Girl
„Sie waren die ganze Zeit hier?"
Theos Stimme dringt an mein Ohr und lautlos presse ich mir meine schwitzige Handfläche auf den Mund. Ich spüre meinen heißen Atem auf meiner Haut und versuche mit meiner Hand das leise Wimmern meiner Angst zu überdecken. Das Blut rauscht in meinen Ohren und mir fällt es schwer, das Geräusch auszublenden und stattdessen den Bewegungen und Worten von Theo zu lauschen. Zwei winzige Lichtstrahlen dringen durch die massive Holztüre zu mir durch und ohne mich zu Bewegungen, versuche ich einen Blick durch den kleinen Spalt auf meiner Augenhöhe zu werfen.
Theo steht wenige Meter von mir entfernt. Er hat mir den Rücken zugewandt und die Arme hängen locker an seinem Körper herab. Trotz seiner Klamotten kann ich die Bewegungen seiner Muskeln sehen und die kampfbereite Anspannung in seinem Körper. Vor ihm, im Türrahmen, steht eine groß gewachsene Person. Die Haare sind blond und er ist männlich. Dass ist alles, was ich in diesem Moment von ihm erkennen kann. Das Licht umschmeichelt seine breiten Schultern, lässt sein Gesicht jedoch in einem Schattenspiel aus Dunkelheit verschwimmen. Trotzdem erkenne ich selbst aus meiner Position, dass sich Theos kampfbereites Misstrauen gegen den, in diesem Moment eintretenden Mann, richtet.
„Wie könnte ich wegbleiben?"
Seine Stimme ist ruhig und angenehm. Trotzdem wird die Sanftheit durch einen kantigen Akzent genommen. Ich kann sehen, wie sich auf das Gesicht des Mannes ein herablassendes Lächeln legt und doch hallt in meinem Kopf vor allem der starke Akzent nach. Er ist brechend, kantig und ich brauche wenige Sekunden um den Klang seiner Worte einordnen zu können. Deutsch. Der junge Mann spricht mit einem altdeutschen Akzent und gespannt lehne ich mich etwas weiter nach vorne, um einen besseren Blick auf ihn zu haben. Der Spalt zwischen dem Holz ist schmal und doch kann ich Theo und seinen Gegenüber erkennen, der in diesem Moment selbstbewusst in den Raum tritt und somit in das trübe Licht der Deckenbeleuchtung.
Er ist groß gewachsen. Blond. Im schwachen Licht wirken seine kurzen Haare sogar braun. Er hat ein kantiges, schmales Gesicht mit schmalen Augen und markanten Augenbrauen. Das Lächeln auf seinen Lippen ist klein, schief und herablassend. Er ist muskulös und sportlich. Er trägt ein dunkles Hemd und darüber eine dunkle Jacke. Die Schatten in deinem Gesicht lassen ihn unheimlich aussehen und mir läuft ein Schauer über den Rücken, als er vor dem Käfig stehen bleibt und seinen Blick auf den Ghostrider richtet. Dieser erwidert den Blick mit derselben Ausdruckslosigkeit, wie nur wenige Minuten zuvor bei dem jungen Deputy. Dabei habe ich das Gefühl, umso länger ich den Mann anstarre, umso bekannt kommt mir nicht nur der Klang seiner Stimme, sondern auch sein Aussehen vor. Ich glaube ihn zu kennen, kann ihn jedoch in diesem Moment nirgendwo einordnen. Umso mehr Angst macht mir die Tatsache, dass Theo den Mann ebenfalls zu kennen und zu fürchten scheint.
In diesem Moment breitet sich ein leichtes Kribbeln in meinem Bein aus und eine unangenehmen Taubheit erklimmt meine eingequetschten Füße. Ich möchte die Sitzhaltung ändern, traue mir jedoch noch nicht einmal zu, das Gewicht zu verlagern. Also kauere ich weiterhin bewegungslos in dem kleinen Schrank und strecke meinen Oberkörper leicht nach vorne um weiterhin einen guten Blick durch den Spalt zu haben. Im selben Moment knarrt das Holz unter mir leise auf und erschrocken zucke ich unter dem Geräusch leicht zusammen. Mein Herz macht einen erschrocken Zwischensprung und scharf ziehe ich die Luft ein. Ein weiteres Knarren ertönt und dieses Mal wandert meine Hand wie von selbst zu meinem Mund. Das Blut rauscht laut in meinen Ohren wieder und meine Atmung ist ein ersticktes Schnaufen. Der junge Mann hat das Knarren gehört und sein Blick wandert nun zielgenau zu mir. Er starrt in meine Richtung und obwohl er meine Augen unmöglich durch den kleinen Spalt erkennen kann, erzittere ich unter seinem durchdringenden Blick. Er weiß, dass ich da bin und das beweist mir, dass er so sein muss wie Scott und Theo. Wahrscheinlich kann er in diesem Moment mein schnell schlagendes Herz und das Adrenalin durch meine Venen rauschen hören. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er seinen Blick von dem Schrank losreißt und mich aus meinem Versteck zerrt.
„Vielleicht sollten Sie Ihnen sagen, wer Sie sind."
Theos einwendende Stimme zerbricht die angespannte Stille zwischen uns und panisch beiße ich mir auf die Unterlippe. Meine Muskeln zittern und ich habe Schwierigkeiten weiterhin lautlos in meinem Versteck zu kauern. Der junge Mann lässt seinen Blick langsam von mir zurück zu dem Jungen wandern und mustert ihn mit einem aufmerksamen Blick. Bevor er etwas auf Theos Satz erwidern kann, spricht dieser bereits wissend weiter: „Hauptmann." Obwohl in seiner Stimme ein unverkennbarer amerikanischer Akzent mitschwingt, verstehe ich das deutsche Wort, an dessen Aussprache er sich in diesem Moment versucht. In derselben Sekunde nehme ich den leicht überraschten Blick des Mannes wahr, der sich von Theos Einwand ablenken lässt. Er in diesem Moment realisiere ich, dass mich Theo mit diesem Einwand rettet und als würde mir diese Erleichterung den Kopf säubern, fällt mir endlich ein, woher ich den unheimlichen Mann kenne. Er ist Biologielehrer an der Beacon Hill High School und schlagartig erinnere ich mich auch wieder an seinen Namen.
Garret Douglas.
Ich ziehe scharf die Luft ein und bin froh, dass meine Hand noch immer meinen Mund verdeckt und das verräterische Geräusch dämpft. Gleichzeitig lehne ich mich näher an die Schranktüre, sodass meine Stirn fest gegen das Holz gepresst wird und meine Wimpern die Kante des Spalts berühren. Die dunklen Ränder um mein Blickfeld verschwinden und ich habe einen guten Blick auf das Geschehen außerhalb meines Verstecks. Der Lehrer, Mr. Douglas, zeigt trotz Theos wissender Stimme keine Reaktion. Er steht noch immer vor dem geschlossenen Käfig und starrt den Ghostrider schweigend an. Stille. Theo erhebt nicht noch einmal die Stimme und ich glaube in seiner Haltung nicht nur die Angriffsbereitschaft zu sehen, sondern auch die Vorsicht gegenüber dem älteren Mann. Bei diesem nehme ich nun eine Bewegung wahr und schlagartig fällt mein Blick zurück auf ihn.
Er legt den Kopf erst nach links. Dann ruckartig nach rechts, bevor er sein Kinn streckt und ein leises Knacken ertönt. Ich kann sehen wie Theo überrascht in seine Richtung starrt, bevor er leise nach Luft schnappt. Weiterhin kann ich nur das Seitenprofil des Lehrers sehen und doch lässt mich Theos, fast schon panischer, Blick nicht los.
Und dann passiert alles ganz schnell. Mr. Douglas dreht sich gefährlich langsam zu ihm um. Theo setzt sich in Bewegung. Er stolpert wenige Schritte zurück, bevor er sich von dem Mann wegdreht und drauf und dran ist zu fliehen. Doch scheinbar hat sein Gegenüber das längst erwartet. Auch seine angespannten Muskeln setzten sich blitzschnell in Bewegung und mit einem sprunghaften Schritt setzt er dem Teenager nach. Ich schnappe erschrocken nach Luft und dieses Mal können meine Finger das zitternde Geräusch nicht überdecken. Doch in dieser Sekunde hat weder Theo noch Mr. Douglas die Aufmerksamkeit, die auch ein Werwolf braucht, um mich in diesem Moment hören zu können.
Ein gefährliches Knurren verlässt den Mund des Lehrers und mit einem großen Schritt hat er Theo eingeholt. Ich kann sehen, wie seine Hand nach vorne schellt und für wenige Sekunden fällt das Licht auf seine Finger, deren Fingernägel sich zu scharfen Krallen verwandelt haben. Mit einer kräftigen Bewegung rammt er sie in Theos Rücken und erschrocken schnappe ich nach Luft. Ich höre den schmerzerfüllten Schrei des Teenagers und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, als Mr. Douglas seine Kraft bündelt und Theo für wenige Sekunden vom Boden hebt. Seine Füße verlieren den Halt und ich kann nahezu höre, wie sich die scharfen Krallen des Mannes tiefer in Theos Haut bohren. Der Junge schnappt nach Luft. Zieht sie zwischen zusammengezogenen Zähnen ein und scheint sich Mühe zu geben, nicht noch einmal laut aufzuschreien und auch ich habe Probleme, meine zittrige Atmung leise zu halten. In meinem Arm hat sich ein verheißungsvolles Pulsieren ausgebreitet und ich kann spüren, wie sich die vernarbte Haut an meinem Unterarm zu dehnen beginnt.
„Zerstöre die Barriere," die kantige Stimme des Mannes dringt durch meine Angst zu mir durch und sein deutscher Akzent bohrt sich tief in meinen Kopf. Ich versuche ein panisches Aufschluchzen zu unterdrücken und beiße mir fest auf die Unterlippe. Ich möchte meinen Blick abwenden, doch schaffe es nicht mich von dem Bild zu lösen. Mr. Douglas zieht Theo mit einer ruckartigen Bewegung zurück vor den Käfig und für wenige Sekunden befürchte ich, dass er den Teenager zu Fall bringen könnte. Doch seine Krallen bleiben in Theos Rücken und so kann nur seine Haut den Schwung der Bewegung abfangen. Er schnappt nach Luft und obwohl ich in diesem Moment nur sein Seitenprofil sehen kann, kann ich die Schmerzen in seinem Gesicht ablesen. Ich möchte ihm automatisch zur Hilfe eilen, doch innerlich weiß ich, dass ich nicht gegen den kräftigen Lehrer ankommen kann und mit einem Eingriff nur mein eigenes Leben gefährden würde. Trotzdem fällt es mir schwer in meinem Versteck zu verharren, während Theo leidet.
„Zerstöre die Barriere," wiederholt Mr. Douglas in diesem Moment und unter seinem deutschen Akzent schwingt ein gefährliches Knurren mit, „Oder ich reiße dich in Stücke." Er schiebt den Jungen näher an den Käfig, in dem noch immer der Ghostrider steht. Jedoch bleibt er vor der schwarzen Asche stehen, die Theo erst vor wenigen Minuten selbst verstreut hatte, um einen weiteren Schutzfaktor zu haben. Jetzt jedoch presst Mr. Douglas Theo eng an die Barriere und ich kann sehen, wie der Junge kurz zögert. Die Krallen bohren sich noch immer in seinen Rücken und die Schmerzen müssen inzwischen unmenschlich sein. Die Wut des Lehrers überträgt sich auf seinen Griff und selbst aus dieser Entfernung kann ich sehen, wie sich die Finger auf Theos Schulter anspannen und Mr. Douglas einen weiteren schmerzhaften Druck auf ihn ausübt. Ganz zu Schweigen von der anderen Hand, deren Krallen sich noch immer tief in seinen oberen Rücken bohren.
„Tue es."
Die gehauchten Worte kommen lautlos über meine Lippen, die gefährlich zittern. Ich kann meinen Herzschlag laut in meinen Ohren wieder hallen hören, während meine Atmung nicht mehr als ein zittriges Luftholen ist. Meine Stirn wird noch immer gegen das Holz gepresst und das schmerzende Kribbeln in meinen Beinen hat schon längst aufgehört. Stattdessen hat die Taubheit meine Glieder erfasst und ich habe das Gefühl in meinen Füßen verloren. Trotzdem traue ich mir weiterhin nicht zu, mich zu bewegen. Stattdessen krallen sich meine Finger in meine Haut und der pulsierende Schmerz kämpft gegen das Adrenalin der Angst an, das droht meine erzwungene Bewegungslosigkeit zu gefährden.
In diesem Moment sehe ich, wie Theo sich in Bewegung setzt. Er schiebt seinen rechten Fuß zögerlich nach vorne und durchbricht mit seiner Schuhspitze die schwarze Asche. Ich kann hören wie er keuchend die Luft einzieht. Im selben Moment zieht Mr. Douglas den Jungen näher zu sich, bevor er ihn mit aller Kraft von sich wegstößt und ihm dieses Mal nicht in der Bewegung folgt. Die Krallen werden aus seinem Fleisch gezogen und Theo stolpert nach vorne. Die Wucht des Stoßes lässt sich nicht mehr anfangen und der Junge fällt. Er landet ungebremst auf dem Steinboden und ich kann hören wie er kurz davor ist schmerzhaft aufzuschreien. Er zieht die Luft ein. Stöhnt auf und ich kann nicht anders als mir fester auf die Unterlippe zu beißen. Eine heißt Flüssigkeit läuft in meinen Mund und die pulsierenden Schmerzen vermischen sich mit dem metallisch-süßen Geschmack auf meiner Zunge. Schwere Atemzüge. Ich sehe wie sich Theos Gesicht schmerzhaft verzieht. Er versucht sich aufzurichten, jedoch scheint ihm die Kraft zu fehlen. Er atmet erneut keuchend aus und ich kann den Blick nicht von ihm abwenden.
Jedoch ertönt in diesem Moment ein lauter Knall, in dem ein metallisches Kratzen mitschwingt. Mir fällt es schwer den Blick von Theo zu lösen, doch als auch noch seine Auge zurück zu dem Käfig schweifen, kann ich mich langsam von seinem Anblick lösen. Ich richte meinen Blick erst auf den Transformator, dann auf den Ghostrider und den metallischen Käfig. Mr Douglas steht davor und hält in den Händen die metallischen Überreste der Schiebetüre. Ich schlucke schwer als ich erkenne, dass er die metallischen Türen mit eigener Kraft aus der Verankerung gelöst haben muss. Unachtsam lässt er sie klirrend neben sich auf den Boden fallen, während er mit bedrohlichen Schritten den Käfig betritt. Dabei nähert er sich dem Ghostrider, der zu meiner Überraschung wenige Schritte vor dem großgewachsenen Mann zurückweicht.
„Es ist lange her," Mr. Douglas tritt weiter in den Käfig ein und dreht sich dabei langsam in meine Richtung. Ich erkenne den rötlichen Schimmer seiner Augen und drücke meine Zähne noch fester auf meine pulsierende Unterlippe. In der Zwischenzeit droht auch diese vor Schmerz ihr Gefühlsempfinden zu verlieren. Der Ghostrider greift nach seiner schwarzen Peitsche und voller Angst kneife ich die Augen zusammen. Ich höre, wie das Ende der Lederpeitsche auf den Boden fällt, bevor es mit einem Zischen durch die Luft segelt. Ich verstärke den Druck auf meine Lippe und spähe vorsichtig unter meinen Augenlieder hervor. Die Peitsche hat den jungen Mann nicht wie erwartet getroffen und ausgelöscht. Stattdessen hält Mr. Douglas das Leder fest in der Hand und ein überlegenes Lächeln hat sich auf sein angsteinflößendes Gesicht gelegt. Mit einer ruckartigen Bewegung zieht er den Ghostrider zu sich heran, bringt ihn zu Fall und hält ihn dort mit einem festen Kehlgriff fest. Ich schnappe nach Luft und kralle meine Finger noch fester in meine Haut. Das Pulsieren in meinem Arm ist stärker geworden und mit meinen Fingerkuppen kratze ich zwanghaft über die vernarnbte Haut an meinem Unterarm.
Dann hebt Mr. Douglas plötzlich den Kopf.
Ein hungriges Brüllen verlässt seine Kehle und der Schrei zeigt mir seine scharfen Reißzähne, die im einfallenden Licht bedrohlich glänzen. Ich sehe noch wie er sich nach vorne beugt und sich sein geöffneten Mund in Richtung des Ghostriders bewegt. Dann schließe ich voller Angst die Augen und höre nur noch das Knirschen von zerberstenden Knochen und den grausam hohen Schrei des sterbenden Ghostriders.
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