On the road
Der kühle Herbstwind fährt über meine Haut und ich ziehe die Jacke noch etwas enger um meinem Körper. Heruntergefallene Blätter zerbröseln unter meinen Schritten und das Rascheln des trockenen Laubes erinnert mich an die Zeit, in der ich mit meinem Bruder lachend in Laubhaufen gespielt habe. Meine Wangen sind von der Kälte genauso rosig, wie damals und auch wenn die Erinnerung an Clay schmerzt, ist es eine schöne Erinnerung. Vor allem jetzt, wo mein Bruder wieder am Leben sein könnte...am Leben ist.
Meine Finger zittern und mir fällt es schwer das Glas in meinen Händen ruhig zu halten. Das schwarze Pulver darin vibriert und springt bei jeder zittrigen Bewegung auf und ab, wodurch die Linie auf dem Boden ungleichmäßig dick wird. Scott hatte mir vor wenigen Minuten erklärt, dass es sich bei dem Pulver um Ebereschenasche handelt. Eine eigentliche Pflanze, die übernatürliche Wesen schwächt und eine Barriere aus ihrer Asche nicht überqueren lässt. Liam hatte mit einem bitteren Unterton hinzugefügt, dass die Barriere die Ghostrider nur kurz aufhalten wird, wie bei der vor wenigen Tagen veranstaltete Party, aber dass bei unserem heutigen Vorhaben jede Minute zwischen Erfolg und Versagen entscheiden könnte.
Ich atme tief durch und verteile mit einer Hand weiter das Pulver auf dem dunklen Waldboden. Dabei bemerke ich erneut die dunkle Verfärbung meines Handgelenks. Sie ist unter meinen Klamotten nur andeutungsweise zu sehen, doch auf der Hinfahrt hatte ich unauffällig den Ärmel meines Pullovers hochgekrempelt und geschockt feststellen müssen, dass sich die vernarbte Haut bis zu meinem Ellenbogen hochzieht. Ich habe keine Erklärung für das plötzliche Auftauchen des dunklen Narbengewebe doch erneut lässt mich der Anblick sofort an die Ghostrider denken.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Theo, der dieselbe Aufgabe bekommen hat wie ich. Er streut die schwarze Asche nur wenige Meter von mir entfernt auf den Waldboden und kommt mit jedem Schritt weiter auf mich zu. Stiles hatte mir gezeigt, wie ich das Pulver streuen muss, damit die Barriere wirkungsvoll ist. Nirgendwo darf ein Loch sein und auf keinen Fall sollte die Linie irgendwo dünner als mein Finger sein. Zu viele Informationen für meinen Kopf, der sich inzwischen mit einem schmerzhaften Dröhnen und einer Lawine aus pulversieriten Gedankenmatsch beschwert.
Clay hätte dafür sicherlich eine Lösung gewusst.
Meine freie Hand tastet in der Jackentasche suchend nach meinem Handy, dass in den letzten Tagen unnütz geworden ist. Nur die Nummer von Scott ist eingespeichert und nun auch die fast vergessene Nummer aus meinem alten Zuhause in Florida. Ich sollte noch einmal anrufen, auch wenn mich kein Gedanke darauf vorbereiten kann, Clays Stimme erneut zu hören.
„Hey."
Die begrüßende Stimme dringt an mein Ohr und reist mich aus meinen Gedanken. Mein Blick schellt hoch und ich sehe einen braunhaarigen Jungen, der mich und Theo mit einem etwas nervösen Blick beobachtet. Mir fällt auf, dass der Junge ganz niedlich ist und mir wage bekannt vorkommt. Er muss Schüler der Beacon Hills High School sein und umso länger ich seine weichen Gesichtszüge mustere, umso sicherer bin ich mir, ihn nur wenige Tage zuvor mit auf dem Lacrosse Feld gesehen zu haben. Er hatte mit Scott und Stiles versucht Gwen zu beschützen und hatte Stiles Hand umfasst, nachdem dieser panisch festgestellt hatte, die Ghostrider nicht länger sehen zu können. Ich glaube mich sogar daran erinnern zu können, dass einer der Freunde in Corey genannt hatte.
„Die Anderen sind schon drinnen," antwortet Theo in diesem Moment auf die in der Luft hängenden, jedoch unausgesprochenen, Frage des Jungen und mit einem kurzen Nicken läuft er an uns vorbei. Ich schaue ihm verwundert nach und bemerke den kurzen Blick den er Theo zuwirft, bevor er mit gesenktem Kopf an ihm vorbeieilt. Er scheint Respekt vor dem Jungen zu haben, wenn nicht sogar Angst. Jedoch scheint er nicht dasselbe Misstrauen gegenüber Theo zu hegen, wie es die anderen Jugendlichen tun. Er scheint eine ganz andere Beziehung zu Theo zu haben, was mich überrascht. Erst als der Junge in dem kleinen, heruntergekommenen Hüttchen verschwindet, kann ich meine Gedanken von seinem Auftauchen lösen. Ich setze mich wieder in Bewegung und verstreue weiterhin die dunkle Asche, die im einfallenden Licht der tiefstehenden Herbstsonne leicht glitzert.
„Du hast Scott angelogen."
Ich schaue nicht auf, bemerke jedoch Theos Blick der aufmerksam auf mir liegt. Auch ohne dass der Junge seinen Satz in Zusammenhang setzten muss, weiß ich wovon er spricht. Er hat meine Unterhaltung mit Scott gehört. Natürlich. Er weiß, dass Scott für kurze Zeit das Vertrauen in mich verloren hatte, als ich den Namen seiner Mutter ausgesprochen habe. Doch meine Lüge, ihn schon einmal aus seinem Mund gehört zu haben, scheint er tatsächlich zu glauben. Nach der Fahrt in den Wald, hat er sich beim Aussteigen tatsächlich bei mir entschuldigt. Dabei entschuldigt sich der Junge eher selten.
Meistens weil er Recht hat.
„Ich lüge ihn die ganze Zeit an," murmele ich abweisend vor mich hin und verteile weiterhin sorgsam die schwarze Eberesche auf dem dunklen Waldboden. Dabei versuche ich Theos Blick so gut wie möglich zu ignorieren, doch seine Augen bohren sich spürbar neugierig in meinen Rücken. Irgendwann ertrage ich seinen Blick nicht mehr und drehe mich genervt zu ihm um: „Was ist dein Problem?" „Du musst anfangen besser zu lügen," erwidert er nun schulterzuckend und ich frage mich, ob es eine Antwort oder eine Ablenkung ist. Der Junge setzt sich in Bewegung und fängt damit an, meine Ebereschenspur mit seinem halb vollen Glas fortzusetzen. Ich schüttele mein eigenes hin und her und bemerke, dass es nahezu leer ist. Gleichzeitig sage ich betont ruhig in Theos Richtung: „Scott scheint nichts zu bemerken." „Scott vertraut ja auch nicht auf seine Werwolfskräfte," ich schaue überrascht von meinem Glas auf und starre Theo an.
„Wie meinst du das?"
„Scott ist kein geborener Werwolf. Er vertraut auf seinen menschlichen Instinkt. Auf seine erlernten Menschenkenntnisse," der Junge hört für wenige Sekunden damit auf die Eberesche zu verstreuen und richten seinen Blick stattdessen auf mich, „Er kann nicht gleichzeitig auf sein Bauchgefühl und seine Sinne achten." Seine Worten machen irgendwie Sinn, auch wenn ich es mir nicht ganz eingestehen möchte. Scott ist ein Mensch, der Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten hat. Seit dem er mich in die Welt des Übernatürlichen geführt hat, ist mir aufgefallen, dass er selten auf seine geschärften Sinne achten. Wenn ich so darüber nachdenke, benutzt er sie vor allem dann, wenn er schon von sich aus eine Gefahr spürt oder wenn etwas von vorner ein nicht stimmt. Wie gestern in Canaan.
„Malia dagegen wird immer zuerst auf ihre Kojoten Sinne zurück greifen. Sie wird sofort riechen, hören und spüren dass du lügst," Theos Augen bohren sich in meine und ich kann fühlen, dass er in diesem Moment die Wahrheit ausspricht, um mir zu helfen, „Das könnte eine Gefahr für uns sein."
Uns.
Das Wort pulsiert laut in meinem Kopf wieder und verwundert schaue ich den Jungen mit den dunkelbraunen Haaren an. Bisher habe ich ihm für eine Person gehalten, die nur auf sich selbst bedacht ist. Mein Problem ist mein Problem, und deins ist deins - so ein Art von Mensch. Doch in diesem Moment scheint er uns als ebenbürtige Partner zu sehen. Zu mindest hoffe ich das. Vielleicht hat er in der Zwischenzeit aber auch nur eingesehen, dass er nur mit meiner Hilfe das Vertrauen der Jugendlichen zurückgewinnen kann.
Uns.
„Von Malia solltest du dich fern halten," er wendet sich von mir ab und verschüttet den Rest der Eberesche. Die dunkle Asche landet auf dem Waldboden, schließt jedoch noch nicht den Kreis. Es fehlt noch gut einen Meter, bevor sich die beiden Linien treffen und, laut den Erzählung der Anderen, eine Barriere errichtet, die übernatürliche Wesen nicht überschreiten können.
„Sie ist gefährlich."
Theos letzter Satz kommt so verspätet nachgeschoben, dass ich ihn fast überhört hätte. Meine Gedanken hören auf um die Barriere zu kreisen und meine Augen fallen zurück auf den Teenager, der in diesem Moment das leere Glas fest umfasst und sich mit der freien Hand gleichzeitig den Schmutz von der Hose klopft. Im selben Moment höre ich ein lautes Rascheln und fahre erschrocken herum. Stiles hat das kleine Haus hinter uns verlassen und sich durch das Dickicht zu uns durchgeschlagen. Ich schätze die Distanz zwischen uns und dem Haus, in dem der Transformator steht, auf mehrere Meter, was bedeutet, dass sich Stiles überraschend leise genähert hat und das schon seit einiger Zeit. Die Entfernung zwischen uns lässt erahnen, dass er zu mindest die letzten Worte von Theo gehört haben muss und sein überraschter Blick, sagt genau das. Er lässt seine Augen schweigend zwischen uns hin und her schweifen und ich kann das Misstrauen schon in seiner Haltung erkennen. Jedoch glaube ich auch sehen zu können, das sich diese vor allem auf Theo bezieht. Mich dagegen beachtet der Teenager kaum.
„Scott hat gesagt ich soll euch holen," seine Augen liegen weiterhin auf Theo und ich kann die Spannung zwischen den beiden Jungen spüren. Stiles vertraut Theo nicht und für Theo ist das offensichtlich. Ich glaube, auch er kann Stiles nicht wirklich ausstehen und ich glaube auch zu wissen wieso. Stiles ist Scott sein bester Freund. Wenn er jemanden - Theo - nicht mag, hat dass einen gewissen Einfluss auf Scott. Ich frage mich, ob das der einzige Grund ist, wieso Theo ihn in diesem Moment herausfordernd mustert, als würde er ihn dazu auffordern, das belauschte Gespräch anzusprechen. Dabei bin ich mir noch nicht einmal sicher wie viel Stiles tatsächlich mitgehört hat. Wenn ich Pech habe, hat er alles gehört. Auch den Teil, in dem ich zugebe Scott die ganze Zeit anzulügen.
„Wir wollen den Plan durchgehen," Stiles Satzende hängt in der Luft und während sich die beiden Jugendlichen noch immer herausfordernd anstarren, höre ich in weiter Ferne bereits ein lautes Donnerrollen. Ich schaue auf und bemerke den blauen Himmel über uns. Bisher ist noch keine Wolke zu sehen und ich kann erneut den kalten Herbstwind spüren, der das getrocknete Laub um meine Füße wegen lässt. Ich erzittere leicht und reibe mir über die Arme. In diesem Moment trifft die Angst vor den Ghostrider auf die Sorge, Stiles könnte mehr belauscht haben als nur Theos letzten Satz, und mit besorgten Blick nehme ich erneut ein, in der Ferne donnerndes, Gewitter wahr.
„Wir sollten uns beeilen," werfe ich jetzt übereilt ein und steuere ohne den beiden Jungen noch ein Blick zuzuwerfen, das kleine Haus an. In diesem warten bereits die anderen Jugendlichen und ich kann spüren wie wenigstens für den Moment der Druck von den Schultern fällt, von Stiles möglicherweise enttarnt worden zu sein.
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Ich wünsche euch allen ein schönes Wochenende ☀️
Lg CoolerBenutzername
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