On the Storm

Dann Scotts panische Stimme.
„CHARLOTTE PASS AUF!"

Ich fliege.
Und habe mich schon lange nicht mehr so frei gefühlt.
Scotts panisch Ruf nehme ich wenigstens als Nachhall war. Die Gefahr vor der er mich zu warnen versucht gar nicht. Die kalte Nachtluft brennt auf meiner Haut. Sie treibt mir Tränen in die Augen, die wie heiße Flammen über meine Wange zügeln. Mein Herz hat bis zu diesem Moment immer wieder stetig gegen meine Brust geschlagen, doch in dieser Sekunde scheint es einen Sprung auszulassen. Für einen kurzen Moment löst sich der Druck von meinem Brustkorb. Ich kann tief einatmen. Ich kann die kalte Luft brennend durch meine Lungen strömen fühlen. Das Gewicht der Angst und die der erdrückenden Verantwortung lösen sich von meinen Schultern und für eine winzige Sekunde fühle ich mich tatsächlich frei.

Unbesiegbar.

Doch dann ist der Moment bereits schon wieder vorbei. Er zerspringt in tausend kleine Teile und wo ich gerade noch geflogen bin, falle ich jetzt. Ich reise meine Arme nach oben und halte sie schützend vor meinen Körper. Die Weiche kommt näher und automatisch strecke ich meine Arme weiter nach vorne, um sie umfassen zu können. Ich habe sie fast erreicht. Ich strecke meine Finger und spüre endlich das kalte Metall auf meiner Haut, wie es sich innerhalb Sekunden in meine Finger brennt. Der Aufprall ist heftig und ich spüre die Schmerzen die durch meine Handgelenke fahren, als sie ruckartig auf das Metall treffen. Ich kralle mich an der Weiche fest und spüre wie mein Gewicht noch voller Schwung von dem Sprung nach vorne gedrückt wird. Es wird mich überschlagen. Ich erwarte weitere Schmerzen. Mein Körper drückt sich gegen die Weiche und ich bin überrascht wie schnell sie nachgibt. Sie folgt meinem Schwung und kippt nach vorne. Der plötzliche Ruck lässt mich nach vorne sacken und während ich hören kann, wie sich die Schienen quietschend verschieben, falle ich kopfüber nach vorne.

Mein Körper sackt nach vorne. Mein linker Arm dagegen wird zurückgerissen. Mein Gesicht landet im feuchten Laub. Ich spüre Dreck und Schlamm in meinem Gesicht. Er vermischt sich mit dem Schweiß auf meiner Haut und verklebt meine Nasenlöcher und Augenlieder. Feuchte Blätter bleiben an meiner verschwitzen Haut kleben und morsche Äste drücken gegen meinen Kopf. Ich schmecke nassen Dreck auf meinen Lippen und den metallisch-süßen Geschmack meines eigenen Blutes. Brennende Schmerzen rasen durch meinen Körper, als ich noch wenige Zentimeter über den Boden schlittere. Ich werde voran getrieben von dem Schwung des eigenen Sprunges, jedoch gleichzeitig durch die Unebenheiten des Bodens ausgebremst.

Brennende Schmerzen.

Ein Ast bohrt sich in meine linke Schulter, sodass sie hängen bleibt und schlagartig zurückgerissen wird. Mein restlicher Körper schlitternd derweilen weiter über den feuchten Waldboden und ich kann spüren wie mich der Ast ausbremst. Meine Muskeln spannen sich an und ich kann nahezu spüren, wie einer kurz davor ist dem Druck nachzugeben und zu reisen. Irgendetwas schnürt sich enger um mein Handgelenk und schneidet immer fester in meine Haut. Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche die pulsierende Schmerzen zu ertragen, die sich inzwischen von meinem Handgelenk über meinen Oberarm, bis hin zu meiner Brust ziehen. Die Schürfwunden an Beinen, Bauch und Gesicht spüre ich noch nicht einmal. Sie entstehen durch die Unebenheiten des Waldbodens, über den ich noch immer rutsche. Steine und spitze Äste bohren sich dabei noch immer in meine Haut. Doch diese stechenden Schmerzen sind nichts gegen den Druck auf meiner Schulter und auf dem ganzen linken Arm.

Ich stöhne auf als ich endlich im kalten Matsch liegen bleibe, mein Oberkörper jedoch noch immer unter Druck steht. Mein ganzer Körper pulsiert. Brennende Schmerzen fließen wie Blut durch meine Adern und es fühlt so so an, als würden meine Muskeln zerreißen. Die Geräusche um mich herum sind leiser geworden. Dumpf. Sie dringen nur durch einen dicken Vorhang zu mir durch und ich vermute, dass sich Dreck in meinen Ohren gesammelt haben muss. Ich schließe die Augen und lasse zu, dass die Schmerzen wie eine heiße Flamme durch meinen Körper jagen und dabei jede Muskelfaser unter meiner Haut verbrennen. Ich ignoriere meinen heißen Atem in der kalten Nachtluft und atme tief durch.

Ein lauter, schriller Ton, der sich schlagartig in meinen Kopf gräbt und einen stechenden Schmerz hinter meinen Schläfen auslöst. Ich zucke überrascht zusammen und spüre wie die dicke Decke, die mich bis zu diesem Moment von allen Geräuschen abgeschirmt hat, angehoben und achtlos weggeworfen wird. Ich reise meinen Kopf herum und sehe grelle Scheinwerfer neben mir aufblitzen. Ein heftiger Windzug hat die Luft ergriffen und wirbelt lose Blätter, Dreck und morsche Äste auf. Das grelle Licht blendet mich. Der Wind treibt mir Schmutz in die Augen und zerrt an meinen Haaren. Panisch kneife ich meine verklebten Augenlieder zusammen und reise trotz höllischer Schmerzen schützend meine Hand nach oben. Erst in dieser Sekunde realisiere ich, dass ich nur wenige Zentimeter entfernt von den Schienen gelandet bin und bereits in diesem Moment rast der Zug ungebremst an mir vorbei.

Ich kann nicht sehen, welcher der Gleisabzweigungen er folgt. Ich kann nicht sehen, ob sich die Weiche tatsächlich verschoben hat, oder ob das knirschende Geräusch und die nachgebende Bewegung nur Einbildung meines müden Kopfes waren. Doch ich kann das Rattern der Räder hören. Den Windzug spüren, der an meinen Haaren zerrt und mir Dreck ins Gesicht weht. Ich kann die Hitze spüren, die durch die Reibung zwischen Rad und Schiene entsteht und brennend die Kälte der Nacht vertreibt. Ich kann die leichte Vibration des Bodens spüren, die sich wie ein leichtes Zittern auf meinen Körper überträgt und ich kann buchstäblich riechen, wie der Zug ungebremst an mir vorbei rast.

Und dann ist er plötzlich nicht länger da.

Der Moment scheint anzuhalten.
Ich öffne blinzelnd meine Augen und sehe die sanften Rücklichter des Zuges langsam im Wald verschwinden. Ich kann hören, wie das Rattern des Zuges leiser wird. Der Wind hört auf durch meine Haare zu fahren und die Hitze der Reibung wird schlagartig von der Kälte der Nacht vertrieben. Ich spüre den schnellen Herzschlag in meiner Brust und das unkontrollierte Zittern meiner nervösen Finger. Ich lasse meinen Blick langsam über meine Hände schweifen. Sie sind noch immer mit schwarzem Narbengewebe überzogen und fallen in der Dunkelheit zwischen dem feuchten Laub kaum auf. Ich spüre wie sich die Kälte einen Weg in meine brennenden Muskeln bahnt und langsam hebe ich den Blick. Verklebte Haarsträhnen fallen mir ins Gesicht. Ich kann den metallisch-süßen Geschmack meines eigenen Blutes auf meinen Lippen schmecken und als ich den Kopf anhebe, finden meine Blicke automatisch die Augen von Theo. Er steht nur wenige Meter von mir entfernt. Mustert mich schweigend, bevor er mir kurz respektvoll zu nickt. Seine dunklen Haare hängen ihm verschwitzt in die Stirn. In der Dunkelheit wirken sie nahezu schwarz, die roten Verfärbungen in seinen Haarspitzen ist jedoch selbst jetzt nicht zu verkennen. Getrocknetes Blut klebt auf seiner Haut und seine Augen haben ein sanftes Glänzen angenommen. Ich kann sehen, wie sich seine Brust langsam hebt und senkt. Seine Atmung hinterlässt weiße Wölkchen in der Luft und ein erleichterter Ausdruck hat sich auf sein Gesicht gelegt.

Dann ist der kurze Moment der Zeitlosigkeit vorbei. Mein Blick löst sich von Theo und findet Malia, die nicht allzu weit entfernt von ihm im Laub liegt. Sie hat einen Ghostrider zu Boden gerissen und niedergeschlagen. Er muss die Gefahr gewesen sein, vor der mich Scott während meinem Sprung warnen wollte. Hätte Malia ihn nicht zu Boden gerissen, hätte er versucht mich aufzuhalten. Seine Peitsche liegt nur wenige Meter entfernt im Laub. Er ist der einzige Gegner, der nah genug bei mir und der Weiche ist, um eine Chance zu haben. Somit  verdanke ich es Malia, dass ich noch hier sitze und nicht in einem grünen Nebel verschwunden bin.

In dieser Sekunde richtet sich das kurzhaarige Mädchen mit blau leuchtenden Augen auf. Ich möchte ihr dasselbe respektvolle Nicken erweisen wie Theo es mir zugesprochen hat, doch das Mädchen ignoriert meine Blicke. Scott steht nur wenige Meter hinter ihr. Seine Augen leuchten rot und blitzen in der Dunkelheit gefährlich auf. Auch er hat keine Augen für mich. Stattdessen schauen die Beiden zu Mr. Douglas, der fassungslos dem Zug nachschaut, welcher in der Zwischenzeit vollständig zwischen den Bäumen verschwunden ist.

„Nein."
Die raue Stimme von Mr. Douglas ist trotz der plötzlich Stille im Wald kaum zu verstehen. Seine Augen leuchten grün und seine spitzen Zähne schimmern leicht. Ich kann die Wut in seinem Gesicht sehen, aber auch die bittere Enttäuschung - die Frust - gegen uns verloren zu haben. Ich habe keine Ahnung welche Abzweigung der Zug genommen hat, doch das Gesicht von Mr. Douglas lässt nur eine Vermutung zu...wir haben gewonnen. Ein erschöpftes Lächeln schleicht sich bei diesem Gedanken auf meine Lippen und der kurze Ausstoß an Glückshormonen übertönt für einen winzigen Augenblick die pulsierenden Schmerzen in meinem Körper.

In der Zwischenzeit hat sich Malia aufgerappelt und mit wenigen Schritten ist sie bei Scott angekommen. Schmutz und Blut klebt an ihrem Körper und doch lässt ihr dreckiges Aussehen nicht über ihre Freude hinwegtäuschen. Obwohl sie ein Werwolf ist, hat sich eine schwere Atmung auf ihre Stimme gelegt. Ich bin überrascht, ihr die Erschöpfung anzusehen. Aber auch bei Scott zeichnen sich deutlich die Spuren des Kampfes ab. Trotzdem lassen sich beide ein siegessicheres Grinsen nicht nehmen. Während dieses Lächeln bei Scott kaum auffällt und von seiner kampfbereiten Vorsicht überschattet wird, wirkt es bei Malia provokant deutlich. Sie macht einen großen Schritt auf Mr. Douglas zu und gewinnt somit seine Aufmerksamkeit. Sie räuspert sich leise, bevor sie mit einem amüsierten Ton bemerkt.

„Du hast deinen Zug verpasst."

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