End

„Niemand zuhause," murmele ich leise vor mich hin, während Liam mit quietschenden Reifen davon fährt und Theo locker neben mir her schlendert. Ich habe das miese Gefühl eine schlechte Entscheidung getroffen zu haben. Nicht, weil ich Angst vor dem Jungen habe und auch nicht, weil ich befürchte, die Ghostrider könnten jede Sekunde auftauchen. Dafür ist der dunkle Himmel noch zu klar und der Schein des Mondes noch zu deutlich zu sehen. Trotzdem spüre ich das Zittern meiner Finger, das nervöse Kribbeln in meinem Bauch und den Ansturm an zweifelnden Gedanken in meinem Kopf. Ich hätte bei Liam bleiben sollen, um meinen Freunden zu helfen. Stattdessen habe ich mich dafür entschieden bei Theo zu bleiben. Ich werfe dem Jungen einen kurzen Blick.

Wieso?

Sein sportlicher Körper mit der schwarzen Kleidung hebt sich nur schwach von der dunklen Umgebung ab. Noch immer fallen ihm seine Haare umgemacht in die Stirn, obwohl er auf der Fahrt immer wieder mit der Hand durch sie gefahren ist. Er hat versucht sie zurück in ihre alte Position zu zwängen, was jedoch nichts geholfen hat. Stattdessen umrahmen sie nun sein Gesicht und lassen ihn einige Jahre jünger und vor allem verletzlicher wirken.
In der Zwischenzeit hat Theo problemlos den kleinen Ersatzschlüssel neben der Veranda gefunden und damit die Haustüre geöffnet. Er drückt die Türe auf und überlässt mir den Vortritt. Zögerlich folge ich seiner Einladung und trete langsam in das verlassene Haus ein, dass in der Stille der Nacht ungewohnt ruhig wirkt.

Urplötzlich schaltet sich das Licht ein und erschrocken zucke ich zusammen. Mein rasender Herzschlag beruhigt sich erst, als ich mich umdrehe und Theos Hand auf dem Lichtschalter liegen sehe. Er hat meinen nervösen Blick bemerkt, scheint sich dazu jedoch nicht äußern zu wollen. Stattdessen schlüpft er aus seiner Strickjacke, die den Schmutz und den Geruch der Gefängniszelle in sich aufgezogen hat, und wirft sie unachtsam über das Treppengeländer. Anschließend drückt er sich an mir vorbei und läuft mit entspannter Haltung in das Wohnzimmer. Ich bin verwundert darüber, dass er sich so heimisch fühlt. Trotzdem folge ich ihm bis in die Küche. Meine Jacke behalte ich dabei im Gegensatz zu ihm jedoch an.

„Möchtest du etwas trinken?"
Ich verneine die Frage mit einem kurzen Kopfschütteln und beobachte den Teenager aufmerksam dabei, wie er sich ein Glas Wasser einschenkt. Gleichzeitig stütze ich meine Arme auf der Küchentheke auf und räuspere mich. „Warum bist du noch hier?" Überrascht von meiner Frage zieht der Junge seine Augenbrauen hoch und stoppt das Glas nur wenige Zentimeter vor seinen Lippen. Er wirft mir einen fragenden Blick zu, bevor er das halbvolle Glas mit einem Seufzen zurück auf die Platte stellt. „Warum sollte ich gehen?" „Die Ghostrider haben es auf jeden von uns abgesehen und du hast offensichtlich keine Interesse daran Beacon Hills zu retten," ich schüttele kurz den Kopf, bevor ich meine Sicht der Dinge weiter erkläre: „außerdem hat Liam dieses Schwert zerstört. Du kannst gehen wann immer du willst." Ich sehe wie er den Kopf leicht schräg legt, als würde er über meine Worte nachdenken. Dann nickt er leicht, bevor er erwidernd einwendet: „Aber dann hättest du niemanden der dir bei deinem Problem hilft."

Überrascht von dieser Aussage ziehe ich die Augenbrauen nach oben. Ich verschränke die Arme vor der Brust und mustere den Jungen, der in diesem Moment erneut nach seinem Glas greift und einen großen Schluck daraus trinkt. Ich warte bis er das Glas erneut auf der Theke abgestellt hat, bevor ich seinen Blick suche und selbstbewusst einwende: „Mach mir nichts vor," ich lasse meine Augen bewusst auf seinem Gesicht liegen, „Du tust das alles nicht für mich." Theo erwidert meinen Blick. Dann lehnt er sich leicht nach vorne, über die Küchentheke, zu mir. Er stützt seine Hände auf der Platte ab und schaut mich mit einem ernsten Blick an. „Und wenn doch?" Seine Frage scheint rhetorisch und ich erkenne, wie sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen bildet, „Was, wenn wir beide uns ähnlicher sind, als du dir eingestehen möchtest?"

Mit diesen Worten weicht er von mir zurück. Mit seinen Händen greift er nach dem Wasserglas, bevor er sich von der Theke löst und mit gemütlichen Schritten die Küche verlässt. Fassungslos starre ich ihm nach, bevor auch wieder in mich Bewegung kommt und ich ihm mit schnellen Schritten in das dunkle Wohnzimmer folge. Theo hat sich nicht die Mühe gemacht das Licht einzuschalten und nur weil ich das Haus in und auswendig kenne, kann ich verhindern beim Eintreten über irgendwelche dunklen Möbel zu stolpern. Ich bleibe in der Mitte des Raumes stehen und lasse meinen Blick suchend durch das Zimmer schweifen. Theo hat sich vor eins der breiten Fenster gestellt und das Gesicht in Richtung des Mondes gedreht. Er hat die Arme hinter dem Rücken verschränkt und alles was ich in diesem Moment von ihm sehen kann ist sein Hinterkopf und sein breiter Rücken.

„Was meinst du damit?"
Die ungläubige Frage rutscht mir unbedacht über die Lippen und nur wenige Sekunden später beiße ich mir innerlich fluchend auf die Unterlippe. „Charley, Charley, Charley," der Junge schüttelt gespielt enttäuscht den Kopf, „Ich bitte dich. Erkennst du denn nicht die Parallelen zwischen uns?" Mit einer langsamen Bewegung dreht er sich zu uns um und mustert mich mit einem langen Blick. Ich spüre einen eiskalten Schauer über meinen Rücken fahren und schlinge meine Arme um meinen Oberkörper. Eine Gänsehaut hat sich trotz meiner Jacke auf meine Oberarme gelegt und ich schlucke schwer, als der wartende Blick von Theo droht, mich zu Boden zu ziehen „Welche...," ich schlucke schwer und hole zitternd Luft, „Welche Parallelen?"

Ich kann hören wie der Junge leise auflacht, auch wenn die Dunkelheit die Bewegungen in seinem Gesicht vollständig verstecken. „Du lügst deine Freunde an," ich öffne den Mund um ihm zu widersprechen, doch in derselben Sekunde wird mir bewusst, dass er die Wahrheit sagt, „Versuchst sie um jeden Preis von dir zu überzeugen," er macht einen Schritt auf mich zu und tritt somit etwas weiter ins Licht des Mondes. Dadurch erkenne ich in diesem Moment auch seine Hand, mit der die aufgezählten Punkte mit den Fingern demonstrativ abzählt. „Du hast deine Familie verloren," er zeigt einen dritten Finger, bevor sich auf seinem Gesicht ein schiefes Grinsen breit macht und er weiterspricht, „Und du hast deinen eigenen Bruder getötet."

Bei diesem Worten klappt mir der Kinnladen herunter. Fassungslos starre ich den Jungen vor mir an und versuche in meinem pulsierenden Kopf sinnvolle Worte zu finden um ihm zu widersprechen. Doch seine Anschuldigung hat ein Chaos an Gedanken in meinem Kopf hinterlassen und ich kann nicht anders als ihn ungläubig anzustarren.

„Du versuchst es zu leugnen," er schenkt mir ein amüsiertes Grinsen, „Und das ist eine weitere Parallele zwischen uns." In der Zwischenzeit hat er fünf Finger ausgestreckt und ich kann das Blut laut in meinen Ohren rauschen hören. „Ich...," meine Stimme zittert und vor Wut, balle ich meine Finger zu Fäusten, „Ich...ich habe niemanden umgebracht." Ich spüre ein unangenehmes Ziehen in meinem Kehlkopf und den brennenden Druck, der sich auf meine Augen legt. Ich spüre die aufsteigenden Tränen, gemischt mit einer wütenden Verzweiflung. Ich möchte Theo anschreien, ihm sagen, dass er lügt, doch meine Stimme zittert und die Tränen in meinen Augen schnüren mir die Kehle zu.

„Es war ein Unfall, richtig?"
Ich atme zittrig aus. Ein nasser Schleier legt sich über meine Augen und als ich meine Augenlieder langsam schließe, löst sich eine einzelne Träne aus meinem Augenwinkel. Sie läuft mir brennend heiß über das Gesicht und langsam balle ich meine Hände zu Fäusten. „Trotzdem hast du etwas damit zu tun," Theo kommt näher und wütend funkele ich ihn, „Ansonsten wäre er jetzt nicht wieder am Leben." Ich möchte Theo in seiner Theorie nicht noch bestärken. Ich möchte ihn anschreien, ihm das Gegenteil beweisen. Jedoch wäre all das eine Lüge. Denn auch ich habe schon längst darüber nachgedacht, warum Clay gerade jetzt wieder am Leben ist. Warum er am Leben ist, wenn ich es nicht mehr bin.

„Es...es...," meine Stimme bricht und das Zittern meiner Muskeln wird stärker. Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an und die Tränen laufen mir inzwischen ohne Ende über das Gesicht. Ich spüre die heißen Spuren die sie auf meinen Wangen hinterlassen und das unangenehme Brennen in meinen müden Augen. Auch wenn ich mich selbst nicht sehen kann, weiß ich, dass meine Augen durch die Tränen inzwischen rot angeschwollen sind und das Kribbeln in meiner Nase kündigt bereits das salzige Nass an, das sich beim Weinen einen Weg durch meine Nase sucht. Gleichzeitig klebt ein salziger Geschmack auf meinen Lippen und meine Haare kleben mir strähnig im Gesicht.

Vielleicht hat Theo recht.
Vielleicht ist Clay am Leben, weil ich es nicht mehr bin.

Meine Beine geben nach.
Langsam sinke ich auf den harten Fußboden und verberge mein tränennasses Gesicht in meinen zitternden Händen. Ich könnte an dem Tod meines eigenen Bruders Schuld sein. Somit wäre ich keinen Deut besser als Theo. Ich schluchze bei dieser Erkenntnis leise auf und presse meine Hände fester auf mein Gesicht. Die Tränen brennen in meinen Augen, meiner Nase und meinem Hals. Ich kriege kaum noch Luft und der Druck auf meiner Brust lässt mich nur noch mit Mühe und Not ausatmen. Kraftlos sinke ich in mir zusammen und nur das Sofa, an dass ich mich in diesem Moment lehne, verhindert dass ich nach hinten kippe. Ich ziehe meine zitternden Beine an meinen kraftlosen Körper. Schlinge meine Arme um sie und presse mein tränennasses Gesicht auf meine Knie.

Was wenn ich Clay tatsächlich getötet habe?
Was wenn ich daran Schuld bin, dass er genau in diesem Moment in das Auto gestiegen und losgefahren ist?
Was wenn ich Schuld an seinem Tod bin und es all' die Jahre noch nicht einmal gewusst hatte?

Plötzlich spüre ich eine Bewegung neben mir. Theo lässt sich seufzend neben mir nieder. Beim Hinsetzen streifen seine Klamotten meine und ich spüre die Körperwärme, die er nur bei dieser Bewegung auf mich ausübt. Er sitzt so dich neben mir, dass sich unsere Schultern berühren und ich kann hören wie er sich unruhig durch die Haare fährt.

„Tara," er spricht so leise, dass ich seine Worte während meinem leisen Schluchzen fast überhört, „Meine Schwester," er macht erneut eine nachdenkliche Sprechpause und langsam hebe ich meinen Blick. Strähnen kleben mir störend im Gesicht und das Zittern meiner Muskeln hat noch immer nicht nachgelassen. Meine Schultern beben und ich spüre wie sich meine Muskeln verkrampfen. Ich werfe dem Jungen einen tränenverschleierten Blick zu und bemerke, dass er seine Augen nachdenklich geradeaus richtet und dabei in die Dunkelheit starrt. Er hat die Beine ausgestreckt und seine Hände auf seinem Schoß platziert. Obwohl ich es bisher noch nie bei ihm gesehen habe, bemerke ich in diesem Moment auch, dass er unterbewusst damit angefangen hat, an der Haut neben seinen Nägeln zu knibbeln. Ich lasse meine Augen von seinem Körper zu seinem Gesicht schweifen und starre ihn schweigend an. Im ersten Moment glaube ich, auf eine Reflexion des Mondlichtes hereinzufallen. Seine Lippen beben. Doch dann tuen sie es immer länger und ich kann nicht glauben, dass er tatsächlich die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren scheint.

„Stiles hat dir nur einen Teil der Geschichte erzählt. Tara...," er bricht ab und holt tief Luft, „Bei ihr war es auch ein Unfall, weist du?" Er nickt leicht und jetzt sehe ich auch bei ihm wie sich ein wässriger Schimmer über seine Augen legt. Ich schüttele langsam den Kopf, auch wenn Theo meine Antwort weder zu erwarten noch zu bemerken scheint. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie sich seine Finger ineinander graben und sich sein Kiefer anspannt. Dann holt er erneut tief Luft und schließt für wenige Sekunden die Augen.

„Ich," er zögert kurz, bevor er mit einer tränenerstickten Stimme weiterspricht, „Ich wollte nur das sie stirbt."

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Fun Fakt?
Eigentlich sollte der letzte Satz „ich wollte nie das sie stirb" heißen aber meine Autokorrektur hat aus dem nie automatisch ein nur gemacht und ich fand es ganz passend. Warum werdet ihr im nächsten Kapitel erfahren...

Lg CoolerBenutzername
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