On the storm
„Ich habe es für dich getan," ich weiß nicht wie ich seine Worte interpretieren soll, bis er plötzlich seine Hand vor mein Gesicht hält und ein kleines weißes Fläschchen vor meinen Augen auftaucht, „Hier. Damit wird alles wieder so wie es schon immer war."
„Was ist das?"
Mit zittrigen Fingern möchte ich mach dem Flüsschen greifen, stoppe jedoch kurz bevor meine Fingerkuppen es berühren. Theo sucht den Blickkontakt, doch ich starre seine Finger an und das Heilmittel, dass er mir in diesem Moment präsentiert. Könnte es tatsächlich die Heilung sein, nach der ich mich so sehne? „Ein Trank," aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie er leicht mit den Schultern zuckt, „Die Dread Doctors haben ihn gemacht."
Mein Blick landet schlagartig auf ihm und mit zusammengekniffenen Augen frage ich nach: „Die Ärzte, die dich und deine Familie umbringen wollten?" Ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme misstrauisch klingt. Der Junge ringt sich zu einem zustimmenden Nicken durch und ich kann sehen wie seine Hand kurz zuckt. Scheinbar spielt er mit dem Gedanken das Fläschchen zurückzuziehen und mir die Chance auf eine Heilung zu verweigern. Doch noch immer kann ich mich nicht dazu überwinden nach dem Fläschchen zu greifen.
„Wo hast du es her?"
„Sie hatten ihr Labor in einem der Tunnel unter der Stadt," er scheint meinen Blick zu bemerken und setzt seine Geschichte ohne zu Zögern fort, „Ich bin dort hin, nachdem ich die Ghostrider im Krankenhaus ausgetrickst habe." „Du hast uns zurückgelassen," murmele ich jetzt und denke automatisch an den beängstigenden Moment zurück, als ich glaubte Theo an die Reiter verloren zu haben. „Ich wusste nicht ob es noch dort liegt," verteidigt er sich nun mit leiser Stimme, „Ich musste euch loswerden, um dich nicht in neue Gefahr zu bringen." Ich möchte an seine guten Absichten und seine Worte glauben, doch noch immer habe ich den bitteren Nachgeschmack des Verrates über mir hängen. Vielleicht hat er das alles in den letzten Stunden tatsächlich getan, um mich zu beschützen, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er mich tagelang angelogen hat.
Er wusste, was die Narben bedeuten.
Er wusste, dass die Ghostrider zu besiegen, nicht die Lösung sein wird.
Trotzdem hat er geschwiegen und egal wie rum ich es drehe, ich finde keinen guten Grund warum.
Warum hat er mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?
Vielleicht würde es mir dann jetzt einfacher fallen, mit dem Gedanken klar zu kommen, schon bald nicht mehr hier zu sein.
„Du wirst dich in einen Reiter verwandeln, wenn du es nicht trinkst," murmelt er jetzt erklärend und streckt mir erneut das Fläschchen und Gesicht. Ich ignoriere es und starre an dem trübweißen Glas vorbei - direkt in seine Augen. Ich verliere mich für wenige Sekunden in ihnen und erwische mich selbst dabei, wie ich verzweifelt versuche nicht den verletzten Jungen aus Canaan zu sehen. Ich versuche mich nicht von seiner Vergangenheit beeinflussen zu lassen, doch seine damalige Ehrlichkeit und sein wahres Gesicht lassen mich schwer schlucken. Ich bin verletzt. Ich habe keine Ahnung ob die pulsierenden Schmerzen in meiner Brust von den psychischen Verletzungen meines Körpers stammen oder von dem Gedanken, von ihm belogen worden zu sein.
„Du kannst dich entscheiden," er greift nach meiner Hand und lässt das Fläschchen sanft zwischen meine Finger gleiten. Seine weichen Fingerkuppen streifen sanft über meine Haut und die Wärme seines Körpers schlägt brennend auf mich ein. Ich spüre wie sich das feuchte Laub in den Stoff meiner Hose saugt, kann in dieser Sekunde jedoch nur seine vorsichtigen Berührungen wahrnehmen. Sanft lässt er das Fläschchen in meine Handfläche rutschen, bevor er meine Finger sanft darum schließt. Ich spüre das kalte Glas in meinem Handballen, während die Wärme seiner Finger auf meinem Handrücken brennen. Langsam hebe ich den Blick und mustert den Jungen.
Er sieht älter aus, als er ist.
Die Erschöpfung ist in seinem ganzen Körper zu sehen. Seine Schulter fallen leicht nach vorne, seine Klamotten sind dreckig und gerissen und der Dreck auf seiner Haut lässt ihn wie einen gefallen Krieger wirken. Seine Haare hängen ihm ins Gesicht und wirken aufgrund des getrockneten Blutes stellenweise schwarz. Er hat dunkle Augenringe, getrocknetes Blut klebt an seiner Stirn, seiner Wange und seinem Mund und das sonst so herablassend freche Lächeln ist von seinen Lippen verschwunden. Er wirkt müde. Er tut mir Leid.
„Aber du solltest es bald tun," sein Blick schweift bei seinen Worten flüchtig über meine Hand bis zu meinem Hals, bis er wieder meine Augen findet. Ich weiß, dass er mit seiner Warnung auf das schwarze Narbengewebe anspielt. In den letzten Tagen hatte es sich rasant ausgebreitet und dabei hatten wir schon dort alle verzweifelt nach Zeichen und Relikten gesucht. Jetzt wo alles wieder beim Alten ist wird Scott nicht länger nach einer Verbindung zwischen uns suchen. Jetzt wo er und die Anderen nicht länger versuchen müssen sich zu erinnern, wird die Verwandlung noch schneller voranschreiten. Ich könnte bereits morgen ein Ghostrider sein. Dieser Gedanke macht mir eine unglaubliche Angst und meine Finger schließen sich fester um das Glas. Ich frage mich, warum ich überhaupt zögere den Trank zu trinken und alles rückgängig zu machen. Im selben Moment fällt mir jedoch ein einziger Grund ein.
Clay.
„Was wird mit meinem Bruder passieren?" Meine Stimme klingt fest und selbstbewusst, auch wenn mein ganzer Körper vor Angst zittert. Ich spüre den schnellen Herzschlag in meiner Brust und versuche tief durchzuatmen. Doch die Gedanken in meinem Kopf lassen keinen Platz für kontrollierte Körperbeherrschung und so wird meine Atmung zu einem pressenden Luftschnappen. Ich suche verzweifelt den Blickkontakt zu Theo, der mir mit seinen Augen im ersten Moment ausweicht. Doch dann seufzt er leise auf und schaut mir direkt ins Gesicht.
„Er wird verschwinden."
„Sterben."
Meine Stimme ist nur ein Flüstern aber der Junge versteht meine Worte natürlich problemlos. Er zögert. Doch dann überrascht er mich, indem er mich in eine kräftige Umarmung zieht. Seine Arme schlingen sich um meinen zitternden Körper und dankbar vergrabe ich mein Gesicht an seiner Brust. Ich spüre die Tränen in meinen Augen und die erdrückenden Schmerzen in meiner Brust. Die Kälte der Nacht ist nichts gegen die Kälte in meinem Körper als ich realisiere, dass ich darüber entscheiden muss, wer stirbt. Ich oder mein Zwilling.
„Charley," er schiebt mich sanft wenige Zentimeter von sich und mustert mich mit einem mitfühlenden Blick, „Du musst jetzt an dich selbst denken." „Ich würde ihn töten Theo," ein leises Schluchzen durchfährt meinen Körper und ich möchte zurück in seine Arme sinken, doch der Teenager lässt es nicht zu. Seine Hände umfassen meine Schultern und mit sanften Berührungen zwingt er mich dazu, in seine Augen zu schauen. „Charley, er wird nichts spüren," ich blinzele die Tränen aus meinen Augen und frage mit zitternder Stimme nach: „Woher willst du das wissen?" „Er wird in einer Wolke aus grünem Nebel verschwinden. Er wird nichts spüren. Du hingegen," seine Finger fahren sanft über meine Wange und ich kann spüren wie er mir zärtlich die Tränen von der Haut wischt, „Du hingegen wirst dich schmerzhaft verwandeln. Du wirst bis in die Unendlichkeit mit den Ghostridern reiten und Menschen auslöschen. Du wirst dabei bei vollem Bewusstsein sein. Das ist es nicht wert, Charley."
„Er ist mein Bruder."
Dieser Einwand verändert etwas. Ein Schatten legt sich über Theos Augen und langsam löst er sich von mir. Seine Körperwärme verschwindet und sofort macht sich die Kälte der Nacht zwischen uns breit. Ich starre ihn an und spüre wie meine Haut pulsierend nach ihm verlangt. Eine Träne rollt über meine Wange und ich kann sehen wie Theos Hand kurz zuckt, als würde er der Versuchung wiedersehen müssen, sie erneut wegzuwischen. „Wir sind uns ähnlicher als du glaubst Charley," er nickt mir langsam zu, „Manchmal muss man eine schwere Entscheidung treffen, um zu überleben."
Er steht auf.
Seine Worte hallen in meinen Ohren nach und das kalte Glas liegt wie Eis in meinen zitternden Händen. Ich starre den Jungen an. Was er mir mit seinen Worten sagen möchte ist klar. Er hat sich damals gegen seine Schwester entschieden. Sie oder er. Er fordert in dieser Sekunde dasselbe von mir.
„Wo gehst du hin?"
Er hat mir den Rücken zugedreht und sich in Bewegung gesetzt. Er hat seine Hände tief in der Tasche vergraben und seine Schultern hochgezogen. Wahrscheinlich wollte er ohne ein weiteres Wort verschwinden doch meine Frage lässt ihn inne halten. „Weg von hier," er scharrt mit seiner rechten Fußspitze unruhig im Unterholz, „Miami wäre schön." „Du haust ab?" frage ich und kann die Fassungslosigkeit in meiner Stimme nicht verbergen. Ich hatte erwartet, dass der Junge vielleicht nach Hause geht. Wo auch immer das sein möchte. Ich hatte erwartet, dass er zumindest hier in Beacon Hills bleibt. Ich kann sehen wie er locker mit den Schultern zuckt. „Ich habe nicht wirklich ein Grund hier zu bleiben."
„Was ist mit Scott?"
Theo dreht sich zu mir um und ich kann sehen, wie er ein Augenverdrehen andeutet. „Er traut mir nicht," Schulterzucken, „Und nachdem was alles zwischen uns passiert ist, kann ich es ihm nicht verübeln." „Und was ist mit...," verzweifelt suche ich in Gedanken nach einem anderen Grund, der ihn überzeugen könnte. Doch mein Satzanfang wird zu einem hilflosen stottern, bevor ich mit gesenktem Kopf verstumme. „Und was ist mit mir?" flüstere ich anschließend nahezu lautlos und vermeide bewusst den Blick zu dem Teenager. Ich kann hören wie er Zögern und ein ängstliches Pulsieren macht sich in mir breit. Es zieht sich von meiner Brust über meinen ganzen Körper und meine Finger schlingen sich hilfesuchend um das kleine Fläschchen in meiner Hand.
„Ich kann nicht," er schüttelt langsam den Kopf und ich glaube so etwas wie Bedauern in seiner Stimme zu hören, „Es tut mir Leid Charley. Aber ich gehöre nicht hier her." Ich kann das Rascheln seiner Schritte hören. Ich traue mich nicht aufzuschauen, weiß jedoch genau, dass er gegangen ist. Dass er sich tatsächlich für die Flucht entschieden hat. Meine Augen fixieren das Fläschchen in meiner Hand. In dem Glas kann ich eine Spiegelung von Scott und Malia erkennen. Die beiden stehen noch immer Meterweit von mir entfernt. Malia hat sich abgewandt und verschwindet aus dem Glas. Scott hingegen starrt schweigend nach rechts. Wahrscheinlich schaut er Theo nach. Dann richtet sich sein Blick auf mich und trotz der kleinen Spiegelung kann ich seine Besorgnis sehen. In meiner Hosentasche macht sich mein Handy mit einem leichten Vibrieren aufmerksam. Meine zitternden Finger greifen danach und als ich es aus meiner Tasche ziehe, schweifen meine Augen sofort über den Namen. Clay. Das Handy rutscht mir fast durch meine zitternden Hände und fassungslos starre ich den Namen meines Bruders an.
Clay.
Mein Blick fährt hoch und ich erkenne meinen besten Freund, der mich schweigend anstarrt, als würde er noch versuchen herauszufinden ob ich Abstand oder Nähe brauche.
Scott.
Meine Augen landet wie von selbst wieder auf dem leuchtenden Display. Mein Handy ist auf lautlos gestellt. doch das stetige Vibrieren lässt es leicht in meiner Hand beben. Es ist weit nach Mittnacht und ich habe das Gefühl, dass Clay in dieser Sekunde vielleicht anruft, weil er weiß das es mir schlecht geht.
Clay.
Mein Blick fällt auf die Flasche in meinen Händen und kurz beobachte ich die weiße Flüssigkeit darin. Sie schwappt leicht gegen das Glas und tief atme ich durch. Wenn ich sie trinke, gewinne ich mein altes Leben zurück, verliere jedoch Clay. Wenn ich den Trank wegschütte, schenke ich meinem Zwilling eine zweite Chance, verliere jedoch mich selbst. Ich habe Theo aus den Augen verloren, kann jedoch noch immer seine niedergeschlagenen Worte in meinen Ohren hören.
Wir sind und ähnlicher als du glaubst Charley. Manchmal muss man eine schwere Entscheidung treffen, um zu überleben.
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