Prolog
To Niall, thanks for being my inspiration, I owe it all to you - Ambi
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Jess
„Fahr bitte nicht so schnell, Tim!"
„Stell dich nicht so an, Jess! Ich hab alles im Griff!"
Die Bäume am Straßenrand rasten an uns vorbei, zumindest kam es mir so vor, doch in Wirklichkeit war es das Auto, welches haarscharf um die Kurve fuhr, immer schneller, immer unberechenbarer, bis Tim schließlich die Kontrolle verlor. Das Letzte, an was ich mich erinnerte, war ein großer, dicker Baum, der urplötzlich in mein Blickfeld geriet. Ich wusste, dass der Baum nicht ausweichen konnte, denn Bäume besaßen schließlich keine Beine.
„Was ist mit meinen Beinen? Ich spüre sie nicht mehr!"
Krampfhaft versuchte ich mit den Zehen zu wackeln, als die OP Schwester mich in ein Zimmer schob, dessen Wände hellgelb gestrichen waren. Ich lag in einem dieser weißen Krankenhausbetten, wurde nun an einen Tropf gehängt, aber eine Antwort auf meine Frage bekam ich nicht.
„Der Arzt wird gleich zu Ihnen kommen."
Tim und ich mussten einen Unfall gehabt haben, soviel stand fest. Hoffentlich war ihm nichts Schlimmes passiert. Die Angst, dass er es nicht überlebt haben könnte, machte sich in mir breit und ließ mich fast durchdrehen. Diese war plötzlich viel stärker, als die quälende Frage, warum ich meine Beine im Moment nicht spüren konnte.
„Ich bin Dr. Hopper. Ich weiß, dass Sie Ihre Beine nicht spüren können aber das wird sich mit der Zeit geben. Wir haben einen eingeklemmten Nerv wieder freigelegt, das kommt wieder in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen."
Ich hörte auf, mir Sorgen zu machen, zumindest um mich und meine Beine.
„Was ist mit Tim? Geht es ihm gut?"
„Ihrem Freund geht es sehr gut, er hat nur ein paar leichte Schürfwunden abbekommen."
Dr. Hoppers Antwort stellte mich voll und ganz zufrieden, mehr hatte ich nicht wissen wollen.
„Wo ist Tim?"
„Zuhause, er darf Sie morgen besuchen."
Tim besuchte mich gleich am nächsten Morgen. Über seiner rechten Wange klebte ein Pflaster und seine Hände wiesen einige Schürfwunden auf. Ansonsten sah er so gut aus wie immer. Sein dunkles Haar war akkurat nach oben gegelt und die hellbraunen Augen betrachteten mich aufmerksam.
„Hat der Arzt schon mit dir geredet, Jess?"
„Ja, gestern."
„Und heute?"
„Warum sollte er heute schon wieder mit mir reden? Er hat mir gesagt, dass das mit meinen Beinen wieder in Ordnung kommt."
Ich beobachtete, wie Tim nervös seine Hände knetete. Das tat er immer, wenn ihm irgendetwas unangenehm war. Damals wusste ich noch nicht, dass er mein Leben für immer zerstört hatte.
Damals wusste ich noch nicht, dass mein Traum sich nie erfüllen würde.
Damals wusste ich noch nicht, dass er mich verlassen würde, weil ich in ein seelisches Tief fiel.
Damals wusste ich noch nicht, dass ich irgendwann keinen Sinn mehr in meinem Leben sehen würde.
Meine kräftigen Arme stützen sich auf dem Bett ab, gleichzeitig hob ich mein Becken an und hievte meinen Körper in den Rollstuhl, der direkt neben meinem Bett stand. Es war einer dieser Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte, weil die Vergangenheit mich nicht losließ. Eine Vergangenheit, die nun meine Gegenwart war und meine Zukunft sein würde.
Immer wieder hatte ich die Szenen des Unfalls und jene im Krankenhaus vor Augen. Sie gruben sich so tief in mein Innerstes, in meinen Kopf, in mein Herz, in meine Seele. Alles in mir schrie nach Vergeltung, doch ich wusste, dass es nie dazu kommen konnte.
Tim scherte sich einen Dreck um mich und mein armseliges Leben. Heute Morgen erst hatte ich ihn aus einiger Entfernung im Supermarkt gesehen, als ich mit meinem Rollstuhl durch die Gänge fuhr. Mittlerweile war ich so schnell mit diesem Teil, dass ich überhaupt nicht den Wunsch verspürte, jemals wieder laufen zu wollen. Es brachte sowieso nichts, da mein Lebenstraum zerstört wurde.
Ich hätte Tim und seine Freundin mit meinem Rollstuhl sehr leicht einholen können, doch mir stand nicht der Sinn danach. Wahrscheinlich hätte ich sowieso nicht die richtigen Worte gewählt, um ihm gehörig die Meinung zu sagen. Ich konnte meine Gefühle sehr viel besser ausdrücken, wenn ich schrieb, das war schon immer so gewesen. Vielleicht lag es daran, dass ich für mein Leben gerne las und mich an den Worten der Autoren orientierte, die alles wunderbar auszudrücken vermochten, sei es in einer Geschichte oder in einem Vers.
Ich hatte gelernt, meine Gefühle niederzuschreiben, denn seit diesem Unfall führte ich ein Tagebuch. Ich wusste zwar nicht, wieso ich das tat, denn es würde sich dadurch nichts in meinem Leben ändern, doch es tat gut, sich die Dinge ein wenig von der Seele zu schreiben.
Aber ich wollte mir nicht nur etwas von der Seele schreiben, ich wollte meine Wut, meine Enttäuschung und meine Traurigkeit herauslassen und zwar jenem Menschen gegenüber, der mich in diese Situation gebracht hatte, bevor er mich fallen ließ, wie eine heiße Kartoffel.
Ich hasste Tim von ganzem Herzen, ich war unsagbar enttäuscht von seinem Verhalten und wollte ihm all diese Dinge, die ich auf dem Herzen hatte, an den Kopf knallen.
Was eignete sich dazu besser, als eine E-Mail zu schreiben? Ich hatte ihn zwar aus sämtlichen meiner Kontaktlisten entfernt, seine Handynummer flog direkt heraus, aus Whatsapp hatte ich ihn ebenfalls gelöscht und selbst unter meinen E-Mailkontakten befand sich kein Tim mehr. Doch seine E-Mail Adresse würde ich wohl nie vergessen. Diese war unglaublich bescheuert und ich konnte mich noch gut daran erinnern, als er sie eingerichtet hatte. Er regte sich damals wahnsinnig darüber auf, dass es tatsächlich jemanden gab, der die E-Mail Adresse [email protected] bereits für sich beansprucht hatte. Somit schied diese nämlich für ihn aus.
Tims Lieblingsserie waren die Simpsons und er vergötterte Homer geradezu, was ich ziemlich lächerlich fand. Als ich ihm damals vorschlug, anstatt seinem Geburtsjahr, das Geburtsdatum am Ende der E-Mail Adresse zu nehmen, stieß ich nur auf sein grenzenloses Unverständnis, da es darum ging, dass er seinen Kopf nicht durchsetzen konnte. Also wurde dann aus [email protected] eben [email protected], was ich kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen hatte. Nie im Leben würde ich diese bescheuerte E-Mail Adresse vergessen.
Ich geriet so in Rage, als ich vor meinem Laptop saß, dass meine Finger nur so über die Tastatur flogen. Zuerst tippte ich die E-Mail Adresse ein, dann dachte ich kurz über eine Anrede nach, ersparte mir diese jedoch. Er war es gar nicht wert, angesprochen zu werden, zumindest nicht am Anfang.
Meine ganze Wut schlug sich in dieser Mail nieder, alles, was ich fühlte, was mir durch den Kopf ging und worüber ich tagtäglich nachdachte. Tim würde eine geballte Ladung Hass entgegenschlagen, denn er sollte wissen, dass ich diesen Unfall und das Resultat daraus, niemals würde vergessen können. Ich beschimpfte ihn, ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf, selbst den traurigen. Alles was ich wollte war, dass er jeden Tag darüber nachdenken sollte, wie er mein Leben zerstört hatte. Ich erwartete keine Antwort von ihm, aber ich wollte alles herauslassen, was mich seitdem bedrückte.
Als ich auf den Sendebutton klickte, fühlte es sich unglaublich gut an. Ich spürte eine Genugtuung in mir aufsteigen, wie ich sie noch niemals empfunden hatte. Tim würde morgen früh, wenn er diese E-Mail las, sein blaues Wunder erleben.
Zufrieden rollte ich in Richtung Bett, hievte meinen Körper aus dem Rollstuhl und legte mich wieder schlafen. Morgen würde ein neuer Tag beginnen aber auch ein neues Leiden. Denn aus etwas Anderem bestand mein Leben nicht mehr.
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Auf vielfachen Wunsch meiner Leserin sweetanimelove habe ich mich dazu entschlossen, diese Story nun auch auf dieser Plattform zu posten, und nicht nur auf myfanfiction.net
Ich weiß, es ist keine leichte Kost, die ich euch hier serviere und der Prolog wirft Unmengen von Fragen auf, doch die Antworten werdet ihr erhalten, wenn ihr weiter lest.
Die Kapitel werden immer abwechselnd aus der Sicht von Jess und Niall geschrieben, also wird das nächste Kapitel aus Nialls Sicht geschrieben sein, ich hoffe, ihr freut euch schon darauf!
LG, Ambi xxx
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