D R E I . E I N S
Schweißgebadet fuhr Lumiel hoch, grub zitternd ihre Hände in die dünnen Laken, in welche sie sich erst vor wenigen Stunden gewickelt hatte, die sie wie ein schützendes Schild umgaben. Ein lautes Klirren ließ sie zusammenzucken, das selbe Klirren, welches sie aufgeweckt hatte.
Ein eisiger Windzug, der durch ihr Zimmer peitschte, ließ sie erzittern und verwirrt richtete sich ihr Blick zu ihren Fenstern. Erneut ertönte das Klirren, als das offenstehende Fenster durch den herein wehenden Wind wieder gegen die eisernen Rahmen schepperte. Eilig schritt sie auf nackten Sohlen über den kalten Boden, schloss das eiserne, schwere Fenster und verriegelte es.
Sie blickte hinaus in die tiefschwarze Nacht, welche lediglich durch den Mond erhellt wurde. Das Gebirge, welches sich nicht weit vor der Stadt erstreckte, wurde in einen weißen, silbrigen Glanz getaucht, war überzogen von Baumgruppen, welche stetig ihre Blätter verloren, und sich gemächlich im Wind bewegten.
Seufzend wandte sie sich ab, rieb sich mit den Fingern über ihr Gesicht, um die nach ihr greifende Müdigkeit loszuwerden. Nach diesem Traum würde sie in dieser Nacht keineswegs noch ein Auge schließen. – Nicht, nachdem sie gesehen, erneut miterlebt hatte, wie der tote, leblose Körper ihrer Mutter am Ende des Hanges lag, auf welchem sie nur kurz zuvor noch als kleines Kind spielte.
Es war bereits Jahre her und dennoch konnte sie diesen Anblick nicht vergessen. Das würde sie nie. Ebenso wenig wie die Blicke ihres Vaters oder Bruders, als diese es erfahren hatten.
Schon oft hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, was der wirkliche Grund für den Tod ihrer Mutter war. Ob sie womöglich auf den glitschigen Steinen des Hanges ausgerutscht war oder eben auch nicht.
Sie hatte Lumiel damals in weiser Voraussicht nur wenige Minuten vorher nach Hause, zurück ins Schloss geschickt, da sich in der Ferne ein Sturm aufgebraut hatte, meinte, nur eben Etwas nachsehen zu wollen. Lumiel hatte allerdings auf halbem Weg gewartet, sich vor dem Waldstück, welches sie durchqueren musste, gefürchtet, was ihr im Nachhinein ziemlich lächerlich erschien, schließlich müsste sich alles im Wald Lebende vor ihr fürchten. – Als Wolf stand sie am Ende der Nahrungskette.
Also war sie umgekehrt, suchte nach ihrer Mutter. Und fand sie.
Ihr Vater stellte sich nicht lange die Frage, was der Grund für den Tod seiner Frau, seiner Gefährtin war. Für ihn war es glasklar, dass Lumiel Etwas damit zu tun hatte, dass sie Schuld an dem Geschehenen hatte.
Somit trug Lumiel seit diesem Tag die Verantwortung für den Tod seiner geliebten Frau, sorgte dafür, dass er zu einem gebrochenen Mann wurde, und jeder in diesem Land wusste davon. Jeder hatte davon gehört, wie das kleine Mädchen ihre Mutter zum Stolpern brachte, diese den Hang hinunterrutschte und sich das Genick an einem der herausragenden Felsen brach. Jeder wusste, dass sie dafür gesorgt hatte, dass ihr König, ihr Alpha, sich in die einzige Sache vernarrte, die ihm blieb, die ihm Halt gab. – Einen Weg zu finden, um den Fluch Soleris' zu brechen, den Wunsch seiner einstigen Frau zu erfüllen, und das ohne dabei Rücksicht auf mögliche Verluste zu nehmen.
Seufzend schlüpfte Lumiel in ihre Schuhe, zog sich einen dünnen Morgenmantel über und verließ ihr Zimmer. Auf den Gängen war es still, schließlich war es mitten in der Nacht, lediglich die vereinzelt an den Wänden hängenden Fackeln spendeten ein wenig Licht. Ihr Hals schrie förmlich nach einem Glas kühlen Wasser, während sie leise eine der Treppen hinunter schritt, welche sie zur Schlossküche bringen würden.
Sie hatte nur noch eine weitere Etage vor sich, als sie plötzlich leise Stimmen vernahm und innehielt. Überrascht und verwirrt darüber, dass zu dieser Uhrzeit noch jemand wach war, ging sie zögernd die zwei Treppenstufen wieder hinauf, um in den Gang zu gelangen, aus welchem die Geräusche kamen.
Ihre Stirn runzelte sich leicht, als sie bemerkte, dass in diesem Teil des Schlosses unter Anderem einige ihrer derzeitigen Gäste untergebracht waren und augenblicklich wurde ihr bewusst, wie töricht es war, dem Ursprung der Stimmen nachgehen zu wollen. – Schließlich waren es besonders jene Dinge, die nicht für die eigenen Ohren bestimmt waren, welche einen am ehestens ins Verderben stürzen würden.
Dennoch konnte sie dem Drang nicht widerstehen und ging entgegen all ihrer Instinkte auf leisen Sohlen weiter, folgte den immer klarer werdenden Stimmen.
Als sie einen dünnen Lichtschein vernahm, welcher durch einen schmalen Spalt zwischen Tür und Wand hindurchfiel, blieb sie, dicht an die Wand gepresst, stehen.
Lumiel hielt den Atem an, aus Angst, dass sie jemand erwischen würde, ihr Herz pochte so stark gegen ihren Brustkorb, dass sie glaubte, das Pochen im Echo der Wände widerhallen zu hören und im selben Augenblick verfluchte sie sich selbst für ihre unersättliche Neugier.
»Ezra, hör zu,« vernahm sie eine dunkle, aufgebrachte Stimme, musste nicht lange überlegen, wer die männliche Person war, die gerade sprach. – Der Schauer, welcher sich im selben Moment über ihre Arme, ihren Rücken zog, bestätigte ihren ersten Gedanken an sturmgraue Augen direkt.
Angespannt schluckte sie den Kloß in ihrem Hals runter, stieß zittrig, flach die Luft aus ihren Lungen.
»ich verspreche dir, dass Nichts schiefgehen wird. Wenn du ihm nicht vertraust, dann vertrau' bitte mir. Sag mir, habe ich dir jemals einen Anlass dazu gegeben, mir nicht vertrauen zu können?« Eisig hing die Frage in der Luft, zwang einen förmlich dazu eine Antwort zu geben, doch diese kam nicht – wenn doch, dann nur lautlos.
»Gut.« sprach er weiter, klang wesentlich beruhigter. »Dann sei bitte unbesorgt, Alles wird seinen geplanten Weg gehen, Ezra. Verhalt' dich einfach so unauffällig wie möglich, dann wird auch nichts Unvorhergesehenes geschehen.«
Inzwischen ging Lumiels Atem unfassbar schnell, keineswegs mehr zittrig, mit jeder Sekunde wurde ihr bewusster, dass dieses Gespräch definitiv nicht dazu bestimmt war, von jemand anderem gehört zu werden.
Sie vernahm das dunkle Geräusch, welches ertönte, sobald man ein volles Glas auf Holz abstellte und entfernte sich schnell von der Wand, wendete sich dem Gang erneut Richtung Treppe zu.
Eine Hand auf ihrer Schulter hielt sie von ihrem Plan ab, möglichst schnell, ungesehen zu verschwinden. Die Finger umschlossen unsanft ihre Schulter, zogen sie vehement zurück.
Ertappt drehte sie sich um, versuchte möglichst überrascht zu wirken, doch insgeheim wusste sie, dass sie dabei kläglich scheiterte.
Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, welches von der Mutter bei irgendwelchen Dummheiten erwischt wurde, als sie zu dem jungen Mann hinaufschaute, welcher sie aus verengten Augen anschaute.
Amons Körper war bis auf die letzte Faser angespannt, er war unfassbar wütend, allerdings spürte er auch einen winzigen Funken Furcht. Furcht davor, was das Mädchen vor ihm gehört hatte. Furcht davor, dass der Plan seines Vaters durch seine Unachtsamkeit zum Scheitern verurteilt war.
»Was habt Ihr hier zu suchen?«, knurrte er leise und Lumiels Gedanken drifteten automatisch zu ihrem Gespräch am vergangenen Abend, welches ähnlich begonnen hatte. Sie musste sich dringend davor hüten, durch ihre Neugier und Unachtsamkeit in solche unangenehmen Situationen zu gelangen.
Sie räusperte sich leise, schaute ihm direkt in die Augen, in denen ein Sturm aus Emotionen wirbelte. – In ihnen konnte Lumiel erstaunlicherweise wie aus einem Buch jedes einzelne seiner Gefühle lesen.
»Ich bin auf dem Weg in die Küche, um mir etwas zu Trinken zu holen.«, erwiderte sie nach kurzem Zögern, zu ihrem eigenen Glück klang ihre Stimme brüchig und rau, als wäre ihr Hals unsäglich trocken.
Seine Augenbrauen zogen sich nachdenklich, beinahe ungläubig zusammen, ehe er zaghaft nickte und tief Luft holte.
»Ich begleite Euch.«, meinte er und ging den Gang zur Treppe entlang. Verwirrt schaute sie ihm hinterher, war maßlos überfordert davon, dass er ihr wirklich glaubte, folgte ihm dann aber eilig.
»Das ist wirklich nicht nötig.«, erwiderte Lumiel, ihre Stimme erschien ihr plötzlich unglaublich hoch, und zog ihn an der Hand zurück, schnappte überrascht nach Luft und ließ sie im selben Augenblick wieder los. »Ich finde den Weg schon allein.«, ergänzte sie, vernahm, wie ihre Wangen sich erhitzten, was er zu ihrer Erleichterung durch die Dunkelheit nicht sehen konnte. Sie ignorierte das abklingende Kribbeln in ihrer Hand, welches sie wie Blitze durchzogen hatte, als hätte sie sich durch eine alleinige Berührung mit seiner Haut verbrannt. Ein Blick auf den jungen Mann vor ihr, ließ sie vermuten, dass dieses Kribbeln keineswegs einseitig war.
Ohne lange zu Zögern lief sie an ihm vorbei, nutzte die Zeit, in welcher er gedankenverloren jene Hand musterte, welche Lumiel kurz zuvor noch berührt hatte.
Tief in ihrem Inneren beruhigte sie der Gedanke, dass sie nicht als Einzige verblüfft über diese Reaktion ihres Körpers war, dass nicht nur ihr es derartig erging.
Sie rannte beinahe die Treppen hinunter, hatte Angst davor, dass er ihr folgen würde, dass er doch noch herausfinden würde, dass sie gelauscht hatte.
Ein kurzer Blick in die Küche verriet ihr, dass sie allein war, woraufhin sie sich ein Glas aus einem der Schränke herausnahm, es mit Wasser füllte und gierig austrank. Augenblicklich hatte Lumiel das Gefühl, ihre brennend warmen Wangen würden abkühlen, weshalb sie das Glas erneut komplett füllte und daraus trank.
Kurz lauschte sie, ob er ihr womöglich doch gefolgt, war, ehe sie näher an eines der großen Fenster trat, das Glas abstellte und zum Mond hinaufsah. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Vollmond war, bis sie einen weiteren Monat verbracht hatten, in dem der Fluch auf ihnen lastete.
Sie seufzte leise, wandte sich ab und taumelte einen Schritt zurück, als er plötzlich wieder direkt vor ihr stand.
War sie etwa vor leichtsinniger Erleichterung so unaufmerksam gewesen, dass sie ihn nicht hatte kommen hören?
»Shhht.«, hauchte er leise, ging einen kleinen Schritt auf sie zu, und legte ihr mit einer beruhigenden Geste die Hand auf ihren rechten Oberarm. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie unkontrolliert ihr eigener Atem ging, wie sehr sie hyperventilierte, bis sie die von ihm ausgehende Ruhe verspürte, welche sich wie ein federleichter Schleier über sie legte.
Allmählich bekam sie Kopfschmerzen von den Ereignissen dieser Nacht, so wirr waren ihre eigenen Gedanken und Gefühle.
»Wollt Ihr vielleicht kurz an die frische Luft?« Die Frage riss sie aus ihren vernebelten Gedanken und ehe sie weiter darüber nachdachte, nickte Lumiel hastig.
Noch immer leicht benommen folgte sie ihm durch einen der Gänge auf direktem Weg nach draußen, vernahm die Konturen ihrer Umgebung nur wage als verschwommene Schatten.
Als würde ihr der Sauerstoff in wenigen Sekunden ausgehen, schnappte sie eilig einige Male nach Luft, sobald sie durch eine der Hintertüren des Schlosses hinausgestürmt war.
Die kühle Luft ließ sie leicht erzittern, während ihre Gedanken mit jedem Atemzug immer klarer wurden. Lumiel spürte seinen brennenden Blick auf sich ruhen, wagte es allerdings nicht, ihn anzuschauen. Lediglich aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, dass er sie nachdenklich musterte, wohingegen sie starr nach vorne zum Wald schaute, welcher sich wie eine dunkle Wand wenige Meter vor ihnen erstreckte.
Still genoss Lumiel die Ruhe, die zwischen ihnen beiden entstanden war, als er sich plötzlich leise räusperte. Mit einer knappen, auffordernden Geste deutete er Richtung Wald und ging voran.
Zögerlich folgte sie ihm, hatte sich mittlerweile wieder vollständig beruhigt.
Dünne Nebelschwaden drangen durch den vielen Regen des vorherigen Tages aus dem Wald, sorgten zusammen mit dem Mondschein für eine mystische, ruhige Atmosphäre.
Tief in ihr verspürte sie den Drang, herauszufinden, was es mit diesem Mann auf sich hatte, wieso er eine solche Wirkung auf sie hatte, was auch der Grund dafür war, wieso sie ihm folgte.
Sie gingen einige Zeit stumm, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, durch den Wald, folgten einem winzigen Trampelpfad. Verwirrt überlegte Lumiel, was das Ziel des Mannes vor ihr war, schließlich kannte er sich hier nicht aus, als er plötzlich langsamer wurde und sie somit zu ihm aufholen konnte.
Zaghaft lächelte sie, als sie eine Lichtung mit einem kleinen See in der Mitte, vor sich sah. Augenblicklich musste sie daran denken, wie ihre Mutter früher mit Ciel und ihr hierhergekommen war, ihnen Geschichten vorgelesen oder aus alten Zeiten, von dem früheren Soleris, so wie sie es nie kennengelernt hat, erzählt hatte.
Seit dem Tod ihrer Mutter war sie nicht mehr hier gewesen, was nicht zuletzt daran lag, dass jene Orte, an denen sie mit ihrer Mutter soviel Zeit verbrachte, sie unglaublich schmerzten, sie jede Sekunde an ihren eigenen Verlust erinnerten.
»Es ist unfassbar schön hier, oder? Wir sind auf unserem Herweg hier entlanggekommen.«, flüsterte er leise, weshalb Lumiel ihn überrascht anschaute. Das würde bedeuten, dass sie abseits der Straßen angereist, sondern den kompletten Weg über das Gebirge, welches sie umgab, durch den Wald gegangen waren.
Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass er und jeder andere aus seinem Rudel jene Sache tun konnte, nach welcher sie sich, insgeheim seitdem sie denken konnte, sehnte. – In der physischen Gestalt eines Wolfes durch die endlosen Tiefen der Wälder zu streifen.
»Es ist wirklich wunderschön.«, hauchte sie leise, als ihr auffiel, dass sie bisher keine Reaktion von sich gegeben hatte und spürte erneut seinen brennenden Blick auf sich.
Sie ging näher an den See heran, hörte, wie er ihr mit einem kleinen Abstand folgte, und betrachtete die Spiegelung des zunehmenden Mondes.
»Wer ist Ezra?«, schoss urplötzlich die Frage aus ihr heraus, welche sie sich bereits die gesamte Zeit stellte, als er neben ihr zum Stehen kam, und schaute ihn an. Sichtlich überrascht zog er eine Augenbraue hoch, verengte leicht die Augen und Lumiel wurde urplötzlich bewusst, dass sie durch diese Frage insgeheim doch zugegeben hatte, zumindest einen winzigen Teil des Gespräches gehört zu haben.
Unsicher wich sie seinem Blick aus, knabberte verlegen an ihrer Unterlippe. Ihre Hände wurden leicht schwitzig, ein eiskalter Schauer zog sich ihren Rücken hinab, wobei ihr auffiel, dass sie noch immer nur ihren dünnen Morgenmantel trug.
»Ezra ist mein kleiner Bruder.«, seufzte er leise, woraufhin ihr Blick sofort wieder zu ihm schoss. Vor ihrem inneren Auge ging sie die Personen von der Versammlung am Morgen durch, versuchte sich an jemanden zu erinnern, der dem Mann vor ihr ähnlich sah, doch war ihr niemand aufgefallen.
Sein rechter Mundwinkel zuckte leicht nach oben, als er ihren nachdenklichen Blick bemerkte. »Er war heute morgen zu erschöpft von der Reise und hat deshalb nicht an der Versammlung teilgenommen. Morgen solltet Ihr ihn kennenlernen.«, fügte er hinzu, weshalb sie verstehend nickte.
»Habt Ihr sonst noch Etwas von dem Gespräch mitbekommen?«, hakte der junge Mann erneut nach und Lumiel meinte kurz einen winzigen Hauch von Furcht in seinen Augen zu sehen. Dieser verschwand allerdings so schnell wieder, wie er gekommen war.
Ihr entging nicht, wie angespannt er plötzlich wirkte, als sie kurz zum Wald schaute, sicher gehen wollte, dass ihnen niemand gefolgt war, ehe sie langsam den Kopf schüttelte.
»Ich habe nicht gelauscht, falls ihr das denkt, Mister Delune.«, erwiderte sie und zu ihrer eigenen Überraschung glitt ihr diese Lüge selbstsicher, beinahe distanziert und kalt über die Lippen.
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Hiii,
in der Gesamtheit wäre das Kapitel way too long für Wattpad (wäre denke ich unangenehm auf dem Handy/Laptop zu lesen). Daher hab ich es einfach mal zweigeteilt. Ist also ein Sinnabschnitt, einfach in zwei Teil aufgeteilt.
Liebe Grüße ✨
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