal kurz nachfragen was ihr von Clay haltet und wie er weiterhin in die Story passt? Was könnte mit ihm passieren oder wie entwickelt sich noch die Beziehung zwischen den beiden Geschwistern?

Lg CoolerBenutzername
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