Riders
„Er hat mir noch so einiges zu erklären."
„Bevor du jetzt irgendetwas sagst...," setzt Theo zu einer Erklärung an, sobald Scott von uns abgelassen und mit Malia wenige Meter zur Seite geschlendert ist. Ich bin mir sicher, dass uns mindestens einer von beiden belauscht. Scott wahrscheinlich nicht, er ist zu gut erzogen und bringt mir inzwischen genug Vertrauen entgegen, um meine Privatsphäre zu respektieren. Malia dagegen würde ich eine solche Aktion ohne zu Zögern zutrauen. Deshalb falle ich Theo dieses Mal nur mit einer leisen Stimme ins Wort: „Du hast es gewusst."
Theo verdreht die Augen, als ich genau das tue, was ich nicht soll: ihn unterbrechen. Doch noch immer bin ich wütend auf ihn und den Gedanke, dass er mich die ganze Zeit belogen hat, kann ich einfach nicht loslassen. Meine Finger zittern. Ich weiß nicht ob es aufgrund der Wut oder der Kälte ist. Doch die Schwere in meiner Brust ist eindeutig in dem Betrug von Theo begründet. Auch wenn ich es nicht so ganz wahrhaben möchte...innerlich habe ich dem Jungen schon längst vertraut.
„Charley hör zu," der Teenager macht einen winzigen Schritt auf mich zu. Seine Hand zuckt und ich glaube, dass er kurz davor ist, mir sanft über die Wange zu streichen. Doch er tut es nicht. Stattdessen fährt er sich selbst durch die Haare, wodurch die verklebten Strähnen aus seiner Stirn gestrichen werden und stattdessen leicht vom Kopf abstehen. Es gibt ihm einen verruchten Touch, kann jedoch nicht über das angeborenes, unschuldiges Aussehen hinwegtäuschen. Auch wenn dieses nicht Annähernd der Wirklichkeit entspricht. Ich vertreibe diesen Gedanken und konzentriere mich wieder auf Theo, der in diesem Moment zu einer Verteidigung ansetzt. „Ich hatte die Vermutung, ja. Aber ich wollte dich nicht beunruhigen und...," „Du wolltest mich nicht beunruhigen?" Ich kann nicht anders als ihm erneut ungläubig ins Wort zu fallen. Mein Herz schlägt noch immer fest gegen meine Brust, doch die Taubheit weicht noch immer nicht aus meinem Körper. Meine Gedanken schweifen um Theo und seine Lügen, um meinen Bruder der noch am Leben ist und die Tatsache, dass mein altes Ich in den Köpfen von meinen Freunden noch immer nicht existiert.
„Charley...,"
„Nenn mich nicht so!"
Ich funkele ihn aufgebracht an und fahre mir frustriert durch die Haare. Meine Strähnen kleben aneinander, getrocknetes Blut klebt an ihnen und Reste von Laub und Dreck haben sich darin verheddert. Meine Finger bleiben beim Durchstreichen hängen und obwohl der kurze zirpende Schmerz nichts gegen die pulsierenden Schmerzen in dem Rest meines Körpers sind, lässt es mich frustriert schnauben. Ich drehe mich von Theo weg und trete ein paar Schritte zurück. Ich tigere unruhig ein paar Meter vor und zurück und fahre mir immer wieder verzweifelt durch die Haare. Ich spüre nur seinen Blick auf mir, bin aber sicher, dass Scott und Malia mich genauso aufmerksam beobachten. Doch in dieser Sekunde ist es mir egal. In diesem Moment spüre ich nur das taube Pulsieren in meiner Brust, die brennenden Tränen in meinen Augen und die pure Verzweiflung in meinem Körper. Erst in diesem Moment wird mir bewusst, was das alles für mich bedeutet.
Die Ghostrider sind verschwunden.
Endgültig.
Und somit ist auch meine letzte Chance auf mein altes Leben verschwunden.
Das Narbengewebe ist noch da.
Es ist unvermeidlich, dass ich mich zu einem Reiter verwandele.
Wenigstens ist Clay noch am Leben.
Mein Verschwinden könnte seine zweite Chance sein.
„Charlotte...," ich kann Theo mit vorsichtigen Schritten näher kommen hören und langsam schließe ich meine Augen. Ich lege den Kopf in den Nacken und atme tief durch. Die kalte Luft brennt in meinen Lungen und strömt kühlend durch meinen hitzigen Körper. Meine Finger zittern als ich mit ihnen zum wiederholten Male durch meine Haare fahre. Eine warme Hand, die sich auf meine Schultern legt. Noch ein letzter tiefer Atemzug, bevor ich blinzelnd meine tränenverschleierten Augen öffne und mich langsam zu Theo umdrehe. Dabei rutscht seine Hand von meiner Schulter und die Wärme verschwindet. Ich warte, dass er weiterspricht. Doch er schweigt und der Mond legt ein leichtes Glänzen auf seine Augen.
„Es war meine letzte Chance, Theo," ich atme zitternd aus und fahre mir mit der Handfläche über die Augen. Die heißen Tränen brennen auf meiner Haut und als ich meine Finger sinken lasse, sehe ich, wie die Tränen das getrocknete Blut und den Dreck vermischt haben. Ich senke den Kopf und lasse mir meine Haare ins Gesicht fallen. Ich möchte nicht, dass der Junge die Schmerzen und die Enttäuschung in meinen Augen sieht. Eigentlich möchte ich stark sein, keine Schwäche zeigen, doch in diesem Moment fühlt es sich so an, als würde die ganze Welt auf mich einbrechen. „Wenigstens ist Clay noch am Leben," murmele ich leise vor mich hin, während ich mich kraftlos auf den Boden sinken lasse. Wo gerade noch energiereiche Freude und Adrenalin durch meinen Körper gerast ist, spüre ich nun nur noch Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit. Selbst die pulsierenden Schmerzen meines Sturzes haben sich in den Vordergrund gedrängt und die körperliche Erschöpfung mischt sich nun mit den entmutigenden Gedanken in meinem Kopf. Ich spüre brennende Tränen in meinen Augen und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.
„War es nicht."
Theos Stimme ist so leise, dass ich seine Worte fast überhöre. Ich kann den Jungen Näherkommen hören. Jedoch wagt er es nicht, sich neben mir im feuchten Laub niederzulassen. Langsam hebe ich den Blick und starre ihn verwundert an. Meine Wimpern sind verklebt mit Dreck und Tränen und die schemenhafte Gestalt, die ich dadurch wahrnehmen kann, erinnert mich für wenige Sekunden an meinen Bruder. Seine Worte hallen noch immer in meinen Ohren nach, während mein Gehirn versucht daraus schlau zu werden. Blinzelnd löst sich langsam der Schleier an verklebten Wimpern aus meiner Sicht. Nun erkenne ich den Jungen der vor mir steht deutlicher und ich frage mich, wie er mich sekundenlang an meinen Zwillingsbruder erinnern konnte. Die beiden haben nichts gemein.
„Sobald ich wusste, dass...," Theo scheint kurz nach den richtigen Worten zu suchen, „Sobald ich wusste, dass es schief gehen könnte, hab ich versucht eine Lösung zu finden." Er kniet sich neben mich in das Unterholz und kurz schwebt seine Hand über meiner Schulter, bevor er sie peinlich berührt zurückzieht. Überrascht von diesem Geständnis ziehe ich die Augenbrauen hoch und starre ihn verwundert hat. Mein Herz macht einen aufgeregten Zwischensprung und schwer schlucke ich. Ich möchte sofort nachfragen, was für eine Lösung er gefunden hat, doch bereits im selben Moment realisiere ich, dass eine erneute Unterbrechung wahrscheinlich mehr Zeit kosten würde, als Theo aussprechen zu lassen. Also kralle ich meine Finger fest in den Stoff meiner Hose und versuche den Drang zu widerstehen, eine neue Frage einzuwerfen.
„Aber dafür musste ich mich von euch trennen," er wirft mir einen kurzen Blick zu, als würde er darauf warten, dass ich etwas schlussfolgere. Doch mein Kopf ist noch immer beschäftigt mit der erwähnten Heilung und ich schaffe es noch nicht einmal mich eine sekundenlang auf seine Andeutung zu konzentrieren. „Deshalb habe ich dich und Liam in den Aufzug gestoßen." „Das war dumm," murmele ich leise vor mich hin, während mein Herz aufgebracht gegen meinen Brustkorb schlägt. Ich möchte ihm eigentlich sagen, dass ich mir Sorgen gemacht habe. Ich möchte eigentlich zugeben, dass ich eine scheiß Angst um ihn hatte als er mit den drei Reitern im Krankenhaus zurückgeblieben und dann spurlos verschwunden ist. Doch ich tue es nicht. Ich beiße mir auf die Lippe und schweige. Er würde das nicht verstehen können.
„Was du da gemacht hast, war genauso dumm," er schüttelt leicht mit dem Kopf, „Du hättest sterben können." „Du auch," er hebt langsam den Kopf und schaut mich an. Er wirkt überrascht von meinen Worten, als könnte er nicht glauben, dass ich mir tatsächlich Sorgen um ihn gemacht habe. „Ich wusste wie ich an ihnen vorbeikomme," er zuckt mit den Schultern als wäre es keine große Sache, dass er es mir drei Ghostrider aufgenommen hat. „Ich dachte du wärst Tod." Er schüttelt bei meinem Geständnis leicht mit dem Kopf. „Ich habe es für dich getan," ich weiß nicht wie ich seine Worte interpretieren soll, bis er plötzlich seine Hand vor mein Gesicht hält und ein kleines weißes Fläschchen vor meinen Augen auftaucht, „Hier. Damit wird alles wieder so, wie es schon immer war."
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Nur noch ein Kapitel, bevor diese Story endgültig abgeschlossen ist. Dank dem Corona Virus sitze ich jetzt auf jeden Fall bis zum 20. April zuhause und vielleicht kann ich die Zeit ja für eine neue Geschichte nutzen - was für eine Art Buch würdet ihr denn gerne als nächstes auf meinem Profil sehen?
Lg CoolerBenutzername
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