Will
Ich fahre mir nervös durch die Haare und tigere unruhig durch das kleine Zimmer. Liam, Mason und Hayden höre ich noch immer, auch wenn sie in der Zwischenzeit die Büros der Polizeistation erreicht haben müssen. Nur noch wenige Minuten, bis sie das Gebäude verlassen und ich tatsächlich komplett alleine mit Theo bin. Dieser sitzt noch immer in der Gefängniszelle und beobachtet mich mit einem aufmerksamen Blick. Er hat die Hände im Schoss verschränkt und ich gebe mir große Mühe, ihn zu ignorieren. Doch in diesem Moment räuspert er sich, bevor er mit ruhiger Stimme feststellt: „Du wirkst angespannt."
Ich bleibe stehen und werfe dem Jugendlichen einen kurzen Blick zu. „Die Ghostrider versuchen ganz Beacon Hills auszulöschen, Mr. Douglas versucht sich eine eigene Armee aufzubauen und niemand kann sich mehr an mich erinnern," ich habe mich in meine eigenen Worte reingesteigert und versuche das Zittern meiner Stimme jetzt mit einem tiefen Durchatmen unter Kontrolle zu bringen, „Ich glaube ich habe jeden Grund angespannt zu sein." Theo erwidert im ersten Moment nichts darauf. Stattdessen steht er auf und kommt mit wenigen Schritten vor der geschlossenen Zellentüre zum Stehen. Seine Finger legen sich um die Metallstäbe, bevor er schulterzuckend vorschlägt: „Du könntest mich hier rauslassen."
„Liam würde mir wahrscheinlich davon abraten," ich lege meinen Kopf leicht schräg, bevor ich einen weiteren Satz nachschiebe: „Und Stiles auch." Theo scheint leise aufzulachen, auch wenn es eher so klingt, als würde er stoßweise mehr Luft durch die Nase pusten. Ich ignoriere ihn, wende mich von ihm ab und fange stattdessen wieder damit an, unruhig durch den kleinen Vorraum zu streifen. Dabei passiere ich die Zimmertüre, hinter der ein leerer Gang liegt. Ich glaube Liam's Stimme zu hören, bin mir jedoch nicht ganz sicher. Er und die anderen sollten eigentlich schon längst auf dem Weg zu Scott sein. Durch meine Gedankenverlorenheit vergesse ich für wenige Sekunden auf meine Umgebung zu achten und stolpere über ein herumliegendes Metallstück. Es wird durch meine Bewegung durch den Raum gekickt und schlittert kratzend über den Boden. Ich folge dem Metall und realisiere, dass es von dem Schwert stammt, dass Liam im Gegenzug für Theos Wissen zerstört hat.
„Danke übrigens für deine Unterstützung vorher," Theo durchbricht erneut die Stille im Raum, dieses Mal klingen seine Worte jedoch höhnisch. Sarkastisch. Ruckartig landet mein Blick auf ihm und ich erkenne, dass gefälschte Lächeln auf seinen Lippen. Obwohl er seine Worte nicht weiter erklärt, weiß ich, auf welche Situation er anspielt und irgendwie stört es mich, dass er mir etwas zu unterstellen versucht. „Es war wichtig," versuche ich meine schnelle Flucht vor der Entscheidung, das Schwert zerstören oder nicht, zu erklären. Gleichzeitig muss ich an mein klingelndes Handy denken, an Clay und an seinen Rat. Theo eine Chance geben - genau dass sollte ich jetzt tun. Ich setze mich in Bewegung, um die kleine Zellentüre zu öffnen und Theos erster Bitte nachzukommen. Doch bevor ich überhaupt in die Nähe der Zelle kommen kann, geht Theo auf meine abweisende Erklärung ein. „Verständlich," er klingt herablassend und erneut schwingt in seiner Stimme etwas sarkastisches mit, „Wenn der tote Bruder anruft, dann muss man rangehen."
Ich erstarre in meiner Bewegung und starre den Jugendlichen fassungslos an.
„Wie...?"
Der Rest meiner Frage bleibt unausgesprochen in der Luft hängen. „Übernatürliches Gehör," antwortet er mir mit einem lockeren Schulterzucken und tippt demonstrativ auf sein Ohr. „Du hast mich belauscht?" frage ich fassungslos nach und trete näher an die Zelle heran. Somit trennt mich nur noch die Gitter von dem Jungen, der sich in diesem Moment sogar noch näher an das Eisen drückt. Ich kann die kleine Narba an seiner rechten Augenbrauen sehen, die durch die wenigen Haare nahezu verschwindet. „Ich musste herausfinden, ob ich dir vertrauen kann...," Theos Stimme lässt mich schwer schlucken und überrascht lehne ich mich näher an das Gitter. „Ob du mir vertrauen kannst?" falle ich dem Jungen gleichzeitig ins Wort und starre ihm ungläubig an, „Du hast deine eigene Schwester umgebracht!"
Eigentlich wollte ich dieses Wissen nicht einfach heraus plaudern, vor allem nicht so. Doch Theos Anschuldigung, ich seie diejenige, die nicht vertrauenswürdig ist, lässt mich wütend werden.
„Das hat Stiles dir also erzählt?" fragt Theo und in seinen Worten schwingt ein ungläubiges Lachen mit. Er dreht sich von mir weg und bringt etwas Abstand zwischen sich selbst und dem Gitter. Ich kann sehen wie er sich durch die Haare fährt und fange an, an Stiles Worten zu zweifeln. Was, wenn er mir nur die Hälfte - nur seine Wahrheit - erzählt hat, so wie Clay vermutet hat. Was, wenn hinter der ganzen Geschichte noch viel mehr steckt, Theo jedoch nie die Chance hatte, sie zu erzählen. Plötzlich bereue ich es, ihm den Mord an seiner Schwester unterstellt zu haben.
„Du hast mir und den anderen erzählt, dass dein Bruder von den Ghostridern ausgelöscht wurde," stellt der Junge jetzt fest und ändern somit das Thema. Ich werde aus meinen reumütigen Gedanken gerissen und richte meinen Blick zurück auf Theo. Er hat sich wieder mit dem Gesicht zu mir gedreht, ist näher gekommen und stützt seine Arme jetzt locker an den Gitterstäben ab. „Und jetzt ruft er dich plötzlich an?"
Ich spüre, die Verständnislosigkeit die sich in seiner Stimme breit gemacht hat. Ich höre einen dumpfen Aufschrei und zucke zusammen. Mein Blick fällt zu der geschlossenen Türe und kurz darauf folgt ein lauter Knall. Ich zucke unter dem lauten Geräusch erneut zusammen und spüre wie mein Herz erschrocken anfängt das Blut schneller durch meinen Körper zu pumpen.
„Was ist wirklich mit deinem Bruder passiert?"
Die drängende Stimme von Theo dringt an mein Ohr und kurzzeitig schweift meine Aufmerksamkeit von dem Lärm in der Eingangshalle zurück zu dem Teenager. Seine Haltung hat etwas kampfbereites angenommen und ich fange an zu glauben, dass ich mir die lauten Kampfgeräusche in der Vorhalle nicht einbilde. Genauso wenig wie ich mir zuvor Liam's Stimme und den lauten Schrei eingebildet habe. Die Jugendlichen sind noch immer hier und scheinen in diesem Moment mit jemanden - mit etwas - zu kämpfen. „Charley," die Stimme von Theo wird lauter und um meine Aufmerksamkeit zu kriegen, schlägt er für einen kurzen Moment gegen die Gitterstäbe. Ein lautes Klirren geht durch den Raum und erschrocken fahre ich wieder zu dem Jungen herum.
„Was ist wirklich mit deinem Bruder passiert?" wiederholt er anschließend die Frage und dieses Mal reicht das laute Poltern in der Vorhalle nicht aus, um meine Aufmerksamkeit von Theo zu ziehen. Er hat seinen Blick unausweichlich auf mich gerichtet und der Druck hinter seinen Worten, lässt mich nervös zusammenzucken. „Er...," meine Stimme zittert vor Aufregung und ich habe Schwierigkeiten meine Gedanken zusammen zu halten, „Er ist bei einem Unfall gestorben," ich zögere kurz, bevor ich mich für die ganze Wahrheit entscheide, „Vor gut zwei Jahren." Überraschung macht sich im Gesicht von Theo breit und ich kann ihm ansehen, dass er mit einer anderen Antwort gerechnet hat. „Dein Bruder ist gestorben," er wiederholt nachdenklich meine Worte und zustimmend nicke ich, „Und jetzt ist er wieder am Leben?"
Erneut tönt ein lauter Schrei durch das Gebäude und obwohl er durch die Wände gedämpft wird, glaube ich dieses Mal den Namen Mason zu hören. Mir läuft ein Schauer über den Rücken und ich zucke zusammen, was Theo als ein Nicken missdeutet. „Seit wann?" Meine Aufmerksamkeit kehrt zurück zu dem Teenager und ich kann die drohende Gefahr spüren, die mit jeder Sekunde näher zu kommen scheint. Wir sollten weg, doch der Junge scheint nicht an eine Flucht zu denken. Zumindest nicht solange er seine Antworten hat. „Seit dem sich niemand mehr an mich erinnern kann," ich setze mich noch während meiner Antwort in Bewegung und steuere das kleine Kartengerät neben der Gefängniszelle an. Ich hatte zuvor gesehen wie Liam mit einer kleinen Chipkarte die Zellentüre geöffnet und wie er die Karte anschließend daneben auf den Tisch gelegt hat. Ich stelle erleichtert fest, dass sie noch immer dort liegt. Ich greife nach ihr und ziehe sie mit einer schnellen Bewegung durch den kleinen Schlitz. Für wenige Sekunden passiert nichts. Dann leuchtet das Lämpchen auf dem Kartenlesegerät grün auf und ich kann hören wie sich die Verriegelung der Zelle zurückschiebt. Die Türe öffnet sich und innerhalb Sekunden hat Theo die Zelle verlassen.
„Dein Bruder lebt wieder, weil es dich nicht mehr gibt?" fragt der Junge in diesem Moment fassungslos nach und überrascht starre ich ihn an. Aus dieser Perspektive habe ich es noch nie betrachtet. Clay ist wieder am Leben, weil es mich nicht mehr gibt.
Plötzlich wird hinter mir die Türe aufgerissen und erschrocken fahre ich herum. Liam steht schweratmend im Türrahmen und mustert mich und Theo. „Die Ghostrider," seine Stimme ist atemlos und er braucht wenige Sekunden um genug Luft zu holen, um weitersprechen zu können, „Sie...sie sind hier." Seine dunklen Haare hängen ihm strähnig ins Gesicht und ich spüre wie mein Herz bei seinen Worten einen nervösen Sprung macht. Der Adrenalinspiegel in meinem Körper springt sprunghaft an und ich spüre die lähmende Ansgt in meinem paralysierten Körper. Flüchtige Erinnerungen blitzen vor meinem inneren Auge auf und automatisch spüre ich dieselbe Panik - dieselbe Todesangst - wie in dieser einen Nacht. Ich fürchte mich davor, noch einmal von den Ghostridern ausgelöscht zu werden, schaffe es jedoch nicht, mich zu bewegen.
„Wir müssen hier raus."
Liam wirft einen hektischen Blick durch den Raum und während Theo ihm dabei hilft nach einem Ausweg zu suchen, bleibt mein Blick starr auf der geöffneten Türe hängen. Ich höre schwere Schritte die langsam näherkommen und bilde mir ein, auch die schwerfällige Atmung der Ghostrider bereits wahrnehmen zu können. Dabei fällt mir auf, dass nur Liam hier ist.
Kein Mason.
Keine Hayden.
„Wo sind die Anderen?" frage ich mit leiser Stimme und drehe mich langsam zu Liam um. Dieser hat in der Zwischenzeit mit Theo einen Ausweg gefunden, hält bei meiner Frage jedoch kurz inne. Ein schmerzverzogener Ausdruck legt sich über sein Gesicht und sein verbittertes Schweigen ist Antwort genug. Mason. Hayden. Beide wurden von den Ghostrider ausgelöscht. Verdammt. „Charley," ruft Theo mir in diesem Moment zu und zeigt demonstrativ auf den Notausgang, den die Jugendlichen mit etwas Kraftaufwand an der Seitenwand geöffnet haben. Die schweren Schritte werden lauter und sind bereits an der Türe angekommen. Das leise Klirren der Cowboystiefel hallt an den leeren Wänden entlang und panisch fährt mein Blick zurück zu der geöffneten Türe.
Dort steht er.
Die schwarzen Stiefel, die fast komplett von dem schwarzen Mantel verdeckt werden, glänzen im grellen Licht der Deckenlampe. Der Cowboyhut ist tief in die Stirn gezogen und die Krempe verdeckt das vernarbte Gesicht des Ghostriders. Die Schatten haben sich über seine graue, fast schwarze, Haut gelegt und doch kann selbst die Dunkelheit nicht die eingefallenen, leeren Augen und die tiefen Narben in seinem kantigen Gesicht verdecken. Eine Sturmböe kommt auf und fährt durch die langen schwarzen Haare des Mannes. Sie spielt mit seinem langen Mantel und mit dem herabgefallenen Laub, dass ihm bis hierher begleitet hat. Der schwere Stoff seines Mantels wird leicht angehoben und ich erkenne die schwarze Pistole an seiner rechten, und die zusammen gebundene Peitsche, an seiner linken Hüfte.
„Charley!"
Die drängende Stimme von Theo mischt sich mit dem aufkommenden Wind, der zischend in meinen Ohren wiederhallt. Meine Augen verfangen sich in den leeren Augenhöhlen des Reiters und plötzlich spüre ich eine feste Hand an meinem Handgelenk. Ich werde unsanft zurück gerissen und stolpere vor Schreck über meine eigenen Füße. Doch der unsanfte Griff um mein Gelenk hindert mich notdürftig daran zu fallen und ich kann die dunkle Gestalt sehen, die mich mit aller Kraft von dem Ghostrider wegzieht.
Es ist Theo.
Und wieder einmal kann ich nicht verstehen, warum der Junge ein weiteres Mal sein eigenes Leben riskiert um meins zu retten.
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