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Ich sitze gedankenverloren in Scotts Zimmer und erschrecke mich fast zu Tode, als der Junge mit schnellen Schritten hereinkommt. Mein Blick schellt in Sekundenschnelle hoch und mein klopfendes Herz beruhigt sich erst, als ich Scotts dunkle Silhouette wieder erkenne. Jedoch zuckt der Junge ebenfalls überrascht zusammen als er mich in dem dunklen Raum auf der Bettkante kauern sieht und im selben Moment höre ich nun auch die Stimmen und Schritten der anderen Jugendlichen. Sie scheinen im unteren Stockwerk miteinander zu reden und irgendwie bin ich froh, dass es Scott ist, der mich in diesem Moment findet.
„Charlotte?"
Mein bester Freund klingt überrascht und scheint im ersten Moment vergessen zu haben, was er in seinem Zimmer machen wollte. Stattdessen schaut er mich mit leicht schräggelegtem Kopf an, bevor er mit wenigen Schritten auf mich zu kommt. „Alles okay?" Meine durchgewühlten Gefühle scheinen in der Luft zu hängen und ich sehe Scott die Besorgnis an. Trotzdem nicke ich ihm als Antwort leicht zu und streiche mir gleichzeitig die Haare aus dem Gesicht. Meine Tränen sind schon seit ein paar Stunden versickert und obwohl meine Augen noch immer gerötet sind, habe ich es tatsächlich geschafft meinen Heulkrampf in der Stille des Raumes unter Kontrolle zu bringen. Auch wenn dafür die Gedanken in meinem Kopf immer lauter geworden sind.
„Wie ist es bei euch gelaufen?" frage ich jetzt mit einem gefälschten Lächeln nach und versuche Scott mit einer Gegenfrage davon abzubringen, weiter nach meinem Tag zu fragen. Jedoch ist sein angespanntes schweigen Antwort genug. „So schlimm, huh?" Er nickt und kratzt sich für wenige Sekunden betreten im Nacken. „Könnten wir vielleicht nur einen Moment nicht über die Ghostrider reden?" bittet er mich anschließend und lässt sich erschöpft neben mir leider. Die Matratze gibt leicht unter seinem Gewicht nach und aufmerksam richte ich meinen Blick auf ihn. Besorgt stelle ich fest, dass sich eine erschöpfte Müdigkeit auf sein Gesicht gelegt hat und zum ersten Mal bemerke ich, wie ihm der tagelange, erfolglose Kampf gegen die Ghostrider zusetzt. Die Haut unter seinen Augen ist dunkler als sonst und generell wirkt er dünner und kraftloser. Bisher war es immer Scott gewesen, der die Hoffnung in den Augen getragen und jeden damit angesteckt hatte. Jetzt jedoch sehe ich in ihm einen gebrochenen Anführer, der selbst nicht weiter weis.
„Also...mein Tag?" frage ich mit einem sanften Lächeln nach und sehe, wie sich daraufhin auch seine Lippen zu einem schmalen Lächeln verziehen. Sofort erscheint sein Gesicht etwas jünger und es tut gut, meinen besten Freund aufmuntern zu können. „Solange er nichts mit den Ghostrider zutun hat," wendet Scott anschließend zustimmend ein und bei seinem Einwand muss ich sofort an Theo und sein gefühlvolles Geständnis denken. Meine Lippen verziehen sich und mein Freund bemerkt meinen Gefühlsumschwung trotz der dämmrigen Dunkelheit sofort.
„Hat er?"
„Nein," ich schüttele gedankenverloren mit dem Kopf, „Dafür aber mit Theo." Ich ziehe die Augenbrauen leicht nach oben und atme tief durch. Im selben Moment bemerke ich wie Scott ebenfalls tief Luft holt und gleichzeitig nickt. Er scheint verstehen zu können, warum mir der Gedanke an Theo das Lächeln aus dem Gesicht wischt und unsicher schweige ich. Mein Blick richtet sich auf meine Finger, die ineinander verschränkt auf meinem Schoß liegen. Die Haut ist warm, schwitzig und ich muss automatisch an das Gefühl denken, Theos Hand tröstend umgriffen zu haben. In diesem Moment hatte es sich gut - richtig - angefühlt.
Theo zu vertrauen, hatte sich in dieser Sekunde richtig angefühlt und dann hatte er mit nur einem Satz dieses Vertrauen wieder zerstört.
„Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht möchtest," wendet Scott in diesem Moment ein und seine rücksichtsvolle Stimme lässt mich zurück in die Gegenwart kehren. Für wenige Sekunden wird Theo aus meinen Gedanken verdrängt und ich erinnere mich daran, dass ich Scott von meinem Tag erzählen sollte. Doch bevor ich meine Erzählung fortsetzen kann, spricht mein bester Freund mit sachter Stimme weiter: „Ich weiß wir kennen uns kaum. Aber du sollst wissen, dass ich für dich da bin. Dass du mir alles erzählen kannst."
Überrascht starre ich den Jungen an und spüre ein unangenehmes Brennen in meiner Nase. Es zieht sich kribbelnd über mein Gesicht und endet in meinen Augen. Ein wässriger Tränenschleier hat sich auf meine Augen gelegt und eine wollige Wärme durchfährt meinen Körper in Sekundenschnelle. Mein Blick landet auf dem Jungen, den ich seit der Grundschule kenne und der mich in diesem Moment von Grund auf überrascht. Obwohl Scott glaubt, mich nicht zu kennen, scheint ihm irgendwas zu sagen, dass ich in diesem Moment einen Freund brauche. Diese Erkenntnis lässt mich erleichtert auflächeln und in diesem Moment erinnere ich mich wieder an die Erzählung, die ich Scott noch schulde.
„Er...," ich habe keine Ahnung ob Scott ebenfalls die ganze Geschichte von Theo und dem Tod seiner Schwester kennt und ob ich mit ihm offen darüber sprechen kann, „Er hat mir von seiner Schwester erzählt und wie sie," ich hole tief Luft um bei dem Gedanken nicht erneut in Tränen auszubrechen, „Wie sie gestorben ist." Scotts Blick landet mitfühlend auf mir und für wenige Sekunden schweigt er. Ich bin verunsichert, da er nichts auf meine Worte erwidert und verfalle ebenfalls in ein nervöses Schweigen.
„Du weißt nicht ob du ihm trauen kannst," schlussfolgert Scott jetzt mit einem nachdenklichen Nicken und durchbricht somit die gespenstische Stille im Raum. Langsam lasse ich meinen Blick zu ihm schweifen und nicke. „Er hat seine eigene Schwester getötet," ich schüttele langsam mit dem Kopf, verzichte jedoch auf weitere intime Details aus Theos Geschichte, „Sollte ich überhaupt daran zweifeln, dass man ihm nicht vertrauen kann?" Meine Stimme zittert und erneut legt sich ein wässriger Schimmer über meine Augen. „Man sollte immer an das Gute in den Menschen glauben, oder?" stellt Scott mir daraufhin eine Gegenfrage und steht von der Kante seines Bettes auf. Die Matratze folgt seiner Bewegung und ich kippe leicht nach links. Ich sehe wie Scott in der Dunkelheit zu seinem Kleiderschrank tritt und mir dabei für wenige Sekunden den Rücken zudreht. Ich glaube, dass er sich in diesem Moment daran erinnert, was er eigentlich in seinem Zimmer machen wollte.
„Woher weist du, wann du jemanden vertrauen kannst?" frage ich nun mit leiser Stimme nach und fange an, unruhig meine Finger zu kneten. Diese unterbewusste Bewegung beruhigt mein nervös klopfendes Herz und ich kann die leichte Dehnung in meinen Muskeln spüren, die gegen das unruhige Grummeln in meinem Magen anzukämpfen versucht.
„Normalerweise höre ich einfach auf mein Bauchgefühl," schulterzuckend dreht sich mein Freund zu mir um und mustert mich kurz. Ich kann ihm ansehen, dass er die Wahrheit spricht und aus Erfahrung weis ich, dass der Junge tatsächlich eine außergewöhnlich gute Menschenkenntnis hat. Ich dagegen spüre in diesem Moment eine Zwiespalte, sobald ich an Theo denke. Ich möchte ihm vertrauen, weil er mir bereits zweimal selbstlos das Leben gerettet hat, und doch muss ich immer wieder an seine Schwester denken und an sein Geständnis, ihr beim Sterben zugesehen zu haben. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, rutscht mir meine nächste Frage bereits unbedacht über die Lippen.
„Und was sagt dein Bauchgefühl jetzt?"
„Zu Theo?" Scott klingt verwundert und als Antwort schüttele ich langsam mit den Kopf. Diese Antwort kenne ich bereits. Ich zögere, entscheide mich dann jedoch für die gedankliche Wahrheit hinter meiner ursprünglichen Frage.
„Zu mir."
Scott zieht überrascht die Augenbrauen nach oben und wirkt nun noch verwunderter als zuvor. Er dreht sich nun mit dem ganzen Körper zu mir und legt den schwarzen Rucksack, den er zuvor aus seinem Kleiderschrank gezogen hat, zur Seite. Anschließend leckt er sich kurz über die Lippen, bevor er mit einem nachdenklichen Schulterzucken erwidert: „Ich glaube, du hast ein großes Herz," er nickt sich selbst zu und ich spüre ein leichtes Kribbeln, dass bei seinen Worten durch meinen Körper rast, „Und ich glaube, dass ich dir vertrauen kann, weil du ebenfalls einen guten Instinkt hast," er macht erneut eine kurze Sprechpause und schenkt mir dabei ein schwaches Lächeln, „Du wirst schon die richtige Entscheidung treffen, wenn es um Theo geht." Er nickt mir leicht zu, bevor er sich erneut seinem Kleiderschrank zudreht und das Thema somit an dieser Stelle beendet. Jedoch treiben mir seine Worte ein erleichtertes Lächeln ins Gesicht und für wenige Sekunden fühlt es sich wieder so an, als wären wir beste Freunde. Als würde sich Scott wieder an mich erinnern können und ich wäre nicht länger eine Fremde in seinem Leben. Er glaubt an mich und dieses Vertrauen lässt mein Herz einen Takt schneller schlagen. Vielleicht ist es tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich wieder an mich erinnern kann.
„Könntest du mir einen Gefallen tun?"
Scott dreht sich erneut zu mir um und hält plötzlich einen Stapel an dunklen Schatten in den Händen. Trotz des Mondlichts kann ich nicht erkennen, was genau er im Arm hält, doch selbst das schwache Licht lässt erahnen, wie schwer es ist, den Stapel notdürftig auf den Händen zu balancieren. „Klar," sage ich sofort zu und schenke dem Jungen ein kleines Lächeln. Gleichzeitig stehe ich vom Bett auf und mache ein paar Schritte auf ihm zu. Ich glaube, ihm beim Tragen helfen zu sollen, doch sein nächster Satz überrascht mich. „Ich habe mein Handy auf dem Bett liegen gelassen. Könntest du es schnell holen," ich nicke zustimmend und setze mich in Bewegung, „Ich muss noch mit meiner Mom reden. Vielleicht hat sie was Neues herausgefunden." „Melissa weiß von all' dem?" frage ich überrascht nach, beiße mir im nächsten Moment jedoch ertappt auf die Unterlippe. Mein Herz macht einen erschrocken Sprung, als ich realisiere, dass meine Worte zu vertraut klingen. Scott könnte misstrauisch werden. Ich greife hektisch nach seinem Handy und drehe mich langsam zu ihm um. Er hat die Hände noch immer voll und in diesem Moment scheint er nicht zu bemerken, wie vertraut ich über seine Familie rede. Diese Erkenntnis lässt meine angespannte Alarmbereitschaft langsam verschwinden und mit wenigen Schritten stehe ich vor Scott. Ich möchte ihm das Handy überreichen, stelle jedoch dümmlich fest, dass er noch immer keine Hand frei hat. Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu.
„Könntest du vielleicht...," er spricht die Frage nicht ganz aus, da im selben Moment der Turm aus Schatten ins Wanken gerät und er ihn ausbalancieren muss. Bevor die Sachen in seinen Händen auf den Boden fallen können, balanciert er sie mit einem außergewöhnlich schnellen Reflex aus und kann sie somit schwankend auf seinem Arm behalten. Im selben Moment höre ich im unteren Stockwerk Stiles Stimme, die laut mit jemanden diskutiert. Ich ignoriere sie und antworte gleichzeitig auf Scotts unausgesprochene Frage: „Klar."
Im selben Moment bin ich bereits dabei seinen vierstelligen Pin, zum Entsperren des Handys, einzutippen. Selbst nach zwei Jahren, hat er den Code noch immer nicht verändert und manchmal frage ich mich wieso. Es fühlt sich so vertraut an, den Pin einzugeben und das Handy wie selbstverständlich in den Händen zu halten.
„Der Code ist..."
„Zwei, Sechs, Null, Acht. Ich weiß," schneide ich ihm wissend das Wort ab und wackele demonstrativ mit dem entsperrten Handy. Ein Lächeln hat sich auf mein Gesicht gelegt und erneut verfalle ich dem Gefühl, das alle wieder beim Alten ist. Dieses enthusiastische Gefühl berauscht mich so sehr, dass mir für wenige Sekunden sogar Scotts Blick entgeht, der mich in diesem Moment verblüfft anstarrt. Erst als ich seinen fassungslosen Blick bemerke, realisiere ich auch meinen eigenen Fehler.
„D...Der Todestag deiner Freundin," Ich versuche das nervöse Stottern meiner Stimme zu ignorieren und mir stattdessen eine glaubhafte Lüge aus dem Ärmel zu zaubern, „Theo hat es mir erzählt." Scotts Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen und ich kann sehen, wie sich seine Muskeln misstrauisch anspannen. Seine Mimik wirkt nicht länger fassungslos überrascht, dafür umso mehr verwundert. Meine Lüge scheint ihm keine Erklärung für mein Wissen zu sein und sein Blick verrät mir, dass Theo unmöglich das Datum von Allisons Tod wissen kann. Woher auch? Erst in diesem Moment fällt mir ein, dass der Junge erst nach dem Tod unserer gemeinsamen Freundin auf die Gruppe gestoßen ist und sie wahrscheinlich noch nicht einmal gekannt hat.
„Na gut," ich schenke dem Jungen ein nervöses Lächeln, „Ich habe die Todesanzeige in der Zeitung gesehen." Ich zucke leicht mit den Schultern und meide absichtlich den verwunderten Blick des Jungens. Dieser starrt mich noch immer mit großen Augen an und scheint innerlich nach einer sinnvollen Erwiderung auf mein intimes Wissen zu suchen. Ich hingegen habe meine Augen wieder auf das Hand gerichtet und tippe nun mit zittrigen Fingern die Nummer von Melissa ein. Ich brauche zwei Versuche, bis ich die Zahlen treffe und als ich die Handynummer nicht in seinen eingespeicherten Kontakten finden kann, lasse ich meinen Blick langsam von dem grellen Bildschirm zu Scott wandern.
„Die Nummer deiner Mom ist nicht eingespeichert," langsam wähle ich die eingetippte Handynummer, die ich schon seit Jahren auswendig kenne. „Das kann nicht sein," erwidert Scott und mein Einwand scheint ihn für wenige Sekunden vergessen zu lassen, dass ich über Allisons Tod Bescheid weis. Mit schnellen Schritten steht der Junge neben mir und demonstrativ schalte ich das Handy auf Lautsprecher. Die Verbindung wird aufgebaut und ein leises Tuten ertönt. Ich werfe Scott einen besorgen Blick zu und sehe in seiner angespannten Mimik, dass er dieselbe Schlussfolgerung zieht wie ich. Im selben Moment bricht das Tuten ab und eine weibliche Stimme ertönt.
„Tut uns Leid. Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht vergeben. Bitte überprüfen Sie die Nummer oder wählen Sie erneut. Dies ist eine Aufzeichnung."
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