Wach auf!

Gewidmet Rickelmann885, von dem dieser Prompt stammt und dessen Story dazu mir auch sehr gut gefällt.

Mal wieder ein Schreibwettbewerb mit Prompt. Dieser hat es echt in sich:

Ihr verlasst eines Tages euer Haus (Wohnort Nachtlager...). Irgendwas erscheint euch komisch, doch nach und nach verstärkt sich das Gefühl und schließlich fallen euch immer mehr komische Dinge auf.

Bis euch plötzlich klar wird was geschehen ist. Und euch schockiert.

Nicht nur der Prompt hat unglaubliches Potential, sondern auch die anderen Storys, die ich dazu gelesen habe. Hier nun ist meine Version:

Ich öffne die Augen und erblicke einen leuchtendblauen, mit wenigen Wölkchen betupften Himmel über mir. Die Sonne ist trüb und ohne jede Leuchtkraft und um sie herum schweben eine Ju-52, eine Antonow „Mrija" und eine Mi-26.

Einen Moment lang bin ich desorientiert. Dann begreife ich, dass ich in meinem Zimmer bin. Die Decke habe ich selbst himmelblau gemalt und mit weißen Wölkchen versehen, die Sonne strahlt nicht, weil meine sonnenförmige Deckenlampe ausgeschaltet ist und die beiden Flugzeuge sowie der Hubschrauber sind Modelle, die ich selbst zusammengebaut habe.

Soweit also alles wie immer. Nur habe ich das Gefühl, dass eben nicht alles wie immer sein sollte. Keine Ahnung, woher dieses Gefühl kommt.

Egal, ich muss zur Schule. Ein Blick auf den Wecker, den ich mal wieder überhört habe, verrät mir, dass ich kaum noch Zeit habe. Komisch, dass mich Mama noch nicht gerufen hat, aber vielleicht hat sie auch verpennt.

Waschen fällt flach. Ich schlüpfe in Windeseile in meine Sachen, greife nach der vorbereiteten Tasche und sause in die Küche. Mein Morgenkaffee steht bereit, ist aber schon kalt und eine gefüllte Brotbox liegt auf dem Tisch. Von Mama keine Spur. Sonst steht sie doch immer parat, bis ich das Haus verlassen habe.

Ich stürze den Kaffee herunter, packe die Box in meine Tasche und gehe in den Flur. „Mama? Ich gehe jetzt!"

Von irgendwoher über mir kommt ihre Antwort: „Wie sind seine Chancen?"

Keine Ahnung, wonach sie fragt. Und wieso kommt ihre Stimme von oben? Wir leben in einem Bungalow. Aber ich habe jetzt keine Zeit für Rätsel.

Ich öffne die Haustür und erwarte eigentlich, die zweispurige Straße, die Häuser gegenüber und die Bushaltestelle in 50 Meter Entfernung zu sehen. Stattdessen blicke ich direkt auf die blaue Front und das schwarzsilberne Logo eines MAN-Trucks, der auf mich zukommt.


Was zur Hölle?!?

Ich versinke in Dunkelheit. Schwebe im Nichts.

Erneut öffne ich die Augen. Und sehe den gemalten Himmel über mir. Diesmal ist das Licht an und die künstliche Sonne beleuchtet die drei Modelle, die im Luftzug schwanken.

Oh, ich verstehe. Das ist ein Traum gewesen. Sowas passiert mir öfters. Ich träume, ich sei bereits aufgestanden und bereit für die Schule und wenn mich Mama dann wachrüttelt, bin ich jedes Mal maßlos erstaunt, dass ich noch immer im Bett liege.

Ok, auf ein Neues. Blick auf den Wecker – hui, so spät ist es ja noch gar nicht. Diesmal habe ich Zeit für eine schnelle Dusche und komme mit noch feuchten Haaren in die Küche.

Mama holt gerade eine Tasse aus der Mikrowelle und stellt sie mir hin. Ich habe bereits einige Schlucke genommen, als mir aufgeht, dass es sich um Kakao handelt statt um Kaffee. Ich trinke seit zwei Jahren keinen Kakao mehr.

„Warum machst du heute Kakao?", frage ich.

„Bitte, Simon, wach doch auf", erwidert sie. Ihre Stimme klingt nicht genervt, wie sonst, wenn sie mich weckt, sondern flehend und irgendwie verzweifelt.

Verärgert stelle ich den Kakao ab. „Ich bin wach! Mit Kaffee allerdings wäre ich noch etwas wacher!" Egal, zum Streiten ist keine Zeit und ich hab auch keine Lust drauf. Wieder öffne ich die Haustür.

Ein silberner Löwe stürmt auf mich zu. Viel zu schnell zum Ausweichen. Er rast voll in mich hinein.

Wieder schwebe ich in zeitloser Dunkelheit.

Habe ich gerade ernsthaft geträumt, dass ich träume und aufwache? Verrückt, einfach nur verrückt ...

Und wieder öffne ich die Augen. Diesmal hoffentlich wirklich.

Über mir schaukeln drei Flugzeugmodelle um eine strahlende Sonne an einem wolkenlosen Himmel. Die Fäden, an denen sie hängen, reichen weit in die Höhe. Flüchtig frage ich mich, ob ein höheres Wesen mit ihnen spielt.

Aber dafür ist keine Zeit. Eine Matheklausur steht heute an und ich will nicht zu spät kommen. Mein Abi kann ich zwar nicht mehr vermasseln, aber ich will es so gut wie möglich abschließen. Irgendwann will ich die Möglichkeit haben, echte Flugzeuge zu bauen und dazu muss ich sehr gute Noten vorweisen können.

Katzenwäsche, anziehen, Tasche schnappen, ab in die Küche. Zwei Tassen Kaffee stehen auf dem Tisch bereit und Mama streicht gerade einige Brote und belegt sie mit Salami.

„Du bist einfach die Beste!" Ich packe die Brote ein und nehme einige Schlucke von meinem Kaffee. Erst als ich ihn absetze, fällt mir ein, dass ich keine Salami mag. Und Mama weiß das.

Was solls. Ich werde mich jetzt nicht als undankbar erweisen und an Salami stirbt man ja nicht.

Mama setzt ihre eigene Tasse an die Lippen, lässt sie jedoch fallen. Plötzlich sind überall Scherben. Und ich liege dazwischen.

Bruchstücke von Glas, Holz und Metall. Sollte Mamas Tasse nicht aus Steingut sein?

Er riecht nach Benzin. Etwas Schweres liegt auf mir und die Splitter schneiden in meine Haut. Mein Kopf tut weh. „Mama?"

Sie antwortet sofort: „Kann man denn gar nichts tun?"

Dann eine andere Stimme: „Die Hirnfunktionen lassen immer mehr nach."

Wer immer das sagt, er hat wohl recht. Ich versinke schon wieder im Nichts.

Verdammt, ich muss endlich aufwachen!

Gewaltsam reiße ich meine Augen auf. Wolkenloser Himmel über mir. Flugzeugmodelle, die im Luftzug eines geöffneten Fensters schaukeln und von der Deckenlampe angestrahlt werden. Ich schlafe nie bei offenem Fenster oder bei Licht. Und wo sind die gemalten Wolken abgeblieben?

Schon wieder stimmt etwas nicht. Ich muss raus aus diesem sich stets wiederholenden Traum. Und endlich richtig wach werden.

Mir wird allmählich klar, was vermutlich passiert ist. Ganz sicher bin ich nicht in meinem eigenen Bett und auch nicht in unserem Bungalow. Ich träume das nur. Mein Gehirn durchläuft offenbar immer wieder die letzten Minuten, bevor ... irgendetwas Furchtbares geschehen ist. Und es gibt mir durch lauter kleine Fehler zu verstehen, dass ich den Traum hinterfragen muss. Dass ich ihn verlassen muss. Irgendwie.

Da es ein Traum ist, bin ich mit einem Wimpernzucken angezogen, habe meine Tasche am Wickel und stehe in der Küche. Mama sitzt am Tisch und lächelt mir zu. Erleichtert lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen. Ich habe befürchtet, dass sie in dieser Version meines Traums nicht mehr da ist.

„Was ist passiert?", frage ich sie.

„Nein!" Spricht sie mit mir? „Nein, das wird nicht geschehen!"

Die Antwort hilft mir nicht weiter. Offenbar muss ich erneut das Haus verlassen.

Blaumetallene Front, silberner Löwe auf schwarzem Grund. Ein grauenhaftes Krachen, dann nur noch irgendwie ekelerregendes Knirschen. Ich liege auf Glassplittern, Holzspänen und Metallteilen, halb im Flur, halb auf dem Gehweg. Es riecht nach Benzin. Und Desinfektionsmittel. Der Boden ist weich und warm. Aus der Ferne kommen Sirenenklänge, aber ein beständiges Piepen übertönt sie.

„Mama?" Aber meine Stimme verklingt. Ich kann nicht sprechen, mich nicht mehr bewegen.

Hat sie mich gehört? Sie erwidert mit fester Stimme: „Schalten Sie nicht ab! Simon ist stark! Er wird es schaffen!"

Dunkelheit. Schweben im Nichts. Wie zuvor.

Aber diesmal ist da ein Band, das mich hält. Das Vertrauen meiner Mutter gibt mir Kraft.

Diesmal werde ich es schaffen. Ich werde wirklich aufwachen. Und beweisen, dass bei mir überhaupt nichts nachlässt!

Ich öffne die Augen ...

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